Einhundertundzweites Kapitel. h)Die Verständigung der Polizei mit dem Bürger- thum.
Man muß aufrichtig und unverhohlen sich der Schwächen der Polizei als Ursache bewußt werden, wenn man die ersichtliche Unfruchtbarkeit ihres angestrengten Eifers überhaupt als Folge einer Ursache begreifen will. Jener der Polizei widerstrebende dichte Abschluß des bürgerlichen Lebens, in dessen unzählige For- men das aus dem offenen Räuberthum geflüchtete Gaunerthum mit sicherm Blick und feinem Geschick überall hineinzuschlüpfen gewußt hat, ist die Folge der durch die theilweise Aufdrängung und Adoption des französischen Polizeisystems mehr und mehr veranlaßten Abweichung von dem volksthümlichen, volkslebendigen ordnungssinnigen Charakter, welcher der deutschen Polizei zu Grunde liegt, und sogar schon in der germanischen Gauverfassung zu erkennen, auch besonders in den gemeinheitlichen Einrichtungen und Statuten der Freien Städte zum hellen Ausdruck gekommen ist. Jn jenen vielfachen städtischen Einrichtungen sieht man überall, wie der Bürger unmittelbar selbst thätigen Antheil nahm an der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, welche Theil- nahme ihm sogar zur bürgerlichen Pflicht gemacht wurde. Von solchen bürgerlichen Officien sind in den Freien Städten noch jetzt manche Ehrenämter vorhanden, wie z. B. in Lübeck die schon er- wähnten bewährten bürgerlichen Ehrenämter der Feuergreven, Medebürger und eine Menge Ehrendeputationen zu den verschie- densten Verwaltungszweigen. So sehr war die überall früh zum Vorschein kommende Polizei die unmittelbar aus dem Bürger- thum hervorgegangene, von ihm erstrebte, beschützte und geförderte Ordnung des social-politischen Lebens selbst, und so wenig ein abstracter, rationell angesehener und behandelter Verwaltungszweig, daß das mittelalterliche Formenwesen und der Scholasticismus, welcher alles, was Wissenschaft, Kunst, Gewerbe oder Officium war, in mehr oder minder starre zünftische Formen und Klassifi-
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 24
Einhundertundzweites Kapitel. h)Die Verſtändigung der Polizei mit dem Bürger- thum.
Man muß aufrichtig und unverhohlen ſich der Schwächen der Polizei als Urſache bewußt werden, wenn man die erſichtliche Unfruchtbarkeit ihres angeſtrengten Eifers überhaupt als Folge einer Urſache begreifen will. Jener der Polizei widerſtrebende dichte Abſchluß des bürgerlichen Lebens, in deſſen unzählige For- men das aus dem offenen Räuberthum geflüchtete Gaunerthum mit ſicherm Blick und feinem Geſchick überall hineinzuſchlüpfen gewußt hat, iſt die Folge der durch die theilweiſe Aufdrängung und Adoption des franzöſiſchen Polizeiſyſtems mehr und mehr veranlaßten Abweichung von dem volksthümlichen, volkslebendigen ordnungsſinnigen Charakter, welcher der deutſchen Polizei zu Grunde liegt, und ſogar ſchon in der germaniſchen Gauverfaſſung zu erkennen, auch beſonders in den gemeinheitlichen Einrichtungen und Statuten der Freien Städte zum hellen Ausdruck gekommen iſt. Jn jenen vielfachen ſtädtiſchen Einrichtungen ſieht man überall, wie der Bürger unmittelbar ſelbſt thätigen Antheil nahm an der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, welche Theil- nahme ihm ſogar zur bürgerlichen Pflicht gemacht wurde. Von ſolchen bürgerlichen Officien ſind in den Freien Städten noch jetzt manche Ehrenämter vorhanden, wie z. B. in Lübeck die ſchon er- wähnten bewährten bürgerlichen Ehrenämter der Feuergreven, Medebürger und eine Menge Ehrendeputationen zu den verſchie- denſten Verwaltungszweigen. So ſehr war die überall früh zum Vorſchein kommende Polizei die unmittelbar aus dem Bürger- thum hervorgegangene, von ihm erſtrebte, beſchützte und geförderte Ordnung des ſocial-politiſchen Lebens ſelbſt, und ſo wenig ein abſtracter, rationell angeſehener und behandelter Verwaltungszweig, daß das mittelalterliche Formenweſen und der Scholaſticismus, welcher alles, was Wiſſenſchaft, Kunſt, Gewerbe oder Officium war, in mehr oder minder ſtarre zünftiſche Formen und Klaſſifi-
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 24
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Einhundertundzweites Kapitel.
h) Die Verſtändigung der Polizei mit dem Bürger-
thum.
Man muß aufrichtig und unverhohlen ſich der Schwächen
der Polizei als Urſache bewußt werden, wenn man die erſichtliche
Unfruchtbarkeit ihres angeſtrengten Eifers überhaupt als Folge
einer Urſache begreifen will. Jener der Polizei widerſtrebende
dichte Abſchluß des bürgerlichen Lebens, in deſſen unzählige For-
men das aus dem offenen Räuberthum geflüchtete Gaunerthum
mit ſicherm Blick und feinem Geſchick überall hineinzuſchlüpfen
gewußt hat, iſt die Folge der durch die theilweiſe Aufdrängung
und Adoption des franzöſiſchen Polizeiſyſtems mehr und mehr
veranlaßten Abweichung von dem volksthümlichen, volkslebendigen
ordnungsſinnigen Charakter, welcher der deutſchen Polizei zu
Grunde liegt, und ſogar ſchon in der germaniſchen Gauverfaſſung
zu erkennen, auch beſonders in den gemeinheitlichen Einrichtungen
und Statuten der Freien Städte zum hellen Ausdruck gekommen
iſt. Jn jenen vielfachen ſtädtiſchen Einrichtungen ſieht man
überall, wie der Bürger unmittelbar ſelbſt thätigen Antheil nahm
an der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, welche Theil-
nahme ihm ſogar zur bürgerlichen Pflicht gemacht wurde. Von
ſolchen bürgerlichen Officien ſind in den Freien Städten noch jetzt
manche Ehrenämter vorhanden, wie z. B. in Lübeck die ſchon er-
wähnten bewährten bürgerlichen Ehrenämter der Feuergreven,
Medebürger und eine Menge Ehrendeputationen zu den verſchie-
denſten Verwaltungszweigen. So ſehr war die überall früh zum
Vorſchein kommende Polizei die unmittelbar aus dem Bürger-
thum hervorgegangene, von ihm erſtrebte, beſchützte und geförderte
Ordnung des ſocial-politiſchen Lebens ſelbſt, und ſo wenig ein
abſtracter, rationell angeſehener und behandelter Verwaltungszweig,
daß das mittelalterliche Formenweſen und der Scholaſticismus,
welcher alles, was Wiſſenſchaft, Kunſt, Gewerbe oder Officium
war, in mehr oder minder ſtarre zünftiſche Formen und Klaſſifi-
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 24
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/381>, abgerufen am 25.11.2024.
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