kann und vom Verfasser selbst am Schluß der Vorrede mit Recht "eine flüchtige Arbeit" genannt wird. Wenn nach Bischoff's eige- ner Darstellung das Criminalgericht zu Weida von 1818 bis 1820 das Gaunerthum "in der Reußischen Märtine" nur vermuthen, nicht aber entdecken konnte, so erscheint es kaum begreiflich, wie das Gaunerthum nach zwei Jahren plötzlich im Christs-Töffel in- carnirt vor Bischoff's Augen trat und sich in Wesen, Kunst und Sprache so mächtig darstellte, daß innerhalb zwei Jahren nicht weniger als 76 Actenbände, ohne die Acten auswärtiger Behör- den zu rechnen, vollgeschrieben und dazu noch von Bischoff litera- rische Arbeiten, wie "die Kocheme Waldiwerei" unternommen wer- den konnten.
Jn der That sieht aus jedem Theile des Wörterbuchs sehr große Flüchtigkeit hervor. Die logische Erklärung ist fast durch- gehends bis zur Jncorrectheit locker, einseitig und unsicher. Ein hauptsächlicher Grund davon liegt aber in der flachen Anlage des Wörterbuchs, indem Bischoff eine alphabetisch geordnete deutsche Vocabulatur in die Gaunersprache übersetzte. Das ist allerdings ein leichtes Abkommen. Aber darum ward dem Wörterbuch Klar- heit, Bestimmtheit und dem einzelnen Gaunerwort die prägnante Fülle der logischen Bedeutung entzogen, und somit kann auch von einem ausreichenden logischen Verständniß nicht die Rede sein. Man nehme nur z. B. eine der einfachsten Gaunervocabeln, Tuft, das jüdischdeutsche [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], tob, tow. Mit diesem Worte bezeichnet Bischoff folgende Begriffe: echt, Chef, ehrbar, ehrlich, einig, Füh- rer, geschickt, gesund, Glück, klug, wachsam u. s. w. Ebenso scho- fel: geizig, übel, liederlich, elend, falsch, mager, einfältig u. s. w., wobei noch eine Menge steifer gemachter falscher Compositionen vorkommen, mit denen der Gauner sich auch schwerlich befassen mag, z. B.: tufte Schickse, Jungfer; tufter Scheegs, Jung- gesell; tufter Kies, Juwel; tufter Dowrich, Kanaster; tuf- ter Staubert, Weizenmehl; Tuftmäro, Weißbrod; tufter Kolatschen, Weizenkuchen; schofeler Kapper, Zänker; Scho- fel-paternellen, Eidbruch; schofele Stämmerlinge haben, lahm gehen; Schofel-Kiebes, Platte; Schofelvennerich,
kann und vom Verfaſſer ſelbſt am Schluß der Vorrede mit Recht „eine flüchtige Arbeit“ genannt wird. Wenn nach Biſchoff’s eige- ner Darſtellung das Criminalgericht zu Weida von 1818 bis 1820 das Gaunerthum „in der Reußiſchen Märtine“ nur vermuthen, nicht aber entdecken konnte, ſo erſcheint es kaum begreiflich, wie das Gaunerthum nach zwei Jahren plötzlich im Chriſts-Töffel in- carnirt vor Biſchoff’s Augen trat und ſich in Weſen, Kunſt und Sprache ſo mächtig darſtellte, daß innerhalb zwei Jahren nicht weniger als 76 Actenbände, ohne die Acten auswärtiger Behör- den zu rechnen, vollgeſchrieben und dazu noch von Biſchoff litera- riſche Arbeiten, wie „die Kocheme Waldiwerei“ unternommen wer- den konnten.
