fluß. Die vier classischen Gaunerwörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts geben ein interessantes Bild von jenem unmittel- barsten Einfluß des Soldatenthums auf das Gaunerthum und dessen Sprache. Die Gaunersprache ist im Vocabular des An- dreas Hempel und im Waldheimer Wörterbuch schon sehr stark emancipirt von der seit Gerold Edlibach und dem Liber vagatorum sichtlich bemerkbaren jüdischdeutschen Jmprägnation und erscheint gewissermaßen germanisirter. Sie enthält vor- herrschend rohe deutsche Volksausdrücke mit meistens verscho- bener Bedeutung und auch einzelne Ausdrücke lebender europäi- scher Sprachen, besonders aber auch rohe verdorbene Zigeuner- ausdrücke, welche durch die Gemeinschaft der Soldaten mit den gleichfalls im Dreißigjährigen Kriege als Söldner und Kund- schafter verwendeten Zigeunern (vgl. Th. I, S. 31 und 72) in die Gaunersprache Aufnahme gefunden hatten. Das Hildburg- hausener Wörterbuch (1753) tritt dagegen schon wieder etwas mehr in die judendeutsche Färbung zurück, und das Wörterbuch des Konstanzer Hans (1791) hat schon wieder ganz die alte Mischung mit dem Judendeutsch, welche zum Theil sogar noch stärker ist als die des Liber vagatorum. Diese Restitution der gaunersprachlichen Mischung ist lediglich die Folge des allmählichen Rücktritts des Soldatenthums vom Gaunerthum, zu welchem ersteres durch die glücklicher gelingende Kriegszucht gezwungen wurde. Dabei wird man aber durch die mit dem Waldheimer Wörterbuch gleichzeitig erschienene Koburger Designation des jüdischen Baldobers mit ihren durchgehends jüdischdeutschen Vo- cabeln belehrt, daß das jüdische Gaunerthum zu jener Zeit wahr- lich nicht die Hände in den Schos gelegt, sondern den lebendigsten Antheil an der fortschreitenden Bildung des Gaunerthums über- haupt gehabt hatte.
Wenn man nun den starken Einfluß des Soldatenthums in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in der Gaunersprache unverkennbar deutlich sieht, so kann man auch wieder aus dem stärkern Zuschlag des Judendeutsch seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die allmähliche Abkehr des Soldatenthums vom
fluß. Die vier claſſiſchen Gaunerwörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts geben ein intereſſantes Bild von jenem unmittel- barſten Einfluß des Soldatenthums auf das Gaunerthum und deſſen Sprache. Die Gaunerſprache iſt im Vocabular des An- dreas Hempel und im Waldheimer Wörterbuch ſchon ſehr ſtark emancipirt von der ſeit Gerold Edlibach und dem Liber vagatorum ſichtlich bemerkbaren jüdiſchdeutſchen Jmprägnation und erſcheint gewiſſermaßen germaniſirter. Sie enthält vor- herrſchend rohe deutſche Volksausdrücke mit meiſtens verſcho- bener Bedeutung und auch einzelne Ausdrücke lebender europäi- ſcher Sprachen, beſonders aber auch rohe verdorbene Zigeuner- ausdrücke, welche durch die Gemeinſchaft der Soldaten mit den gleichfalls im Dreißigjährigen Kriege als Söldner und Kund- ſchafter verwendeten Zigeunern (vgl. Th. I, S. 31 und 72) in die Gaunerſprache Aufnahme gefunden hatten. Das Hildburg- hauſener Wörterbuch (1753) tritt dagegen ſchon wieder etwas mehr in die judendeutſche Färbung zurück, und das Wörterbuch des Konſtanzer Hans (1791) hat ſchon wieder ganz die alte Miſchung mit dem Judendeutſch, welche zum Theil ſogar noch ſtärker iſt als die des Liber vagatorum. Dieſe Reſtitution der gaunerſprachlichen Miſchung iſt lediglich die Folge des allmählichen Rücktritts des Soldatenthums vom Gaunerthum, zu welchem erſteres durch die glücklicher gelingende Kriegszucht gezwungen wurde. Dabei wird man aber durch die mit dem Waldheimer Wörterbuch gleichzeitig erſchienene Koburger Deſignation des jüdiſchen Baldobers mit ihren durchgehends jüdiſchdeutſchen Vo- cabeln belehrt, daß das jüdiſche Gaunerthum zu jener Zeit wahr- lich nicht die Hände in den Schos gelegt, ſondern den lebendigſten Antheil an der fortſchreitenden Bildung des Gaunerthums über- haupt gehabt hatte.
Wenn man nun den ſtarken Einfluß des Soldatenthums in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in der Gaunerſprache unverkennbar deutlich ſieht, ſo kann man auch wieder aus dem ſtärkern Zuſchlag des Judendeutſch ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die allmähliche Abkehr des Soldatenthums vom
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fluß. Die vier claſſiſchen Gaunerwörterbücher des 17. und 18.
Jahrhunderts geben ein intereſſantes Bild von jenem unmittel-
barſten Einfluß des Soldatenthums auf das Gaunerthum und
deſſen Sprache. Die Gaunerſprache iſt im Vocabular des An-
dreas Hempel und im Waldheimer Wörterbuch ſchon ſehr
ſtark emancipirt von der ſeit Gerold Edlibach und dem Liber
vagatorum ſichtlich bemerkbaren jüdiſchdeutſchen Jmprägnation
und erſcheint gewiſſermaßen germaniſirter. Sie enthält vor-
herrſchend rohe deutſche Volksausdrücke mit meiſtens verſcho-
bener Bedeutung und auch einzelne Ausdrücke lebender europäi-
ſcher Sprachen, beſonders aber auch rohe verdorbene Zigeuner-
ausdrücke, welche durch die Gemeinſchaft der Soldaten mit den
gleichfalls im Dreißigjährigen Kriege als Söldner und Kund-
ſchafter verwendeten Zigeunern (vgl. Th. I, S. 31 und 72) in
die Gaunerſprache Aufnahme gefunden hatten. Das Hildburg-
hauſener Wörterbuch (1753) tritt dagegen ſchon wieder etwas
mehr in die judendeutſche Färbung zurück, und das Wörterbuch
des Konſtanzer Hans (1791) hat ſchon wieder ganz die alte
Miſchung mit dem Judendeutſch, welche zum Theil ſogar noch
ſtärker iſt als die des Liber vagatorum. Dieſe Reſtitution der
gaunerſprachlichen Miſchung iſt lediglich die Folge des allmählichen
Rücktritts des Soldatenthums vom Gaunerthum, zu welchem
erſteres durch die glücklicher gelingende Kriegszucht gezwungen
wurde. Dabei wird man aber durch die mit dem Waldheimer
Wörterbuch gleichzeitig erſchienene Koburger Deſignation des
jüdiſchen Baldobers mit ihren durchgehends jüdiſchdeutſchen Vo-
cabeln belehrt, daß das jüdiſche Gaunerthum zu jener Zeit wahr-
lich nicht die Hände in den Schos gelegt, ſondern den lebendigſten
Antheil an der fortſchreitenden Bildung des Gaunerthums über-
haupt gehabt hatte.
Wenn man nun den ſtarken Einfluß des Soldatenthums
in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in der Gaunerſprache
unverkennbar deutlich ſieht, ſo kann man auch wieder aus dem
ſtärkern Zuſchlag des Judendeutſch ſeit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts die allmähliche Abkehr des Soldatenthums vom
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/158>, abgerufen am 04.05.2024.
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