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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Neunundzwanzigstes Kapitel.
b) Das Challon-Kasspern.

Die mannichfaltigste und am schwierigsten zu bekämpfende
Kassperei ist die durch das Fenster, Challon 1) ([fremdsprachliches Material - fehlt]). Sie geschieht
durch Zinkenen, Zuplanten, Sprechen, Singen, Beten, Pfeifen,
Husten, Räuspern u. s. w. Das Zinkenen ist dann möglich, wenn
der Gefangene das Fenster erreichen oder eine Aussicht auf
andere Fenster, Gebäude oder Passagen gewinnen kann, von denen
her er Zinken bekommen und wohin er Zinken wiedergeben kann.
Es ist nicht leicht, Gefängnisse der Art herzustellen, welche das
reciproke Zinkenen durchaus unmöglich oder mindestens schwierig
machen. Man sollte aber mindestens zu Untersuchungsgefäng-
nissen nicht jedes abgängige Gebäude hergeben, das weiter keinen
Vorzug hat, als daß es für die Behörde disponibel ist. Auch ist
es eine kurzsichtige Humanität, die noch nicht überführten Ge-
fangenen ohne Unterschied in einem solchen abgesetzten Gebäude
den vollen Comfort einer bürgerlichen Wohnung in einer zur
ebenen Erde 2) oder im ersten Stock gassenwärts belegenen Stube
nahe an der Straße oder Passage genießen zu lassen, und dabei
noch die Gelegenheit einer Verständigung durch Zinkenen, oder
gar zum Zuplanten von Fluchtmitteln zu bieten, welche von dem
Gauner sofort in vollständigster Weise ausgebeutet wird.

Jst aber durch die baulichen Einrichtungen und genaue Be-
wachung der Rapport durch optische Zeichen und Wahrnehmungen
beschränkt und verhindert, so bietet die Sprache das verschieden-
artigste Mittel zum Kasspern durch das Fenster dar. Der in ein

1) Plural: Challonim und Challones, wovon corrumpirt: Gal-
lonen
und Gallones.
2) Es ist nicht lange her, daß ein im Auslande bestrafter lübecker Vagant
auf Schub hier ankam, und bei seiner am Abschube versäumten Visitation,
hierorts im Besitze mehrerer sauber geschnittenen Holz- und Knochenmodelle
von Schlüsselbärten zu den Zellen zurückgebliebener Untersuchungsgefangenen
befunden wurde, nach denen er hier Schlüssel machen lassen, und in die Fenster
der zur ebenen Erde belegenen Zellen werfen sollte.
Neunundzwanzigſtes Kapitel.
β) Das Challon-Kaſſpern.

Die mannichfaltigſte und am ſchwierigſten zu bekämpfende
Kaſſperei iſt die durch das Fenſter, Challon 1) ([fremdsprachliches Material – fehlt]). Sie geſchieht
durch Zinkenen, Zuplanten, Sprechen, Singen, Beten, Pfeifen,
Huſten, Räuspern u. ſ. w. Das Zinkenen iſt dann möglich, wenn
der Gefangene das Fenſter erreichen oder eine Ausſicht auf
andere Fenſter, Gebäude oder Paſſagen gewinnen kann, von denen
her er Zinken bekommen und wohin er Zinken wiedergeben kann.
Es iſt nicht leicht, Gefängniſſe der Art herzuſtellen, welche das
reciproke Zinkenen durchaus unmöglich oder mindeſtens ſchwierig
machen. Man ſollte aber mindeſtens zu Unterſuchungsgefäng-
niſſen nicht jedes abgängige Gebäude hergeben, das weiter keinen
Vorzug hat, als daß es für die Behörde disponibel iſt. Auch iſt
es eine kurzſichtige Humanität, die noch nicht überführten Ge-
fangenen ohne Unterſchied in einem ſolchen abgeſetzten Gebäude
den vollen Comfort einer bürgerlichen Wohnung in einer zur
ebenen Erde 2) oder im erſten Stock gaſſenwärts belegenen Stube
nahe an der Straße oder Paſſage genießen zu laſſen, und dabei
noch die Gelegenheit einer Verſtändigung durch Zinkenen, oder
gar zum Zuplanten von Fluchtmitteln zu bieten, welche von dem
Gauner ſofort in vollſtändigſter Weiſe ausgebeutet wird.

