trieben. Die meisten weiblichen Gauner sind Schottenfellerinnen. Doch vernachlässigen die Männer keineswegs dies ergiebige Ge- werbe. Gewöhnlich geht der Schottenfeller in Begleitung eines oder mehrerer Genossen in die Läden. Der Routinirte ist sich indessen selbst genug. Sein Aeußeres ist mindestens ehrbar und anständig. Er begehrt dies oder jenes zu kaufen, läßt sich vom Kaufmann die Waaren in verschiedenen Qualitäten und Mustern vorlegen, prüft, macht Ausstellungen, lobt, handelt, kauft, und bezahlt auch etwas, verlangt noch mehr, und beschäftigt die Auf- merksamkeit des Verkäufers, der sich bei Vorlage der verschiedenen begehrten Waaren von einem Waarenfache zum andern tummeln, bald sich bücken und bald dem Käufer den Rücken zuwenden muß. Diesen Moment nimmt der Schottenfeller wahr, um unvermerkt Waaren vom Ladentisch in seine Tasche gleiten zu lassen, was um so unvermerkter und leichter gelingt, je mehr er den Tisch zwischen sich und dem Verkäufer voll Waaren hat aufhäufen lassen.
Zum Verbergen der Waaren an seinem Leibe hat der mit einem Mantel, Sackrock, Paletot, oder langem Ueberrock bekleidete Schottenfeller in dem Unterfutter des Brusttheils und der Schöße seiner Oberkleidung weite und lange Taschen (Golen, Fuhren) in welche sich eine Menge Packete verbergen lassen. Um das schwere Herunterhängen der Oberkleidung zu vermeiden, wodurch Verdacht entstehen könnte, fangen die Schottenfeller an, wie die Matrosen, um den Leib einen Gurt mit einem kleinen Ringe an der Seite zu tragen, in den ein an der Tasche befindlicher Haken gehängt wird, sodaß der Rock frei und leicht herunterfallend bleibt und vorne sogar aufgeknöpft werden kann, wenn auch die Tasche schwer gefüllt ist. 1) Die weibliche Kleidung ist noch geeigneter,
1) Somit braucht der Vertusser nicht mehr wie früher hinter oder zur Seite des Schautenpickers zu gehen, um seine bauschende und hängende Ober- kleidung vor den Augen des Nachblickenden zu verdecken. Diese früher durch- gehends gebräuchliche Weise, welche zu bekannt und daher zu gefährlich geworden ist, mag besonders auch darum abgeschafft sein, weil bei der Kennt-
trieben. Die meiſten weiblichen Gauner ſind Schottenfellerinnen. Doch vernachläſſigen die Männer keineswegs dies ergiebige Ge- werbe. Gewöhnlich geht der Schottenfeller in Begleitung eines oder mehrerer Genoſſen in die Läden. Der Routinirte iſt ſich indeſſen ſelbſt genug. Sein Aeußeres iſt mindeſtens ehrbar und anſtändig. Er begehrt dies oder jenes zu kaufen, läßt ſich vom Kaufmann die Waaren in verſchiedenen Qualitäten und Muſtern vorlegen, prüft, macht Ausſtellungen, lobt, handelt, kauft, und bezahlt auch etwas, verlangt noch mehr, und beſchäftigt die Auf- merkſamkeit des Verkäufers, der ſich bei Vorlage der verſchiedenen begehrten Waaren von einem Waarenfache zum andern tummeln, bald ſich bücken und bald dem Käufer den Rücken zuwenden muß. Dieſen Moment nimmt der Schottenfeller wahr, um unvermerkt Waaren vom Ladentiſch in ſeine Taſche gleiten zu laſſen, was um ſo unvermerkter und leichter gelingt, je mehr er den Tiſch zwiſchen ſich und dem Verkäufer voll Waaren hat aufhäufen laſſen.
