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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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ihrer Aufnahme den entschiedensten Widerstand leisteten. Dies sieht
man besonders in der französischen Gaunersprache, bei deren Be-
arbeitung Francisque-Michel die eingedrungenen jüdischen Typen
oft ganz verkennt und ihre Abstammung auf eine an das Komische
streifende flache Weise erläutert. Zwei Factoren aber waren es,
welche dem jüdischen Element so tiefen Eingang in das deutsche
Volksleben und in die deutsche Sprache verschafften, sodaß über-
haupt eine so wunderliche Sprachzusammenschiebung wie das
Judendeutsch möglich war: die Fügigkeit der wenn auch an Fle-
xionen armen deutschen Sprache selbst und -- der eigenthümliche
deutsche Aberglaube, dessen Zaubermysticismus sogar eine Ueber-
fülle jüdisch-kabbalistischer Formen aufnahm, unbekümmert, ob
diese in ihrer fremden geheimnißvollen Erscheinung überhaupt für
die deutsche Sprachform möglich waren oder dem Volke auch nur
sonst einigermaßen klar und begreiflich werden konnten.

Das Wesen, die gegenseitige Beziehung und Zusammenschie-
bung der deutschen und jüdischdeutschen Sprache ist bereits erläu-
tert worden. Die Gewalt der kabbalistischen Sprache und Formen
aber, wie diese in ganz besonderer Eigenthümlichkeit dem deutschen
Volke dargeboten und populär gemacht wurden, ohne daß doch
das Volk eine bestimmtere Ahnung von ihrem Ursprung gewann
oder gewinnen konnte, hat eine zu entschiedene culturhistorische
und auch gaunersprachliche Bedeutsamkeit, als daß sie hier ganz
übergangen werden dürfte. Diese Formen haften überall im social-
politischen Leben, in Glauben, Brauch und Sitte des Volks, sie
haften an Schrift und Wort, an Stein und Mund, öffentlich und
geheim, bewußt und unbewußt, mit verständlichem und unverständ-
lichem Ausdruck. Darin aber besteht ihre dämonische Gewalt, daß
sie beständiger Ausdruck eines wenn auch weit verirrten, doch in-
nerlichen geistigen Lebens waren: ja daß sie, wenn gleich kaum
geahnt und immer rudimentär und aphoristisch, doch beharrlich
und unvertilgbar ihr unheimliches Leben bewahrt haben, und auch
jetzt noch immer zu verworfenen Zwecken lebendig gemacht und
heraufbeschworen werden können.



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ihrer Aufnahme den entſchiedenſten Widerſtand leiſteten. Dies ſieht
man beſonders in der franzöſiſchen Gaunerſprache, bei deren Be-
arbeitung Francisque-Michel die eingedrungenen jüdiſchen Typen
oft ganz verkennt und ihre Abſtammung auf eine an das Komiſche
ſtreifende flache Weiſe erläutert. Zwei Factoren aber waren es,
welche dem jüdiſchen Element ſo tiefen Eingang in das deutſche
Volksleben und in die deutſche Sprache verſchafften, ſodaß über-
haupt eine ſo wunderliche Sprachzuſammenſchiebung wie das
Judendeutſch möglich war: die Fügigkeit der wenn auch an Fle-
xionen armen deutſchen Sprache ſelbſt und — der eigenthümliche
deutſche Aberglaube, deſſen Zaubermyſticismus ſogar eine Ueber-
fülle jüdiſch-kabbaliſtiſcher Formen aufnahm, unbekümmert, ob
dieſe in ihrer fremden geheimnißvollen Erſcheinung überhaupt für
die deutſche Sprachform möglich waren oder dem Volke auch nur
ſonſt einigermaßen klar und begreiflich werden konnten.

