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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Gästen, von denen auch der schmuzigste Bursche "Herr" oder "Freund"
genannt wird, trotz der Prügel, die er etwa von den Dirnen em-
pfing oder ihnen wiedergab. Dabei bieten diese Untersuchungen,
besonders aus den Matrosenbordells, neben andern erstaunlichen
Ergebnissen auch einen pandemo-linguistischen Reichthum dar, wo-
von man sich im Binnenlande keinen Begriff machen kann. Zunächst
werden dieselben Dirnen, welche man mit phantastischen Namen
bei den Gästen einführt, von dem Bordellwirth nach bestimmten
Körpertheilen, welche er mit kaltem, viehhändlerischem Kennerblick
diagnosirt, in so haarsträubend roher Weise bezeichnet und gerufen,
daß man nicht wagen darf, ein einziges Beispiel anzudeuten. Die
Dirnen benutzen die vertraute Heimlichkeit mit dem arglosen Gaste,
um ihn in gleicher schamloser Weise an ihre Genossinnen zu ver-
rathen und zu brandmarken. Sie verschonen selbst ihre gauneri-
schen Genossen nicht mit dem Verrath, und so sind lediglich aus
dem Verrath der Prostitution die scheußlichen Gaunerspitznamen
entsprungen, von welchen die Gaunerlisten schon seit Jahrhunder-
ten wimmeln. Daher kommen in der Bordellsprache Eigennamen
mit Bezug auf bestimmte Persönlichkeiten vor, denen eine appella-
tive Bedeutung beigelegt wird. So wird der jedesmalige Name
des Beamten, welcher die nächste Aufsicht über die Bordelle führt,
sicherlich zu irgendeiner schmuzigen Bezeichnung verwandt; selbst
höhere Personen müssen dazu herhalten, wie ähnlich im slang,
der englischen Gaunersprache, z. B. der Ausdruck Lord John Russell
a bustle, Hüftpolster (le cul de Paris), Lord Lovel a shovel,
Schaufel, und sogar Jenny Linder a window (in der vulgären
Sprache winder), Fenster bedeutet. Nicht immer sind aber diese
Namen topisch oder persönlich gebunden. So geht z. B. der
Louis1) durch ganz Deutschland, und überall werden jetzt Hei-

1) Louis soll ein Sohn Berlins gewesen sein, welcher einer mit Auswei-
sung bedrohten fremden liederlichen Person Heimatsrechte in Berlin dadurch
verschaffte, daß er sich mit ihr copuliren ließ. Louis ist daher jeder (gewöhn-
lich alte, stumpfe oder doch erwerbsunfähige) Mann, welcher eine Person
geheirathet hat, die von der Liederlichkeit lebt und ihren Mann auch davon
leben läßt, gewöhnlich sich getrennt von ihm hält und ihm ein bestimmtes Mo-

Gäſten, von denen auch der ſchmuzigſte Burſche „Herr“ oder „Freund“
genannt wird, trotz der Prügel, die er etwa von den Dirnen em-
pfing oder ihnen wiedergab. Dabei bieten dieſe Unterſuchungen,
beſonders aus den Matroſenbordells, neben andern erſtaunlichen
Ergebniſſen auch einen pandemo-linguiſtiſchen Reichthum dar, wo-
von man ſich im Binnenlande keinen Begriff machen kann. Zunächſt
werden dieſelben Dirnen, welche man mit phantaſtiſchen Namen
bei den Gäſten einführt, von dem Bordellwirth nach beſtimmten
Körpertheilen, welche er mit kaltem, viehhändleriſchem Kennerblick
diagnoſirt, in ſo haarſträubend roher Weiſe bezeichnet und gerufen,
daß man nicht wagen darf, ein einziges Beiſpiel anzudeuten. Die
Dirnen benutzen die vertraute Heimlichkeit mit dem argloſen Gaſte,
um ihn in gleicher ſchamloſer Weiſe an ihre Genoſſinnen zu ver-
rathen und zu brandmarken. Sie verſchonen ſelbſt ihre gauneri-
ſchen Genoſſen nicht mit dem Verrath, und ſo ſind lediglich aus
dem Verrath der Proſtitution die ſcheußlichen Gaunerſpitznamen
entſprungen, von welchen die Gaunerliſten ſchon ſeit Jahrhunder-
ten wimmeln. Daher kommen in der Bordellſprache Eigennamen
mit Bezug auf beſtimmte Perſönlichkeiten vor, denen eine appella-
tive Bedeutung beigelegt wird. So wird der jedesmalige Name
des Beamten, welcher die nächſte Aufſicht über die Bordelle führt,
ſicherlich zu irgendeiner ſchmuzigen Bezeichnung verwandt; ſelbſt
höhere Perſonen müſſen dazu herhalten, wie ähnlich im slang,
der engliſchen Gaunerſprache, z. B. der Ausdruck Lord John Ruſſell
a bustle, Hüftpolſter (le cul de Paris), Lord Lovel a shovel,
Schaufel, und ſogar Jenny Linder a window (in der vulgären
Sprache winder), Fenſter bedeutet. Nicht immer ſind aber dieſe
Namen topiſch oder perſönlich gebunden. So geht z. B. der
Louis1) durch ganz Deutſchland, und überall werden jetzt Hei-

