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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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durch den affectirten Zuschlag einzelner gesuchter Ausdrücke aus
dem verwandten Englischen versetzt, jedoch niemals in ihrem ori-
ginellen Wesen verändert und umgestaltet werden konnte.

Ein wunderlicher, origineller und charakteristischer Zug des
Matrosenwesens ist es, daß der Matrose sein Schiff wie ein leben-
diges Wesen betrachtet, dessen Osteologie und Anatomie er genau
kennt und studirt und häufig in meistens sehr schön gearbeiteten
Modellen darstellt. Jeder Theil des Schiffs, jedes Kabel, jedes
Segel ist ein integrirender Theil des ganzen Körpers, und alles
wird correct, sauber und gefällig unterhalten und gepflegt, damit
das Schiff bei guter Gesundheit und Laune bleibe. 1) Ja selbst
die Bewegung des Schiffs hält der Matrose für eine selbständig

kanntlich schwere Lasten viel leichter trägt und durch seinen kräftigen Wellen-
schlag alle eitle Convenienz wegspült. Am Hafenkai bekommt der hochdeutsch
Fragende gewiß keine andere Antwort als ein verächtliches Stillschweigen und
Abwenden, während das Niederdeutsche unausbleiblich eine gefällige Antwort
erhält.
1) Auf Schiffen hat manches eine tiefere Bedeutung, als der erste Anblick
zeigt. Der Matrose, dessen Kleidung und Hände von Theer und Pech starren,
erhält sein Schiff auch ungeheißen pedantisch sauber und denkt bei dieser sani-
tätspolizeilichen Sonderbarkeit ernstlicher an die Gesundheit des Schiffs als an
seine eigene. Der Vorwurf der Unreinlichkeit ist auf Schiffen die unerhörteste
Beleidigung und das Werfen mit einem Kehrbesen eine tödliche Beschimpfung.
Vor einigen Jahren mußte ich eine Untersuchung gegen einen Schiffskapitän
führen, welcher im heftigsten Zorn mit der Flinte nach einem Matrosen eines
ihm auf dem Revier begegnenden Schiffs scharf geschossen hatte, weil dieser ihm
von seinem Backbord einen Besen zum Zeichen der Verhöhnung gegen das
Steuerbord geworfen hatte. Niemals fährt ein Fregattschiff, Barke, Brigg,
Schooner oder Galleas ohne Schiffszimmermann, der als eigenster Leibarzt
eine wichtige Rolle am Bord spielt und zunftzwangsmäßig gehalten ist, eine
Zeit lang zur See zu fahren, um seiner praktischen Arbeit auf der Werfte auch
noch die Erfahrung der eigensten Seefahrt, wie die einer ambulanten Klinik,
hinzuzufügen. Diese Schiffsgelehrsamkeit macht gerade aus den Schiffszimmer-
leuten die wunderlichsten Exemplare, welche man am Bord schon aus den steten
Zänkereien mit den ganz anders gebildeten Steuerleuten herauserkennt. Exem-
plare, wie Marryat sie in dem Schiffszimmermann Muddle in "Peter Simpel"
darstellt, sind keineswegs gemachte Erscheinungen Es gibt viele solcher Schiffs-
philosophen, welche man auf der Kauffahrermarine freilich nur durch specielle
Bekanntschaften entdecken kann.

durch den affectirten Zuſchlag einzelner geſuchter Ausdrücke aus
dem verwandten Engliſchen verſetzt, jedoch niemals in ihrem ori-
ginellen Weſen verändert und umgeſtaltet werden konnte.

Ein wunderlicher, origineller und charakteriſtiſcher Zug des
Matroſenweſens iſt es, daß der Matroſe ſein Schiff wie ein leben-
diges Weſen betrachtet, deſſen Oſteologie und Anatomie er genau
kennt und ſtudirt und häufig in meiſtens ſehr ſchön gearbeiteten
Modellen darſtellt. Jeder Theil des Schiffs, jedes Kabel, jedes
Segel iſt ein integrirender Theil des ganzen Körpers, und alles
wird correct, ſauber und gefällig unterhalten und gepflegt, damit
das Schiff bei guter Geſundheit und Laune bleibe. 1) Ja ſelbſt
die Bewegung des Schiffs hält der Matroſe für eine ſelbſtändig

