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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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sondern zumeist solche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit
gibt, eine Menge verschiedenartiger Handschriften zu sehen und zu
studiren, also Kupferstecher, Steindrucker, Copisten, Comptoiristen,
Registratoren u. dgl. Dabei ist die eigene Handschrift des Flep-
penmelochners selten schön, meistens aber von eigenthümlichem,
wenn auch sehr verschiedenem Ausdrucke, wie man ja denn über-
haupt in der Mehrzahl von Handschriften bei weitem eher Geist
und Charakter, als Schönheit findet. Von Wichtigkeit ist die
Wahrnehmung, daß die Nachahmung von Schriftzügen um so
leichter und besser gelingt, je weniger der Nachahmende die ein-
zelnen Schriftcha[rak]tere ihrer Bedeutung nach versteht, oder je
mehr die Züge von ihm als bloßes materielles Bild, ohne sein
eigenes subjectives Verständniß aufgefaßt, also blos mechanisch
nachgebildet werden. Daher gelingt die Nachahmung von Schrift-
zügen, welche als dürres Spiegelbild aufgefaßt und nachgeahmt
werden, bei weitem besser und genauer, als in directer verständ-
licher Nachahmung ohne Spiegel, weshalb denn auch Kupferstecher
und Lithographen außerordentlich leicht Handschriften nachahmen
lernen. Noch deutlicher überzeugt man sich, wenn man einen
Schreiber Schriftsätze oder Wörter aus fremden Sprachen mit
eigenthümlichen Buchstaben, die er nicht kennt und versteht, z. B.
Griechisch, Hebräisch, Jüdisch-Deutsch (Syrisch) oder Russisch u. s. w.
copiren läßt. Man wird dabei die treffendste Aehnlichkeit, ja man
kann sagen, vollkommene Gleichheit beider Handschriften finden,
und sich davon überzeugen, wie wichtigen Einfluß die Entäuße-
rung der subjectiven Handschrift mit ihrem subjectiven Verständniß
auf das Gelingen solcher Schriftnachahmungen hat 1), und wie

des Schreibkünstlers, der nach bestimmter Methode lehrt und darin leicht be-
fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich ist daher
die ausdrückliche Bestimmung der Oesterreichischen Strafproceßordnung (§. 272,
274), daß der Richter "mit Rücksicht auf die übrigen Umstände zu
ermessen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis
über die Echtheit der Urkunde herstelle". Vgl. die Criminalproceßordnung
von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a.
1) Darum sollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis
zur völligen Unleserlichkeit getriebenen sogenannten coulanten Namensunter-

ſondern zumeiſt ſolche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit
gibt, eine Menge verſchiedenartiger Handſchriften zu ſehen und zu
ſtudiren, alſo Kupferſtecher, Steindrucker, Copiſten, Comptoiriſten,
Regiſtratoren u. dgl. Dabei iſt die eigene Handſchrift des Flep-
penmelochners ſelten ſchön, meiſtens aber von eigenthümlichem,
wenn auch ſehr verſchiedenem Ausdrucke, wie man ja denn über-
haupt in der Mehrzahl von Handſchriften bei weitem eher Geiſt
und Charakter, als Schönheit findet. Von Wichtigkeit iſt die
Wahrnehmung, daß die Nachahmung von Schriftzügen um ſo
leichter und beſſer gelingt, je weniger der Nachahmende die ein-
zelnen Schriftcha[rak]tere ihrer Bedeutung nach verſteht, oder je
mehr die Züge von ihm als bloßes materielles Bild, ohne ſein
eigenes ſubjectives Verſtändniß aufgefaßt, alſo blos mechaniſch
nachgebildet werden. Daher gelingt die Nachahmung von Schrift-
zügen, welche als dürres Spiegelbild aufgefaßt und nachgeahmt
werden, bei weitem beſſer und genauer, als in directer verſtänd-
licher Nachahmung ohne Spiegel, weshalb denn auch Kupferſtecher
und Lithographen außerordentlich leicht Handſchriften nachahmen
lernen. Noch deutlicher überzeugt man ſich, wenn man einen
Schreiber Schriftſätze oder Wörter aus fremden Sprachen mit
eigenthümlichen Buchſtaben, die er nicht kennt und verſteht, z. B.
Griechiſch, Hebräiſch, Jüdiſch-Deutſch (Syriſch) oder Ruſſiſch u. ſ. w.
copiren läßt. Man wird dabei die treffendſte Aehnlichkeit, ja man
kann ſagen, vollkommene Gleichheit beider Handſchriften finden,
und ſich davon überzeugen, wie wichtigen Einfluß die Entäuße-
rung der ſubjectiven Handſchrift mit ihrem ſubjectiven Verſtändniß
auf das Gelingen ſolcher Schriftnachahmungen hat 1), und wie

des Schreibkünſtlers, der nach beſtimmter Methode lehrt und darin leicht be-
fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich iſt daher
die ausdrückliche Beſtimmung der Oeſterreichiſchen Strafproceßordnung (§. 272,
274), daß der Richter „mit Rückſicht auf die übrigen Umſtände zu
ermeſſen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis
über die Echtheit der Urkunde herſtelle“. Vgl. die Criminalproceßordnung
von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a.
1) Darum ſollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis
zur völligen Unleſerlichkeit getriebenen ſogenannten coulanten Namensunter-
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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/311>, abgerufen am 22.11.2024.