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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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des immer niedergehaltenen und dadurch zur Auflehnung gereizten
Bauernstandes in Frankreich hatte denselben dort noch früher her-
abgewürdigt als in Deutschland, wo er erst durch die Bauern-
kriege aus der socialpolitischen Versumpfung aufstieg und flügge
wurde, um dann wieder als rohe Masse verachtet und gefürchtet
zu werden. Seit dieser Zeit und in diesem Sinne begann die
müßige Schriftstellerei in absichtlicher Verkennung des Bauern-
standes und seiner einfachen natürlichen Weise und Sprache eine
rohe und entstellte Sitte und Sprache darzustellen, welche sie
Bauernmoral und Bauernsprache, Tölpel-, Grobian- und
Flegelsprache nannte und in welche sie auch alle geistige und
sprachliche Unsitte des höhern socialpoli[fremdsprachliches Material]en Lebens hineinwarf.
Diese sittliche und sprachliche Verlogenheit wucherte so lange fort,
bis sogar erst durch das Uebermaß die Reue geweckt wurde und
die lang verleumdete Volksnatur trotz der harten Angriffe und
Schäden doch immer noch kräftig und frisch hindurchschlug und in
den endlich hervortretenden, immer zahlreicher anwachsenden Jdio-
tiken eine würdige und wahre Apologie erhielt und in neuester
Zeit in manchen vortrefflichen mundartigen Dichtungen, sowie in
den leider aber auch schon wieder durch zu übermäßiges Copiren
des originellen geistvollen B. Auerbach mannichfach manierirten
Dorfgeschichten eine eigenthümliche Literatur in Deutschland ge-
funden hat. Es ist kaum etwas Unwahreres, Unwürdigeres und

besonders das im 14. und 15. Jahrhundert im nördlichen Frankreich, vorzüg-
lich in Lothringen übliche und sogar bis ins Triersche und in die Wetterau
hineingedrungene Silence des grenouilles, das Fröschestillen, wonach die Bauern,
um das nächtliche Quaken der Frösche zu stillen, des Nachts mit Ruthen in
die Teiche, Sümpfe und Gräben schlagen mußten, wenn der Gebieter im Schlosse
schlief oder seine Hochzeitsnacht feierte, vielleicht auch das jus primae noctis
exercirte, wobei die Bauern singen mußten:
Pa, pa renotte, pa (paix grenouille),
Veci nostre seigneur (mr. l'abbe) que dieu ga (garde).

Das ließ sich auch der Abt von Luxeuil vorsingen, und erst Anfang des 16.
Jahrhunderts erließ der Herzog von Lothringen bei seiner Hochzeit mit Renata
von Bourbon in Gnaden den Bauern dieses empörende Epithalamium, welches
fürchterlicher in die Brautkammer und gen Himmel schrie als das Gequake der
Frösche. Vgl. Grimm, "Deutsche Rechtsalterthümer", S. 355 und 356.

des immer niedergehaltenen und dadurch zur Auflehnung gereizten
Bauernſtandes in Frankreich hatte denſelben dort noch früher her-
abgewürdigt als in Deutſchland, wo er erſt durch die Bauern-
kriege aus der ſocialpolitiſchen Verſumpfung aufſtieg und flügge
wurde, um dann wieder als rohe Maſſe verachtet und gefürchtet
zu werden. Seit dieſer Zeit und in dieſem Sinne begann die
müßige Schriftſtellerei in abſichtlicher Verkennung des Bauern-
ſtandes und ſeiner einfachen natürlichen Weiſe und Sprache eine
rohe und entſtellte Sitte und Sprache darzuſtellen, welche ſie
Bauernmoral und Bauernſprache, Tölpel-, Grobian- und
Flegelſprache nannte und in welche ſie auch alle geiſtige und
ſprachliche Unſitte des höhern ſocialpoli[fremdsprachliches Material]en Lebens hineinwarf.
Dieſe ſittliche und ſprachliche Verlogenheit wucherte ſo lange fort,
bis ſogar erſt durch das Uebermaß die Reue geweckt wurde und
die lang verleumdete Volksnatur trotz der harten Angriffe und
Schäden doch immer noch kräftig und friſch hindurchſchlug und in
den endlich hervortretenden, immer zahlreicher anwachſenden Jdio-
tiken eine würdige und wahre Apologie erhielt und in neueſter
Zeit in manchen vortrefflichen mundartigen Dichtungen, ſowie in
den leider aber auch ſchon wieder durch zu übermäßiges Copiren
des originellen geiſtvollen B. Auerbach mannichfach manierirten
Dorfgeſchichten eine eigenthümliche Literatur in Deutſchland ge-
funden hat. Es iſt kaum etwas Unwahreres, Unwürdigeres und

