sich selbst hat einen großen innern Wortreichthum. Der Wort- vorrath der hebräischen Sprache ist überhaupt schon früh durch Chaldäismen, Syriasmen u. s. w. versetzt und verstärkt und dazu durch die talmudischen und rabbinischen Schriftsteller von den ur- sprünglichen einfachen und natürlichen Bedeutungen zu gramma- tischen, philosophischen, culturhistorischen, bürgerlichen und häus- lichen Begriffen erweitert worden, welche dem hebräischen Alter- thum ganz unbekannt waren und in ihren ausgearteten Formen sogar oft die ursprüngliche Bedeutung des Stammworts verdun- keln. Dadurch hat aber das Judendeutsch eine Fülle treffender Begriffe gewonnen, welche gerade in der Vereinigung mit der deutschen Sprache sich noch eigenthümlicher zu Begriffswörtern gebildet und abgerundet haben und in welchen Phantasie wie Scharfsinn, Witz und Laune bis zum Uebermuth neben und mit- einander hervortreten, sodaß gerade diese Fülle neben der geheim- nißvollen Eigenthümlichkeit der Sprachen das Gaunerthum ver- mochte, auf das begierigste diese Sprache des ohnehin zur Hefe des Volkes hinabgestoßenen Judenthums aufzufassen und mit allem, was Witz, Spott, Hohn, Jronie, Frivolität und frecher Ueber- muth auf dem unreinen Sprachboden nur ersinnen und schaffen konnten, für sich auszubeuten und zu cultiviren.
Um die judendeutsche Sprache und die so stark aus ihr ge- sättigte Gaunersprache in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit und Zu- sammensetzung klar zu erkennen, bedarf es eines wenn auch nur flüchtigen Blicks auf andere sprachliche Erscheinungen, welche aus den Vermischungen zweier an sich verschiedener Sprachen hervor- gegangen sind. Zugleich mag dadurch der Vorwurf von der deut- schen Sprache zurückgewiesen werden, "daß [wie Bouterwek, "Ge- schichte der Litteratur", IX, 82, andeutet und F. W. Genthe 1) aufnimmt] die im 15. Jahrhundert hervortretende Mischung der deutschen Sprache mit fremdsprachlichen Substanzen eine so lange Vorgeschichte gehabt habe, daß sie sich schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts angekündigt hätte".
1) "Geschichte der maccaronischen Poesie und Sammlung ihrer vorzüglichsten Denkmale" (Halle und Leipzig 1829), S. 13.
ſich ſelbſt hat einen großen innern Wortreichthum. Der Wort- vorrath der hebräiſchen Sprache iſt überhaupt ſchon früh durch Chaldäismen, Syriasmen u. ſ. w. verſetzt und verſtärkt und dazu durch die talmudiſchen und rabbiniſchen Schriftſteller von den ur- ſprünglichen einfachen und natürlichen Bedeutungen zu gramma- tiſchen, philoſophiſchen, culturhiſtoriſchen, bürgerlichen und häus- lichen Begriffen erweitert worden, welche dem hebräiſchen Alter- thum ganz unbekannt waren und in ihren ausgearteten Formen ſogar oft die urſprüngliche Bedeutung des Stammworts verdun- keln. Dadurch hat aber das Judendeutſch eine Fülle treffender Begriffe gewonnen, welche gerade in der Vereinigung mit der deutſchen Sprache ſich noch eigenthümlicher zu Begriffswörtern gebildet und abgerundet haben und in welchen Phantaſie wie Scharfſinn, Witz und Laune bis zum Uebermuth neben und mit- einander hervortreten, ſodaß gerade dieſe Fülle neben der geheim- nißvollen Eigenthümlichkeit der Sprachen das Gaunerthum ver- mochte, auf das begierigſte dieſe Sprache des ohnehin zur Hefe des Volkes hinabgeſtoßenen Judenthums aufzufaſſen und mit allem, was Witz, Spott, Hohn, Jronie, Frivolität und frecher Ueber- muth auf dem unreinen Sprachboden nur erſinnen und ſchaffen konnten, für ſich auszubeuten und zu cultiviren.