Jn der That ſieht aus jedem Theile des Wörterbuchs ſehr große Flüchtigkeit hervor. Die logiſche Erklärung iſt faſt durch- gehends bis zur Jncorrectheit locker, einſeitig und unſicher. Ein hauptſächlicher Grund davon liegt aber in der flachen Anlage des Wörterbuchs, indem Biſchoff eine alphabetiſch geordnete deutſche Vocabulatur in die Gaunerſprache überſetzte. Das iſt allerdings ein leichtes Abkommen. Aber darum ward dem Wörterbuch Klar- heit, Beſtimmtheit und dem einzelnen Gaunerwort die prägnante Fülle der logiſchen Bedeutung entzogen, und ſomit kann auch von einem ausreichenden logiſchen Verſtändniß nicht die Rede ſein. Man nehme nur z. B. eine der einfachſten Gaunervocabeln, Tuft, das jüdiſchdeutſche [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], tob, tow. Mit dieſem Worte bezeichnet Biſchoff folgende Begriffe: echt, Chef, ehrbar, ehrlich, einig, Füh- rer, geſchickt, geſund, Glück, klug, wachſam u. ſ. w. Ebenſo ſcho- fel: geizig, übel, liederlich, elend, falſch, mager, einfältig u. ſ. w., wobei noch eine Menge ſteifer gemachter falſcher Compoſitionen vorkommen, mit denen der Gauner ſich auch ſchwerlich befaſſen mag, z. B.: tufte Schickſe, Jungfer; tufter Scheegs, Jung- geſell; tufter Kies, Juwel; tufter Dowrich, Kanaſter; tuf- ter Staubert, Weizenmehl; Tuftmäro, Weißbrod; tufter Kolatſchen, Weizenkuchen; ſchofeler Kapper, Zänker; Scho- fel-paternellen, Eidbruch; ſchofele Stämmerlinge haben, lahm gehen; Schofel-Kiebes, Platte; Schofelvennerich,
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kann und vom Verfaſſer ſelbſt am Schluß der Vorrede mit Recht
„eine flüchtige Arbeit“ genannt wird. Wenn nach Biſchoff’s eige-
ner Darſtellung das Criminalgericht zu Weida von 1818 bis 1820
das Gaunerthum „in der Reußiſchen Märtine“ nur vermuthen,
nicht aber entdecken konnte, ſo erſcheint es kaum begreiflich, wie
das Gaunerthum nach zwei Jahren plötzlich im Chriſts-Töffel in-
carnirt vor Biſchoff’s Augen trat und ſich in Weſen, Kunſt und
Sprache ſo mächtig darſtellte, daß innerhalb zwei Jahren nicht
weniger als 76 Actenbände, ohne die Acten auswärtiger Behör-
den zu rechnen, vollgeſchrieben und dazu noch von Biſchoff litera-
riſche Arbeiten, wie „die Kocheme Waldiwerei“ unternommen wer-
den konnten.
Jn der That ſieht aus jedem Theile des Wörterbuchs ſehr
große Flüchtigkeit hervor. Die logiſche Erklärung iſt faſt durch-
gehends bis zur Jncorrectheit locker, einſeitig und unſicher. Ein
hauptſächlicher Grund davon liegt aber in der flachen Anlage des
Wörterbuchs, indem Biſchoff eine alphabetiſch geordnete deutſche
Vocabulatur in die Gaunerſprache überſetzte. Das iſt allerdings
ein leichtes Abkommen. Aber darum ward dem Wörterbuch Klar-
heit, Beſtimmtheit und dem einzelnen Gaunerwort die prägnante
Fülle der logiſchen Bedeutung entzogen, und ſomit kann auch von
einem ausreichenden logiſchen Verſtändniß nicht die Rede ſein.
Man nehme nur z. B. eine der einfachſten Gaunervocabeln, Tuft,
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Biſchoff folgende Begriffe: echt, Chef, ehrbar, ehrlich, einig, Füh-
rer, geſchickt, geſund, Glück, klug, wachſam u. ſ. w. Ebenſo ſcho-
fel: geizig, übel, liederlich, elend, falſch, mager, einfältig u. ſ. w.,
wobei noch eine Menge ſteifer gemachter falſcher Compoſitionen
vorkommen, mit denen der Gauner ſich auch ſchwerlich befaſſen
mag, z. B.: tufte Schickſe, Jungfer; tufter Scheegs, Jung-
geſell; tufter Kies, Juwel; tufter Dowrich, Kanaſter; tuf-
ter Staubert, Weizenmehl; Tuftmäro, Weißbrod; tufter
Kolatſchen, Weizenkuchen; ſchofeler Kapper, Zänker; Scho-
fel-paternellen, Eidbruch; ſchofele Stämmerlinge haben,
lahm gehen; Schofel-Kiebes, Platte; Schofelvennerich,
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/259>, abgerufen am 23.11.2024.
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