Manieren dem Geschäftsmann im Comptoir oder Verkaufsladen Proben anbietet; der Handwerksbursche, der halb erstarrt beim Wirthe um Quartier bittet; der Fleischer oder Viehhändler, der bei dem Landmann Vieh erhandelt; der Aufkäufer, der mit dem Müller oder Gutsbesitzer Korngeschäfte entrirt, baldowert unter dem Schein des täglichen Verkehrs, Handels und Wandels u. s. w. Nicht minder weiß der Gauner alle Jahrmärkte und Messen, wo es besonders Gelegenheit zum Handeln gibt. Er weiß auch die Hebungs- und Zahlungstermine, zu welchen Pächter, Förster, Kassenführer und andere Beamte größere Summen bereit halten; er weiß auf Woll- und Kornmärkten, welche Bankiers vorzüglich viel Geld zum Zahlen stehen haben, und wer davon Geld mit in die Heimat bekommt; er erspäht, wer mit der Post und den Dampfschiffen Contanten empfängt, und weiß, wo eine Hochzeit nahe ist, und wo die Aussteuer dazu liegt, da, wenn er nicht selbst heimlich die Beobachtung gemacht hat, seine vertrauten Genossen und Bekannten, platte Leute, meistens am Orte oder in der Nähe wohnende Gaunerwirthe, alte abgestumpfte, zum Stehlen nicht mehr taugliche Gauner und deren Angehörige und Bekannte, ihn davon unterrichten, wo ein Massematten steht. Zum Bal- dowern gehört auch die genaue Erspähung, wie viel männliche und weibliche Bewohner das zu bestehlende Gebäude hat, ob junge Eheleute, die zeitig das Bett suchen und bald einschlafen, oder ob unruhige kleine Kinder oder alte Leute, welche an Schlaflosig- keit leiden, darin wohnen; ob Widerstandswaffen zur Hand sind; wo die Schlafstuben liegen; wie weit diese vom Platz, wo das Geld oder die Waare liegt, oder von den gelegensten Einbruch- stellen entfernt sind; wo Knechte und Mägde schlafen; ob Hunde im Hause oder in dessen Nähe sind; ob und welche Nachtwächter im Orte, und ob sie jung oder alt sind; ob im Orte viel und später Wirthshaus- oder Gesellschafts- und Postverkehr ist u. s. w.
Unzählig sind die verschiedenen Formen des Baldowerns; sie sind dazu so unscheinlich, wie die meisten Ereignisse des alltäg- lichen Lebens, und behalten um so mehr die Unscheinlichkeit, je fester der Grundsatz steht, daß der Baldower selten oder niemals
Manieren dem Geſchäftsmann im Comptoir oder Verkaufsladen Proben anbietet; der Handwerksburſche, der halb erſtarrt beim Wirthe um Quartier bittet; der Fleiſcher oder Viehhändler, der bei dem Landmann Vieh erhandelt; der Aufkäufer, der mit dem Müller oder Gutsbeſitzer Korngeſchäfte entrirt, baldowert unter dem Schein des täglichen Verkehrs, Handels und Wandels u. ſ. w. Nicht minder weiß der Gauner alle Jahrmärkte und Meſſen, wo es beſonders Gelegenheit zum Handeln gibt. Er weiß auch die Hebungs- und Zahlungstermine, zu welchen Pächter, Förſter, Kaſſenführer und andere Beamte größere Summen bereit halten; er weiß auf Woll- und Kornmärkten, welche Bankiers vorzüglich viel Geld zum Zahlen ſtehen haben, und wer davon Geld mit in die Heimat bekommt; er erſpäht, wer mit der Poſt und den Dampfſchiffen Contanten empfängt, und weiß, wo eine Hochzeit nahe iſt, und wo die Ausſteuer dazu liegt, da, wenn er nicht ſelbſt heimlich die Beobachtung gemacht hat, ſeine vertrauten Genoſſen und Bekannten, platte Leute, meiſtens am Orte oder in der Nähe wohnende Gaunerwirthe, alte abgeſtumpfte, zum Stehlen nicht mehr taugliche Gauner und deren Angehörige und Bekannte, ihn davon unterrichten, wo ein Maſſematten ſteht. Zum Bal- dowern gehört auch die genaue Erſpähung, wie viel männliche und weibliche Bewohner das zu beſtehlende Gebäude hat, ob junge Eheleute, die zeitig das Bett ſuchen und bald einſchlafen, oder ob unruhige kleine Kinder oder alte Leute, welche an Schlafloſig- keit leiden, darin wohnen; ob Widerſtandswaffen zur Hand ſind; wo die Schlafſtuben liegen; wie weit dieſe vom Platz, wo das Geld oder die Waare liegt, oder von den gelegenſten Einbruch- ſtellen entfernt ſind; wo Knechte und Mägde ſchlafen; ob Hunde im Hauſe oder in deſſen Nähe ſind; ob und welche Nachtwächter im Orte, und ob ſie jung oder alt ſind; ob im Orte viel und ſpäter Wirthshaus- oder Geſellſchafts- und Poſtverkehr iſt u. ſ. w.
