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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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noch vor 300 Jahren ziemlich richtiges Deutsch sprachen. 1) Allen
bis gegen den Schluß des Mittelalters verfaßten Documenten zu-
folge standen die deutschen Juden in der Sprache -- bis auf ein-
zelne Redeweisen und hier und da die Aussprache -- den deut-
schen Christen gleich. 2) Aber schon im 16. und noch stärker in
den beiden folgenden Jahrhunderten bildete sich der Dialekt der
Juden zu einem eigenen sogenannten Jüdisch-Deutschen aus, in
welchem hebräische, eigene jüdische und veraltete deutsche Ausdrücke
in gleicher Menge vorhanden waren. Da alle Gemeinschaft im
Leben und in der Wissenschaft abgebrochen und aus der frühern
Zeit keine Cultur vererbt war: so artete die Sprache der deutschen
und mehr noch der polnischen Juden zu einem das Fehlende theils
aus dem Hebräischen, theils aus nach eigener -- bald hebräischer,
bald nur verdekbter und veralteter -- Flexionsweise gebildeten Worten
ergänzenden Dialekte aus, der durch Bücher und schlecht redende Ael-
tern und Lehrer verewigt und durch die allmähliche Vermischung mit
fremdartigen, z. B. polnischen, französischen und holländischen Worten
nicht selten ein unkenntliches Deutsch wurde. So wurden vier Elemente
Bestandtheile der bei den Juden üblichen deutschen Sprache:

1) Das Hebräische, und zwar für Gegenstände aus dem Kreise
des Judenthums 3) und des jüdischen Lebens 4), bei Begriffsformen,

1) Vgl. Actenstücke aus Wilna vom Jahre 1556 bei R. Salomo Luria,
Rechtsgutachten, Nr. 4 und 20; sogar die Dativendung en bei Eigennamen wurde
beobachtet.
2) Vgl. die deutschen Worte bei Raschi, R. Elieser Ben Nathan, dem Com-
mentar der Chronik, dem Commentator des Alfasi (z. B. Erubin c. 10, ed.
Sklow, f. 125 a:
[fremdsprachliches Material], Mörser), R. Meir Rothenburg, dem ältern [fremdsprachliches Material] (S. 41,
53, 74, 82 u. s. w.), dem Buche [fremdsprachliches Material], den Rechtsgutachten von R. Jakob Levi,
R. Jakob Weil, R. Moses Minz, R. Jsaak Stein (zu [fremdsprachliches Material], f. 292 c: "unter den
Achseln"). Schon im 14. Jahrhundert wurden hebräisch-deutsche Wörterbücher
angelegt (vgl. Cod. Vatic., 417, und [fremdsprachliches Material] in Oppenheim's "Katalog",
S. 688). Bemerkenswerth sind: [fremdsprachliches Material] (Erdbeeren, s. Piske Tosafoth Bera-
choth,
Nr. 136), [fremdsprachliches Material] (gelb, R. Meir Rothenburg, Rechtsgutachten, Nr. 631).
3) (a. S. 439) [fremdsprachliches Material]
u. dgl. m.
4) (b.) [fremdsprachliches Material]
u. a. m.

noch vor 300 Jahren ziemlich richtiges Deutſch ſprachen. 1) Allen
bis gegen den Schluß des Mittelalters verfaßten Documenten zu-
folge ſtanden die deutſchen Juden in der Sprache — bis auf ein-
zelne Redeweiſen und hier und da die Ausſprache — den deut-
ſchen Chriſten gleich. 2) Aber ſchon im 16. und noch ſtärker in
den beiden folgenden Jahrhunderten bildete ſich der Dialekt der
Juden zu einem eigenen ſogenannten Jüdiſch-Deutſchen aus, in
welchem hebräiſche, eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke
in gleicher Menge vorhanden waren. Da alle Gemeinſchaft im
Leben und in der Wiſſenſchaft abgebrochen und aus der frühern
Zeit keine Cultur vererbt war: ſo artete die Sprache der deutſchen
und mehr noch der polniſchen Juden zu einem das Fehlende theils
aus dem Hebräiſchen, theils aus nach eigener — bald hebräiſcher,
bald nur verdekbter und veralteter — Flexionsweiſe gebildeten Worten
ergänzenden Dialekte aus, der durch Bücher und ſchlecht redende Ael-
tern und Lehrer verewigt und durch die allmähliche Vermiſchung mit
fremdartigen, z. B. polniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen Worten
nicht ſelten ein unkenntliches Deutſch wurde. So wurden vier Elemente
Beſtandtheile der bei den Juden üblichen deutſchen Sprache:

