Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Vortrage.
Componist oft eine besondere Schönheit angebracht hat, durch
eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen ist der
erste Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratsche trift.

§. 12.

Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten,
werden stark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange-
deutet ist. Man giebet der Hauptstimme dadurch zu verstehen, daß
man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten
werde. Dieses Zeichen ist besonders bey dem Allegro nothwen-
dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge-
führet sind, als bey jenem. Die Hauptstimme pfleget oft in diesem
Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein schlep-
pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wissen, daß
die Cadenz verzieret werden soll.

§. 13.

Wenn die Hauptstimme eine lange Aushaltung hat,
welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo
anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwächset, und wieder
nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: so richtet sich der
Begleiter hiernach auf das genaueste. Er wendet alle Künste,
das Forte und Piano herauszubringen, so viel ihm möglich ist,
an. Er wächst und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger.

§. 14.

Bey Gelegenheit der abgestossenen und gezoge-
nen Noten
merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu
die Grundnoten nicht ausdrücklich abgestossen werden sollen, nicht
nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzuschlagen. Die In-
tervallen, welche im vorhergehenden Accorde schon da sind, und
im darauf folgenden liegen bleiben können, lässet man liegen.
Durch diesen Vortrag, wenn er zumal mit fliessenden Progres-
sionen in der besten Lage vergesellschaftet ist, erhält die Begleitung
eine singende Wirkung. Bey gezogenen Noten ist er unentbehr-
lich. Aus dieser guten Ursache sind die meisten Exempel dieses

Buches
Bachs Versuch. 2. Theil. J i

Vom Vortrage.
Componiſt oft eine beſondere Schönheit angebracht hat, durch
eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen iſt der
erſte Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratſche trift.

§. 12.

Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten,
werden ſtark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange-
deutet iſt. Man giebet der Hauptſtimme dadurch zu verſtehen, daß
man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten
werde. Dieſes Zeichen iſt beſonders bey dem Allegro nothwen-
dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge-
führet ſind, als bey jenem. Die Hauptſtimme pfleget oft in dieſem
Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein ſchlep-
pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wiſſen, daß
die Cadenz verzieret werden ſoll.

§. 13.

Wenn die Hauptſtimme eine lange Aushaltung hat,
welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo
anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwächſet, und wieder
nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: ſo richtet ſich der
Begleiter hiernach auf das genaueſte. Er wendet alle Künſte,
das Forte und Piano herauszubringen, ſo viel ihm möglich iſt,
an. Er wächſt und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger.

§. 14.

Bey Gelegenheit der abgeſtoſſenen und gezoge-
nen Noten
merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu
die Grundnoten nicht ausdrücklich abgeſtoſſen werden ſollen, nicht
nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzuſchlagen. Die In-
tervallen, welche im vorhergehenden Accorde ſchon da ſind, und
im darauf folgenden liegen bleiben können, läſſet man liegen.
Durch dieſen Vortrag, wenn er zumal mit flieſſenden Progreſ-
ſionen in der beſten Lage vergeſellſchaftet iſt, erhält die Begleitung
eine ſingende Wirkung. Bey gezogenen Noten iſt er unentbehr-
lich. Aus dieſer guten Urſache ſind die meiſten Exempel dieſes

