Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweiter Abschnitt.
Literatur des Gaunerthums.


Achtes Kapitel.
A. Einleitung und Uebersicht.

Aus dem bisherigen Ueberblick über die geschichtliche Entwickelung
des Gaunerthums erkennt man, daß bis zum Schluß des Mittel-
alters und noch bedeutend darüber hinaus das geschichtliche Ma-
terial weithin zerstreut ist und aus den verschiedenartigsten Quellen
nur in einzelnen, kaum zu einem bündigen Ganzen zu verbinden-
den Aphorismen zusammengetragen werden, und daß mithin von
einer eigenen Gaunerliteratur bis zum Ende des Mittelalters nicht
die Rede sein kann. Der Scholasticismus des Mittelalters bannte
das vorhandene geistige und literarische Leben überhaupt in so
starre dürre Formen, daß der objective frische Blick auf Leben und
Wesen überall fast ganz verloren ging. Wie viel weniger konnte
die feine Eindringlingschaft des von jeher sich versteckt haltenden
Gaunerthums in die vielfachen Abschichtungen des social-poli-
tischen Lebens bemerkt und objectiv aufgefaßt und analysirt werden.
Nur durch den sich immer mehr manifestirenden sittlichen Verfall
und durch die verbrecherische That fand man die Urkunde vom
Dasein des Gaunerthums, und that den einzelnen Verbrecher ab,
ohne an das Ganze des Gaunerthums zu glauben, so deutlich
auch stets im einzelnen die Züge des Ganzen hervortraten. Als

Zweiter Abſchnitt.
Literatur des Gaunerthums.


Achtes Kapitel.
A. Einleitung und Ueberſicht.

Aus dem bisherigen Ueberblick über die geſchichtliche Entwickelung
des Gaunerthums erkennt man, daß bis zum Schluß des Mittel-
alters und noch bedeutend darüber hinaus das geſchichtliche Ma-
terial weithin zerſtreut iſt und aus den verſchiedenartigſten Quellen
nur in einzelnen, kaum zu einem bündigen Ganzen zu verbinden-
den Aphorismen zuſammengetragen werden, und daß mithin von
einer eigenen Gaunerliteratur bis zum Ende des Mittelalters nicht
die Rede ſein kann. Der Scholaſticismus des Mittelalters bannte
das vorhandene geiſtige und literariſche Leben überhaupt in ſo
ſtarre dürre Formen, daß der objective friſche Blick auf Leben und
Weſen überall faſt ganz verloren ging. Wie viel weniger konnte
die feine Eindringlingſchaft des von jeher ſich verſteckt haltenden
Gaunerthums in die vielfachen Abſchichtungen des ſocial-poli-
tiſchen Lebens bemerkt und objectiv aufgefaßt und analyſirt werden.
Nur durch den ſich immer mehr manifeſtirenden ſittlichen Verfall
und durch die verbrecheriſche That fand man die Urkunde vom
Daſein des Gaunerthums, und that den einzelnen Verbrecher ab,
ohne an das Ganze des Gaunerthums zu glauben, ſo deutlich
auch ſtets im einzelnen die Züge des Ganzen hervortraten. Als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0133" n="[117]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Zweiter Ab&#x017F;chnitt.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Literatur des Gaunerthums.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Achtes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">A.</hi> Einleitung und Ueber&#x017F;icht.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi>us dem bisherigen Ueberblick über die ge&#x017F;chichtliche Entwickelung<lb/>
des Gaunerthums erkennt man, daß bis zum Schluß des Mittel-<lb/>
alters und noch bedeutend darüber hinaus das ge&#x017F;chichtliche Ma-<lb/>
terial weithin zer&#x017F;treut i&#x017F;t und aus den ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten Quellen<lb/>
nur in einzelnen, kaum zu einem bündigen Ganzen zu verbinden-<lb/>
den Aphorismen zu&#x017F;ammengetragen werden, und daß mithin von<lb/>
einer eigenen Gaunerliteratur bis zum Ende des Mittelalters nicht<lb/>
die Rede &#x017F;ein kann. Der Schola&#x017F;ticismus des Mittelalters bannte<lb/>
das vorhandene gei&#x017F;tige und literari&#x017F;che Leben überhaupt in &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tarre dürre Formen, daß der objective fri&#x017F;che Blick auf Leben und<lb/>
We&#x017F;en überall fa&#x017F;t ganz verloren ging. Wie viel weniger konnte<lb/>
die feine Eindringling&#x017F;chaft des von jeher &#x017F;ich ver&#x017F;teckt haltenden<lb/>
Gaunerthums in die vielfachen Ab&#x017F;chichtungen des &#x017F;ocial-poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Lebens bemerkt und objectiv aufgefaßt und analy&#x017F;irt werden.<lb/>
Nur durch den &#x017F;ich immer mehr manife&#x017F;tirenden &#x017F;ittlichen Verfall<lb/>
und durch die verbrecheri&#x017F;che That fand man die Urkunde vom<lb/>
Da&#x017F;ein des Gaunerthums, und that den einzelnen Verbrecher ab,<lb/>
ohne an das Ganze des Gaunerthums zu glauben, &#x017F;o deutlich<lb/>
auch &#x017F;tets im einzelnen die Züge des Ganzen hervortraten. Als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[117]/0133] Zweiter Abſchnitt. Literatur des Gaunerthums. Achtes Kapitel. A. Einleitung und Ueberſicht. Aus dem bisherigen Ueberblick über die geſchichtliche Entwickelung des Gaunerthums erkennt man, daß bis zum Schluß des Mittel- alters und noch bedeutend darüber hinaus das geſchichtliche Ma- terial weithin zerſtreut iſt und aus den verſchiedenartigſten Quellen nur in einzelnen, kaum zu einem bündigen Ganzen zu verbinden- den Aphorismen zuſammengetragen werden, und daß mithin von einer eigenen Gaunerliteratur bis zum Ende des Mittelalters nicht die Rede ſein kann. Der Scholaſticismus des Mittelalters bannte das vorhandene geiſtige und literariſche Leben überhaupt in ſo ſtarre dürre Formen, daß der objective friſche Blick auf Leben und Weſen überall faſt ganz verloren ging. Wie viel weniger konnte die feine Eindringlingſchaft des von jeher ſich verſteckt haltenden Gaunerthums in die vielfachen Abſchichtungen des ſocial-poli- tiſchen Lebens bemerkt und objectiv aufgefaßt und analyſirt werden. Nur durch den ſich immer mehr manifeſtirenden ſittlichen Verfall und durch die verbrecheriſche That fand man die Urkunde vom Daſein des Gaunerthums, und that den einzelnen Verbrecher ab, ohne an das Ganze des Gaunerthums zu glauben, ſo deutlich auch ſtets im einzelnen die Züge des Ganzen hervortraten. Als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/133
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. [117]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/133>, abgerufen am 28.11.2024.