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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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brach denn auch mit sprudelnder Fülle in deutschoriginellen oder
auch sprachgemischten Bezeichnungen und Redensarten aus, in
denen Laune bis zum Uebermuth, Witz, Jronie und Satire wie
Staubfäden in einem Blütenkelche dicht zusammenstehen und aus
dem Blütenkelche in reicher Geistigkeit und liebenswürdiger Ge-
müthlichkeit hervorschauen. Die Fülle dieser Ausdrücke gab schon
früh zu eigenen Wörterbüchern der Studentensprache Anlaß, in
denen jedoch meistens eine sehr ungeschickte Einmischung von Wör-
tern und Redensarten hervortritt, welche keineswegs specifisch aka-
demisch sind. Die Gemüthlichkeit und Wahrheit der Studenten-
ausdrücke beruht darin, daß sie nie gesucht, sondern immer gefun-
den sind und daß jedes Wort seinen historischen Anlaß hat. 1) Das

1) Wenn auch alle deutschen Universitäten ihr Contingent zur Studenten-
sprache geliefert haben, so darf doch vor allen das jedem Studenten unvergeß-
liche Jena mit seiner alten Freiheit und immer jugendlichen Frische als Parnaß
der Studentensprache gelten. Statt vieler hier nur ein Beispiel aus des alten
"Kristian Frantz Paullini Zeit-kürzende Erbauliche Lust" (Frankfurt a. M.
1693), S. 179, Nr. 67: "Die Hoheschul Jena hat manches Sprichwort in die
Welt gepflantzt, davon ich vor dißmal nur drey (damit alle gute Dinge gut
sind) anführen will, und zwar erstlich von den Schul-Füchsen. Es war ein
frommgelehrter Mann, der mehr im Gehirn hatte, als ihm eben vorn an der
Pfann herausguckte, dabey aber ein blödes Thier, so immer sorgte, der Him-
mel möchte bersten und ihm auf die Platte fallen. Dieser stieg aus dem Schul-
staube zur Würde eines Jenischen Professors. Nun trug dieser schlecht und
recht einen Mantel mit Fuchsbälgen gefuttert, damit wanderte er nach dem Ka-
theder. Die Studenten, so dergleichen Habits nicht gewohnt waren, sonst auch
des guten Mannes Witz und Verstand nur nach dem äusserlichen Schein ab-
massen, und ihn also nicht für voll achteten, gaben ihm den Namen eines Schul-
suchses. Welches Wort durch gantz Teutschland ausgestreuet, wiewohl der
zehende kaum den eigentlichen Ursprung weiß. Ferner von den Zweibeinichten
Haasen. Als im Anfang vorbelobter Hohenschul D. Erhard Schimpff, ein
wolberedter Mann, auf der Cantzel die Histori von Elisaeo und seinem Diener
Gehasi (vgl. 2. Kön. 4, 12), deren jener den Naemann vom Außsatz errettet,
dieser aber, hinter des Propheten wissen und befehl, Geld von ihm genom-
men hatte, dem Volck erklärte, und unter anderm fragte: Solten auch wohl
unter uns noch solche Gehasi seyn, die nemlich einen schnöden Provit mehr
achten als Gott und ihr Gewissen? Ach ja, sprach er, gar viele! Jch bin ein
Gehasi! Du, Er, Wir sind alle schier Gehasi. Welche er etlichmal (sich etwas
lang in dieser Materi verweilende) wiederholte. Da waren flugs etliche Bürsch-

brach denn auch mit ſprudelnder Fülle in deutſchoriginellen oder
auch ſprachgemiſchten Bezeichnungen und Redensarten aus, in
denen Laune bis zum Uebermuth, Witz, Jronie und Satire wie
Staubfäden in einem Blütenkelche dicht zuſammenſtehen und aus
dem Blütenkelche in reicher Geiſtigkeit und liebenswürdiger Ge-
müthlichkeit hervorſchauen. Die Fülle dieſer Ausdrücke gab ſchon
früh zu eigenen Wörterbüchern der Studentenſprache Anlaß, in
denen jedoch meiſtens eine ſehr ungeſchickte Einmiſchung von Wör-
tern und Redensarten hervortritt, welche keineswegs ſpecifiſch aka-
demiſch ſind. Die Gemüthlichkeit und Wahrheit der Studenten-
ausdrücke beruht darin, daß ſie nie geſucht, ſondern immer gefun-
den ſind und daß jedes Wort ſeinen hiſtoriſchen Anlaß hat. 1) Das