beſonders das im 14. und 15. Jahrhundert im nördlichen Frankreich, vorzüg-
lich in Lothringen übliche und ſogar bis ins Trierſche und in die Wetterau
hineingedrungene Silence des grenouilles, das Fröſcheſtillen, wonach die Bauern,
um das nächtliche Quaken der Fröſche zu ſtillen, des Nachts mit Ruthen in
die Teiche, Sümpfe und Gräben ſchlagen mußten, wenn der Gebieter im Schloſſe
ſchlief oder ſeine Hochzeitsnacht feierte, vielleicht auch das jus primae noctis
exercirte, wobei die Bauern ſingen mußten:
Pâ, pâ renotte, pâ (paix grenouille),
Veci nostre seigneur (mr. l’abbé) que dieu gâ (garde).

Das ließ ſich auch der Abt von Luxeuil vorſingen, und erſt Anfang des 16.
Jahrhunderts erließ der Herzog von Lothringen bei ſeiner Hochzeit mit Renata
von Bourbon in Gnaden den Bauern dieſes empörende Epithalamium, welches
fürchterlicher in die Brautkammer und gen Himmel ſchrie als das Gequake der
Fröſche. Vgl. Grimm, „Deutſche Rechtsalterthümer“, S. 355 und 356.
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[101/0135] des immer niedergehaltenen und dadurch zur Auflehnung gereizten Bauernſtandes in Frankreich hatte denſelben dort noch früher her- abgewürdigt als in Deutſchland, wo er erſt durch die Bauern- kriege aus der ſocialpolitiſchen Verſumpfung aufſtieg und flügge wurde, um dann wieder als rohe Maſſe verachtet und gefürchtet zu werden. Seit dieſer Zeit und in dieſem Sinne begann die müßige Schriftſtellerei in abſichtlicher Verkennung des Bauern- ſtandes und ſeiner einfachen natürlichen Weiſe und Sprache eine rohe und entſtellte Sitte und Sprache darzuſtellen, welche ſie Bauernmoral und Bauernſprache, Tölpel-, Grobian- und Flegelſprache nannte und in welche ſie auch alle geiſtige und ſprachliche Unſitte des höhern ſocialpoli_ en Lebens hineinwarf. Dieſe ſittliche und ſprachliche Verlogenheit wucherte ſo lange fort, bis ſogar erſt durch das Uebermaß die Reue geweckt wurde und die lang verleumdete Volksnatur trotz der harten Angriffe und Schäden doch immer noch kräftig und friſch hindurchſchlug und in den endlich hervortretenden, immer zahlreicher anwachſenden Jdio- tiken eine würdige und wahre Apologie erhielt und in neueſter Zeit in manchen vortrefflichen mundartigen Dichtungen, ſowie in den leider aber auch ſchon wieder durch zu übermäßiges Copiren des originellen geiſtvollen B. Auerbach mannichfach manierirten Dorfgeſchichten eine eigenthümliche Literatur in Deutſchland ge- funden hat. Es iſt kaum etwas Unwahreres, Unwürdigeres und 1) 1) beſonders das im 14. und 15. Jahrhundert im nördlichen Frankreich, vorzüg- lich in Lothringen übliche und ſogar bis ins Trierſche und in die Wetterau hineingedrungene Silence des grenouilles, das Fröſcheſtillen, wonach die Bauern, um das nächtliche Quaken der Fröſche zu ſtillen, des Nachts mit Ruthen in die Teiche, Sümpfe und Gräben ſchlagen mußten, wenn der Gebieter im Schloſſe ſchlief oder ſeine Hochzeitsnacht feierte, vielleicht auch das jus primae noctis exercirte, wobei die Bauern ſingen mußten: Pâ, pâ renotte, pâ (paix grenouille), Veci nostre seigneur (mr. l’abbé) que dieu gâ (garde). Das ließ ſich auch der Abt von Luxeuil vorſingen, und erſt Anfang des 16. Jahrhunderts erließ der Herzog von Lothringen bei ſeiner Hochzeit mit Renata von Bourbon in Gnaden den Bauern dieſes empörende Epithalamium, welches fürchterlicher in die Brautkammer und gen Himmel ſchrie als das Gequake der Fröſche. Vgl. Grimm, „Deutſche Rechtsalterthümer“, S. 355 und 356.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/135>, abgerufen am 25.11.2024.