Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde. Diese Versetzung der Gaunersprache mit den von lieder-
lichen Dirnen unablässig erfundenen und gepflegten Ausdrücken,
wovon schon das Vocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edli-
bach und der Liber Vagatorum einen ergiebigen Beweis liefern,
ist so stark und die gaunerische Jncarnation so vollkommen, daß
dabei die concrete Eigenthümlichkeit der Dappelschicksensprache fast
ganz verschwindet und die Farbigkeit ihrer besondern Originalität
nur in den mit steter Unerschöpflichkeit neugeschaffenen Kunstaus-
drücken bemerklich hervortritt. So lebendig und so gewaltig war
die Strömung der Dappelschicksensprache, daß sie nicht nur in die
Gaunersprache, sondern auch in die deutsche Volkssprache mit ihrer
scheußlichen Terminologie hineindrang und den Volksmund mit
einer nicht geringen Zahl von Ausdrücken sättigte, denen das arg-
los hinnehmende Volk meistens eine unverfängliche Bedeutung bei-
maß, während diese aus dem unreinen Sinn und Mund lieder-
licher Metzen entsprungenen Wörter die schmuzigste Bedeutung
hatten. Mit widerstrebendem Gefühl nimmt man aber auch wahr,
wie die der verworfensten Liederlichkeit fröhnende Geistlichkeit des
Mittelalters an dieser Vergiftung der Volkssprache den größten
Antheil hatte und namentlich durch Einführung fremdsprachlicher
schmuziger Bezeichnungen die Sprache mit Ausdrücken bereicherte,
welche nur aus dem eigenthümlichen Geiste der Dappelschicksen-
und Gaunersprache erklärt werden können. Vorzüglich war es die
französische Geistlichkeit, welche die nahe Verwandtschaft ihrer ro-
manischen Landessprache mit der lateinischen Sprache in der scham-
losesten Weise auszubeuten wußte und dadurch dem Begriff der
equivoque oder Zweideutigkeit das Brandmal der Zote aufprägte,
von welchem die "Zweideutigkeit" bis zur Stunde noch nicht ge-
reinigt ist.

Diese hier nur flüchtig skizzirte Eigenthümlichkeit der Dappel-
schicksensprache deutet auf eine ungeheuere Gewalt der Prostitution,
welche man denn auch in der That wie eine furchtbare dämoni-
sche Erscheinung durch das ganze Mittelalter schreiten und die
christliche Sitte und Zucht in den Staub treten sieht. Sie steht
urplötzlich so fertig und so vollkommen da, daß man, sobald man

wurde. Dieſe Verſetzung der Gaunerſprache mit den von lieder-
lichen Dirnen unabläſſig erfundenen und gepflegten Ausdrücken,
wovon ſchon das Vocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edli-
bach und der Liber Vagatorum einen ergiebigen Beweis liefern,
iſt ſo ſtark und die gauneriſche Jncarnation ſo vollkommen, daß
dabei die concrete Eigenthümlichkeit der Dappelſchickſenſprache faſt
ganz verſchwindet und die Farbigkeit ihrer beſondern Originalität
nur in den mit ſteter Unerſchöpflichkeit neugeſchaffenen Kunſtaus-
drücken bemerklich hervortritt. So lebendig und ſo gewaltig war
die Strömung der Dappelſchickſenſprache, daß ſie nicht nur in die
Gaunerſprache, ſondern auch in die deutſche Volksſprache mit ihrer
ſcheußlichen Terminologie hineindrang und den Volksmund mit
einer nicht geringen Zahl von Ausdrücken ſättigte, denen das arg-
los hinnehmende Volk meiſtens eine unverfängliche Bedeutung bei-
maß, während dieſe aus dem unreinen Sinn und Mund lieder-
licher Metzen entſprungenen Wörter die ſchmuzigſte Bedeutung
hatten. Mit widerſtrebendem Gefühl nimmt man aber auch wahr,
wie die der verworfenſten Liederlichkeit fröhnende Geiſtlichkeit des
Mittelalters an dieſer Vergiftung der Volksſprache den größten
Antheil hatte und namentlich durch Einführung fremdſprachlicher
ſchmuziger Bezeichnungen die Sprache mit Ausdrücken bereicherte,
welche nur aus dem eigenthümlichen Geiſte der Dappelſchickſen-
und Gaunerſprache erklärt werden können. Vorzüglich war es die
franzöſiſche Geiſtlichkeit, welche die nahe Verwandtſchaft ihrer ro-
maniſchen Landesſprache mit der lateiniſchen Sprache in der ſcham-
loſeſten Weiſe auszubeuten wußte und dadurch dem Begriff der
équivoque oder Zweideutigkeit das Brandmal der Zote aufprägte,
von welchem die „Zweideutigkeit“ bis zur Stunde noch nicht ge-
reinigt iſt.

