Dämons über das Volk war um so furchtbarer, je ausschließlicher das glatte Verständniß der Steganographie zum specifischen Geheim- niß der intriguanten Politik ward, welche mit versteckter und ab- soluter Gewalt das Volk beherrschte. So konnte denn die sprach- liche Aufklärung durch Moscherosch und Schottelius keine Restitu- tion des Volkes werden, selbst auch wenn diese Aufklärungen min- der einseitig gewesen wären, bis dann die ungeschickte Zuweisung des Sprachunsinns in das Gaunerthum endlich auf dieses selbst aufmerksam machte und zum ersten male seit dem Liber Vagato- rum der Blick tiefer auf dasselbe und seine Sprache fiel und selb- ständige Wörterbücher der Gaunersprache gesammelt wurden, wie das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß und die koburger Designation. Sind auch die Darstellungen von Moscherosch und Schottelius in sprachlicher Hinsicht nicht erheblich, so liegt doch in culturhistorischer Hinsicht ein tiefer Ernst in ihnen, und deshalb hätten Thiele und von Train nicht so blind nach der Erscheinung greifen und noch einmal den unglückseligen Versuch machen sollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu- beschwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig- keit dasselbe viel zu verschlagen und behend ist.
Einundvierzigstes Kapitel. K. Die Beziehung der Gaunersprache zur deutschen Volkssprache.
Erst dann, wenn man das große Quellengebiet der deutschen Sprache und die Bewegung derselben von dem leichten, natürlichen Rieseln der zahllosen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zusammen- fluß in den großen Sprachstrom überblickt und dabei inne wird, wie das Gaunerthum von diesem Strome sich tragen läßt, um darin Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be- griff vom Gaunerthum und seiner Sprache. Diese Gaunersprache würde die umfassendste deutsche Sprachencyklopädie sein, wenn sie alle Sprachgebietstheile, welche sie berührt, vollkommen erschöpfend
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 13
Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim- niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab- ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach- liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu- tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min- der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem Liber Vagato- rum der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb- ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich, ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen, und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu- beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig- keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt.
Einundvierzigſtes Kapitel. K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache.
Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen- fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be- griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfend
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 13
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0227"n="193"/>
Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher<lb/>
das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim-<lb/>
niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab-<lb/>ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach-<lb/>
liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu-<lb/>
tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min-<lb/>
der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung<lb/>
des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt<lb/>
aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem <hirendition="#aq">Liber Vagato-<lb/>
rum</hi> der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb-<lb/>ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie<lb/>
das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß<lb/>
und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von<lb/>
Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich,<lb/>ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen,<lb/>
und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der<lb/>
Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch<lb/>
machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu-<lb/>
beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig-<lb/>
keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#fr">Einundvierzigſtes Kapitel.</hi><lb/><hirendition="#b"><hirendition="#aq">K.</hi> Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache.</hi></head><lb/><p>Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen<lb/>
Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen<lb/>
Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen-<lb/>
fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie<lb/>
das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin<lb/>
Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be-<lb/>
griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache<lb/>
würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie<lb/>
alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfend<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Avé-Lallemant,</hi> Gaunerthum. <hirendition="#aq">III.</hi> 13</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[193/0227]
Dämons über das Volk war um ſo furchtbarer, je ausſchließlicher
das glatte Verſtändniß der Steganographie zum ſpecifiſchen Geheim-
niß der intriguanten Politik ward, welche mit verſteckter und ab-
ſoluter Gewalt das Volk beherrſchte. So konnte denn die ſprach-
liche Aufklärung durch Moſcheroſch und Schottelius keine Reſtitu-
tion des Volkes werden, ſelbſt auch wenn dieſe Aufklärungen min-
der einſeitig geweſen wären, bis dann die ungeſchickte Zuweiſung
des Sprachunſinns in das Gaunerthum endlich auf dieſes ſelbſt
aufmerkſam machte und zum erſten male ſeit dem Liber Vagato-
rum der Blick tiefer auf daſſelbe und ſeine Sprache fiel und ſelb-
ſtändige Wörterbücher der Gaunerſprache geſammelt wurden, wie
das Verzeichniß des Andreas Hempel, das waldheimer Verzeichniß
und die koburger Deſignation. Sind auch die Darſtellungen von
Moſcheroſch und Schottelius in ſprachlicher Hinſicht nicht erheblich,
ſo liegt doch in culturhiſtoriſcher Hinſicht ein tiefer Ernſt in ihnen,
und deshalb hätten Thiele und von Train nicht ſo blind nach der
Erſcheinung greifen und noch einmal den unglückſeligen Verſuch
machen ſollen, für das Gaunerthum eine Sprachmethode heraufzu-
beſchwören, für deren innere Unwahrheit und äußere Schwerfällig-
keit daſſelbe viel zu verſchlagen und behend iſt.
Einundvierzigſtes Kapitel.
K. Die Beziehung der Gaunerſprache zur deutſchen Volksſprache.
Erſt dann, wenn man das große Quellengebiet der deutſchen
Sprache und die Bewegung derſelben von dem leichten, natürlichen
Rieſeln der zahlloſen kleinen Quellen bis zum mächtigen Zuſammen-
fluß in den großen Sprachſtrom überblickt und dabei inne wird, wie
das Gaunerthum von dieſem Strome ſich tragen läßt, um darin
Leben und Bewegung zu behaupten, gewinnt man den richtigen Be-
griff vom Gaunerthum und ſeiner Sprache. Dieſe Gaunerſprache
würde die umfaſſendſte deutſche Sprachencyklopädie ſein, wenn ſie
alle Sprachgebietstheile, welche ſie berührt, vollkommen erſchöpfend
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/227>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.