Buches
Bachs Verſuch. 2. Theil. J i
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0259" n="249"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vom Vortrage.</hi></fw><lb/>
Componi&#x017F;t oft eine be&#x017F;ondere Schönheit angebracht hat, durch<lb/>
eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen i&#x017F;t der<lb/>
er&#x017F;te Anfänger der Führer, und wenn es auch die Brat&#x017F;che trift.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 12.</head>
          <p>Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten,<lb/>
werden &#x017F;tark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange-<lb/>
deutet i&#x017F;t. Man giebet der Haupt&#x017F;timme dadurch zu ver&#x017F;tehen, daß<lb/>
man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten<lb/>
werde. Die&#x017F;es Zeichen i&#x017F;t be&#x017F;onders bey dem Allegro nothwen-<lb/>
dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge-<lb/>
führet &#x017F;ind, als bey jenem. Die Haupt&#x017F;timme pfleget oft in die&#x017F;em<lb/>
Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein &#x017F;chlep-<lb/>
pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wi&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
die Cadenz verzieret werden &#x017F;oll.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 13.</head>
          <p>Wenn die Haupt&#x017F;timme eine lange Aushaltung hat,<lb/>
welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo<lb/>
anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwäch&#x017F;et, und wieder<lb/>
nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: &#x017F;o richtet &#x017F;ich der<lb/>
Begleiter hiernach auf das genaue&#x017F;te. Er wendet alle Kün&#x017F;te,<lb/>
das Forte und Piano herauszubringen, &#x017F;o viel ihm möglich i&#x017F;t,<lb/>
an. Er wäch&#x017F;t und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 14.</head>
          <p>Bey Gelegenheit der <hi rendition="#fr">abge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;enen</hi> und <hi rendition="#fr">gezoge-<lb/>
nen Noten</hi> merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu<lb/>
die Grundnoten nicht ausdrücklich abge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en werden &#x017F;ollen, nicht<lb/>
nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzu&#x017F;chlagen. Die In-<lb/>
tervallen, welche im vorhergehenden Accorde &#x017F;chon da &#x017F;ind, und<lb/>
im darauf folgenden liegen bleiben können, lä&#x017F;&#x017F;et man liegen.<lb/>
Durch die&#x017F;en Vortrag, wenn er zumal mit flie&#x017F;&#x017F;enden Progre&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ionen in der be&#x017F;ten Lage verge&#x017F;ell&#x017F;chaftet i&#x017F;t, erhält die Begleitung<lb/>
eine &#x017F;ingende Wirkung. Bey gezogenen Noten i&#x017F;t er unentbehr-<lb/>
lich. Aus die&#x017F;er guten Ur&#x017F;ache &#x017F;ind die mei&#x017F;ten Exempel die&#x017F;es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Bachs Ver&#x017F;uch. 2. Theil.</hi> J i</fw><fw place="bottom" type="catch">Buches</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0259] Vom Vortrage. Componiſt oft eine beſondere Schönheit angebracht hat, durch eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen iſt der erſte Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratſche trift. §. 12. Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten, werden ſtark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange- deutet iſt. Man giebet der Hauptſtimme dadurch zu verſtehen, daß man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten werde. Dieſes Zeichen iſt beſonders bey dem Allegro nothwen- dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge- führet ſind, als bey jenem. Die Hauptſtimme pfleget oft in dieſem Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein ſchlep- pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wiſſen, daß die Cadenz verzieret werden ſoll. §. 13. Wenn die Hauptſtimme eine lange Aushaltung hat, welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwächſet, und wieder nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: ſo richtet ſich der Begleiter hiernach auf das genaueſte. Er wendet alle Künſte, das Forte und Piano herauszubringen, ſo viel ihm möglich iſt, an. Er wächſt und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger. §. 14. Bey Gelegenheit der abgeſtoſſenen und gezoge- nen Noten merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu die Grundnoten nicht ausdrücklich abgeſtoſſen werden ſollen, nicht nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzuſchlagen. Die In- tervallen, welche im vorhergehenden Accorde ſchon da ſind, und im darauf folgenden liegen bleiben können, läſſet man liegen. Durch dieſen Vortrag, wenn er zumal mit flieſſenden Progreſ- ſionen in der beſten Lage vergeſellſchaftet iſt, erhält die Begleitung eine ſingende Wirkung. Bey gezogenen Noten iſt er unentbehr- lich. Aus dieſer guten Urſache ſind die meiſten Exempel dieſes Buches Bachs Verſuch. 2. Theil. J i

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/259
Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/259>, abgerufen am 21.11.2024.