Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Note 1 erwähnte, aus dem Deutschen, Zigeunerischen, Judendeut-
schen oder Lateinischen zusammengesetzte Wort Amtskehrspeiß.

Wie wild und bunt nun aber auch alle diese Wortzusammen-
setzungen sind, so hat doch die deutsche Gaunersprache keine ein-
zige fremdsprachliche Flexion aufgenommen, obschon zuweilen es
dem jüdischen Gauner gar nicht darauf ankommt, hier und da
einem deutschen Worte die hebräische Pluralendung im anzuhän-
gen und z. B. für die Mörder, Diebe, Schufte ohne Umstände
die Mörderim, die Diebim, Schuftim 1) zu sagen. Das sind jedoch
immer nur ganz vereinzelte Ausnahmen, welche dazu meistens an
die concrete Persönlichkeit und an die gelegentliche übermäßige
Prävalenz jüdischer Eigenthümlichkeit gebunden sind. Jmmer bleibt
die Flexionsweise der deutschen Gaunersprache die der Sprache der
Bildung, obgleich, recht wie zum Hohne dieser Bezeichnung, der
rohe Geist und Mund des Gauners den ausgesprochensten For-
men der Grammatik die schmählichste Gewalt anthut und z. B.
fast durchgängig das Hülfszeitwort sein in der Vergangenheit mit
dem Hülfszeitwort haben flectirt und es sogar wie ein Transi-
tivum behandelt. So ist z. B. vom jüdischdeutschen [fremdsprachliches Material], romo,
er hat geworfen, betrogen, das Zeitwort meramme sein, betrügen,
gebildet. Der Gauner drückt nun die Redensart: du hast mich
betrogen, so aus: du hast mich meramme gewesen, oder:
du hast meramme gewesen auf mich (oder sogar: auf
mir!
).

Weil aber alle deutschen Mundarten eine und dieselbe Flexions-
weise haben und alle fremdsprachlichen Zuthaten der Gaunersprache
nur eine bloße Wortbereicherung derselben sind, ohne Einfluß auf
die deutsche Flexion zu üben, so bedarf es immer nur vereinzelter
Hinweise auf die Grammatik jener fremden Sprachen. Desto mehr
kommt aber die Wort- und Wurzelvergleichung in Frage. Das
ist auch durchaus nur bei der Zigeunersprache der Fall, welche

1) Davon existirt sogar ein jüdischdeutsches Wortspiel, das bei Tendlau
Nr. 910 aufgeführt ist: "Schoftim (schophetim, Richter) is schon recht, aber
keine Schuftim", d. h. die Richter sollen keine Schufte sein. Ebenso bei Tend-
lau, Nr. 821: Chasonim (Vorsänger) sind Narronim (Narren).

Note 1 erwähnte, aus dem Deutſchen, Zigeuneriſchen, Judendeut-
ſchen oder Lateiniſchen zuſammengeſetzte Wort Amtskehrſpeiß.

Wie wild und bunt nun aber auch alle dieſe Wortzuſammen-
ſetzungen ſind, ſo hat doch die deutſche Gaunerſprache keine ein-
zige fremdſprachliche Flexion aufgenommen, obſchon zuweilen es
dem jüdiſchen Gauner gar nicht darauf ankommt, hier und da
einem deutſchen Worte die hebräiſche Pluralendung im anzuhän-
gen und z. B. für die Mörder, Diebe, Schufte ohne Umſtände
die Mörderim, die Diebim, Schuftim 1) zu ſagen. Das ſind jedoch
immer nur ganz vereinzelte Ausnahmen, welche dazu meiſtens an
die concrete Perſönlichkeit und an die gelegentliche übermäßige
Prävalenz jüdiſcher Eigenthümlichkeit gebunden ſind. Jmmer bleibt
die Flexionsweiſe der deutſchen Gaunerſprache die der Sprache der
Bildung, obgleich, recht wie zum Hohne dieſer Bezeichnung, der
rohe Geiſt und Mund des Gauners den ausgeſprochenſten For-
men der Grammatik die ſchmählichſte Gewalt anthut und z. B.
faſt durchgängig das Hülfszeitwort ſein in der Vergangenheit mit
dem Hülfszeitwort haben flectirt und es ſogar wie ein Tranſi-
tivum behandelt. So iſt z. B. vom jüdiſchdeutſchen [fremdsprachliches Material], romo,
er hat geworfen, betrogen, das Zeitwort meramme ſein, betrügen,
gebildet. Der Gauner drückt nun die Redensart: du haſt mich
betrogen, ſo aus: du haſt mich meramme geweſen, oder:
du haſt meramme geweſen auf mich (oder ſogar: auf
mir!
).