1) Wenn auch alle deutſchen Univerſitäten ihr Contingent zur Studenten-
ſprache geliefert haben, ſo darf doch vor allen das jedem Studenten unvergeß-
liche Jena mit ſeiner alten Freiheit und immer jugendlichen Friſche als Parnaß
der Studentenſprache gelten. Statt vieler hier nur ein Beiſpiel aus des alten
„Kriſtian Frantz Paullini Zeit-kürzende Erbauliche Luſt“ (Frankfurt a. M.
1693), S. 179, Nr. 67: „Die Hoheſchul Jena hat manches Sprichwort in die
Welt gepflantzt, davon ich vor dißmal nur drey (damit alle gute Dinge gut
ſind) anführen will, und zwar erſtlich von den Schul-Füchſen. Es war ein
frommgelehrter Mann, der mehr im Gehirn hatte, als ihm eben vorn an der
Pfann herausguckte, dabey aber ein blödes Thier, ſo immer ſorgte, der Him-
mel möchte berſten und ihm auf die Platte fallen. Dieſer ſtieg aus dem Schul-
ſtaube zur Würde eines Jeniſchen Profeſſors. Nun trug dieſer ſchlecht und
recht einen Mantel mit Fuchsbälgen gefuttert, damit wanderte er nach dem Ka-
theder. Die Studenten, ſo dergleichen Habits nicht gewohnt waren, ſonſt auch
des guten Mannes Witz und Verſtand nur nach dem äuſſerlichen Schein ab-
maſſen, und ihn alſo nicht für voll achteten, gaben ihm den Namen eines Schul-
ſuchſes. Welches Wort durch gantz Teutſchland ausgeſtreuet, wiewohl der
zehende kaum den eigentlichen Urſprung weiß. Ferner von den Zweibeinichten
Haaſen. Als im Anfang vorbelobter Hohenſchul D. Erhard Schimpff, ein
wolberedter Mann, auf der Cantzel die Hiſtori von Elisaeo und ſeinem Diener
Gehaſi (vgl. 2. Kön. 4, 12), deren jener den Naemann vom Außſatz errettet,
dieſer aber, hinter des Propheten wiſſen und befehl, Geld von ihm genom-
men hatte, dem Volck erklärte, und unter anderm fragte: Solten auch wohl
unter uns noch ſolche Gehaſi ſeyn, die nemlich einen ſchnöden Provit mehr
achten als Gott und ihr Gewiſſen? Ach ja, ſprach er, gar viele! Jch bin ein
Gehaſi! Du, Er, Wir ſind alle ſchier Gehaſi. Welche er etlichmal (ſich etwas
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[94/0128] brach denn auch mit ſprudelnder Fülle in deutſchoriginellen oder auch ſprachgemiſchten Bezeichnungen und Redensarten aus, in denen Laune bis zum Uebermuth, Witz, Jronie und Satire wie Staubfäden in einem Blütenkelche dicht zuſammenſtehen und aus dem Blütenkelche in reicher Geiſtigkeit und liebenswürdiger Ge- müthlichkeit hervorſchauen. Die Fülle dieſer Ausdrücke gab ſchon früh zu eigenen Wörterbüchern der Studentenſprache Anlaß, in denen jedoch meiſtens eine ſehr ungeſchickte Einmiſchung von Wör- tern und Redensarten hervortritt, welche keineswegs ſpecifiſch aka- demiſch ſind. Die Gemüthlichkeit und Wahrheit der Studenten- ausdrücke beruht darin, daß ſie nie geſucht, ſondern immer gefun- den ſind und daß jedes Wort ſeinen hiſtoriſchen Anlaß hat. 1) Das 1) Wenn auch alle deutſchen Univerſitäten ihr Contingent zur Studenten- ſprache geliefert haben, ſo darf doch vor allen das jedem Studenten unvergeß- liche Jena mit ſeiner alten Freiheit und immer jugendlichen Friſche als Parnaß der Studentenſprache gelten. Statt vieler hier nur ein Beiſpiel aus des alten „Kriſtian Frantz Paullini Zeit-kürzende Erbauliche Luſt“ (Frankfurt a. M. 1693), S. 179, Nr. 67: „Die Hoheſchul Jena hat manches Sprichwort in die Welt gepflantzt, davon ich vor dißmal nur drey (damit alle gute Dinge gut ſind) anführen will, und zwar erſtlich von den Schul-Füchſen. Es war ein frommgelehrter Mann, der mehr im Gehirn hatte, als ihm eben vorn an der Pfann herausguckte, dabey aber ein blödes Thier, ſo immer ſorgte, der Him- mel möchte berſten und ihm auf die Platte fallen. Dieſer ſtieg aus dem Schul- ſtaube zur Würde eines Jeniſchen Profeſſors. Nun trug dieſer ſchlecht und recht einen Mantel mit Fuchsbälgen gefuttert, damit wanderte er nach dem Ka- theder. Die Studenten, ſo dergleichen Habits nicht gewohnt waren, ſonſt auch des guten Mannes Witz und Verſtand nur nach dem äuſſerlichen Schein ab- maſſen, und ihn alſo nicht für voll achteten, gaben ihm den Namen eines Schul- ſuchſes. Welches Wort durch gantz Teutſchland ausgeſtreuet, wiewohl der zehende kaum den eigentlichen Urſprung weiß. Ferner von den Zweibeinichten Haaſen. Als im Anfang vorbelobter Hohenſchul D. Erhard Schimpff, ein wolberedter Mann, auf der Cantzel die Hiſtori von Elisaeo und ſeinem Diener Gehaſi (vgl. 2. Kön. 4, 12), deren jener den Naemann vom Außſatz errettet, dieſer aber, hinter des Propheten wiſſen und befehl, Geld von ihm genom- men hatte, dem Volck erklärte, und unter anderm fragte: Solten auch wohl unter uns noch ſolche Gehaſi ſeyn, die nemlich einen ſchnöden Provit mehr achten als Gott und ihr Gewiſſen? Ach ja, ſprach er, gar viele! Jch bin ein Gehaſi! Du, Er, Wir ſind alle ſchier Gehaſi. Welche er etlichmal (ſich etwas lang in dieſer Materi verweilende) wiederholte. Da waren flugs etliche Bürſch-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/128>, abgerufen am 22.11.2024.