er die gerade in der Sprache so charakteristisch bezeichnete Zusam- menschiebung und Vermischung der ganzen Eigenthümlichkeit und hinwiederum die Bewahrung der starren Besonderheit und Origi- nalität jedes der beiden zusammengerathenen volksthümlichen Facto- ren nicht gehörig beachtet und hervorhebt. Führt Zunz z. B. aus dem Commentator des Alfasi (s. S. 201, Note 2) das Wort [fremdsprachliches Material], Mörser, und ebend. [fremdsprachliches Material], Erbern 1) (Erdbeeren), und [fremdsprachliches Material], gel (gelb), an, so sind diese durchaus althochdeutschen Wörter keine spe- cifischen Beweise von dem "richtigen Deutsch der Juden in den frühern Jahrhunderten", sondern überhaupt nur einfache Beispiele davon, daß die Juden deutsche Wörter gebrauchten und mit hebräi- schen oder deutsch-rabbinischen Buchstaben richtig wiedergaben. Da- gegen finden sich in den allerältesten, weit vor das 16. Jahrhundert reichenden Urkunden der Gaunersprache die farbigsten jüdischdeut- schen Wörter und noch dazu oft so durchaus germanisirt, daß man daraus auf einen schon sehr alten Uebergang in den Volksmund und auf einen schon sehr langen Bestand darin schließen muß, wie z. B. im Vocabular des züricher Bürgermeisters Gerold Edlibach vom Jahre 1488 divret, gesächen, von [fremdsprachliches Material]; wittich, tor oder nar, von [fremdsprachliches Material], verschließen, an Hand und Zunge gelähmt, lin- kisch sein (vgl. Th. I, S. 12); buß, hus, von [fremdsprachliches Material], Haus; alcha, gan, von [fremdsprachliches Material], gehen; jochhem, win, von [fremdsprachliches Material], Wein, u. s. w. Selbst unter den elf Vocabeln des noch 100 Jahre ältern Nota- tenbuchs von Dithmar von Meckebach 2) finden sich entschieden jüdischdeutsche Ausdrücke, wie Ebener,lusores, nicht (wie Hoff- mann von Fallersleben erklärt) von falschen Würfeln, Paschwer- fen oder "eben werfen", sondern von [fremdsprachliches Material], eben, ewen, Stein, weil alle Wurf- und Würfelspiele ursprünglich mit Steinen oder steinernen Würfeln gespielt wurden, während die knöchernen Wür- fel sehr viel später vorkommen; Schenenwerfer,reseratores
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, Ulrich von Reichenthal über das Kostnitzer Concil: "Das man inn dem Aychorn guten erbern weyn schenkt" u. s. w.
2) S. Notwelsch von Hoffmann von Fallersleben, "Weimarisches Jahr- buch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst", Bd. I, Heft 2, S. 328 fg.
er die gerade in der Sprache ſo charakteriſtiſch bezeichnete Zuſam- menſchiebung und Vermiſchung der ganzen Eigenthümlichkeit und hinwiederum die Bewahrung der ſtarren Beſonderheit und Origi- nalität jedes der beiden zuſammengerathenen volksthümlichen Facto- ren nicht gehörig beachtet und hervorhebt. Führt Zunz z. B. aus dem Commentator des Alfaſi (ſ. S. 201, Note 2) das Wort [fremdsprachliches Material], Mörſer, und ebend. [fremdsprachliches Material], Erbern 1) (Erdbeeren), und [fremdsprachliches Material], gel (gelb), an, ſo ſind dieſe durchaus althochdeutſchen Wörter keine ſpe- cifiſchen Beweiſe von dem „richtigen Deutſch der Juden in den frühern Jahrhunderten“, ſondern überhaupt nur einfache Beiſpiele davon, daß die Juden deutſche Wörter gebrauchten und mit hebräi- ſchen oder deutſch-rabbiniſchen Buchſtaben richtig wiedergaben. Da- gegen finden ſich in den allerälteſten, weit vor das 16. Jahrhundert reichenden Urkunden der