Um die judendeutſche Sprache und die ſo ſtark aus ihr ge- ſättigte Gaunerſprache in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit und Zu- ſammenſetzung klar zu erkennen, bedarf es eines wenn auch nur flüchtigen Blicks auf andere ſprachliche Erſcheinungen, welche aus den Vermiſchungen zweier an ſich verſchiedener Sprachen hervor- gegangen ſind. Zugleich mag dadurch der Vorwurf von der deut- ſchen Sprache zurückgewieſen werden, „daß [wie Bouterwek, „Ge- ſchichte der Litteratur“, IX, 82, andeutet und F. W. Genthe 1) aufnimmt] die im 15. Jahrhundert hervortretende Miſchung der deutſchen Sprache mit fremdſprachlichen Subſtanzen eine ſo lange Vorgeſchichte gehabt habe, daß ſie ſich ſchon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts angekündigt hätte“.
1) „Geſchichte der maccaroniſchen Poeſie und Sammlung ihrer vorzüglichſten Denkmale“ (Halle und Leipzig 1829), S. 13.
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ſich ſelbſt hat einen großen innern Wortreichthum. Der Wort-
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Chaldäismen, Syriasmen u. ſ. w. verſetzt und verſtärkt und dazu
durch die talmudiſchen und rabbiniſchen Schriftſteller von den ur-
ſprünglichen einfachen und natürlichen Bedeutungen zu gramma-
tiſchen, philoſophiſchen, culturhiſtoriſchen, bürgerlichen und häus-
lichen Begriffen erweitert worden, welche dem hebräiſchen Alter-
thum ganz unbekannt waren und in ihren ausgearteten Formen
ſogar oft die urſprüngliche Bedeutung des Stammworts verdun-
keln. Dadurch hat aber das Judendeutſch eine Fülle treffender
Begriffe gewonnen, welche gerade in der Vereinigung mit der
deutſchen Sprache ſich noch eigenthümlicher zu Begriffswörtern
gebildet und abgerundet haben und in welchen Phantaſie wie
Scharfſinn, Witz und Laune bis zum Uebermuth neben und mit-
einander hervortreten, ſodaß gerade dieſe Fülle neben der geheim-
nißvollen Eigenthümlichkeit der Sprachen das Gaunerthum ver-
mochte, auf das begierigſte dieſe Sprache des ohnehin zur Hefe
des Volkes hinabgeſtoßenen Judenthums aufzufaſſen und mit allem,
was Witz, Spott, Hohn, Jronie, Frivolität und frecher Ueber-
muth auf dem unreinen Sprachboden nur erſinnen und ſchaffen
konnten, für ſich auszubeuten und zu cultiviren.
Um die judendeutſche Sprache und die ſo ſtark aus ihr ge-
ſättigte Gaunerſprache in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit und Zu-
ſammenſetzung klar zu erkennen, bedarf es eines wenn auch nur
flüchtigen Blicks auf andere ſprachliche Erſcheinungen, welche aus
den Vermiſchungen zweier an ſich verſchiedener Sprachen hervor-
gegangen ſind. Zugleich mag dadurch der Vorwurf von der deut-
ſchen Sprache zurückgewieſen werden, „daß [wie Bouterwek, „Ge-
ſchichte der Litteratur“, IX, 82, andeutet und F. W. Genthe 1)
aufnimmt] die im 15. Jahrhundert hervortretende Miſchung der
deutſchen Sprache mit fremdſprachlichen Subſtanzen eine ſo lange
Vorgeſchichte gehabt habe, daß ſie ſich ſchon in der zweiten Hälfte
des 11. Jahrhunderts angekündigt hätte“.
1) „Geſchichte der maccaroniſchen Poeſie und Sammlung ihrer vorzüglichſten
Denkmale“ (Halle und Leipzig 1829), S. 13.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/90>, abgerufen am 23.11.2024.
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