Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.Gewerbe geworden, es fand im Liber Vagatorum schon eine geliefert, aus jener Zeit, wo die Wissenschaft sich in anachoretischer Scheu aus dem Leben in die Klöster geflüchtet hatte! 1) Bei allen schmählichen Verfolgungen des Judenthums blieb doch die jüdische geistige Eigenthümlichkeit ungebeugt. Es sind nicht die gaunerischen Typen allein, die aus jener Zeit auf uns überkommen sind: der gewandte be- wegliche Geist des Judenthums erkannte und cultivirte auch Besseres und Höheres, und nahm den lebendigsten Antheil an der erwachenden deutschen Volkspoesie, sodaß es damals eine reiche Volksliteratur, ja sogar eine roman- tische Literatur der Juden in jüdisch-deutscher Sprache gab. Vgl. darüber den spätern Abschnitt von der jüdisch-deutschen Sprache. 2) Aber auch in die Städte, in den Schos des Bürgerthums wagten sich schon jetzt die einzelnen Gauner, in dem sichern Bewußtsein des Schutzes, welchen ihnen das bunte Leben des bürgerlichen Verkehrs gewährte. Schon um diese Zeit tritt der gaunerische Bauchredner Peter von Brabant auf, in Eslingen die Gaunerin Margareta Ulmers, in Genf Jan Allard, der beson- ders 1503 sein Wesen trieb, von den Kindern auf der Gasse mit dem Titel Archilarron begrüßt, vergeblich auf die Folter gelegt wurde, auf der er den sprudelndsten Humor entwickelte, bald freigelassen ward, bald sich selbst aus dem Gefängniß befreite, und am lichten Tage Besuche abstattete, wo er wollte, da er überall als Dieb und Zauberer gefürchtet wurde. Vgl. "Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichten", S. 616 fg.; "Wunderseltzame Historien" III, 34. 3) Der Haß, den Johann von Schwarzenberg selbst gegen den Raubadel
Gewerbe geworden, es fand im Liber Vagatorum ſchon eine geliefert, aus jener Zeit, wo die Wiſſenſchaft ſich in anachoretiſcher Scheu aus dem Leben in die Klöſter geflüchtet hatte! 1) Bei allen ſchmählichen Verfolgungen des Judenthums blieb doch die jüdiſche geiſtige Eigenthümlichkeit ungebeugt. Es ſind nicht die gauneriſchen Typen allein, die aus jener Zeit auf uns überkommen ſind: der gewandte be- wegliche Geiſt des Judenthums erkannte und cultivirte auch Beſſeres und Höheres, und nahm den lebendigſten Antheil an der erwachenden deutſchen Volkspoeſie, ſodaß es damals eine reiche Volksliteratur, ja ſogar eine roman- tiſche Literatur der Juden in jüdiſch-deutſcher Sprache gab. Vgl. darüber den ſpätern Abſchnitt von der jüdiſch-deutſchen Sprache. 2) Aber auch in die Städte, in den Schos des Bürgerthums wagten ſich ſchon jetzt die einzelnen Gauner, in dem ſichern Bewußtſein des Schutzes, welchen ihnen das bunte Leben des bürgerlichen Verkehrs gewährte. Schon um dieſe Zeit tritt der gauneriſche Bauchredner Peter von Brabant auf, in Eslingen die Gaunerin Margareta Ulmers, in Genf Jan Allard, der beſon- ders 1503 ſein Weſen trieb, von den Kindern auf der Gaſſe mit dem Titel Archilarron begrüßt, vergeblich auf die Folter gelegt wurde, auf der er den ſprudelndſten Humor entwickelte, bald freigelaſſen ward, bald ſich ſelbſt aus dem Gefängniß befreite, und am lichten Tage Beſuche abſtattete, wo er wollte, da er überall als Dieb und Zauberer gefürchtet wurde. Vgl. „Schauplatz jämmerlicher Mordgeſchichten“, S. 616 fg.; „Wunderſeltzame Hiſtorien“ III, 34. 3) Der Haß, den Johann von Schwarzenberg ſelbſt gegen den Raubadel
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Gewerbe geworden, es fand im Liber Vagatorum ſchon eine
eigene Literatur, aus der man auch erkennt, wie das ſeit den
Kreuzzügen ſyſtematiſch verfolgte und gequälte Volk der Juden 1)
gleich dem getretenen Wurm gegen ſeine Unterdrücker ſich ſchon
lange heimlich zur Wehre geſetzt hatte und ſchon lange einen
integrirenden Theil jenes gemiſchten Vaganten- und Zigeunergeſin-
dels ausmachte, das Religion, Geſetz, Zucht und Sitte verachtete
und hohnlachend ausbeutete. 2) Vergebens war in der Carolina
der Weg zu einer geregelten bündigen Juſtiz angebahnt, ver-
gebens waren in ihr die ſtrengſten Beſtimmungen wider Dieb-
ſtahl und Raub ausgeſprochen, ſobald ſie (Art. 129) doch noch
die offene Gewalt, wenn auch bedingungsweiſe conceſſionirte, und
ſobald dazu Kaiſer und Reich unabläſſig den Landfrieden pre-
digte 3), anſtatt das ſchon geſprochene Wort zur That werden zu
laſſen und die Friedensbrecher mit unnachſichtlicher Strenge zu
2)
1) Bei allen ſchmählichen Verfolgungen des Judenthums blieb doch die
jüdiſche geiſtige Eigenthümlichkeit ungebeugt. Es ſind nicht die gauneriſchen
Typen allein, die aus jener Zeit auf uns überkommen ſind: der gewandte be-
wegliche Geiſt des Judenthums erkannte und cultivirte auch Beſſeres und
Höheres, und nahm den lebendigſten Antheil an der erwachenden deutſchen
Volkspoeſie, ſodaß es damals eine reiche Volksliteratur, ja ſogar eine roman-
tiſche Literatur der Juden in jüdiſch-deutſcher Sprache gab. Vgl. darüber den
ſpätern Abſchnitt von der jüdiſch-deutſchen Sprache.
2) Aber auch in die Städte, in den Schos des Bürgerthums wagten
ſich ſchon jetzt die einzelnen Gauner, in dem ſichern Bewußtſein des Schutzes,
welchen ihnen das bunte Leben des bürgerlichen Verkehrs gewährte. Schon
um dieſe Zeit tritt der gauneriſche Bauchredner Peter von Brabant auf, in
Eslingen die Gaunerin Margareta Ulmers, in Genf Jan Allard, der beſon-
ders 1503 ſein Weſen trieb, von den Kindern auf der Gaſſe mit dem Titel
Archilarron begrüßt, vergeblich auf die Folter gelegt wurde, auf der er den
ſprudelndſten Humor entwickelte, bald freigelaſſen ward, bald ſich ſelbſt aus dem
Gefängniß befreite, und am lichten Tage Beſuche abſtattete, wo er wollte,
da er überall als Dieb und Zauberer gefürchtet wurde. Vgl. „Schauplatz
jämmerlicher Mordgeſchichten“, S. 616 fg.; „Wunderſeltzame Hiſtorien“
III, 34.
3) Der Haß, den Johann von Schwarzenberg ſelbſt gegen den Raubadel
2) geliefert, aus jener Zeit, wo die Wiſſenſchaft ſich in anachoretiſcher Scheu aus
dem Leben in die Klöſter geflüchtet hatte!
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