Zum Verbergen der Waaren an ſeinem Leibe hat der mit einem Mantel, Sackrock, Paletot, oder langem Ueberrock bekleidete Schottenfeller in dem Unterfutter des Bruſttheils und der Schöße ſeiner Oberkleidung weite und lange Taſchen (Golen, Fuhren) in welche ſich eine Menge Packete verbergen laſſen. Um das ſchwere Herunterhängen der Oberkleidung zu vermeiden, wodurch Verdacht entſtehen könnte, fangen die Schottenfeller an, wie die Matroſen, um den Leib einen Gurt mit einem kleinen Ringe an der Seite zu tragen, in den ein an der Taſche befindlicher Haken gehängt wird, ſodaß der Rock frei und leicht herunterfallend bleibt und vorne ſogar aufgeknöpft werden kann, wenn auch die Taſche ſchwer gefüllt iſt. 1) Die weibliche Kleidung iſt noch geeigneter,
1) Somit braucht der Vertuſſer nicht mehr wie früher hinter oder zur Seite des Schautenpickers zu gehen, um ſeine bauſchende und hängende Ober- kleidung vor den Augen des Nachblickenden zu verdecken. Dieſe früher durch- gehends gebräuchliche Weiſe, welche zu bekannt und daher zu gefährlich geworden iſt, mag beſonders auch darum abgeſchafft ſein, weil bei der Kennt-
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trieben. Die meiſten weiblichen Gauner ſind Schottenfellerinnen.
Doch vernachläſſigen die Männer keineswegs dies ergiebige Ge-
werbe. Gewöhnlich geht der Schottenfeller in Begleitung eines
oder mehrerer Genoſſen in die Läden. Der Routinirte iſt ſich
indeſſen ſelbſt genug. Sein Aeußeres iſt mindeſtens ehrbar und
anſtändig. Er begehrt dies oder jenes zu kaufen, läßt ſich vom
Kaufmann die Waaren in verſchiedenen Qualitäten und Muſtern
vorlegen, prüft, macht Ausſtellungen, lobt, handelt, kauft, und
bezahlt auch etwas, verlangt noch mehr, und beſchäftigt die Auf-
merkſamkeit des Verkäufers, der ſich bei Vorlage der verſchiedenen
begehrten Waaren von einem Waarenfache zum andern tummeln,
bald ſich bücken und bald dem Käufer den Rücken zuwenden muß.
Dieſen Moment nimmt der Schottenfeller wahr, um unvermerkt
Waaren vom Ladentiſch in ſeine Taſche gleiten zu laſſen, was
um ſo unvermerkter und leichter gelingt, je mehr er den Tiſch
zwiſchen ſich und dem Verkäufer voll Waaren hat aufhäufen
laſſen.
Zum Verbergen der Waaren an ſeinem Leibe hat der mit
einem Mantel, Sackrock, Paletot, oder langem Ueberrock bekleidete
Schottenfeller in dem Unterfutter des Bruſttheils und der Schöße
ſeiner Oberkleidung weite und lange Taſchen (Golen, Fuhren)
in welche ſich eine Menge Packete verbergen laſſen. Um das
ſchwere Herunterhängen der Oberkleidung zu vermeiden, wodurch
Verdacht entſtehen könnte, fangen die Schottenfeller an, wie die
Matroſen, um den Leib einen Gurt mit einem kleinen Ringe an
der Seite zu tragen, in den ein an der Taſche befindlicher Haken
gehängt wird, ſodaß der Rock frei und leicht herunterfallend bleibt
und vorne ſogar aufgeknöpft werden kann, wenn auch die Taſche
ſchwer gefüllt iſt. 1) Die weibliche Kleidung iſt noch geeigneter,
1) Somit braucht der Vertuſſer nicht mehr wie früher hinter oder zur
Seite des Schautenpickers zu gehen, um ſeine bauſchende und hängende Ober-
kleidung vor den Augen des Nachblickenden zu verdecken. Dieſe früher durch-
gehends gebräuchliche Weiſe, welche zu bekannt und daher zu gefährlich
geworden iſt, mag beſonders auch darum abgeſchafft ſein, weil bei der Kennt-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/206>, abgerufen am 08.07.2024.
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