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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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und die deutsche Sprache, namentlich in der Volkspoesie, einen
festern sprachlichen Rechtsboden gewann. 1)



Zweiundzwanzigstes Kapitel.
a) Die Sprache des Ritterthums und der Courtoisie.

Erst mit dem Anschluß des Meistergesangs an die Bildung
der Ritter und Fürsten zeigt sich deutlich die Verunstaltung der
deutschen Sprache durch Einmischung fremder Wörter, welche
Jahrhunderte hindurch die deutsche Sprache verunzieren sollten.
Das Ritterthum, welches sich seit dem Schlusse des 11. Jahrhun-
derts kräftig entwickelt hatte, gewann im Waffendienste, im Auf-
suchen von Abenteuern und Gefahren seinen höchsten Glanz und
in den Kreuzzügen seine höchste Poesie. Das Ritterthum war
ein einziger großer europäischer Staat, welcher in ritterlich-religiö-
ser Begeisterung die europäischen Länder wie seine Provinzen in
sich vereinigte. Seine Poesie bildete sich, wie im Gegensatz zur
alten Volkspoesie, zur Kunstpoesie aus, welche in Geist und Form
nach einer höhern, dem Glanze des Ritterthums und Fürstenthums
scheinbar mehr entsprechenden Stufe strebte. 2) Die erzählende

1) Vgl. J. W. Schäfer, "Grundriß der Geschichte der deutschen Literatur"
(Bremen 1858), S. 15, und Vilmar, "Geschichte der deutschen Nationallitera-
tur" (Marburg 1860), S. 144 fg.
2) Von großer Wichtigkeit für die Kenntniß und Geschichte der alten fran-
zösischen Poesie ist das von Le Grand d'Aussy herausgegebene Werk: "Fabliaux
ou Contes du XII et XIII siecle, traduits et extraits d'apres divers ma-
nuscrits du temps; avec des notes historiques et critiques, et les imita-
tions qui ont ete faites de ces contes depuis leur origine jusqu'a nos
jours
" (3 Thle., Paris 1779), welches, wenn es auch schon unter dem Titel:
"Erzählungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert mit historischen und kritischen
Anmerkungen" (5 Bde., Halle und Leipzig 1795--98), in das Deutsche über-
setzt und von dem (unbekannten) tüchtigen Uebersetzer mit sehr bedeutenden
gründlichen Anmerkungen bereichert wurde, dennoch weniger Beachtung gefunden
hat, als doch das sehr tüchtige und anziehende Werk in hohem Grade, auch in
Bezug auf unsere deutsche Nationalliteratur, verdient.

und die deutſche Sprache, namentlich in der Volkspoeſie, einen
feſtern ſprachlichen Rechtsboden gewann. 1)



Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
a) Die Sprache des Ritterthums und der Courtoiſie.

Erſt mit dem Anſchluß des Meiſtergeſangs an die Bildung
der Ritter und Fürſten zeigt ſich deutlich die Verunſtaltung der
deutſchen Sprache durch Einmiſchung fremder Wörter, welche
Jahrhunderte hindurch die deutſche Sprache verunzieren ſollten.
Das Ritterthum, welches ſich ſeit dem Schluſſe des 11. Jahrhun-
derts kräftig entwickelt hatte, gewann im Waffendienſte, im Auf-
ſuchen von Abenteuern und Gefahren ſeinen höchſten Glanz und
in den Kreuzzügen ſeine höchſte Poeſie. Das Ritterthum war
ein einziger großer europäiſcher Staat, welcher in ritterlich-religiö-
ſer Begeiſterung die europäiſchen Länder wie ſeine Provinzen in
ſich vereinigte. Seine Poeſie bildete ſich, wie im Gegenſatz zur
alten Volkspoeſie, zur Kunſtpoeſie aus, welche in Geiſt und Form
nach einer höhern, dem Glanze des Ritterthums und Fürſtenthums
ſcheinbar mehr entſprechenden Stufe ſtrebte. 2) Die erzählende

