geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht gekannter jüdischdeutscher Literatur macht das Werk, namentlich im dritten und vierten Bande, zu einer wichtigen literarischen Erschei- nung, obschon in grammatischer Hinsicht Schudt, welcher zu einer Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13, Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), so geistlose, schiefe und falsche Ansichten zum Vorschein bringt, daß man namentlich im Hinblick auf seinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen kann, wie er in solcher grammatischen Unwissenheit hat befangen sein können, daß ihm oft das Verständniß einzelner Wörter und überhaupt der jüdischdeutschen Sprache ganz abgeht. So z. B. übersetzt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdischdeutsche [fremdsprachliches Material] mit dem ganz ungeheuerlichen Ausdruck "Coresie" statt Courage (Kurasche) u. s. w. So verworren nun auch das durch die unordentlichen und kümmerlichen Register nicht einmal alpha- betisch, der Materie nach, übersichtlich gemachte, dicke und breite Werk ist, so viel Unwahrheiten und entstellende Druckfehler es auch enthält, so ist es doch als Sammlung der verschiedenartigsten Hin- weise, Documente und literarischen Curiositäten beim Studium des Jüdischdeutschen kaum zu entbehren und verdient auf das entschie- denste hier eine Berücksichtigung.
Gleich geistlos, doch noch bei weitem armseliger hinsichtlich des sprachlichen, literarischen und gelehrten Stoffs ist K. Calvor in seiner "Gloria Christi" 1), an deren Schluß noch eine "Anlei- tung wie das Jüdisch-Teutsche zu lesen" angehängt ist. Cal- vör ist der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach, Hosmann und Wagenseil mit leidenschaftlichem Eifer begonnenen
1) "Gloria Christi Oder Herrligkeit Jesu Christi. Das ist: Beweißthum der Wahrheit Christlicher Religion wider die Juden: Jn Form eines Dialogi oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud, Targumim, Rabbinen und gesunden Vernunfft-Gründen verfasset, Und nebst einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdisch-Teutschen her- ausgegeben" u. s. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte jüdischdeutsche lange Titel [fremdsprachliches Material] u. s. w. ist so breit wie affectirt und in incorrecter Sprache geschrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu setzen.
geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht gekannter jüdiſchdeutſcher Literatur macht das Werk, namentlich im dritten und vierten Bande, zu einer wichtigen literariſchen Erſchei- nung, obſchon in grammatiſcher Hinſicht Schudt, welcher zu einer Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13, Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), ſo geiſtloſe, ſchiefe und falſche Anſichten zum Vorſchein bringt, daß man namentlich im Hinblick auf ſeinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen kann, wie er in ſolcher grammatiſchen Unwiſſenheit hat befangen ſein können, daß ihm oft das Verſtändniß einzelner Wörter und überhaupt der jüdiſchdeutſchen Sprache ganz abgeht. So z. B. überſetzt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdiſchdeutſche [fremdsprachliches Material] mit dem ganz ungeheuerlichen Ausdruck „Coreſie“ ſtatt Courage (Kuraſche) u. ſ. w. So verworren nun auch das durch die unordentlichen und kümmerlichen Regiſter nicht einmal alpha- betiſch, der Materie nach, überſichtlich gemachte, dicke und breite Werk iſt, ſo viel Unwahrheiten und entſtellende Druckfehler es auch enthält, ſo iſt es doch als Sammlung der verſchiedenartigſten Hin- weiſe, Documente und literariſchen Curioſitäten beim Studium des Jüdiſchdeutſchen kaum zu entbehren und verdient auf das entſchie- denſte hier eine Berückſichtigung.
Gleich geiſtlos, doch noch bei weitem armſeliger hinſichtlich des ſprachlichen, literariſchen und gelehrten Stoffs iſt K. Calvor in ſeiner „Gloria Christi“ 1), an deren Schluß noch eine „Anlei- tung wie das Jüdiſch-Teutſche zu leſen“ angehängt iſt. Cal- vör iſt der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach, Hosmann und Wagenſeil mit leidenſchaftlichem Eifer begonnenen
1) „Gloria Christi Oder Herrligkeit Jeſu Chriſti. Das iſt: Beweißthum der Wahrheit Chriſtlicher Religion wider die Juden: Jn Form eines Dialogi oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud, Targumim, Rabbinen und geſunden Vernunfft-Gründen verfaſſet, Und nebſt einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdiſch-Teutſchen her- ausgegeben“ u. ſ. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte jüdiſchdeutſche lange Titel [fremdsprachliches Material] u. ſ. w. iſt ſo breit wie affectirt und in incorrecter Sprache geſchrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu ſetzen.
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[220/0254]
geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht
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Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13,
Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), ſo geiſtloſe, ſchiefe und falſche
Anſichten zum Vorſchein bringt, daß man namentlich im Hinblick
auf ſeinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen
kann, wie er in ſolcher grammatiſchen Unwiſſenheit hat befangen
ſein können, daß ihm oft das Verſtändniß einzelner Wörter und
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überſetzt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdiſchdeutſche
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die unordentlichen und kümmerlichen Regiſter nicht einmal alpha-
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Werk iſt, ſo viel Unwahrheiten und entſtellende Druckfehler es auch
enthält, ſo iſt es doch als Sammlung der verſchiedenartigſten Hin-
weiſe, Documente und literariſchen Curioſitäten beim Studium des
Jüdiſchdeutſchen kaum zu entbehren und verdient auf das entſchie-
denſte hier eine Berückſichtigung.
Gleich geiſtlos, doch noch bei weitem armſeliger hinſichtlich
des ſprachlichen, literariſchen und gelehrten Stoffs iſt K. Calvor
in ſeiner „Gloria Christi“ 1), an deren Schluß noch eine „Anlei-
tung wie das Jüdiſch-Teutſche zu leſen“ angehängt iſt. Cal-
vör iſt der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach,
Hosmann und Wagenſeil mit leidenſchaftlichem Eifer begonnenen
1) „Gloria Christi Oder Herrligkeit Jeſu Chriſti. Das iſt: Beweißthum
der Wahrheit Chriſtlicher Religion wider die Juden: Jn Form eines Dialogi
oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud,
Targumim, Rabbinen und geſunden Vernunfft-Gründen verfaſſet, Und nebſt
einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdiſch-Teutſchen her-
ausgegeben“ u. ſ. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte jüdiſchdeutſche lange
Titel _ u. ſ. w. iſt ſo breit wie affectirt und in incorrecter
Sprache geſchrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu ſetzen.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/254>, abgerufen am 20.07.2024.
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