Weil aber alle deutſchen Mundarten eine und dieſelbe Flexions-
weiſe haben und alle fremdſprachlichen Zuthaten der Gaunerſprache
nur eine bloße Wortbereicherung derſelben ſind, ohne Einfluß auf
die deutſche Flexion zu üben, ſo bedarf es immer nur vereinzelter
Hinweiſe auf die Grammatik jener fremden Sprachen. Deſto mehr
kommt aber die Wort- und Wurzelvergleichung in Frage. Das
iſt auch durchaus nur bei der Zigeunerſprache der Fall, welche

1) Davon exiſtirt ſogar ein jüdiſchdeutſches Wortſpiel, das bei Tendlau
Nr. 910 aufgeführt iſt: „Schoftim (schophetim, Richter) is ſchon recht, aber
keine Schuftim“, d. h. die Richter ſollen keine Schufte ſein. Ebenſo bei Tend-
lau, Nr. 821: Chaſonim (Vorſänger) ſind Narronim (Narren).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0071" n="37"/>
Note 1 erwähnte, aus dem Deut&#x017F;chen, Zigeuneri&#x017F;chen, Judendeut-<lb/>
&#x017F;chen oder Lateini&#x017F;chen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Wort <hi rendition="#g">Amtskehr&#x017F;peiß</hi>.</p><lb/>
            <p>Wie wild und bunt nun aber auch alle die&#x017F;e Wortzu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;etzungen &#x017F;ind, &#x017F;o hat doch die deut&#x017F;che Gauner&#x017F;prache keine ein-<lb/>
zige fremd&#x017F;prachliche Flexion aufgenommen, ob&#x017F;chon zuweilen es<lb/>
dem jüdi&#x017F;chen Gauner gar nicht darauf ankommt, hier und da<lb/>
einem deut&#x017F;chen Worte die hebräi&#x017F;che Pluralendung <hi rendition="#g">im</hi> anzuhän-<lb/>
gen und z. B. für die Mörder, Diebe, Schufte ohne Um&#x017F;tände<lb/>
die Mörderim, die Diebim, Schuftim <note place="foot" n="1)">Davon exi&#x017F;tirt &#x017F;ogar ein jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;ches Wort&#x017F;piel, das bei Tendlau<lb/>
Nr. 910 aufgeführt i&#x017F;t: &#x201E;Schoftim <hi rendition="#aq">(schophetim,</hi> Richter) is &#x017F;chon recht, aber<lb/>
keine Schuftim&#x201C;, d. h. die Richter &#x017F;ollen keine Schufte &#x017F;ein. Eben&#x017F;o bei Tend-<lb/>
lau, Nr. 821: Cha&#x017F;onim (Vor&#x017F;änger) &#x017F;ind Narronim (Narren).</note> zu &#x017F;agen. Das &#x017F;ind jedoch<lb/>
immer nur ganz vereinzelte Ausnahmen, welche dazu mei&#x017F;tens an<lb/>
die concrete Per&#x017F;önlichkeit und an die gelegentliche übermäßige<lb/>
Prävalenz jüdi&#x017F;cher Eigenthümlichkeit gebunden &#x017F;ind. Jmmer bleibt<lb/>
die Flexionswei&#x017F;e der deut&#x017F;chen Gauner&#x017F;prache die der Sprache der<lb/>
Bildung, obgleich, recht wie zum Hohne die&#x017F;er Bezeichnung, der<lb/>
rohe Gei&#x017F;t und Mund des Gauners den ausge&#x017F;prochen&#x017F;ten For-<lb/>
men der Grammatik die &#x017F;chmählich&#x017F;te Gewalt anthut und z. B.<lb/>
fa&#x017F;t durchgängig das Hülfszeitwort <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi> in der Vergangenheit mit<lb/>
dem Hülfszeitwort <hi rendition="#g">haben</hi> flectirt und es &#x017F;ogar wie ein Tran&#x017F;i-<lb/>
tivum behandelt. So i&#x017F;t z. B. vom jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#aq">romo,</hi><lb/>
er hat geworfen, betrogen, das Zeitwort <hi rendition="#g">meramme &#x017F;ein,</hi> betrügen,<lb/>