Dieſe hier nur flüchtig ſkizzirte Eigenthümlichkeit der Dappel-
ſchickſenſprache deutet auf eine ungeheuere Gewalt der Proſtitution,
welche man denn auch in der That wie eine furchtbare dämoni-
ſche Erſcheinung durch das ganze Mittelalter ſchreiten und die
chriſtliche Sitte und Zucht in den Staub treten ſieht. Sie ſteht
urplötzlich ſo fertig und ſo vollkommen da, daß man, ſobald man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0191" n="157"/>
wurde. Die&#x017F;e Ver&#x017F;etzung der Gauner&#x017F;prache mit den von lieder-<lb/>
lichen Dirnen unablä&#x017F;&#x017F;ig erfundenen und gepflegten Ausdrücken,<lb/>
wovon &#x017F;chon das Vocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edli-<lb/>
bach und der <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> einen ergiebigen Beweis liefern,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;tark und die gauneri&#x017F;che Jncarnation &#x017F;o vollkommen, daß<lb/>
dabei die concrete Eigenthümlichkeit der Dappel&#x017F;chick&#x017F;en&#x017F;prache fa&#x017F;t<lb/>
ganz ver&#x017F;chwindet und die Farbigkeit ihrer be&#x017F;ondern Originalität<lb/>
nur in den mit &#x017F;teter Uner&#x017F;chöpflichkeit neuge&#x017F;chaffenen Kun&#x017F;taus-<lb/>
drücken bemerklich hervortritt. So lebendig und &#x017F;o gewaltig war<lb/>
die Strömung der Dappel&#x017F;chick&#x017F;en&#x017F;prache, daß &#x017F;ie nicht nur in die<lb/>
Gauner&#x017F;prache, &#x017F;ondern auch in die deut&#x017F;che Volks&#x017F;prache mit ihrer<lb/>
&#x017F;cheußlichen Terminologie hineindrang und den Volksmund mit<lb/>
einer nicht geringen Zahl von Ausdrücken &#x017F;ättigte, denen das arg-<lb/>
los hinnehmende Volk mei&#x017F;tens eine unverfängliche Bedeutung bei-<lb/>
maß, während die&#x017F;e aus dem unreinen Sinn und Mund lieder-<lb/>
licher Metzen ent&#x017F;prungenen Wörter die &#x017F;chmuzig&#x017F;te Bedeutung<lb/>
hatten. Mit wider&#x017F;trebendem Gefühl nimmt man aber auch wahr,<lb/>
wie die der verworfen&#x017F;ten Liederlichkeit fröhnende Gei&#x017F;tlichkeit des<lb/>
Mittelalters an die&#x017F;er Vergiftung der Volks&#x017F;prache den größten<lb/>
Antheil hatte und namentlich durch Einführung fremd&#x017F;prachlicher<lb/>
&#x017F;chmuziger Bezeichnungen die Sprache mit Ausdrücken bereicherte,<lb/>
welche nur aus dem eigenthümlichen Gei&#x017F;te der Dappel&#x017F;chick&#x017F;en-<lb/>
und Gauner&#x017F;prache erklärt werden können. Vorzüglich war es die<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Gei&#x017F;tlichkeit, welche die nahe Verwandt&#x017F;chaft ihrer ro-<lb/>
mani&#x017F;chen Landes&#x017F;prache mit der lateini&#x017F;chen Sprache in der &#x017F;cham-<lb/>
lo&#x017F;e&#x017F;ten Wei&#x017F;e auszubeuten wußte und dadurch dem Begriff der<lb/><hi rendition="#aq">équivoque</hi> oder Zweideutigkeit das Brandmal der Zote aufprägte,<lb/>
von welchem die &#x201E;Zweideutigkeit&#x201C; bis zur Stunde noch nicht ge-<lb/>