kanntlich ſchwere Laſten viel leichter trägt und durch ſeinen kräftigen Wellen-
ſchlag alle eitle Convenienz wegſpült. Am Hafenkai bekommt der hochdeutſch
Fragende gewiß keine andere Antwort als ein verächtliches Stillſchweigen und
Abwenden, während das Niederdeutſche unausbleiblich eine gefällige Antwort
erhält.
1) Auf Schiffen hat manches eine tiefere Bedeutung, als der erſte Anblick
zeigt. Der Matroſe, deſſen Kleidung und Hände von Theer und Pech ſtarren,
erhält ſein Schiff auch ungeheißen pedantiſch ſauber und denkt bei dieſer ſani-
tätspolizeilichen Sonderbarkeit ernſtlicher an die Geſundheit des Schiffs als an
ſeine eigene. Der Vorwurf der Unreinlichkeit iſt auf Schiffen die unerhörteſte
Beleidigung und das Werfen mit einem Kehrbeſen eine tödliche Beſchimpfung.
Vor einigen Jahren mußte ich eine Unterſuchung gegen einen Schiffskapitän
führen, welcher im heftigſten Zorn mit der Flinte nach einem Matroſen eines
ihm auf dem Revier begegnenden Schiffs ſcharf geſchoſſen hatte, weil dieſer ihm
von ſeinem Backbord einen Beſen zum Zeichen der Verhöhnung gegen das
Steuerbord geworfen hatte. Niemals fährt ein Fregattſchiff, Barke, Brigg,
Schooner oder Galleas ohne Schiffszimmermann, der als eigenſter Leibarzt
eine wichtige Rolle am Bord ſpielt und zunftzwangsmäßig gehalten iſt, eine
Zeit lang zur See zu fahren, um ſeiner praktiſchen Arbeit auf der Werfte auch
noch die Erfahrung der eigenſten Seefahrt, wie die einer ambulanten Klinik,
hinzuzufügen. Dieſe Schiffsgelehrſamkeit macht gerade aus den Schiffszimmer-
leuten die wunderlichſten Exemplare, welche man am Bord ſchon aus den ſteten
Zänkereien mit den ganz anders gebildeten Steuerleuten herauserkennt. Exem-
plare, wie Marryat ſie in dem Schiffszimmermann Muddle in „Peter Simpel“
darſtellt, ſind keineswegs gemachte Erſcheinungen Es gibt viele ſolcher Schiffs-
philoſophen, welche man auf der Kauffahrermarine freilich nur durch ſpecielle
Bekanntſchaften entdecken kann.
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[110/0144] durch den affectirten Zuſchlag einzelner geſuchter Ausdrücke aus dem verwandten Engliſchen verſetzt, jedoch niemals in ihrem ori- ginellen Weſen verändert und umgeſtaltet werden konnte. Ein wunderlicher, origineller und charakteriſtiſcher Zug des Matroſenweſens iſt es, daß der Matroſe ſein Schiff wie ein leben- diges Weſen betrachtet, deſſen Oſteologie und Anatomie er genau kennt und ſtudirt und häufig in meiſtens ſehr ſchön gearbeiteten Modellen darſtellt. Jeder Theil des Schiffs, jedes Kabel, jedes Segel iſt ein integrirender Theil des ganzen Körpers, und alles wird correct, ſauber und gefällig unterhalten und gepflegt, damit das Schiff bei guter Geſundheit und Laune bleibe. 1) Ja ſelbſt die Bewegung des Schiffs hält der Matroſe für eine ſelbſtändig 1) 1) Auf Schiffen hat manches eine tiefere Bedeutung, als der erſte Anblick zeigt. Der Matroſe, deſſen Kleidung und Hände von Theer und Pech ſtarren, erhält ſein Schiff auch ungeheißen pedantiſch ſauber und denkt bei dieſer ſani- tätspolizeilichen Sonderbarkeit ernſtlicher an die Geſundheit des Schiffs als an ſeine eigene. Der Vorwurf der Unreinlichkeit iſt auf Schiffen die unerhörteſte Beleidigung und das Werfen mit einem Kehrbeſen eine tödliche Beſchimpfung. Vor einigen Jahren mußte ich eine Unterſuchung gegen einen Schiffskapitän führen, welcher im heftigſten Zorn mit der Flinte nach einem Matroſen eines ihm auf dem Revier begegnenden Schiffs ſcharf geſchoſſen hatte, weil dieſer ihm von ſeinem Backbord einen Beſen zum Zeichen der Verhöhnung gegen das Steuerbord geworfen hatte. Niemals fährt ein Fregattſchiff, Barke, Brigg, Schooner oder Galleas ohne Schiffszimmermann, der als eigenſter Leibarzt eine wichtige Rolle am Bord ſpielt und zunftzwangsmäßig gehalten iſt, eine Zeit lang zur See zu fahren, um ſeiner praktiſchen Arbeit auf der Werfte auch noch die Erfahrung der eigenſten Seefahrt, wie die einer ambulanten Klinik, hinzuzufügen. Dieſe Schiffsgelehrſamkeit macht gerade aus den Schiffszimmer- leuten die wunderlichſten Exemplare, welche man am Bord ſchon aus den ſteten Zänkereien mit den ganz anders gebildeten Steuerleuten herauserkennt. Exem- plare, wie Marryat ſie in dem Schiffszimmermann Muddle in „Peter Simpel“ darſtellt, ſind keineswegs gemachte Erſcheinungen Es gibt viele ſolcher Schiffs- philoſophen, welche man auf der Kauffahrermarine freilich nur durch ſpecielle Bekanntſchaften entdecken kann. 1) kanntlich ſchwere Laſten viel leichter trägt und durch ſeinen kräftigen Wellen- ſchlag alle eitle Convenienz wegſpült. Am Hafenkai bekommt der hochdeutſch Fragende gewiß keine andere Antwort als ein verächtliches Stillſchweigen und Abwenden, während das Niederdeutſche unausbleiblich eine gefällige Antwort erhält.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/144>, abgerufen am 24.11.2024.