Diese feine und kluge Gewalt war es, welche den deutschen Boden allmählich unterminirte und in dieser Weise in die Städte einzudringen wußte, deren kräftiges Aufblühen weit weniger durch ihre (überdies vielfach durch die großartigen Städteverbindungen fast nur scheinbar gewordene) Abhängigkeit vom Kaiser und Landes- herrn gefährdet war. Waren die Stadtrechte ihrem wahren und natürlichen Wesen nach Polizeigesetze, mittels welcher sie, im Gegensatz zu den allgemeinen Landrechten, die innern Commun- angelegenheiten ordneten, so war mit der christlich-ethischen Grund- lage dieser Polizei immer auch schon der Geistlichkeit ein sehr bestimmter Einfluß eingeräumt. Die deutsche Polizei, als die zu seiner Leitung und Beschützung aus dem Bürgerthume hervor- gegangene und von ihm selbst verlangte, geschaffene und begün- stigte Ordnung, hätte sich in beständigem Fortschritt und in dem innigsten Verständniß mit dem Bürgerthum zu einer Kräftigkeit und Fülle ohne Gleichen mit diesem ausgebildet, wenn nicht jene Gewalt mit zäher Consequenz unablässig gegen diese Entwickelung operirt und somit auch die Entwickelung der deutschen Nationali- tät wesentlich gestört hätte. Daher die Bedeutungslosigkeit der nur dem Namen nach existirenden Reichspolizei; daher das spätere und zu späte Auftreten der Landespolizei als Nothwehr gegen das schon zur offenen Gewalt gruppirte Räuberthum, und daher noch später der angstvolle Nothgriff nach dem französischen Polizei- systeme, mit welchem wir uns noch heute behelfen müssen, trotz- dem daß es noch ein deutsches Bürgerthum mit dem dringenden Verlangen nach seiner deutschen Würdigung und Beschützung gibt.
Der Kampf des kräftig emporstrebenden Bürgerthums mit seiner Gegnerschaft, welcher einen sehr wesentlichen Theil der Ge- schichte des Mittelalters ausmacht, oder mindestens farbig vor die politische Entwickelung des deutschen Reichs in den Vordergrund tritt, zeigt aber auch, wie in ihm das Verbrechen sich gleich an die offengelegte Blöße heftete und das Bürgerthum mit seinen verderblichen Giftstoffen inficirte. Die jeder kräftigen Natur eigen- thümliche Sinnlichkeit war in alle, auch die höchsten Stände ge- drungen, und hatte sich bis zur Roheit gesteigert. Gerade aber
Dieſe feine und kluge Gewalt war es, welche den deutſchen Boden allmählich unterminirte und in dieſer Weiſe in die Städte einzudringen wußte, deren kräftiges Aufblühen weit weniger durch ihre (überdies vielfach durch die großartigen Städteverbindungen faſt nur ſcheinbar gewordene) Abhängigkeit vom Kaiſer und Landes- herrn gefährdet war. Waren die Stadtrechte ihrem wahren und natürlichen Weſen nach Polizeigeſetze, mittels welcher ſie, im Gegenſatz zu den allgemeinen Landrechten, die innern Commun- angelegenheiten ordneten, ſo war mit der chriſtlich-ethiſchen Grund- lage dieſer Polizei immer auch ſchon der Geiſtlichkeit ein ſehr beſtimmter Einfluß eingeräumt. Die deutſche Polizei, als die zu ſeiner Leitung und Beſchützung aus dem Bürgerthume hervor- gegangene und von ihm ſelbſt verlangte, geſchaffene und begün- ſtigte Ordnung, hätte ſich in beſtändigem Fortſchritt und in dem innigſten Verſtändniß mit dem Bürgerthum zu einer Kräftigkeit und Fülle ohne Gleichen mit dieſem ausgebildet, wenn nicht jene Gewalt mit zäher Conſequenz unabläſſig gegen dieſe Entwickelung operirt und ſomit auch die Entwickelung der deutſchen Nationali- tät weſentlich geſtört hätte. Daher die Bedeutungsloſigkeit der nur dem Namen nach exiſtirenden Reichspolizei; daher das ſpätere und zu ſpäte Auftreten der Landespolizei als Nothwehr gegen das ſchon zur offenen Gewalt gruppirte Räuberthum, und daher noch ſpäter der angſtvolle Nothgriff nach dem franzöſiſchen Polizei- ſyſteme, mit welchem wir uns noch heute behelfen müſſen, trotz- dem daß es noch ein deutſches Bürgerthum mit dem dringenden Verlangen nach ſeiner deutſchen Würdigung und Beſchützung gibt.