reinigt i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e hier nur flüchtig &#x017F;kizzirte Eigenthümlichkeit der Dappel-<lb/>
&#x017F;chick&#x017F;en&#x017F;prache deutet auf eine ungeheuere Gewalt der Pro&#x017F;titution,<lb/>
welche man denn auch in der That wie eine furchtbare dämoni-<lb/>
&#x017F;che Er&#x017F;cheinung durch das ganze Mittelalter &#x017F;chreiten und die<lb/>
chri&#x017F;tliche Sitte und Zucht in den Staub treten &#x017F;ieht. Sie &#x017F;teht<lb/>
urplötzlich &#x017F;o fertig und &#x017F;o vollkommen da, daß man, &#x017F;obald man<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0191] wurde. Dieſe Verſetzung der Gaunerſprache mit den von lieder- lichen Dirnen unabläſſig erfundenen und gepflegten Ausdrücken, wovon ſchon das Vocabular des züricher Rathsherrn Gerold Edli- bach und der Liber Vagatorum einen ergiebigen Beweis liefern, iſt ſo ſtark und die gauneriſche Jncarnation ſo vollkommen, daß dabei die concrete Eigenthümlichkeit der Dappelſchickſenſprache faſt ganz verſchwindet und die Farbigkeit ihrer beſondern Originalität nur in den mit ſteter Unerſchöpflichkeit neugeſchaffenen Kunſtaus- drücken bemerklich hervortritt. So lebendig und ſo gewaltig war die Strömung der Dappelſchickſenſprache, daß ſie nicht nur in die Gaunerſprache, ſondern auch in die deutſche Volksſprache mit ihrer ſcheußlichen Terminologie hineindrang und den Volksmund mit einer nicht geringen Zahl von Ausdrücken ſättigte, denen das arg- los hinnehmende Volk meiſtens eine unverfängliche Bedeutung bei- maß, während dieſe aus dem unreinen Sinn und Mund lieder- licher Metzen entſprungenen Wörter die ſchmuzigſte Bedeutung hatten. Mit widerſtrebendem Gefühl nimmt man aber auch wahr, wie die der verworfenſten Liederlichkeit fröhnende Geiſtlichkeit des Mittelalters an dieſer Vergiftung der Volksſprache den größten Antheil hatte und namentlich durch Einführung fremdſprachlicher ſchmuziger Bezeichnungen die Sprache mit Ausdrücken bereicherte, welche nur aus dem eigenthümlichen Geiſte der Dappelſchickſen- und Gaunerſprache erklärt werden können. Vorzüglich war es die franzöſiſche Geiſtlichkeit, welche die nahe Verwandtſchaft ihrer ro- maniſchen Landesſprache mit der lateiniſchen Sprache in der ſcham- loſeſten Weiſe auszubeuten wußte und dadurch dem Begriff der équivoque oder Zweideutigkeit das Brandmal der Zote aufprägte, von welchem die „Zweideutigkeit“ bis zur Stunde noch nicht ge- reinigt iſt. Dieſe hier nur flüchtig ſkizzirte Eigenthümlichkeit der Dappel- ſchickſenſprache deutet auf eine ungeheuere Gewalt der Proſtitution, welche man denn auch in der That wie eine furchtbare dämoni- ſche Erſcheinung durch das ganze Mittelalter ſchreiten und die chriſtliche Sitte und Zucht in den Staub treten ſieht. Sie ſteht urplötzlich ſo fertig und ſo vollkommen da, daß man, ſobald man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/191
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/191>, abgerufen am 22.11.2024.