Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

solche Golen zu verbergen. Gewöhnlich werden zwei Unterröcke
zur Gole zusammengenäht und vorne im faltenreichen Oberkleide
und im Unterrocke wird ein langer Schlitz gelassen, um die Waare
einstecken zu können. Doch tragen auch erfahrene Weiber, beson-
ders wenn sie Nachjagd fürchten, sehr häufig eine eigene sackartige,
aus einer doppelten Schürze zusammengenähte, mit einem Schlitz
und oben mit einem starken Bande zum Vorbinden um den Leib
versehene Gole, weil diese den Vortheil hat, daß sie rasch abge-
worfen, versarkent werden kann, wenn die Schottenfellerin sich
bei Verdacht oder Verfolgung koschern will. Meistens figuriren
die Schottenfeller als Standespersonen, lassen die behandelten
Waaren, von denen sie häufig, namentlich wenn sie meinen, ver-
dächtig angesehen zu werden, einen Theil bezahlen, zur Aufbe-
wahrung bis auf den andern Tag, oder zur Absendung in einen
anständigen Gasthof zurück, entfernen sich mit aller Unbefangen-
heit, versprechen das Geld dem Ueberbringer der Waaren im Gast-
hofe auszuzahlen, und ersuchen dazu immer, eine quittirte Rech-
nung mitzuschicken.

Um ganz sichern Vertuss, namentlich in größern Handlungen,
zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Laden stehen, geht
der Schottenfeller mit einem Chäwer, zu dem auch, je nach Ge-
legenheit, noch ein dritter oder vierter nach und nach, wie durch
Zufall, hereintritt, ohne daß einer die Bekanntschaft mit dem andern
irgendwie verräth, in den Laden. Bei dieser Verbindung macht
der eine den Vertuss, indem er des Kaufmanns Aufmerksamkeit
fesselt, weshalb er auch Vertusser oder Schrekener 1), Sri-
kener, Schmuser
(Sprecher) genannt wird, während der Be-

lichkeit des gelungenen Diebstahls die Schottenfeller gewöhnlich sogleich von
Schärfenspielern und Brennern auf zudringliche Weise belästigt und der Gefahr
sofortiger Entdeckung ausgesetzt wurden.
1) Die Ableitung bei Thiele, I, 299, von [fremdsprachliches Material - fehlt] (sorak), werfen, ist nicht
richtig. Vgl. oben das Zinkenen, Kap. 13. Auch wird das Zeitwort sri-
kenen
niemals als Transitivum gebraucht; vgl. Thiele, S. 311, sowenig wie
der Gauner sagt: Jemanden vertussen.
13 *

ſolche Golen zu verbergen. Gewöhnlich werden zwei Unterröcke
zur Gole zuſammengenäht und vorne im faltenreichen Oberkleide
und im Unterrocke wird ein langer Schlitz gelaſſen, um die Waare
einſtecken zu können. Doch tragen auch erfahrene Weiber, beſon-
ders wenn ſie Nachjagd fürchten, ſehr häufig eine eigene ſackartige,
aus einer doppelten Schürze zuſammengenähte, mit einem Schlitz
und oben mit einem ſtarken Bande zum Vorbinden um den Leib
verſehene Gole, weil dieſe den Vortheil hat, daß ſie raſch abge-
worfen, verſarkent werden kann, wenn die Schottenfellerin ſich
bei Verdacht oder Verfolgung koſchern will. Meiſtens figuriren
die Schottenfeller als Standesperſonen, laſſen die behandelten
Waaren, von denen ſie häufig, namentlich wenn ſie meinen, ver-
dächtig angeſehen zu werden, einen Theil bezahlen, zur Aufbe-
wahrung bis auf den andern Tag, oder zur Abſendung in einen
anſtändigen Gaſthof zurück, entfernen ſich mit aller Unbefangen-
heit, verſprechen das Geld dem Ueberbringer der Waaren im Gaſt-
hofe auszuzahlen, und erſuchen dazu immer, eine quittirte Rech-
nung mitzuſchicken.