Das Weſen, die gegenſeitige Beziehung und Zuſammenſchie-
bung der deutſchen und jüdiſchdeutſchen Sprache iſt bereits erläu-
tert worden. Die Gewalt der kabbaliſtiſchen Sprache und Formen
aber, wie dieſe in ganz beſonderer Eigenthümlichkeit dem deutſchen
Volke dargeboten und populär gemacht wurden, ohne daß doch
das Volk eine beſtimmtere Ahnung von ihrem Urſprung gewann
oder gewinnen konnte, hat eine zu entſchiedene culturhiſtoriſche
und auch gaunerſprachliche Bedeutſamkeit, als daß ſie hier ganz
übergangen werden dürfte. Dieſe Formen haften überall im ſocial-
politiſchen Leben, in Glauben, Brauch und Sitte des Volks, ſie
haften an Schrift und Wort, an Stein und Mund, öffentlich und
geheim, bewußt und unbewußt, mit verſtändlichem und unverſtänd-
lichem Ausdruck. Darin aber beſteht ihre dämoniſche Gewalt, daß
ſie beſtändiger Ausdruck eines wenn auch weit verirrten, doch in-
nerlichen geiſtigen Lebens waren: ja daß ſie, wenn gleich kaum
geahnt und immer rudimentär und aphoriſtiſch, doch beharrlich
und unvertilgbar ihr unheimliches Leben bewahrt haben, und auch
jetzt noch immer zu verworfenen Zwecken lebendig gemacht und
heraufbeſchworen werden können.



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[3/0015] ihrer Aufnahme den entſchiedenſten Widerſtand leiſteten. Dies ſieht man beſonders in der franzöſiſchen Gaunerſprache, bei deren Be- arbeitung Francisque-Michel die eingedrungenen jüdiſchen Typen oft ganz verkennt und ihre Abſtammung auf eine an das Komiſche ſtreifende flache Weiſe erläutert. Zwei Factoren aber waren es, welche dem jüdiſchen Element ſo tiefen Eingang in das deutſche Volksleben und in die deutſche Sprache verſchafften, ſodaß über- haupt eine ſo wunderliche Sprachzuſammenſchiebung wie das Judendeutſch möglich war: die Fügigkeit der wenn auch an Fle- xionen armen deutſchen Sprache ſelbſt und — der eigenthümliche deutſche Aberglaube, deſſen Zaubermyſticismus ſogar eine Ueber- fülle jüdiſch-kabbaliſtiſcher Formen aufnahm, unbekümmert, ob dieſe in ihrer fremden geheimnißvollen Erſcheinung überhaupt für die deutſche Sprachform möglich waren oder dem Volke auch nur ſonſt einigermaßen klar und begreiflich werden konnten. Das Weſen, die gegenſeitige Beziehung und Zuſammenſchie- bung der deutſchen und jüdiſchdeutſchen Sprache iſt bereits erläu- tert worden. Die Gewalt der kabbaliſtiſchen Sprache und Formen aber, wie dieſe in ganz beſonderer Eigenthümlichkeit dem deutſchen Volke dargeboten und populär gemacht wurden, ohne daß doch das Volk eine beſtimmtere Ahnung von ihrem Urſprung gewann oder gewinnen konnte, hat eine zu entſchiedene culturhiſtoriſche und auch gaunerſprachliche Bedeutſamkeit, als daß ſie hier ganz übergangen werden dürfte. Dieſe Formen haften überall im ſocial- politiſchen Leben, in Glauben, Brauch und Sitte des Volks, ſie haften an Schrift und Wort, an Stein und Mund, öffentlich und geheim, bewußt und unbewußt, mit verſtändlichem und unverſtänd- lichem Ausdruck. Darin aber beſteht ihre dämoniſche Gewalt, daß ſie beſtändiger Ausdruck eines wenn auch weit verirrten, doch in- nerlichen geiſtigen Lebens waren: ja daß ſie, wenn gleich kaum geahnt und immer rudimentär und aphoriſtiſch, doch beharrlich und unvertilgbar ihr unheimliches Leben bewahrt haben, und auch jetzt noch immer zu verworfenen Zwecken lebendig gemacht und heraufbeſchworen werden können. 1*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/15>, abgerufen am 22.11.2024.