Gaunerſprache die farbigſten jüdiſchdeut- ſchen Wörter und noch dazu oft ſo durchaus germaniſirt, daß man daraus auf einen ſchon ſehr alten Uebergang in den Volksmund und auf einen ſchon ſehr langen Beſtand darin ſchließen muß, wie z. B. im Vocabular des züricher Bürgermeiſters Gerold Edlibach vom Jahre 1488 divret, geſächen, von [fremdsprachliches Material]; wittich, tor oder nar, von [fremdsprachliches Material], verſchließen, an Hand und Zunge gelähmt, lin- kiſch ſein (vgl. Th. I, S. 12); buß, hus, von [fremdsprachliches Material], Haus; alcha, gan, von [fremdsprachliches Material], gehen; jochhem, win, von [fremdsprachliches Material], Wein, u. ſ. w. Selbſt unter den elf Vocabeln des noch 100 Jahre ältern Nota- tenbuchs von Dithmar von Meckebach 2) finden ſich entſchieden jüdiſchdeutſche Ausdrücke, wie Ebener,lusores, nicht (wie Hoff- mann von Fallersleben erklärt) von falſchen Würfeln, Paſchwer- fen oder „eben werfen“, ſondern von [fremdsprachliches Material], eben, ewen, Stein, weil alle Wurf- und Würfelſpiele urſprünglich mit Steinen oder ſteinernen Würfeln geſpielt wurden, während die knöchernen Wür- fel ſehr viel ſpäter vorkommen; Schenenwerfer,reseratores
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, Ulrich von Reichenthal über das Koſtnitzer Concil: „Das man inn dem Aychorn guten erbern weyn ſchenkt“ u. ſ. w.
2) S. Notwelſch von Hoffmann von Fallersleben, „Weimariſches Jahr- buch für deutſche Sprache, Literatur und Kunſt“, Bd. I, Heft 2, S. 328 fg.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0239"n="205"/>
er die gerade in der Sprache ſo charakteriſtiſch bezeichnete Zuſam-<lb/>
menſchiebung und Vermiſchung der ganzen Eigenthümlichkeit und<lb/>
hinwiederum die Bewahrung der ſtarren Beſonderheit und Origi-<lb/>
nalität jedes der beiden zuſammengerathenen volksthümlichen Facto-<lb/>
ren nicht gehörig beachtet und hervorhebt. Führt Zunz z. B. aus<lb/>
dem Commentator des Alfaſi (ſ. S. 201, Note 2) das Wort <gapreason="fm"/>,<lb/>
Mörſer, und ebend. <gapreason="fm"/>, Erbern <noteplace="foot"n="1)">Vgl. Th. <hirendition="#aq">I</hi>, S. 46, Note 3, Ulrich von Reichenthal über das Koſtnitzer<lb/>
Concil: „Das man inn dem Aychorn guten <hirendition="#g">erbern weyn</hi>ſchenkt“ u. ſ. w.</note> (Erdbeeren), und <gapreason="fm"/>, gel<lb/>
(gelb), an, ſo ſind dieſe durchaus althochdeutſchen Wörter keine ſpe-<lb/>
cifiſchen Beweiſe von dem „richtigen Deutſch der Juden in den<lb/>
frühern Jahrhunderten“, ſondern überhaupt nur einfache Beiſpiele<lb/>
davon, daß die Juden deutſche Wörter gebrauchten und mit hebräi-<lb/>ſchen oder deutſch-rabbiniſchen Buchſtaben richtig wiedergaben. Da-<lb/>
gegen finden ſich in den allerälteſten, weit vor das 16. Jahrhundert<lb/>
reichenden Urkunden der Gaunerſprache die farbigſten jüdiſchdeut-<lb/>ſchen Wörter und noch dazu oft ſo durchaus germaniſirt, daß man<lb/>
daraus auf einen ſchon ſehr alten Uebergang in den Volksmund<lb/>
und auf einen ſchon ſehr langen Beſtand darin ſchließen muß, wie<lb/>
z. B. im Vocabular des züricher Bürgermeiſters Gerold Edlibach<lb/>
vom Jahre 1488 <hirendition="#g">divret,</hi> geſächen, von <gapreason="fm"/>; <hirendition="#g">wittich,</hi> tor oder<lb/>
nar, von <gapreason="fm"/>, verſchließen, an Hand und Zunge gelähmt, lin-<lb/>
kiſch ſein (vgl. Th. <hirendition="#aq">I</hi>, S. 12); <hirendition="#g">buß,</hi> hus, von <gapreason="fm"/>, Haus; <hirendition="#g">alcha,</hi><lb/>
