Korb, versteckten Behälter oder doppelten Boden zum Verbergen des nöthigen Schränkzeuges.
An den Hafenkais, Packhöfen, Speichern und Wirthshäu- sern erfährt die Chawrusse durch ihre Baldower, welche Waaren auf den Latschen geladen sind. Jedes Mitglied der Chawrusse kennt die Stauregeln trotz dem besten Fuhrmann, und weiß daher, welche Waaren in der Latsche oben, hinten und an die Seiten geladen werden müssen. Ebenso weiß sie die Richtung und nächste Station, wo der Fuhrmann übernachtet. Sehr häufig fährt aber die Chawrusse auf das Gerathewohl in der Dunkelheit die Land- straße entlang, und ersieht sich das weiterfahrende oder abgespannte Fuhrwerk und die Gelegenheit, wie ihm beizukommen ist. Bewegt sich der Frachtwagen auf der Landstraße, und scheint Zeit und Gelegenheit günstig, namentlich das Wetter schlecht, so fährt die Agole rasch vorbei und läßt an einem versteckten Orte, in einem Graben, Busch oder hinter einem Steinhaufen, unter einer Brücke, einen oder zwei Chäwern zurück, fährt beiseite auf einen Zink- platz, während nun einer der vorher abgesetzten Chäwern hinter dem Frachtwagen oder an der Seite aufsteigt, auf die Gole h'opst (wovon er den Namen Golehopser hat), den Plan zer- schneidet 1) und so leise wie möglich Packen und Kisten auf den Weg fallen läßt, worauf er selbst vom Wagen steigt, mit seinem Chawer die herabgeworfenen Sachen beiseite schleppt, und der mit der Agole auf dem Wiatzef wartenden Chawrusse einen Zink gibt, welche nun heranfährt und die Sachen aufladen hilft, worauf alle auf einem Nebenweg davonfahren.
Gewöhnlich hält der Frachtfuhrmann die abgerundete, trockene und ebene Mitte der Chaussee, und geht auch meistens neben dem Sattelpferde, an der linken Seite, einher. Die Chawrusse fährt daher gewöhnlich an der rechten Seite des Frachtwagens vorbei,
1) D. i. die Gole (eigentlich die Michse) schächtet, wovon der Name Goleschächter. Der Ausdruck fetzen wird nur vom Aufschneiden der Packen, Waarenballen und Kisten gebraucht. So wird auch hier das Messer besonders der Kaut genannt. Die übrigen Benennungen des Messers vgl. Kap. 37, Note 2.
Korb, verſteckten Behälter oder doppelten Boden zum Verbergen des nöthigen Schränkzeuges.
An den Hafenkais, Packhöfen, Speichern und Wirthshäu- ſern erfährt die Chawruſſe durch ihre Baldower, welche Waaren auf den Latſchen geladen ſind. Jedes Mitglied der Chawruſſe kennt die Stauregeln trotz dem beſten Fuhrmann, und weiß daher, welche Waaren in der Latſche oben, hinten und an die Seiten geladen werden müſſen. Ebenſo weiß ſie die Richtung und nächſte Station, wo der Fuhrmann übernachtet. Sehr häufig fährt aber die Chawruſſe auf das Gerathewohl in der Dunkelheit die Land- ſtraße entlang, und erſieht ſich das weiterfahrende oder abgeſpannte Fuhrwerk und die Gelegenheit, wie ihm beizukommen iſt. Bewegt ſich der Frachtwagen auf der Landſtraße, und ſcheint Zeit und Gelegenheit günſtig, namentlich das Wetter ſchlecht, ſo fährt die Agole raſch vorbei und läßt an einem verſteckten Orte, in einem Graben, Buſch oder hinter einem Steinhaufen, unter einer Brücke, einen oder zwei Chäwern zurück, fährt beiſeite auf einen Zink- platz, während nun einer der vorher abgeſetzten Chäwern hinter dem Frachtwagen oder an der Seite aufſteigt, auf die Gole h’opſt (wovon er den Namen Golehopſer hat), den Plan zer- ſchneidet 1) und ſo leiſe wie möglich Packen und Kiſten auf den Weg fallen läßt, worauf er ſelbſt vom Wagen ſteigt, mit ſeinem Chawer die herabgeworfenen Sachen beiſeite ſchleppt, und der mit der Agole auf dem Wiatzef wartenden Chawruſſe einen Zink gibt, welche nun heranfährt und die Sachen aufladen hilft, worauf alle auf einem Nebenweg davonfahren.