Unzählig ſind die verſchiedenen Formen des Baldowerns; ſie ſind dazu ſo unſcheinlich, wie die meiſten Ereigniſſe des alltäg- lichen Lebens, und behalten um ſo mehr die Unſcheinlichkeit, je feſter der Grundſatz ſteht, daß der Baldower ſelten oder niemals
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Manieren dem Geſchäftsmann im Comptoir oder Verkaufsladen
Proben anbietet; der Handwerksburſche, der halb erſtarrt beim
Wirthe um Quartier bittet; der Fleiſcher oder Viehhändler, der
bei dem Landmann Vieh erhandelt; der Aufkäufer, der mit dem
Müller oder Gutsbeſitzer Korngeſchäfte entrirt, baldowert unter
dem Schein des täglichen Verkehrs, Handels und Wandels u. ſ. w.
Nicht minder weiß der Gauner alle Jahrmärkte und Meſſen, wo
es beſonders Gelegenheit zum Handeln gibt. Er weiß auch die
Hebungs- und Zahlungstermine, zu welchen Pächter, Förſter,
Kaſſenführer und andere Beamte größere Summen bereit halten;
er weiß auf Woll- und Kornmärkten, welche Bankiers vorzüglich
viel Geld zum Zahlen ſtehen haben, und wer davon Geld mit in
die Heimat bekommt; er erſpäht, wer mit der Poſt und den
Dampfſchiffen Contanten empfängt, und weiß, wo eine Hochzeit
nahe iſt, und wo die Ausſteuer dazu liegt, da, wenn er nicht ſelbſt
heimlich die Beobachtung gemacht hat, ſeine vertrauten Genoſſen
und Bekannten, platte Leute, meiſtens am Orte oder in der
Nähe wohnende Gaunerwirthe, alte abgeſtumpfte, zum Stehlen
nicht mehr taugliche Gauner und deren Angehörige und Bekannte,
ihn davon unterrichten, wo ein Maſſematten ſteht. Zum Bal-
dowern gehört auch die genaue Erſpähung, wie viel männliche und
weibliche Bewohner das zu beſtehlende Gebäude hat, ob junge
Eheleute, die zeitig das Bett ſuchen und bald einſchlafen, oder
ob unruhige kleine Kinder oder alte Leute, welche an Schlafloſig-
keit leiden, darin wohnen; ob Widerſtandswaffen zur Hand ſind;
wo die Schlafſtuben liegen; wie weit dieſe vom Platz, wo das
Geld oder die Waare liegt, oder von den gelegenſten Einbruch-
ſtellen entfernt ſind; wo Knechte und Mägde ſchlafen; ob Hunde
im Hauſe oder in deſſen Nähe ſind; ob und welche Nachtwächter
im Orte, und ob ſie jung oder alt ſind; ob im Orte viel und
ſpäter Wirthshaus- oder Geſellſchafts- und Poſtverkehr iſt u. ſ. w.
Unzählig ſind die verſchiedenen Formen des Baldowerns; ſie
ſind dazu ſo unſcheinlich, wie die meiſten Ereigniſſe des alltäg-
lichen Lebens, und behalten um ſo mehr die Unſcheinlichkeit, je
feſter der Grundſatz ſteht, daß der Baldower ſelten oder niemals
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/122>, abgerufen am 22.11.2024.
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