1) Vgl. J. W. Schäfer, „Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur“
(Bremen 1858), S. 15, und Vilmar, „Geſchichte der deutſchen Nationallitera-
tur“ (Marburg 1860), S. 144 fg.
2) Von großer Wichtigkeit für die Kenntniß und Geſchichte der alten fran-
zöſiſchen Poeſie iſt das von Le Grand d’Auſſy herausgegebene Werk: „Fabliaux
ou Contes du XII et XIII siècle, traduits et extraits d’après divers ma-
nuscrits du temps; avec des notes historiques et critiques, et les imita-
tions qui ont été faites de ces contes depuis leur origine jusqu’à nos
jours
“ (3 Thle., Paris 1779), welches, wenn es auch ſchon unter dem Titel:
„Erzählungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert mit hiſtoriſchen und kritiſchen
Anmerkungen“ (5 Bde., Halle und Leipzig 1795—98), in das Deutſche über-
ſetzt und von dem (unbekannten) tüchtigen Ueberſetzer mit ſehr bedeutenden
gründlichen Anmerkungen bereichert wurde, dennoch weniger Beachtung gefunden
hat, als doch das ſehr tüchtige und anziehende Werk in hohem Grade, auch in
Bezug auf unſere deutſche Nationalliteratur, verdient.
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[68/0102] und die deutſche Sprache, namentlich in der Volkspoeſie, einen feſtern ſprachlichen Rechtsboden gewann. 1) Zweiundzwanzigſtes Kapitel. a) Die Sprache des Ritterthums und der Courtoiſie. Erſt mit dem Anſchluß des Meiſtergeſangs an die Bildung der Ritter und Fürſten zeigt ſich deutlich die Verunſtaltung der deutſchen Sprache durch Einmiſchung fremder Wörter, welche Jahrhunderte hindurch die deutſche Sprache verunzieren ſollten. Das Ritterthum, welches ſich ſeit dem Schluſſe des 11. Jahrhun- derts kräftig entwickelt hatte, gewann im Waffendienſte, im Auf- ſuchen von Abenteuern und Gefahren ſeinen höchſten Glanz und in den Kreuzzügen ſeine höchſte Poeſie. Das Ritterthum war ein einziger großer europäiſcher Staat, welcher in ritterlich-religiö- ſer Begeiſterung die europäiſchen Länder wie ſeine Provinzen in ſich vereinigte. Seine Poeſie bildete ſich, wie im Gegenſatz zur alten Volkspoeſie, zur Kunſtpoeſie aus, welche in Geiſt und Form nach einer höhern, dem Glanze des Ritterthums und Fürſtenthums ſcheinbar mehr entſprechenden Stufe ſtrebte. 2) Die erzählende 1) Vgl. J. W. Schäfer, „Grundriß der Geſchichte der deutſchen Literatur“ (Bremen 1858), S. 15, und Vilmar, „Geſchichte der deutſchen Nationallitera- tur“ (Marburg 1860), S. 144 fg. 2) Von großer Wichtigkeit für die Kenntniß und Geſchichte der alten fran- zöſiſchen Poeſie iſt das von Le Grand d’Auſſy herausgegebene Werk: „Fabliaux ou Contes du XII et XIII siècle, traduits et extraits d’après divers ma- nuscrits du temps; avec des notes historiques et critiques, et les imita- tions qui ont été faites de ces contes depuis leur origine jusqu’à nos jours“ (3 Thle., Paris 1779), welches, wenn es auch ſchon unter dem Titel: „Erzählungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert mit hiſtoriſchen und kritiſchen Anmerkungen“ (5 Bde., Halle und Leipzig 1795—98), in das Deutſche über- ſetzt und von dem (unbekannten) tüchtigen Ueberſetzer mit ſehr bedeutenden gründlichen Anmerkungen bereichert wurde, dennoch weniger Beachtung gefunden hat, als doch das ſehr tüchtige und anziehende Werk in hohem Grade, auch in Bezug auf unſere deutſche Nationalliteratur, verdient.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/102>, abgerufen am 23.11.2024.