Gewöhnlich hält der Frachtfuhrmann die abgerundete, trockene und ebene Mitte der Chauſſee, und geht auch meiſtens neben dem Sattelpferde, an der linken Seite, einher. Die Chawruſſe fährt daher gewöhnlich an der rechten Seite des Frachtwagens vorbei,
1) D. i. die Gole (eigentlich die Michſe) ſchächtet, wovon der Name Goleſchächter. Der Ausdruck fetzen wird nur vom Aufſchneiden der Packen, Waarenballen und Kiſten gebraucht. So wird auch hier das Meſſer beſonders der Kaut genannt. Die übrigen Benennungen des Meſſers vgl. Kap. 37, Note 2.
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Korb, verſteckten Behälter oder doppelten Boden zum Verbergen
des nöthigen Schränkzeuges.
An den Hafenkais, Packhöfen, Speichern und Wirthshäu-
ſern erfährt die Chawruſſe durch ihre Baldower, welche Waaren
auf den Latſchen geladen ſind. Jedes Mitglied der Chawruſſe
kennt die Stauregeln trotz dem beſten Fuhrmann, und weiß daher,
welche Waaren in der Latſche oben, hinten und an die Seiten
geladen werden müſſen. Ebenſo weiß ſie die Richtung und nächſte
Station, wo der Fuhrmann übernachtet. Sehr häufig fährt aber
die Chawruſſe auf das Gerathewohl in der Dunkelheit die Land-
ſtraße entlang, und erſieht ſich das weiterfahrende oder abgeſpannte
Fuhrwerk und die Gelegenheit, wie ihm beizukommen iſt. Bewegt
ſich der Frachtwagen auf der Landſtraße, und ſcheint Zeit und
Gelegenheit günſtig, namentlich das Wetter ſchlecht, ſo fährt die
Agole raſch vorbei und läßt an einem verſteckten Orte, in einem
Graben, Buſch oder hinter einem Steinhaufen, unter einer Brücke,
einen oder zwei Chäwern zurück, fährt beiſeite auf einen Zink-
platz, während nun einer der vorher abgeſetzten Chäwern hinter
dem Frachtwagen oder an der Seite aufſteigt, auf die Gole
h’opſt (wovon er den Namen Golehopſer hat), den Plan zer-
ſchneidet 1) und ſo leiſe wie möglich Packen und Kiſten auf den
Weg fallen läßt, worauf er ſelbſt vom Wagen ſteigt, mit ſeinem
Chawer die herabgeworfenen Sachen beiſeite ſchleppt, und der mit
der Agole auf dem Wiatzef wartenden Chawruſſe einen Zink gibt,
welche nun heranfährt und die Sachen aufladen hilft, worauf alle
auf einem Nebenweg davonfahren.
Gewöhnlich hält der Frachtfuhrmann die abgerundete, trockene
und ebene Mitte der Chauſſee, und geht auch meiſtens neben dem
Sattelpferde, an der linken Seite, einher. Die Chawruſſe fährt
daher gewöhnlich an der rechten Seite des Frachtwagens vorbei,
1) D. i. die Gole (eigentlich die Michſe) ſchächtet, wovon der
Name Goleſchächter. Der Ausdruck fetzen wird nur vom Aufſchneiden
der Packen, Waarenballen und Kiſten gebraucht. So wird auch hier das
Meſſer beſonders der Kaut genannt. Die übrigen Benennungen des Meſſers
vgl. Kap. 37, Note 2.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/250>, abgerufen am 16.02.2025.
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