sein Gesammteigenthum, und an die gewaltigen Lieder zu glauben, mit welchen es seine Götter und Helden 1) vor der Schlacht oder beim Mahle feierte, sondern auch den Blick noch viel weiter tief in den Orient hineinschweifen lassen, von welchem der Glanz unserer Sprache unverkennbar deutlich herleuchtet. So gewaltig war diese germanische Sprache, daß die alten Göttersagen nicht untergingen, sondern daß sie sich in den spätern Heldensagen ver- dichteten und zu jenen größern Sagenkreisen sich zusammenfügten. So erscheint die spätere Siegfriedsage ursprünglich als ein ur- alter Göttermythus, und die so festgehaltene Thiersage weist un- verkennbar auf die früheste Zeit hin, in welcher der Mensch mit der Thierwelt in vertraulicherer Beziehung lebte und in den thie- rischen Jnstincten eine Begabung höherer Art erkannte und ver- ehrte. 2)
Sobald nun aber auch das geistige Leben der germanischen Völker über die beschränkte älteste Kundgebung der Runen hinaus seine Entwickelung in sprachmonumentalen Erscheinungen offenbart, so erkennt man sofort in Sprache und Schrift einen Zweig jenes von der Südspitze Vorderasiens in nordwestlicher Richtung über Südwestasien und Europa bis Jsland sich hinaufziehenden indo- germanischen Sprachstamms, welcher sich wieder in den slawischen, griechisch-lateinischen und germanischen Stamm vertheilt. Der germanische Sprachstamm begreift außer der deutschen Sprache die gothische, altnordische, welche die Mutter der schwedischen, dänischen und isländischen Sprache ist, und die angelsächsische, welche durch Vermischung der dänischen und französischen Sprache in die englische übergegangen ist. Die aus der Vermischung der ger- manischen und lateinischen Sprache hervorgegangenen Sprachen, die englische, französische, italienische, spanische und portugiesische, ge- hören ebenfalls zum indogermanischen Sprachstamm. Charakteristisch
1)Tac. Germ., cap. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuisconem deum terra edi- tum, et filium Mannum, originem gentis conditoresque.
2) J. W. Schäffer, "Grundriß der Geschichte der deutschen Literatur" (achte Auflage, Bremen 1858), S. 5.
ſein Geſammteigenthum, und an die gewaltigen Lieder zu glauben, mit welchen es ſeine Götter und Helden 1) vor der Schlacht oder beim Mahle feierte, ſondern auch den Blick noch viel weiter tief in den Orient hineinſchweifen laſſen, von welchem der Glanz unſerer Sprache unverkennbar deutlich herleuchtet. So gewaltig war dieſe germaniſche Sprache, daß die alten Götterſagen nicht untergingen, ſondern daß ſie ſich in den ſpätern Heldenſagen ver- dichteten und zu jenen größern Sagenkreiſen ſich zuſammenfügten. So erſcheint die ſpätere Siegfriedſage urſprünglich als ein ur- alter Göttermythus, und die ſo feſtgehaltene Thierſage weiſt un- verkennbar auf die früheſte Zeit hin, in welcher der Menſch mit der Thierwelt in vertraulicherer Beziehung lebte und in den thie- riſchen Jnſtincten eine Begabung höherer Art erkannte und ver- ehrte. 2)
Sobald nun aber auch das geiſtige Leben der germaniſchen Völker über die beſchränkte älteſte Kundgebung der Runen hinaus ſeine Entwickelung in ſprachmonumentalen Erſcheinungen offenbart, ſo erkennt man ſofort in Sprache und Schrift einen Zweig jenes von der Südſpitze Vorderaſiens in nordweſtlicher Richtung über Südweſtaſien und Europa bis Jsland ſich hinaufziehenden indo- germaniſchen Sprachſtamms, welcher ſich wieder in den ſlawiſchen, griechiſch-lateiniſchen und germaniſchen Stamm vertheilt. Der germaniſche Sprachſtamm begreift außer der deutſchen Sprache die gothiſche, altnordiſche, welche die Mutter der ſchwediſchen, däniſchen und isländiſchen Sprache iſt, und die angelſächſiſche, welche durch Vermiſchung der däniſchen und franzöſiſchen Sprache in die engliſche übergegangen iſt. Die aus der Vermiſchung der ger- maniſchen und lateiniſchen Sprache hervorgegangenen Sprachen, die engliſche, franzöſiſche, italieniſche, ſpaniſche und portugieſiſche, ge- hören ebenfalls zum indogermaniſchen Sprachſtamm. Charakteriſtiſch
1)Tac. Germ., cap. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuisconem deum terra edi- tum, et filium Mannum, originem gentis conditoresque.
2) J. W. Schäffer, „Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur“ (achte Auflage, Bremen 1858), S. 5.
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ſein Geſammteigenthum, und an die gewaltigen Lieder zu glauben,
mit welchen es ſeine Götter und Helden 1) vor der Schlacht oder
beim Mahle feierte, ſondern auch den Blick noch viel weiter tief
in den Orient hineinſchweifen laſſen, von welchem der Glanz
unſerer Sprache unverkennbar deutlich herleuchtet. So gewaltig
war dieſe germaniſche Sprache, daß die alten Götterſagen nicht
untergingen, ſondern daß ſie ſich in den ſpätern Heldenſagen ver-
dichteten und zu jenen größern Sagenkreiſen ſich zuſammenfügten.
So erſcheint die ſpätere Siegfriedſage urſprünglich als ein ur-
alter Göttermythus, und die ſo feſtgehaltene Thierſage weiſt un-
verkennbar auf die früheſte Zeit hin, in welcher der Menſch mit
der Thierwelt in vertraulicherer Beziehung lebte und in den thie-
riſchen Jnſtincten eine Begabung höherer Art erkannte und ver-
ehrte. 2)
Sobald nun aber auch das geiſtige Leben der germaniſchen
Völker über die beſchränkte älteſte Kundgebung der Runen hinaus
ſeine Entwickelung in ſprachmonumentalen Erſcheinungen offenbart,
ſo erkennt man ſofort in Sprache und Schrift einen Zweig jenes
von der Südſpitze Vorderaſiens in nordweſtlicher Richtung über
Südweſtaſien und Europa bis Jsland ſich hinaufziehenden indo-
germaniſchen Sprachſtamms, welcher ſich wieder in den ſlawiſchen,
griechiſch-lateiniſchen und germaniſchen Stamm vertheilt. Der
germaniſche Sprachſtamm begreift außer der deutſchen Sprache
die gothiſche, altnordiſche, welche die Mutter der ſchwediſchen,
däniſchen und isländiſchen Sprache iſt, und die angelſächſiſche,
welche durch Vermiſchung der däniſchen und franzöſiſchen Sprache
in die engliſche übergegangen iſt. Die aus der Vermiſchung der ger-
maniſchen und lateiniſchen Sprache hervorgegangenen Sprachen, die
engliſche, franzöſiſche, italieniſche, ſpaniſche und portugieſiſche, ge-
hören ebenfalls zum indogermaniſchen Sprachſtamm. Charakteriſtiſch
1) Tac. Germ., cap. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum
apud illos memoriae et annalium genus est, Tuisconem deum terra edi-
tum, et filium Mannum, originem gentis conditoresque.
2) J. W. Schäffer, „Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur“
(achte Auflage, Bremen 1858), S. 5.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/39>, abgerufen am 22.11.2024.
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