gebildet. Der Gauner drückt nun die Redensart: du ha&#x017F;t mich<lb/>
betrogen, &#x017F;o aus: <hi rendition="#g">du ha&#x017F;t mich meramme gewe&#x017F;en,</hi> oder:<lb/><hi rendition="#g">du ha&#x017F;t meramme gewe&#x017F;en auf mich</hi> (oder &#x017F;ogar: <hi rendition="#g">auf<lb/>
mir!</hi>).</p><lb/>
            <p>Weil aber alle deut&#x017F;chen Mundarten eine und die&#x017F;elbe Flexions-<lb/>
wei&#x017F;e haben und alle fremd&#x017F;prachlichen Zuthaten der Gauner&#x017F;prache<lb/>
nur eine bloße Wortbereicherung der&#x017F;elben &#x017F;ind, ohne Einfluß auf<lb/>
die deut&#x017F;che Flexion zu üben, &#x017F;o bedarf es immer nur vereinzelter<lb/>
Hinwei&#x017F;e auf die Grammatik jener fremden Sprachen. De&#x017F;to mehr<lb/>
kommt aber die Wort- und Wurzelvergleichung in Frage. Das<lb/>
i&#x017F;t auch durchaus nur bei der Zigeuner&#x017F;prache der Fall, welche<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0071] Note 1 erwähnte, aus dem Deutſchen, Zigeuneriſchen, Judendeut- ſchen oder Lateiniſchen zuſammengeſetzte Wort Amtskehrſpeiß. Wie wild und bunt nun aber auch alle dieſe Wortzuſammen- ſetzungen ſind, ſo hat doch die deutſche Gaunerſprache keine ein- zige fremdſprachliche Flexion aufgenommen, obſchon zuweilen es dem jüdiſchen Gauner gar nicht darauf ankommt, hier und da einem deutſchen Worte die hebräiſche Pluralendung im anzuhän- gen und z. B. für die Mörder, Diebe, Schufte ohne Umſtände die Mörderim, die Diebim, Schuftim 1) zu ſagen. Das ſind jedoch immer nur ganz vereinzelte Ausnahmen, welche dazu meiſtens an die concrete Perſönlichkeit und an die gelegentliche übermäßige Prävalenz jüdiſcher Eigenthümlichkeit gebunden ſind. Jmmer bleibt die Flexionsweiſe der deutſchen Gaunerſprache die der Sprache der Bildung, obgleich, recht wie zum Hohne dieſer Bezeichnung, der rohe Geiſt und Mund des Gauners den ausgeſprochenſten For- men der Grammatik die ſchmählichſte Gewalt anthut und z. B. faſt durchgängig das Hülfszeitwort ſein in der Vergangenheit mit dem Hülfszeitwort haben flectirt und es ſogar wie ein Tranſi- tivum behandelt. So iſt z. B. vom jüdiſchdeutſchen _ , romo, er hat geworfen, betrogen, das Zeitwort meramme ſein, betrügen, gebildet. Der Gauner drückt nun die Redensart: du haſt mich betrogen, ſo aus: du haſt mich meramme geweſen, oder: du haſt meramme geweſen auf mich (oder ſogar: auf mir!). Weil aber alle deutſchen Mundarten eine und dieſelbe Flexions- weiſe haben und alle fremdſprachlichen Zuthaten der Gaunerſprache nur eine bloße Wortbereicherung derſelben ſind, ohne Einfluß auf die deutſche Flexion zu üben, ſo bedarf es immer nur vereinzelter Hinweiſe auf die Grammatik jener fremden Sprachen. Deſto mehr kommt aber die Wort- und Wurzelvergleichung in Frage. Das iſt auch durchaus nur bei der Zigeunerſprache der Fall, welche 1) Davon exiſtirt ſogar ein jüdiſchdeutſches Wortſpiel, das bei Tendlau Nr. 910 aufgeführt iſt: „Schoftim (schophetim, Richter) is ſchon recht, aber keine Schuftim“, d. h. die Richter ſollen keine Schufte ſein. Ebenſo bei Tend- lau, Nr. 821: Chaſonim (Vorſänger) ſind Narronim (Narren).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/71
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/71>, abgerufen am 24.11.2024.