her unbewacht wieder mitten in das Herz des bürgerlichen Lebens zurückzudringen. Unsere Culturhistoriker sind uns noch immer eine Geschichte beider Gewerbe schuldig, um mit solcher Darstellung eine politische Schuld zu beweisen, welche Ursache von ungeheuern, grauenhaften Wirkungen geworden ist. Ein Kriterium dieser Wir- kungen ist die Thatsache einer abgeschlossenen Gruppensprache, in deren Besitz jedes der beiden Gewerbe sich befindet und welche in engster Verbindung mit Wesen und Sprache des Gaunerthums wie ein Jdiotismus der Gaunersprache erscheint. Beide Gewerbe verdienen daher bei der Behandlung der Gaunersprache eine etwas genauere Berücksichtigung.
Der allgemeine und gemeinsame Name für die Schinder- sprache und für die Sprache der liederlichen Dirnen oder Dappel- schicksen ist die Tammersprache, auch Temmer-, Dammer- oder Demmersprache, vom hebräischen [fremdsprachliches Material], tame, unrein sein, sowol im levitischen als auch im moralischen und körperlichen Sinne. Davon jüdischdeutsch [fremdsprachliches Material], tome, Pl. [fremdsprachliches Material], der Unreine, übel berufen, von Menschen, Thieren und Sachen, und [fremdsprachliches Material], tmea, Pl. [fremdsprachliches Material], tmeos, die Unreine, Metze, und [fremdsprachliches Material], metamme sein, sich verunreinigen. Jn der deutschen Gaunersprache hat das Wörterbuch des Gauners A. Hempel (1687) zuerst das Wort Tammer, und dann die Rotwelsche Grammatik von 1753 Dem- mer, Schinder. Eine andere, weniger natürliche Ableitung ist die vom hebräischen [fremdsprachliches Material], taman, verbergen, verstecken, verscharren (z. B. 2. Mos. 2, 12, wo Moses den erschlagenen Aegypter heim- lich verscharrt). Dies [fremdsprachliches Material] ist nicht in das Jüdischdeutsche über- gegangen und hat auch keine Derivata, wie solche [fremdsprachliches Material] zahlreich besitzt. Bemerkenswerth ist noch, daß der Ausdruck Tammer, Temmer, Dammer, Demmer mit seinen Compositionen in der Sprache der Freudenmädchen selbst nicht gebräuchlich ist, während in der Schindersprache der Ausdruck fortwuchert und die Schinder allerorten sich untereinander ohne den geringsten Anstoß Tammer nennen.
her unbewacht wieder mitten in das Herz des bürgerlichen Lebens zurückzudringen. Unſere Culturhiſtoriker ſind uns noch immer eine Geſchichte beider Gewerbe ſchuldig, um mit ſolcher Darſtellung eine politiſche Schuld zu beweiſen, welche Urſache von ungeheuern, grauenhaften Wirkungen geworden iſt. Ein Kriterium dieſer Wir- kungen iſt die Thatſache einer abgeſchloſſenen Gruppenſprache, in deren Beſitz jedes der beiden Gewerbe ſich befindet und welche in engſter Verbindung mit Weſen und Sprache des Gaunerthums wie ein Jdiotismus der Gaunerſprache erſcheint. Beide Gewerbe verdienen daher bei der Behandlung der Gaunerſprache eine etwas genauere Berückſichtigung.
Der allgemeine und gemeinſame Name für die Schinder- ſprache und für die Sprache der liederlichen Dirnen oder Dappel- ſchickſen iſt die Tammerſprache, auch Temmer-, Dammer- oder Demmerſprache, vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material], tame, unrein ſein, ſowol im levitiſchen als auch im moraliſchen und körperlichen Sinne. Davon jüdiſchdeutſch [fremdsprachliches Material], tome, Pl. [fremdsprachliches Material], der Unreine, übel berufen, von Menſchen, Thieren und Sachen, und [fremdsprachliches Material], tmea, Pl. [fremdsprachliches Material], tmeos, die Unreine, Metze, und [fremdsprachliches Material], metamme sein, ſich verunreinigen. Jn der deutſchen Gaunerſprache hat das Wörterbuch des Gauners A. Hempel (1687) zuerſt das Wort Tammer, und dann die Rotwelſche Grammatik von 1753 Dem- mer, Schinder. Eine andere, weniger natürliche Ableitung iſt die vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material], taman, verbergen, verſtecken, verſcharren (z. B. 2. Moſ. 2, 12, wo Moſes den erſchlagenen Aegypter heim- lich verſcharrt). Dies [fremdsprachliches Material] iſt nicht in das Jüdiſchdeutſche über- gegangen und hat auch keine Derivata, wie ſolche [fremdsprachliches Material] zahlreich beſitzt. Bemerkenswerth iſt noch, daß der Ausdruck Tammer, Temmer, Dammer, Demmer mit ſeinen Compoſitionen in der Sprache der Freudenmädchen ſelbſt nicht gebräuchlich iſt, während in der Schinderſprache der Ausdruck fortwuchert und die Schinder allerorten ſich untereinander ohne den geringſten Anſtoß Tammer nennen.
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her unbewacht wieder mitten in das Herz des bürgerlichen Lebens
zurückzudringen. Unſere Culturhiſtoriker ſind uns noch immer eine
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eine politiſche Schuld zu beweiſen, welche Urſache von ungeheuern,
grauenhaften Wirkungen geworden iſt. Ein Kriterium dieſer Wir-
kungen iſt die Thatſache einer abgeſchloſſenen Gruppenſprache,
in deren Beſitz jedes der beiden Gewerbe ſich befindet und welche in
engſter Verbindung mit Weſen und Sprache des Gaunerthums
wie ein Jdiotismus der Gaunerſprache erſcheint. Beide Gewerbe
verdienen daher bei der Behandlung der Gaunerſprache eine etwas
genauere Berückſichtigung.
Der allgemeine und gemeinſame Name für die Schinder-
ſprache und für die Sprache der liederlichen Dirnen oder Dappel-
ſchickſen iſt die Tammerſprache, auch Temmer-, Dammer- oder
Demmerſprache, vom hebräiſchen _ , tame, unrein ſein, ſowol
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sein, ſich verunreinigen. Jn der deutſchen Gaunerſprache hat das
Wörterbuch des Gauners A. Hempel (1687) zuerſt das Wort
Tammer, und dann die Rotwelſche Grammatik von 1753 Dem-
mer, Schinder. Eine andere, weniger natürliche Ableitung iſt die
vom hebräiſchen _ , taman, verbergen, verſtecken, verſcharren
(z. B. 2. Moſ. 2, 12, wo Moſes den erſchlagenen Aegypter heim-
lich verſcharrt). Dies _ iſt nicht in das Jüdiſchdeutſche über-
gegangen und hat auch keine Derivata, wie ſolche _ zahlreich
beſitzt. Bemerkenswerth iſt noch, daß der Ausdruck Tammer,
Temmer, Dammer, Demmer mit ſeinen Compoſitionen in der
Sprache der Freudenmädchen ſelbſt nicht gebräuchlich iſt, während
in der Schinderſprache der Ausdruck fortwuchert und die Schinder
allerorten ſich untereinander ohne den geringſten Anſtoß Tammer
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/182>, abgerufen am 25.11.2024.
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