niß der jüdischen Kabbala furchtbar verderblich gewordenen christ- lichen Zaubermystik erfüllt, ist es geradezu widerlich, wenn noch Schudt, "Jüdische Merkwürdigkeiten", Buch VI, Kap. 31 und an andern Stellen, trotz mancher vorhergegangenen klaren Darstellung, wie z. B. Pfeiffer in seiner "Critica sacra" (1688) eine solche, wenn auch nur sehr kurz (S. 202--206) gegeben hatte, nicht blos zu einer so kahlen und wüsten Behandlung der "Frankfurter und anderer Juden cabbalistischer Händel" sich herbeiläßt, sondern auch in nahezu knabenhafter Eitelkeit die von seinem Zeitgenossen Riderer in Nürnberg auf ihn selbst componirten "kabbalistischen Trigonal-Paragramme" abdruckt, bei denen man wirklich zweifel- haft werden muß, ob Schudt damit gefeiert oder sarkastisch auf- gezogen werden sollte. Ein Beispiel davon später. Hier möge zur kurzen Erörterung der jüdischen Kabbala aus P. Beer's "Ge- schichte der Kabbalah" 1) folgende Darstellung Platz finden.
Die Kabbala wird eingetheilt in die symbolische und reale. So wie die Aegyptier ihre Religionsgeheimnisse hinter Symbole, Embleme und Bilder versteckten und die Gegenstände durch Hie- roglyphen bezeichneten, so entstand bei den kabbalistischen Juden, denen die Bilder verboten waren, die Malerei durch Worte, d. h. sie glaubten, daß in den Buchstaben, Wörtern und Accenten der Heiligen Schrift eine Kraft liege, vermöge deren, wenn der Mensch diese Worte ausspricht oder auch nur ernst in Gedanken faßt, sich diese in dem Buchstabenbilde liegende Kraft entwickelt, zur Thätigkeit gelangt und auf den mit ihm correspondirenden himmlischen Geist einwirkt. Sie nehmen daher an, Gott habe dem Moses auf dem Berge Sinai die Heilige Schrift (Thora, [fremdsprachliches Material]), worunter sie bald den Pentateuch allein und bald den ganzen Kanon verstehen, mit allen grammatischen Regeln, Punk- ten, Accenten und überhaupt mit der ganzen Masorah übergeben, ihm zugleich die in jedem Abschnitte, Verse, Worte, Buchstaben
1) "Geschichte, Lehren und Meinungen aller bestandenen und noch bestehen- den religiösen Sekten der Juden und der Geheimlehre oder Kabbalah" (Brünn 1823), II, 44.
niß der jüdiſchen Kabbala furchtbar verderblich gewordenen chriſt- lichen Zaubermyſtik erfüllt, iſt es geradezu widerlich, wenn noch Schudt, „Jüdiſche Merkwürdigkeiten“, Buch VI, Kap. 31 und an andern Stellen, trotz mancher vorhergegangenen klaren Darſtellung, wie z. B. Pfeiffer in ſeiner „Critica sacra“ (1688) eine ſolche, wenn auch nur ſehr kurz (S. 202—206) gegeben hatte, nicht blos zu einer ſo kahlen und wüſten Behandlung der „Frankfurter und anderer Juden cabbaliſtiſcher Händel“ ſich herbeiläßt, ſondern auch in nahezu knabenhafter Eitelkeit die von ſeinem Zeitgenoſſen Riderer in Nürnberg auf ihn ſelbſt componirten „kabbaliſtiſchen Trigonal-Paragramme“ abdruckt, bei denen man wirklich zweifel- haft werden muß, ob Schudt damit gefeiert oder ſarkaſtiſch auf- gezogen werden ſollte. Ein Beiſpiel davon ſpäter. Hier möge zur kurzen Erörterung der jüdiſchen Kabbala aus P. Beer’s „Ge- ſchichte der Kabbalah“ 1) folgende Darſtellung Platz finden.