Jſt aber durch die baulichen Einrichtungen und genaue Be-
wachung der Rapport durch optiſche Zeichen und Wahrnehmungen
beſchränkt und verhindert, ſo bietet die Sprache das verſchieden-
artigſte Mittel zum Kaſſpern durch das Fenſter dar. Der in ein

1) Plural: Challonim und Challones, wovon corrumpirt: Gal-
lonen
und Gallones.
2) Es iſt nicht lange her, daß ein im Auslande beſtrafter lübecker Vagant
auf Schub hier ankam, und bei ſeiner am Abſchube verſäumten Viſitation,
hierorts im Beſitze mehrerer ſauber geſchnittenen Holz- und Knochenmodelle
von Schlüſſelbärten zu den Zellen zurückgebliebener Unterſuchungsgefangenen
befunden wurde, nach denen er hier Schlüſſel machen laſſen, und in die Fenſter
der zur ebenen Erde belegenen Zellen werfen ſollte.
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[88/0100] Neunundzwanzigſtes Kapitel. β) Das Challon-Kaſſpern. Die mannichfaltigſte und am ſchwierigſten zu bekämpfende Kaſſperei iſt die durch das Fenſter, Challon 1) (_ ). Sie geſchieht durch Zinkenen, Zuplanten, Sprechen, Singen, Beten, Pfeifen, Huſten, Räuspern u. ſ. w. Das Zinkenen iſt dann möglich, wenn der Gefangene das Fenſter erreichen oder eine Ausſicht auf andere Fenſter, Gebäude oder Paſſagen gewinnen kann, von denen her er Zinken bekommen und wohin er Zinken wiedergeben kann. Es iſt nicht leicht, Gefängniſſe der Art herzuſtellen, welche das reciproke Zinkenen durchaus unmöglich oder mindeſtens ſchwierig machen. Man ſollte aber mindeſtens zu Unterſuchungsgefäng- niſſen nicht jedes abgängige Gebäude hergeben, das weiter keinen Vorzug hat, als daß es für die Behörde disponibel iſt. Auch iſt es eine kurzſichtige Humanität, die noch nicht überführten Ge- fangenen ohne Unterſchied in einem ſolchen abgeſetzten Gebäude den vollen Comfort einer bürgerlichen Wohnung in einer zur ebenen Erde 2) oder im erſten Stock gaſſenwärts belegenen Stube nahe an der Straße oder Paſſage genießen zu laſſen, und dabei noch die Gelegenheit einer Verſtändigung durch Zinkenen, oder gar zum Zuplanten von Fluchtmitteln zu bieten, welche von dem Gauner ſofort in vollſtändigſter Weiſe ausgebeutet wird. Jſt aber durch die baulichen Einrichtungen und genaue Be- wachung der Rapport durch optiſche Zeichen und Wahrnehmungen beſchränkt und verhindert, ſo bietet die Sprache das verſchieden- artigſte Mittel zum Kaſſpern durch das Fenſter dar. Der in ein 1) Plural: Challonim und Challones, wovon corrumpirt: Gal- lonen und Gallones. 2) Es iſt nicht lange her, daß ein im Auslande beſtrafter lübecker Vagant auf Schub hier ankam, und bei ſeiner am Abſchube verſäumten Viſitation, hierorts im Beſitze mehrerer ſauber geſchnittenen Holz- und Knochenmodelle von Schlüſſelbärten zu den Zellen zurückgebliebener Unterſuchungsgefangenen befunden wurde, nach denen er hier Schlüſſel machen laſſen, und in die Fenſter der zur ebenen Erde belegenen Zellen werfen ſollte.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/100>, abgerufen am 28.11.2024.