Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

protestantischen Geistlichkeit des 17. Jahrhunderts gelten kann.
Offenbar wußte der wackere geistliche Herr von der Gaunerei und
ihrer Linguistik mehr, als er vielleicht seines Summars oder
Superintendenten wegen zu sagen wagte. Er beschränkte sich auf
seine kurzen kaustischen Parenthesen und übersetzte als neue Zuthat
mit großer Behaglichkeit und Derbheit des Ausdrucks die Ptocho-
logie des Erasmus von Rotterdam, um zwei lateinisch redende
Spitzbuben deutsch populär zu machen, deckte sich den Rücken
durch den sonderbaren auffälligen bibelfesten Auslauf des Gauner-
gesprächs und salvirte seine theologische Würde vollständig durch
den Wiederabdruck der Luther'schen Vorrede zum Liber Vagato-
rum,
sodaß selbst der schlechte Witz auf dem Titelblatt ihm hin-
gehen kann: "Mit Begnadigung des Betler-Königs auff zwölff
Jahr nicht nachzudrucken".

Aehnlich machte es der allerdings ernstere Herausgeber des
Expertus in Truphis 1) (1668). Er bezieht sich S. 8 auf den
leipziger Superintendenten Nik. Selneccer, welcher in seiner Aus-
gabe des Liber Vagatorum (1580) "jezuweilen auch darzu ge-
than hat", und gibt nun auch kleine parenthesirte Erläuterungen
und Zusätze und sogar im Vocabular (S. 66--78) hier und da
zu den einzelnen Vocabeln die lateinische Uebersetzung oder hebräi-
sche Wortwurzel mit lateinischen Lettern. Jhm genügen aber diese
kurzen Zuthaten nicht; er gibt noch in funfzehn verschiedenen "Hi-
storien" die allerdings unbedeutende Erzählung einzelner Betrü-
gereien aus alten und neuen Schriftstellern hinzu, schließt mit der
Anführung der in den "Augsburger Reichsabschieden von 1500,
1530 und 1548 wider Bettler und Müssigganger" erlassenen Ver-
ordnungen und endigt S. 160 mit der
Summa:
Ein ieder lern sein Lection,
So wird es wohl im Hause stohn.
Omnia ad aedificationem.

1) Der mir bei Herausgabe des ersten Theils noch unbekannte und nur
nach Hoffmann von Fallersleben erwähnte Expertus in Truphis (Th. I, S. 157,
Nr. 14) ist mir inzwischen durch die Güte des Hrn. Dr. R. Köhler, Biblio-

proteſtantiſchen Geiſtlichkeit des 17. Jahrhunderts gelten kann.
Offenbar wußte der wackere geiſtliche Herr von der Gaunerei und
ihrer Linguiſtik mehr, als er vielleicht ſeines Summars oder
Superintendenten wegen zu ſagen wagte. Er beſchränkte ſich auf
ſeine kurzen kauſtiſchen Parentheſen und überſetzte als neue Zuthat
mit großer Behaglichkeit und Derbheit des Ausdrucks die Ptocho-
logie des Erasmus von Rotterdam, um zwei lateiniſch redende
Spitzbuben deutſch populär zu machen, deckte ſich den Rücken
durch den ſonderbaren auffälligen bibelfeſten Auslauf des Gauner-
geſprächs und ſalvirte ſeine theologiſche Würde vollſtändig durch
den Wiederabdruck der Luther’ſchen Vorrede zum Liber Vagato-
rum,
ſodaß ſelbſt der ſchlechte Witz auf dem Titelblatt ihm hin-
gehen kann: „Mit Begnadigung des Betler-Königs auff zwölff
Jahr nicht nachzudrucken“.

