thümlichkeit, obschon der Aberglaube mit ganz entschiedenem Ein- fluß dem deutschen Gaunerthum eine sehr eigenthümliche Rich- tung und Färbung gegeben hat, und in diesem noch immer einen Hauptträger findet, wie später gezeigt werden soll. 1) Selbst die mit unvertilgbarer Zähigkeit festgehaltene, namentlich durch die polnischen Juden, besonders auch in den drei ersten Decennien dieses Jahrhunderts, scharf repräsentirte, ursprünglich leibliche und geistige Eigenthümlichkeit der Juden macht sich in den gauner- gesellschaftlichen Verkehrsverhältnissen weniger geltend, obschon der jüdische Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung und Consequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz besonders mit dem vollen Ernst eines geschäftlichen Betriebes ausübt, und, weit entfernt, das Gestohlene so sinnlos wie die christlichen Gauner zu verschleudern, lieber sich der Gefahr aus- setzt, dasselbe, ohne Vermittelung Dritter, selbst zu verwerthen, um den möglichsten Gewinn seines Fleißes und seiner Anstrengung ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver, zu denen selten eine Christenhand geschickt genug ist, wie z. B. das Linkwechseln oder Chilfen, fast ausschließlich von Juden be- trieben. Die socialen Verhältnisse der jüdischen und christlichen Gauner sind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche erstere den Formalitäten ihres Cultus leisten, wesentlichen Ein- fluß auf diese Verhältnisse selbst ausübt. Die schon lange und mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Colonisation und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindesten den Erfolg ge- habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgesonderte eigen- thümliche Gruppe im deutschen Gaunerthum erscheinen, in welches sie vielmehr soweit gänzlich aufgegangen sind, als sie sich noch immer an Gaunereien betheiligen.
1) So findet sich, daß schon in den Zeiten des bittersten Judenhasses und der schmählichsten Excesse des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube es war, der die christlichen Gauner zur herablassenden Verbrüderung mit Juden führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueste Zeit herabreichende Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebstahl nicht anders gelingen und unent- deckt bleiben könne, als wenn mindestens ein Jude sich bei demselben betheiligte.
thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein- fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich- tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. 1) Selbſt die mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den gauner- geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen weniger geltend, obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus- ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver, zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B. das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be- trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein- fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge- habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen- thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch immer an Gaunereien betheiligen.
1) So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent- deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens ein Jude ſich bei demſelben betheiligte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0019"n="7"/>
thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein-<lb/>
fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich-<lb/>
tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen<lb/>
Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. <noteplace="foot"n="1)">So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und<lb/>
der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube<lb/>
es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden<lb/>
führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende<lb/>
Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent-<lb/>
deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens <hirendition="#g">ein</hi> Jude ſich bei demſelben betheiligte.</note> Selbſt die<lb/>
mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die<lb/>
polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien<lb/>
dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und<lb/>
geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den <hirendition="#g">gauner-<lb/>
geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen</hi> weniger geltend,<lb/>
obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung<lb/>
und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz<lb/>
beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes<lb/>
ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die<lb/>
chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus-<lb/>ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um<lb/>
den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung<lb/>
ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver,<lb/>
zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B.<lb/>
das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be-<lb/>
trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen<lb/>
Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche<lb/>
erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein-<lb/>
fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und<lb/>
mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation<lb/>
und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge-<lb/>
habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen-<lb/>
thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches<lb/>ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch<lb/>
immer an Gaunereien betheiligen.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[7/0019]
thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein-
fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich-
tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen
Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. 1) Selbſt die
mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die
polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien
dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und
geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den gauner-
geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen weniger geltend,
obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung
und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz
beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes
ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die
chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus-
ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um
den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung
ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver,
zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B.
das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be-
trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen
Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche
erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein-
fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und
mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation
und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge-
habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen-
thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches
ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch
immer an Gaunereien betheiligen.
1) So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und
der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube
es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden
führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende
Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent-
deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens ein Jude ſich bei demſelben betheiligte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/19>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.