Um ganz ſichern Vertuſſ, namentlich in größern Handlungen,
zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Laden ſtehen, geht
der Schottenfeller mit einem Chäwer, zu dem auch, je nach Ge-
legenheit, noch ein dritter oder vierter nach und nach, wie durch
Zufall, hereintritt, ohne daß einer die Bekanntſchaft mit dem andern
irgendwie verräth, in den Laden. Bei dieſer Verbindung macht
der eine den Vertuſſ, indem er des Kaufmanns Aufmerkſamkeit
feſſelt, weshalb er auch Vertuſſer oder Schrekener 1), Sri-
kener, Schmuſer
(Sprecher) genannt wird, während der Be-

lichkeit des gelungenen Diebſtahls die Schottenfeller gewöhnlich ſogleich von
Schärfenſpielern und Brennern auf zudringliche Weiſe beläſtigt und der Gefahr
ſofortiger Entdeckung ausgeſetzt wurden.
1) Die Ableitung bei Thiele, I, 299, von [fremdsprachliches Material – fehlt] (sorak), werfen, iſt nicht
richtig. Vgl. oben das Zinkenen, Kap. 13. Auch wird das Zeitwort ſri-
kenen
niemals als Tranſitivum gebraucht; vgl. Thiele, S. 311, ſowenig wie
der Gauner ſagt: Jemanden vertuſſen.
13 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0207" n="195"/>
&#x017F;olche Golen zu verbergen. Gewöhnlich werden zwei Unterröcke<lb/>
zur Gole zu&#x017F;ammengenäht und vorne im faltenreichen Oberkleide<lb/>
und im Unterrocke wird ein langer Schlitz gela&#x017F;&#x017F;en, um die Waare<lb/>
ein&#x017F;tecken zu können. Doch tragen auch erfahrene Weiber, be&#x017F;on-<lb/>
ders wenn &#x017F;ie Nachjagd fürchten, &#x017F;ehr häufig eine eigene &#x017F;ackartige,<lb/>
aus einer doppelten Schürze zu&#x017F;ammengenähte, mit einem Schlitz<lb/>
und oben mit einem &#x017F;tarken Bande zum Vorbinden um den Leib<lb/>
ver&#x017F;ehene Gole, weil die&#x017F;e den Vortheil hat, daß &#x017F;ie ra&#x017F;ch abge-<lb/>
worfen, <hi rendition="#g">ver&#x017F;arkent</hi> werden kann, wenn die Schottenfellerin &#x017F;ich<lb/>
bei Verdacht oder Verfolgung ko&#x017F;chern will. Mei&#x017F;tens figuriren<lb/>
die Schottenfeller als Standesper&#x017F;onen, la&#x017F;&#x017F;en die behandelten<lb/>
Waaren, von denen &#x017F;ie häufig, namentlich wenn &#x017F;ie meinen, ver-<lb/>
dächtig ange&#x017F;ehen zu werden, einen Theil bezahlen, zur Aufbe-<lb/>
wahrung bis auf den andern Tag, oder zur Ab&#x017F;endung in einen<lb/>
an&#x017F;tändigen Ga&#x017F;thof zurück, entfernen &#x017F;ich mit aller Unbefangen-<lb/>
heit, ver&#x017F;prechen das Geld dem Ueberbringer der Waaren im Ga&#x017F;t-<lb/>
hofe auszuzahlen, und er&#x017F;uchen dazu immer, eine quittirte Rech-<lb/>
nung mitzu&#x017F;chicken.</p><lb/>
              <p>Um ganz &#x017F;ichern Vertu&#x017F;&#x017F;, namentlich in größern Handlungen,<lb/>
zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Laden &#x017F;tehen, geht<lb/>
der Schottenfeller mit einem Chäwer, zu dem auch, je nach Ge-<lb/>
legenheit, noch ein dritter oder vierter nach und nach, wie durch<lb/>
Zufall, hereintritt, ohne daß einer die Bekannt&#x017F;chaft mit dem andern<lb/>
irgendwie verräth, in den Laden. Bei die&#x017F;er Verbindung macht<lb/>
der eine den Vertu&#x017F;&#x017F;, indem er des Kaufmanns Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elt, weshalb er auch <hi rendition="#g">Vertu&#x017F;&#x017F;er</hi> oder <hi rendition="#g">Schrekener</hi> <note place="foot" n="1)">Die Ableitung bei Thiele, <hi rendition="#aq">I,</hi> 299, von <gap reason="fm" unit="words"/> (<hi rendition="#aq">sorak</hi>), werfen, i&#x017F;t nicht<lb/>