1) Das Hebräiſche, und zwar für Gegenſtände aus dem Kreiſe
des Judenthums 3) und des jüdiſchen Lebens 4), bei Begriffsformen,

1) Vgl. Actenſtücke aus Wilna vom Jahre 1556 bei R. Salomo Luria,
Rechtsgutachten, Nr. 4 und 20; ſogar die Dativendung en bei Eigennamen wurde
beobachtet.
2) Vgl. die deutſchen Worte bei Raſchi, R. Elieſer Ben Nathan, dem Com-
mentar der Chronik, dem Commentator des Alfaſi (z. B. Erubin c. 10, ed.
Sklow, f. 125 a:
[fremdsprachliches Material], Mörſer), R. Meir Rothenburg, dem ältern [fremdsprachliches Material] (S. 41,
53, 74, 82 u. ſ. w.), dem Buche [fremdsprachliches Material], den Rechtsgutachten von R. Jakob Levi,
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Achſeln“). Schon im 14. Jahrhundert wurden hebräiſch-deutſche Wörterbücher
angelegt (vgl. Cod. Vatic., 417, und [fremdsprachliches Material] in Oppenheim’s „Katalog“,
S. 688). Bemerkenswerth ſind: [fremdsprachliches Material] (Erdbeeren, ſ. Piske Tosafoth Bera-
choth,
Nr. 136), [fremdsprachliches Material] (gelb, R. Meir Rothenburg, Rechtsgutachten, Nr. 631).
3) (a. S. 439) [fremdsprachliches Material]
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u. a. m.
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[201/0235] noch vor 300 Jahren ziemlich richtiges Deutſch ſprachen. 1) Allen bis gegen den Schluß des Mittelalters verfaßten Documenten zu- folge ſtanden die deutſchen Juden in der Sprache — bis auf ein- zelne Redeweiſen und hier und da die Ausſprache — den deut- ſchen Chriſten gleich. 2) Aber ſchon im 16. und noch ſtärker in den beiden folgenden Jahrhunderten bildete ſich der Dialekt der Juden zu einem eigenen ſogenannten Jüdiſch-Deutſchen aus, in welchem hebräiſche, eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke in gleicher Menge vorhanden waren. Da alle Gemeinſchaft im Leben und in der Wiſſenſchaft abgebrochen und aus der frühern Zeit keine Cultur vererbt war: ſo artete die Sprache der deutſchen und mehr noch der polniſchen Juden zu einem das Fehlende theils aus dem Hebräiſchen, theils aus nach eigener — bald hebräiſcher, bald nur verdekbter und veralteter — Flexionsweiſe gebildeten Worten ergänzenden Dialekte aus, der durch Bücher und ſchlecht redende Ael- tern und Lehrer verewigt und durch die allmähliche Vermiſchung mit fremdartigen, z. B. polniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen Worten nicht ſelten ein unkenntliches Deutſch wurde. So wurden vier Elemente Beſtandtheile der bei den Juden üblichen deutſchen Sprache: 1) Das Hebräiſche, und zwar für Gegenſtände aus dem Kreiſe des Judenthums 3) und des jüdiſchen Lebens 4), bei Begriffsformen, 1) Vgl. Actenſtücke aus Wilna vom Jahre 1556 bei R. Salomo Luria, Rechtsgutachten, Nr. 4 und 20; ſogar die Dativendung en bei Eigennamen wurde beobachtet. 2) Vgl. die deutſchen Worte bei Raſchi, R. Elieſer Ben Nathan, dem Com- mentar der Chronik, dem Commentator des Alfaſi (z. B. Erubin c. 10, ed. Sklow, f. 125 a: _ , Mörſer), R. Meir Rothenburg, dem ältern _ (S. 41, 53, 74, 82 u. ſ. w.), dem Buche _ , den Rechtsgutachten von R. Jakob Levi, R. Jakob Weil, R. Moſes Minz, R. Jſaak Stein (zu _ , f. 292 c: „unter den Achſeln“). Schon im 14. Jahrhundert wurden hebräiſch-deutſche Wörterbücher angelegt (vgl. Cod. Vatic., 417, und _ in Oppenheim’s „Katalog“, S. 688). Bemerkenswerth ſind: _ (Erdbeeren, ſ. Piske Tosafoth Bera- choth, Nr. 136), _ (gelb, R. Meir Rothenburg, Rechtsgutachten, Nr. 631). 3) (a. S. 439) _ u. dgl. m. 4) (b.) _ u. a. m.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/235>, abgerufen am 25.11.2024.