Aehnlich machte es der allerdings ernſtere Herausgeber des
Expertus in Truphis 1) (1668). Er bezieht ſich S. 8 auf den
leipziger Superintendenten Nik. Selneccer, welcher in ſeiner Aus-
gabe des Liber Vagatorum (1580) „jezuweilen auch darzu ge-
than hat“, und gibt nun auch kleine parentheſirte Erläuterungen
und Zuſätze und ſogar im Vocabular (S. 66—78) hier und da
zu den einzelnen Vocabeln die lateiniſche Ueberſetzung oder hebräi-
ſche Wortwurzel mit lateiniſchen Lettern. Jhm genügen aber dieſe
kurzen Zuthaten nicht; er gibt noch in funfzehn verſchiedenen „Hi-
ſtorien“ die allerdings unbedeutende Erzählung einzelner Betrü-
gereien aus alten und neuen Schriftſtellern hinzu, ſchließt mit der
Anführung der in den „Augsburger Reichsabſchieden von 1500,
1530 und 1548 wider Bettler und Müſſigganger“ erlaſſenen Ver-
ordnungen und endigt S. 160 mit der
Summa:
Ein ieder lern ſein Lection,
So wird es wohl im Hauſe ſtohn.
Omnia ad aedificationem.

1) Der mir bei Herausgabe des erſten Theils noch unbekannte und nur
nach Hoffmann von Fallersleben erwähnte Expertus in Truphis (Th. I, S. 157,
Nr. 14) iſt mir inzwiſchen durch die Güte des Hrn. Dr. R. Köhler, Biblio-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0097" n="85"/>
prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Gei&#x017F;tlichkeit des 17. Jahrhunderts gelten kann.<lb/>
Offenbar wußte der wackere gei&#x017F;tliche Herr von der Gaunerei und<lb/>
ihrer Lingui&#x017F;tik mehr, als er vielleicht &#x017F;eines Summars oder<lb/>
Superintendenten wegen zu &#x017F;agen wagte. Er be&#x017F;chränkte &#x017F;ich auf<lb/>
&#x017F;eine kurzen kau&#x017F;ti&#x017F;chen Parenthe&#x017F;en und über&#x017F;etzte als neue Zuthat<lb/>
mit großer Behaglichkeit und Derbheit des Ausdrucks die Ptocho-<lb/>
logie des Erasmus von Rotterdam, um zwei lateini&#x017F;ch redende<lb/>
Spitzbuben deut&#x017F;ch populär zu machen, deckte &#x017F;ich den Rücken<lb/>
durch den &#x017F;onderbaren auffälligen bibelfe&#x017F;ten Auslauf des Gauner-<lb/>
ge&#x017F;prächs und &#x017F;alvirte &#x017F;eine theologi&#x017F;che Würde voll&#x017F;tändig durch<lb/>
den Wiederabdruck der Luther&#x2019;&#x017F;chen Vorrede zum <hi rendition="#aq">Liber Vagato-<lb/>
rum,</hi> &#x017F;odaß &#x017F;elb&#x017F;t der &#x017F;chlechte Witz auf dem Titelblatt ihm hin-<lb/>
gehen kann: &#x201E;Mit Begnadigung des Betler-Königs auff zwölff<lb/>
Jahr nicht nachzudrucken&#x201C;.</p><lb/>
                <p>Aehnlich machte es der allerdings ern&#x017F;tere Herausgeber des<lb/><hi rendition="#aq">Expertus in Truphis</hi> <note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="1)">Der mir bei Herausgabe des er&#x017F;ten Theils noch unbekannte und nur<lb/>
nach Hoffmann von Fallersleben erwähnte <hi rendition="#aq">Expertus in Truphis</hi> (Th. <hi rendition="#aq">I</hi>, S. 157,<lb/>
Nr. 14) i&#x017F;t mir inzwi&#x017F;chen durch die Güte des Hrn. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> R. Köhler, Biblio-</note> (1668). Er bezieht &#x017F;ich S. 8 auf den<lb/>
leipziger Superintendenten Nik. Selneccer, welcher in &#x017F;einer Aus-<lb/>
gabe des <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> (1580) &#x201E;jezuweilen auch darzu ge-<lb/>
