keln unternahm, von der ich Dir die vier ersten Bogen mitgetheilt habe. Mehr sind nicht gedruckt, weil es mich in Verlegenheit setzte, mein eige- ner Verleger zu seyn und ich das nonum prematur in annum in Anwendung bringen wollte. Es wurde nach dieser Vorbereitung mir nun klar, wie von einer Mittellinie aus sich Deine Primitivfalten, die ich später Rückenplatten benennen lernte, nach oben und die Bauchplatten nach unten schlagen, um den animalen Theil des Wirbelthiers zu bilden, und wie im plastischen Theile der Typus der Mollusken sich offenbart. So wurden mir die Unter- suchungen über Entwickelungsgeschichte immer lieber, da sie sich mit mei- nen übrigen Ansichten von der thierischen Organisation überall verschmolzen und beide gegenseitig die Gewähr ihrer Wahrheit zu geben schienen. Jetzt wird man freilich, wenn der Entwickelungsgang sich so unendlich einfach zeigt, finden, dass sich das alles von selbst so verstehe und kaum der Be- stätigung durch die Untersuchung bedurft hätte. Aber die Geschichte vom Ei des Columbus wiederholt sich täglich, und es kommt mir darauf an, es einmal auf den Ring gestellt zu haben. -- Wie langsam man übrigens in der Erkenntniss dessen, was sich von selbst versteht, fortschreitet, besonders wenn beachtungswerthe Auctoritäten entgegenstehen, davon habe ich an mir selbst Erfahrungen genug gemacht. Obgleich ich schon im Jahr 1820 er- kannt hatte, dass der Typus der Wirbelthiere die ganze Entwickelungsge- schichte beherrscht, und meine Untersuchungen während der Sommer 1821, 1822 und 1823 fortsetzte und in dem zuerst genannten Jahre bereits nach die- sen Ansichten in der hiesigen physicalisch-medicinischen Gesellschaft eine Reihe von Vorlesungen mit Demonstrationen verbunden hielt, so hatte ich doch den dunklen Streifen, der sich schon früh in der Mittelebene zeigt, nicht für das erkannt, was er ist, weil Du, mein Freund! ihn für das Rückenmark angesehen hast. Ich hatte ihn nicht erkannt, obgleich ich im- mer eingestehen musste, den Zusammenhang zwischen der spätern Form des
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keln unternahm, von der ich Dir die vier ersten Bogen mitgetheilt habe. Mehr sind nicht gedruckt, weil es mich in Verlegenheit setzte, mein eige- ner Verleger zu seyn und ich das nonum prematur in annum in Anwendung bringen wollte. Es wurde nach dieser Vorbereitung mir nun klar, wie von einer Mittellinie aus sich Deine Primitivfalten, die ich später Rückenplatten benennen lernte, nach oben und die Bauchplatten nach unten schlagen, um den animalen Theil des Wirbelthiers zu bilden, und wie im plastischen Theile der Typus der Mollusken sich offenbart. So wurden mir die Unter- suchungen über Entwickelungsgeschichte immer lieber, da sie sich mit mei- nen übrigen Ansichten von der thierischen Organisation überall verschmolzen und beide gegenseitig die Gewähr ihrer Wahrheit zu geben schienen. Jetzt wird man freilich, wenn der Entwickelungsgang sich so unendlich einfach zeigt, finden, daſs sich das alles von selbst so verstehe und kaum der Be- stätigung durch die Untersuchung bedurft hätte. Aber die Geschichte vom Ei des Columbus wiederholt sich täglich, und es kommt mir darauf an, es einmal auf den Ring gestellt zu haben. — Wie langsam man übrigens in der Erkenntniſs dessen, was sich von selbst versteht, fortschreitet, besonders wenn beachtungswerthe Auctoritäten entgegenstehen, davon habe ich an mir selbst Erfahrungen genug gemacht. Obgleich ich schon im Jahr 1820 er- kannt hatte, daſs der Typus der Wirbelthiere die ganze Entwickelungsge- schichte beherrscht, und meine Untersuchungen während der Sommer 1821, 1822 und 1823 fortsetzte und in dem zuerst genannten Jahre bereits nach die- sen Ansichten in der hiesigen physicalisch-medicinischen Gesellschaft eine Reihe von Vorlesungen mit Demonstrationen verbunden hielt, so hatte ich doch den dunklen Streifen, der sich schon früh in der Mittelebene zeigt, nicht für das erkannt, was er ist, weil Du, mein Freund! ihn für das Rückenmark angesehen hast. Ich hatte ihn nicht erkannt, obgleich ich im- mer eingestehen muſste, den Zusammenhang zwischen der spätern Form des
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[VIII/0014]
keln unternahm, von der ich Dir die vier ersten Bogen mitgetheilt habe.
Mehr sind nicht gedruckt, weil es mich in Verlegenheit setzte, mein eige-
ner Verleger zu seyn und ich das nonum prematur in annum in Anwendung
bringen wollte. Es wurde nach dieser Vorbereitung mir nun klar, wie von
einer Mittellinie aus sich Deine Primitivfalten, die ich später Rückenplatten
benennen lernte, nach oben und die Bauchplatten nach unten schlagen, um
den animalen Theil des Wirbelthiers zu bilden, und wie im plastischen
Theile der Typus der Mollusken sich offenbart. So wurden mir die Unter-
suchungen über Entwickelungsgeschichte immer lieber, da sie sich mit mei-
nen übrigen Ansichten von der thierischen Organisation überall verschmolzen
und beide gegenseitig die Gewähr ihrer Wahrheit zu geben schienen. Jetzt
wird man freilich, wenn der Entwickelungsgang sich so unendlich einfach
zeigt, finden, daſs sich das alles von selbst so verstehe und kaum der Be-
stätigung durch die Untersuchung bedurft hätte. Aber die Geschichte vom
Ei des Columbus wiederholt sich täglich, und es kommt mir darauf an, es
einmal auf den Ring gestellt zu haben. — Wie langsam man übrigens in
der Erkenntniſs dessen, was sich von selbst versteht, fortschreitet, besonders
wenn beachtungswerthe Auctoritäten entgegenstehen, davon habe ich an mir
selbst Erfahrungen genug gemacht. Obgleich ich schon im Jahr 1820 er-
kannt hatte, daſs der Typus der Wirbelthiere die ganze Entwickelungsge-
schichte beherrscht, und meine Untersuchungen während der Sommer 1821,
1822 und 1823 fortsetzte und in dem zuerst genannten Jahre bereits nach die-
sen Ansichten in der hiesigen physicalisch-medicinischen Gesellschaft eine
Reihe von Vorlesungen mit Demonstrationen verbunden hielt, so hatte ich
doch den dunklen Streifen, der sich schon früh in der Mittelebene zeigt,
nicht für das erkannt, was er ist, weil Du, mein Freund! ihn für das
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/14>, abgerufen am 21.11.2024.
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