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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Elend auch in seiner Wiege und Schule aufzusuchen, wird Bilder
gefunden haben, bei deren Anblick er den physischen Tod als den
glücklichsten Wechsel menschlichen Elends 1) preisen lernen mußte.

Die Prostitution in den Pennen beschränkt sich aber nicht
auf die Chessen allein, welche "die Spiesse mahane sind", sie hat
auch ihren gefährlichen Auslauf aus den Pennen direct in die
bürgerliche Gesellschaft, wo sie durch Betrug und körperliche An-
steckung eine in der That grauenhafte Verwüstung anrichtet. Die
Dappelschicksen suchen besonders junge Leute auf abendlichen Gängen
in die abgelegene Behausung platter Leute zu locken und sich im gehei-
men Versteck preiszugeben, wobei, wenn nicht ein Taschendiebstahl
ausgeführt wird, doch der Jnhaber des Absteigequartiers oder der
erste beste Beischläfer der Dappelschickse als beleidigter Ehemann
auftritt, dem überraschten Gefangenen eine Geldbuße auflegt und
ihn, oft unter schweren Mishandlungen, ausplündert. 2) Nur
selten hat ein in solcher Weise gemishandelter und beraubter
junger Mensch Erinnerung und Muth genug, That, Thäter und
Behausung nachzuweisen. Kann man auch solche geheime Räube-
reien als vereinzelt und nur vom jedesmaligen Gelingen abhängig

1) Jn Hogarth's "Harlot's progress" und "Industry and Idleness"
liegt große Wahrheit. Aber Bild und Erzählung ist durch Ton und Wort
hier doch schon Schmuck um die graufige Wahrheit, welcher diese mehr ver-
hüllt, als sie in ihrer dürren Furchtbarkeit darstellt. Wer sich in die Höhlen
einer Weltstadt gewagt hat, in die er nur mit starkem Geleite hinabzusteigen
unternehmen konnte; wo alles in ihm beleidigt und herabgedrückt wird, was
Sinn und Empfindung auffassen kann: der muß, wenn er mit zersetztem Athem,
halb bewußtlos, von Ungeziefer bedeckt, wieder in die frische Nachtluft hinauf-
steigt und den Blick zurückwirft, muthlos mit dem Dichter ausrufen: "Laß alle
Hoffnung hinter dir!"
2) So ist mir eine Person vorgekommen, deren Beischläfer regelmäßig
als beleidigter Ehemann mit dem Beile in der Hand wüthend das Rendezvons
unterbrach, und mit seiner Concubine eine ziemliche Zeit von solcher Ausplün-
derung junger Leute lebte, ehe diese Jndustrie ruchtbar ward. Die Entdeckung
wird aber um so schwieriger, da namentlich in größern Städten manche wirk-
lich copulirte
Eheleute gemeinsam diese Jndustrie betreiben, und den
Betrogenen noch obendrein mit einer Denunciation wegen Ehebruchs oder gar
wegen Gewalt bedrohen.

Elend auch in ſeiner Wiege und Schule aufzuſuchen, wird Bilder
gefunden haben, bei deren Anblick er den phyſiſchen Tod als den
glücklichſten Wechſel menſchlichen Elends 1) preiſen lernen mußte.

Die Proſtitution in den Pennen beſchränkt ſich aber nicht
auf die Cheſſen allein, welche „die Spieſſe mahane ſind“, ſie hat
auch ihren gefährlichen Auslauf aus den Pennen direct in die
bürgerliche Geſellſchaft, wo ſie durch Betrug und körperliche An-
ſteckung eine in der That grauenhafte Verwüſtung anrichtet. Die
Dappelſchickſen ſuchen beſonders junge Leute auf abendlichen Gängen
in die abgelegene Behauſung platter Leute zu locken und ſich im gehei-
men Verſteck preiszugeben, wobei, wenn nicht ein Taſchendiebſtahl
ausgeführt wird, doch der Jnhaber des Abſteigequartiers oder der
erſte beſte Beiſchläfer der Dappelſchickſe als beleidigter Ehemann
auftritt, dem überraſchten Gefangenen eine Geldbuße auflegt und
ihn, oft unter ſchweren Mishandlungen, ausplündert. 2) Nur
ſelten hat ein in ſolcher Weiſe gemishandelter und beraubter
junger Menſch Erinnerung und Muth genug, That, Thäter und
Behauſung nachzuweiſen. Kann man auch ſolche geheime Räube-
reien als vereinzelt und nur vom jedesmaligen Gelingen abhängig