richtig. Vgl. oben das <hi rendition="#g">Zinkenen,</hi> Kap. 13. Auch wird das Zeitwort <hi rendition="#g">&#x017F;ri-<lb/>
kenen</hi> niemals als Tran&#x017F;itivum gebraucht; vgl. Thiele, S. 311, &#x017F;owenig wie<lb/>
der Gauner &#x017F;agt: Jemanden vertu&#x017F;&#x017F;en.</note>, <hi rendition="#g">Sri-<lb/>
kener, Schmu&#x017F;er</hi> (Sprecher) genannt wird, während der Be-<lb/><note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="1)">lichkeit des gelungenen Dieb&#x017F;tahls die Schottenfeller gewöhnlich &#x017F;ogleich von<lb/>
Schärfen&#x017F;pielern und Brennern auf zudringliche Wei&#x017F;e belä&#x017F;tigt und der Gefahr<lb/>
&#x017F;ofortiger Entdeckung ausge&#x017F;etzt wurden.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13 *</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0207] ſolche Golen zu verbergen. Gewöhnlich werden zwei Unterröcke zur Gole zuſammengenäht und vorne im faltenreichen Oberkleide und im Unterrocke wird ein langer Schlitz gelaſſen, um die Waare einſtecken zu können. Doch tragen auch erfahrene Weiber, beſon- ders wenn ſie Nachjagd fürchten, ſehr häufig eine eigene ſackartige, aus einer doppelten Schürze zuſammengenähte, mit einem Schlitz und oben mit einem ſtarken Bande zum Vorbinden um den Leib verſehene Gole, weil dieſe den Vortheil hat, daß ſie raſch abge- worfen, verſarkent werden kann, wenn die Schottenfellerin ſich bei Verdacht oder Verfolgung koſchern will. Meiſtens figuriren die Schottenfeller als Standesperſonen, laſſen die behandelten Waaren, von denen ſie häufig, namentlich wenn ſie meinen, ver- dächtig angeſehen zu werden, einen Theil bezahlen, zur Aufbe- wahrung bis auf den andern Tag, oder zur Abſendung in einen anſtändigen Gaſthof zurück, entfernen ſich mit aller Unbefangen- heit, verſprechen das Geld dem Ueberbringer der Waaren im Gaſt- hofe auszuzahlen, und erſuchen dazu immer, eine quittirte Rech- nung mitzuſchicken. Um ganz ſichern Vertuſſ, namentlich in größern Handlungen, zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Laden ſtehen, geht der Schottenfeller mit einem Chäwer, zu dem auch, je nach Ge- legenheit, noch ein dritter oder vierter nach und nach, wie durch Zufall, hereintritt, ohne daß einer die Bekanntſchaft mit dem andern irgendwie verräth, in den Laden. Bei dieſer Verbindung macht der eine den Vertuſſ, indem er des Kaufmanns Aufmerkſamkeit feſſelt, weshalb er auch Vertuſſer oder Schrekener 1), Sri- kener, Schmuſer (Sprecher) genannt wird, während der Be- 1) 1) Die Ableitung bei Thiele, I, 299, von _ (sorak), werfen, iſt nicht richtig. Vgl. oben das Zinkenen, Kap. 13. Auch wird das Zeitwort ſri- kenen niemals als Tranſitivum gebraucht; vgl. Thiele, S. 311, ſowenig wie der Gauner ſagt: Jemanden vertuſſen. 1) lichkeit des gelungenen Diebſtahls die Schottenfeller gewöhnlich ſogleich von Schärfenſpielern und Brennern auf zudringliche Weiſe beläſtigt und der Gefahr ſofortiger Entdeckung ausgeſetzt wurden. 13 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/207
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/207>, abgerufen am 17.11.2024.