gan, von <gapreason="fm"/>, gehen; <hirendition="#g">jochhem,</hi> win, von <gapreason="fm"/>, Wein, u. ſ. w.<lb/>
Selbſt unter den elf Vocabeln des noch 100 Jahre ältern Nota-<lb/>
tenbuchs von Dithmar von Meckebach <noteplace="foot"n="2)">S. Notwelſch von Hoffmann von Fallersleben, „Weimariſches Jahr-<lb/>
buch für deutſche Sprache, Literatur und Kunſt“, Bd. <hirendition="#aq">I</hi>, Heft 2, S. 328 fg.</note> finden ſich entſchieden<lb/>
jüdiſchdeutſche Ausdrücke, wie <hirendition="#g">Ebener,</hi><hirendition="#aq">lusores,</hi> nicht (wie Hoff-<lb/>
mann von Fallersleben erklärt) von falſchen Würfeln, Paſchwer-<lb/>
fen oder „eben werfen“, ſondern von <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">eben, ewen,</hi> Stein,<lb/>
weil alle Wurf- und Würfelſpiele urſprünglich mit Steinen oder<lb/>ſteinernen Würfeln geſpielt wurden, während die knöchernen Wür-<lb/>
fel ſehr viel ſpäter vorkommen; <hirendition="#g">Schenenwerfer,</hi><hirendition="#aq">reseratores<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[205/0239]
er die gerade in der Sprache ſo charakteriſtiſch bezeichnete Zuſam-
menſchiebung und Vermiſchung der ganzen Eigenthümlichkeit und
hinwiederum die Bewahrung der ſtarren Beſonderheit und Origi-
nalität jedes der beiden zuſammengerathenen volksthümlichen Facto-
ren nicht gehörig beachtet und hervorhebt. Führt Zunz z. B. aus
dem Commentator des Alfaſi (ſ. S. 201, Note 2) das Wort _ ,
Mörſer, und ebend. _ , Erbern 1) (Erdbeeren), und _ , gel
(gelb), an, ſo ſind dieſe durchaus althochdeutſchen Wörter keine ſpe-
cifiſchen Beweiſe von dem „richtigen Deutſch der Juden in den
frühern Jahrhunderten“, ſondern überhaupt nur einfache Beiſpiele
davon, daß die Juden deutſche Wörter gebrauchten und mit hebräi-
ſchen oder deutſch-rabbiniſchen Buchſtaben richtig wiedergaben. Da-
gegen finden ſich in den allerälteſten, weit vor das 16. Jahrhundert
reichenden Urkunden der Gaunerſprache die farbigſten jüdiſchdeut-
ſchen Wörter und noch dazu oft ſo durchaus germaniſirt, daß man
daraus auf einen ſchon ſehr alten Uebergang in den Volksmund
und auf einen ſchon ſehr langen Beſtand darin ſchließen muß, wie
z. B. im Vocabular des züricher Bürgermeiſters Gerold Edlibach
vom Jahre 1488 divret, geſächen, von _ ; wittich, tor oder
nar, von _ , verſchließen, an Hand und Zunge gelähmt, lin-
kiſch ſein (vgl. Th. I, S. 12); buß, hus, von _ , Haus; alcha,
gan, von _ , gehen; jochhem, win, von _ , Wein, u. ſ. w.
Selbſt unter den elf Vocabeln des noch 100 Jahre ältern Nota-
tenbuchs von Dithmar von Meckebach 2) finden ſich entſchieden
jüdiſchdeutſche Ausdrücke, wie Ebener, lusores, nicht (wie Hoff-
mann von Fallersleben erklärt) von falſchen Würfeln, Paſchwer-
fen oder „eben werfen“, ſondern von _ , eben, ewen, Stein,
weil alle Wurf- und Würfelſpiele urſprünglich mit Steinen oder
ſteinernen Würfeln geſpielt wurden, während die knöchernen Wür-
fel ſehr viel ſpäter vorkommen; Schenenwerfer, reseratores
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, Ulrich von Reichenthal über das Koſtnitzer
Concil: „Das man inn dem Aychorn guten erbern weyn ſchenkt“ u. ſ. w.
2) S. Notwelſch von Hoffmann von Fallersleben, „Weimariſches Jahr-
buch für deutſche Sprache, Literatur und Kunſt“, Bd. I, Heft 2, S. 328 fg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/239>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.