Die Kabbala wird eingetheilt in die ſymboliſche und reale. So wie die Aegyptier ihre Religionsgeheimniſſe hinter Symbole, Embleme und Bilder verſteckten und die Gegenſtände durch Hie- roglyphen bezeichneten, ſo entſtand bei den kabbaliſtiſchen Juden, denen die Bilder verboten waren, die Malerei durch Worte, d. h. ſie glaubten, daß in den Buchſtaben, Wörtern und Accenten der Heiligen Schrift eine Kraft liege, vermöge deren, wenn der Menſch dieſe Worte ausſpricht oder auch nur ernſt in Gedanken faßt, ſich dieſe in dem Buchſtabenbilde liegende Kraft entwickelt, zur Thätigkeit gelangt und auf den mit ihm correſpondirenden himmliſchen Geiſt einwirkt. Sie nehmen daher an, Gott habe dem Moſes auf dem Berge Sinai die Heilige Schrift (Thora, [fremdsprachliches Material]), worunter ſie bald den Pentateuch allein und bald den ganzen Kanon verſtehen, mit allen grammatiſchen Regeln, Punk- ten, Accenten und überhaupt mit der ganzen Maſorah übergeben, ihm zugleich die in jedem Abſchnitte, Verſe, Worte, Buchſtaben
1) „Geſchichte, Lehren und Meinungen aller beſtandenen und noch beſtehen- den religiöſen Sekten der Juden und der Geheimlehre oder Kabbalah“ (Brünn 1823), II, 44.
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niß der jüdiſchen Kabbala furchtbar verderblich gewordenen chriſt-
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Schudt, „Jüdiſche Merkwürdigkeiten“, Buch VI, Kap. 31 und an
andern Stellen, trotz mancher vorhergegangenen klaren Darſtellung,
wie z. B. Pfeiffer in ſeiner „Critica sacra“ (1688) eine ſolche,
wenn auch nur ſehr kurz (S. 202—206) gegeben hatte, nicht blos
zu einer ſo kahlen und wüſten Behandlung der „Frankfurter und
anderer Juden cabbaliſtiſcher Händel“ ſich herbeiläßt, ſondern auch
in nahezu knabenhafter Eitelkeit die von ſeinem Zeitgenoſſen
Riderer in Nürnberg auf ihn ſelbſt componirten „kabbaliſtiſchen
Trigonal-Paragramme“ abdruckt, bei denen man wirklich zweifel-
haft werden muß, ob Schudt damit gefeiert oder ſarkaſtiſch auf-
gezogen werden ſollte. Ein Beiſpiel davon ſpäter. Hier möge
zur kurzen Erörterung der jüdiſchen Kabbala aus P. Beer’s „Ge-
ſchichte der Kabbalah“ 1) folgende Darſtellung Platz finden.
Die Kabbala wird eingetheilt in die ſymboliſche und reale.
So wie die Aegyptier ihre Religionsgeheimniſſe hinter Symbole,
Embleme und Bilder verſteckten und die Gegenſtände durch Hie-
roglyphen bezeichneten, ſo entſtand bei den kabbaliſtiſchen Juden,
denen die Bilder verboten waren, die Malerei durch Worte, d. h.
ſie glaubten, daß in den Buchſtaben, Wörtern und Accenten
der Heiligen Schrift eine Kraft liege, vermöge deren, wenn der
Menſch dieſe Worte ausſpricht oder auch nur ernſt in Gedanken
faßt, ſich dieſe in dem Buchſtabenbilde liegende Kraft entwickelt,
zur Thätigkeit gelangt und auf den mit ihm correſpondirenden
himmliſchen Geiſt einwirkt. Sie nehmen daher an, Gott habe
dem Moſes auf dem Berge Sinai die Heilige Schrift (Thora,
_ ), worunter ſie bald den Pentateuch allein und bald den
ganzen Kanon verſtehen, mit allen grammatiſchen Regeln, Punk-
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1) „Geſchichte, Lehren und Meinungen aller beſtandenen und noch beſtehen-
den religiöſen Sekten der Juden und der Geheimlehre oder Kabbalah“ (Brünn
1823), II, 44.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/424>, abgerufen am 22.11.2024.
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