1) Louis ſoll ein Sohn Berlins geweſen ſein, welcher einer mit Auswei-
ſung bedrohten fremden liederlichen Perſon Heimatsrechte in Berlin dadurch
verſchaffte, daß er ſich mit ihr copuliren ließ. Louis iſt daher jeder (gewöhn-
lich alte, ſtumpfe oder doch erwerbsunfähige) Mann, welcher eine Perſon
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[168/0202] Gäſten, von denen auch der ſchmuzigſte Burſche „Herr“ oder „Freund“ genannt wird, trotz der Prügel, die er etwa von den Dirnen em- pfing oder ihnen wiedergab. Dabei bieten dieſe Unterſuchungen, beſonders aus den Matroſenbordells, neben andern erſtaunlichen Ergebniſſen auch einen pandemo-linguiſtiſchen Reichthum dar, wo- von man ſich im Binnenlande keinen Begriff machen kann. Zunächſt werden dieſelben Dirnen, welche man mit phantaſtiſchen Namen bei den Gäſten einführt, von dem Bordellwirth nach beſtimmten Körpertheilen, welche er mit kaltem, viehhändleriſchem Kennerblick diagnoſirt, in ſo haarſträubend roher Weiſe bezeichnet und gerufen, daß man nicht wagen darf, ein einziges Beiſpiel anzudeuten. Die Dirnen benutzen die vertraute Heimlichkeit mit dem argloſen Gaſte, um ihn in gleicher ſchamloſer Weiſe an ihre Genoſſinnen zu ver- rathen und zu brandmarken. Sie verſchonen ſelbſt ihre gauneri- ſchen Genoſſen nicht mit dem Verrath, und ſo ſind lediglich aus dem Verrath der Proſtitution die ſcheußlichen Gaunerſpitznamen entſprungen, von welchen die Gaunerliſten ſchon ſeit Jahrhunder- ten wimmeln. Daher kommen in der Bordellſprache Eigennamen mit Bezug auf beſtimmte Perſönlichkeiten vor, denen eine appella- tive Bedeutung beigelegt wird. So wird der jedesmalige Name des Beamten, welcher die nächſte Aufſicht über die Bordelle führt, ſicherlich zu irgendeiner ſchmuzigen Bezeichnung verwandt; ſelbſt höhere Perſonen müſſen dazu herhalten, wie ähnlich im slang, der engliſchen Gaunerſprache, z. B. der Ausdruck Lord John Ruſſell a bustle, Hüftpolſter (le cul de Paris), Lord Lovel a shovel, Schaufel, und ſogar Jenny Linder a window (in der vulgären Sprache winder), Fenſter bedeutet. Nicht immer ſind aber dieſe Namen topiſch oder perſönlich gebunden. So geht z. B. der Louis 1) durch ganz Deutſchland, und überall werden jetzt Hei- 1) Louis ſoll ein Sohn Berlins geweſen ſein, welcher einer mit Auswei- ſung bedrohten fremden liederlichen Perſon Heimatsrechte in Berlin dadurch verſchaffte, daß er ſich mit ihr copuliren ließ. Louis iſt daher jeder (gewöhn- lich alte, ſtumpfe oder doch erwerbsunfähige) Mann, welcher eine Perſon geheirathet hat, die von der Liederlichkeit lebt und ihren Mann auch davon leben läßt, gewöhnlich ſich getrennt von ihm hält und ihm ein beſtimmtes Mo-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/202>, abgerufen am 24.11.2024.