Der Kampf des kräftig emporſtrebenden Bürgerthums mit ſeiner Gegnerſchaft, welcher einen ſehr weſentlichen Theil der Ge- ſchichte des Mittelalters ausmacht, oder mindeſtens farbig vor die politiſche Entwickelung des deutſchen Reichs in den Vordergrund tritt, zeigt aber auch, wie in ihm das Verbrechen ſich gleich an die offengelegte Blöße heftete und das Bürgerthum mit ſeinen verderblichen Giftſtoffen inficirte. Die jeder kräftigen Natur eigen- thümliche Sinnlichkeit war in alle, auch die höchſten Stände ge- drungen, und hatte ſich bis zur Roheit geſteigert. Gerade aber
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Dieſe feine und kluge Gewalt war es, welche den deutſchen
Boden allmählich unterminirte und in dieſer Weiſe in die Städte
einzudringen wußte, deren kräftiges Aufblühen weit weniger durch
ihre (überdies vielfach durch die großartigen Städteverbindungen
faſt nur ſcheinbar gewordene) Abhängigkeit vom Kaiſer und Landes-
herrn gefährdet war. Waren die Stadtrechte ihrem wahren und
natürlichen Weſen nach Polizeigeſetze, mittels welcher ſie, im
Gegenſatz zu den allgemeinen Landrechten, die innern Commun-
angelegenheiten ordneten, ſo war mit der chriſtlich-ethiſchen Grund-
lage dieſer Polizei immer auch ſchon der Geiſtlichkeit ein ſehr
beſtimmter Einfluß eingeräumt. Die deutſche Polizei, als die zu
ſeiner Leitung und Beſchützung aus dem Bürgerthume hervor-
gegangene und von ihm ſelbſt verlangte, geſchaffene und begün-
ſtigte Ordnung, hätte ſich in beſtändigem Fortſchritt und in dem
innigſten Verſtändniß mit dem Bürgerthum zu einer Kräftigkeit
und Fülle ohne Gleichen mit dieſem ausgebildet, wenn nicht jene
Gewalt mit zäher Conſequenz unabläſſig gegen dieſe Entwickelung
operirt und ſomit auch die Entwickelung der deutſchen Nationali-
tät weſentlich geſtört hätte. Daher die Bedeutungsloſigkeit der
nur dem Namen nach exiſtirenden Reichspolizei; daher das ſpätere
und zu ſpäte Auftreten der Landespolizei als Nothwehr gegen das
ſchon zur offenen Gewalt gruppirte Räuberthum, und daher noch
ſpäter der angſtvolle Nothgriff nach dem franzöſiſchen Polizei-
ſyſteme, mit welchem wir uns noch heute behelfen müſſen, trotz-
dem daß es noch ein deutſches Bürgerthum mit dem dringenden
Verlangen nach ſeiner deutſchen Würdigung und Beſchützung gibt.
Der Kampf des kräftig emporſtrebenden Bürgerthums mit
ſeiner Gegnerſchaft, welcher einen ſehr weſentlichen Theil der Ge-
ſchichte des Mittelalters ausmacht, oder mindeſtens farbig vor die
politiſche Entwickelung des deutſchen Reichs in den Vordergrund
tritt, zeigt aber auch, wie in ihm das Verbrechen ſich gleich an
die offengelegte Blöße heftete und das Bürgerthum mit ſeinen
verderblichen Giftſtoffen inficirte. Die jeder kräftigen Natur eigen-
thümliche Sinnlichkeit war in alle, auch die höchſten Stände ge-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/76>, abgerufen am 08.07.2024.
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