1) Jn Hogarth’s „Harlot’s progress“ und „Industry and Idleness
liegt große Wahrheit. Aber Bild und Erzählung iſt durch Ton und Wort
hier doch ſchon Schmuck um die graufige Wahrheit, welcher dieſe mehr ver-
hüllt, als ſie in ihrer dürren Furchtbarkeit darſtellt. Wer ſich in die Höhlen
einer Weltſtadt gewagt hat, in die er nur mit ſtarkem Geleite hinabzuſteigen
unternehmen konnte; wo alles in ihm beleidigt und herabgedrückt wird, was
Sinn und Empfindung auffaſſen kann: der muß, wenn er mit zerſetztem Athem,
halb bewußtlos, von Ungeziefer bedeckt, wieder in die friſche Nachtluft hinauf-
ſteigt und den Blick zurückwirft, muthlos mit dem Dichter ausrufen: „Laß alle
Hoffnung hinter dir!“
2) So iſt mir eine Perſon vorgekommen, deren Beiſchläfer regelmäßig
als beleidigter Ehemann mit dem Beile in der Hand wüthend das Rendezvons
unterbrach, und mit ſeiner Concubine eine ziemliche Zeit von ſolcher Ausplün-
derung junger Leute lebte, ehe dieſe Jnduſtrie ruchtbar ward. Die Entdeckung
wird aber um ſo ſchwieriger, da namentlich in größern Städten manche wirk-
lich copulirte
Eheleute gemeinſam dieſe Jnduſtrie betreiben, und den
Betrogenen noch obendrein mit einer Denunciation wegen Ehebruchs oder gar
wegen Gewalt bedrohen.
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[333/0345] Elend auch in ſeiner Wiege und Schule aufzuſuchen, wird Bilder gefunden haben, bei deren Anblick er den phyſiſchen Tod als den glücklichſten Wechſel menſchlichen Elends 1) preiſen lernen mußte. Die Proſtitution in den Pennen beſchränkt ſich aber nicht auf die Cheſſen allein, welche „die Spieſſe mahane ſind“, ſie hat auch ihren gefährlichen Auslauf aus den Pennen direct in die bürgerliche Geſellſchaft, wo ſie durch Betrug und körperliche An- ſteckung eine in der That grauenhafte Verwüſtung anrichtet. Die Dappelſchickſen ſuchen beſonders junge Leute auf abendlichen Gängen in die abgelegene Behauſung platter Leute zu locken und ſich im gehei- men Verſteck preiszugeben, wobei, wenn nicht ein Taſchendiebſtahl ausgeführt wird, doch der Jnhaber des Abſteigequartiers oder der erſte beſte Beiſchläfer der Dappelſchickſe als beleidigter Ehemann auftritt, dem überraſchten Gefangenen eine Geldbuße auflegt und ihn, oft unter ſchweren Mishandlungen, ausplündert. 2) Nur ſelten hat ein in ſolcher Weiſe gemishandelter und beraubter junger Menſch Erinnerung und Muth genug, That, Thäter und Behauſung nachzuweiſen. Kann man auch ſolche geheime Räube- reien als vereinzelt und nur vom jedesmaligen Gelingen abhängig 1) Jn Hogarth’s „Harlot’s progress“ und „Industry and Idleness“ liegt große Wahrheit. Aber Bild und Erzählung iſt durch Ton und Wort hier doch ſchon Schmuck um die graufige Wahrheit, welcher dieſe mehr ver- hüllt, als ſie in ihrer dürren Furchtbarkeit darſtellt. Wer ſich in die Höhlen einer Weltſtadt gewagt hat, in die er nur mit ſtarkem Geleite hinabzuſteigen unternehmen konnte; wo alles in ihm beleidigt und herabgedrückt wird, was Sinn und Empfindung auffaſſen kann: der muß, wenn er mit zerſetztem Athem, halb bewußtlos, von Ungeziefer bedeckt, wieder in die friſche Nachtluft hinauf- ſteigt und den Blick zurückwirft, muthlos mit dem Dichter ausrufen: „Laß alle Hoffnung hinter dir!“ 2) So iſt mir eine Perſon vorgekommen, deren Beiſchläfer regelmäßig als beleidigter Ehemann mit dem Beile in der Hand wüthend das Rendezvons unterbrach, und mit ſeiner Concubine eine ziemliche Zeit von ſolcher Ausplün- derung junger Leute lebte, ehe dieſe Jnduſtrie ruchtbar ward. Die Entdeckung wird aber um ſo ſchwieriger, da namentlich in größern Städten manche wirk- lich copulirte Eheleute gemeinſam dieſe Jnduſtrie betreiben, und den Betrogenen noch obendrein mit einer Denunciation wegen Ehebruchs oder gar wegen Gewalt bedrohen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/345>, abgerufen am 25.11.2024.