than hat&#x201C;, und gibt nun auch kleine parenthe&#x017F;irte Erläuterungen<lb/>
und Zu&#x017F;ätze und &#x017F;ogar im Vocabular (S. 66&#x2014;78) hier und da<lb/>
zu den einzelnen Vocabeln die lateini&#x017F;che Ueber&#x017F;etzung oder hebräi-<lb/>
&#x017F;che Wortwurzel mit lateini&#x017F;chen Lettern. Jhm genügen aber die&#x017F;e<lb/>
kurzen Zuthaten nicht; er gibt noch in funfzehn ver&#x017F;chiedenen &#x201E;Hi-<lb/>
&#x017F;torien&#x201C; die allerdings unbedeutende Erzählung einzelner Betrü-<lb/>
gereien aus alten und neuen Schrift&#x017F;tellern hinzu, &#x017F;chließt mit der<lb/>
Anführung der in den &#x201E;Augsburger Reichsab&#x017F;chieden von 1500,<lb/>
1530 und 1548 wider Bettler und Mü&#x017F;&#x017F;igganger&#x201C; erla&#x017F;&#x017F;enen Ver-<lb/>
ordnungen und endigt S. 160 mit der<lb/><hi rendition="#c">Summa:<lb/>
Ein ieder lern &#x017F;ein Lection,<lb/>
So wird es wohl im Hau&#x017F;e &#x017F;tohn.<lb/><hi rendition="#aq">Omnia ad aedificationem.</hi></hi></p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0097] proteſtantiſchen Geiſtlichkeit des 17. Jahrhunderts gelten kann. Offenbar wußte der wackere geiſtliche Herr von der Gaunerei und ihrer Linguiſtik mehr, als er vielleicht ſeines Summars oder Superintendenten wegen zu ſagen wagte. Er beſchränkte ſich auf ſeine kurzen kauſtiſchen Parentheſen und überſetzte als neue Zuthat mit großer Behaglichkeit und Derbheit des Ausdrucks die Ptocho- logie des Erasmus von Rotterdam, um zwei lateiniſch redende Spitzbuben deutſch populär zu machen, deckte ſich den Rücken durch den ſonderbaren auffälligen bibelfeſten Auslauf des Gauner- geſprächs und ſalvirte ſeine theologiſche Würde vollſtändig durch den Wiederabdruck der Luther’ſchen Vorrede zum Liber Vagato- rum, ſodaß ſelbſt der ſchlechte Witz auf dem Titelblatt ihm hin- gehen kann: „Mit Begnadigung des Betler-Königs auff zwölff Jahr nicht nachzudrucken“. Aehnlich machte es der allerdings ernſtere Herausgeber des Expertus in Truphis 1) (1668). Er bezieht ſich S. 8 auf den leipziger Superintendenten Nik. Selneccer, welcher in ſeiner Aus- gabe des Liber Vagatorum (1580) „jezuweilen auch darzu ge- than hat“, und gibt nun auch kleine parentheſirte Erläuterungen und Zuſätze und ſogar im Vocabular (S. 66—78) hier und da zu den einzelnen Vocabeln die lateiniſche Ueberſetzung oder hebräi- ſche Wortwurzel mit lateiniſchen Lettern. Jhm genügen aber dieſe kurzen Zuthaten nicht; er gibt noch in funfzehn verſchiedenen „Hi- ſtorien“ die allerdings unbedeutende Erzählung einzelner Betrü- gereien aus alten und neuen Schriftſtellern hinzu, ſchließt mit der Anführung der in den „Augsburger Reichsabſchieden von 1500, 1530 und 1548 wider Bettler und Müſſigganger“ erlaſſenen Ver- ordnungen und endigt S. 160 mit der Summa: Ein ieder lern ſein Lection, So wird es wohl im Hauſe ſtohn. Omnia ad aedificationem. 1) Der mir bei Herausgabe des erſten Theils noch unbekannte und nur nach Hoffmann von Fallersleben erwähnte Expertus in Truphis (Th. I, S. 157, Nr. 14) iſt mir inzwiſchen durch die Güte des Hrn. Dr. R. Köhler, Biblio-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/97
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/97>, abgerufen am 18.05.2024.