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Allgemeine Zeitung. Nr. 175. Augsburg, 23. Juni 1840.

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die Gränzen und Küsten wurden sorgfältiger gegen freisinnige Ideen als gegen sonstige Contrebande bewacht. Wie wenig damit ausgerichtet wurde, zeigte die Folge. Hätte Gustav Adolf der Presse den Mund geöffnet, wäre er vielleicht noch König in Schweden. Denn die Presse würde ihn zeitig genug von der Stimmung im Lande aufgeklärt haben, und sie würde, was die Höflinge nicht wagten oder nicht wollten, laut genug in seine Ohren gerufen haben, um selbst eine Halsstarrigkeit, wie die seinige, aufzuschrecken. Allein er hatte sich selbst des großen Barometers beraubt, welches ihm das herannahende Gewitter hätte prophezeien können, und so traf ihn ganz unvorbereitet die Nemesis, welche über Königen und Völkern waltet.

Die Einführung der Preßfreiheit war eine der wichtigsten Folgen der schwedischen Staatsumwälzung, und das dießfalls auf dem Reichstag im Jahr 1812 entstandene Gesetz, wodurch die Schranken jener Freiheit bestimmt und die Juryeinrichtung für Preßvergehen regulirt wurde, dient noch zur Nachfolge. Nur hat man, was besonders die periodische Presse betrifft, bisher vergebens auf die Aufhebung jener, bei ihrer Entstehung nur als interimistisch angegebenen Verordnung gewartet, welche dem Hofkanzler die Macht übertrug, die weitere Herausgabe jeder beliebigen Zeitung ohne Richterspruch, unter bloßem Vorbehalt nachfolgender königlichen Gutheißung zu verbieten. Die Bande, die man durch diese sogenannte Einziehungsmacht der periodischen Presse aufgelegt zu haben glaubte, sind in der That nur illusorisch. Denn eine vom Hofkanzler eingezogene Zeitung braucht nur einen andern Namen des verantwortlichen Redacteurs anzugeben, und eine kleine, oftmals kaum bemerkliche Veränderung im Titel des Blatts zu machen, z. B. das Wort "neue", "neueste", "vierte", "fünfte" u. s. w. hinzuzufügen, um gleich am folgenden Tage wieder zu erscheinen. Format, Druck, Redaction, Tendenz - Alles bleibt wie vorher, nur die Zahl der Abonnenten vermehrt sich. Denn das Interesse oder doch die Neugier des Publicums steigt, wie gewöhnlich, mit jedem neuen Verbot.

Von den Herausgebern wird weder eine Cautionssumme gefordert, noch sind die Redacteure angehalten, ihren Namen in der Zeitung anzugeben. Dieß macht, daß es nie einer Redaction schwer fallen kann, wenn ihr Blatt von einer Einziehung betroffen worden, einen neuen verantwortlichen Redacteur zu finden. Denn es handelt sich nur um einen Namen, und es findet sich leicht, wenn nicht ein Schriftsteller, doch ein Schriftsetzer, ein Gewürzkrämer oder ein Schuhmacher, der bereit ist, den seinigen um einige Reichsthaler, wenn nicht gar umsonst aus "Patriotismus", herzugeben. Kommt dann nach einiger Zeit ein neuer Bannstrahl vom Hofkanzler, so wird zwar der Schuster künftig für unwürdig gehalten, irgend eine Zeitung herauszugeben, aber dieß kümmert ihn gar wenig, denn er hat eigentlich nie schriftstellerische Ansprüche gehabt, und ist stets bei seinem Leisten geblieben. Sein Name kann leicht in dem Register des Hofkanzlers etwa durch einen Schneider ersetzt werden, und so fort.

Aergerlicher ist es, wenn die Zeitung sich eine richterliche Anklage zugezogen hat. Der ostensible verantwortliche Redacteur wird dann vor Gericht gezogen, um für Zeitungsartikel Rede zu stehen, die er oft weder geschrieben noch gelesen hat. Die wirkliche Redaction steckt ihm aber dann eine Vertheidigungsschrift in die Hand oder stellt ihm einen Advocaten zur Seite, nennt ihm einige ihrer guten Freunde oder gar Mitarbeiter, die er sich als Jurymänner zu wählen hat, bezahlt die Strafgelder, wenn er verurtheilt wird, und hält sich schadlos durch die vermittelst des geweckten Aufsehens vermehrte Pränumerantenzahl. Im schlimmsten Fall kann wohl auch der verantwortliche angebliche Redacteur zur Gefängnißstrafe verurtheilt werden, und die wirkliche geheime Redaction, welche seinen Namen vorgeschoben, sieht sich dann wenigstens aus Ehrgefühl aufgefordert, dem gewissermaßen unschuldig Leidenden eine Genugthuung für den erlittenen Verdruß und Zeitverlust zu geben. Dieß kommt aber selten vor, und am Ende wird wohl jede Zeitungsredaction es sich lieber eine mäßige Geldsumme kosten lassen, um einen jedenfalls nutzlosen Vertreter im Gefängniß zu unterhalten, als einen ihrer thätigen Hauptredactoren auf eine Zeit lang verlieren zu müssen. Der Verurtheilte hat vielleicht nichts zu versäumen, und kann daher in aller Muße seinen Unterhalt verzehren und ruhig die Stunde seiner Befreiung abwarten, sicher, wie er ist, von seinen Freunden als ein Märtyrer der Freiheit gepriesen zu werden.

Man sieht, Alle gewinnen bei dieser Jurisprudenz, nur die Gerechtigkeit nicht. Die Mängel einer Preßgesetzgebung, die auf solche Weise eludirt werden kann, sind zu auffallend, als daß wir sie weiter auseinander zu setzen brauchten. Dennoch hört man nicht, daß die jetzigen Reichsstände dieser wichtigen Frage einige Aufmerksamkeit widmen. *)

Obwohl, wie schon bemerkt worden, die jetzige Preßfreiheit in Schweden dreißig Jahre alt ist, hat doch eigentlich erst in den letzten fünfzehn Jahren die periodische Presse hier allmählich eine politische Bedeutung gewonnen. In den ersten Jahren nach der Revolution schien die Presse noch nicht zum Bewußtseyn ihrer Macht gekommen zu seyn. Nur die Dichter und Belletristen nahmen gleich Besitz von dem frei gewordenen Feld. Ein neuer Frühling jugendlicher Dichterlust schien sich entwickeln zu wollen; es flitterten Canzonen und Sonette von einem in der schwedischen Sprache noch unerhörten Schwung; die "Phosphoristen" kämpften mit Lust gegen die Nachbeter der französischen Classicität in der schwedischen Akademie, und die sentimentale deutsche Romantik vermählte sich mit der derben altnordischen Mythologie. Ob der Sommer gehalten hat, was jener Frühling versprach, mag hier unerörtert bleiben. Damals erregte wenigstens die neue Bewegung in der Litteratur eine allgemeine Theilnahme; mehrere Zeitungen oder Zeitschriften wurden fast ausschließlich den litterarischen Fehden gewidmet, und die Politik stand nur im Hintergrund. Jetzt ist das Verhältniß umgekehrt. Die Zeitungen, welche vor zwanzig Jahren noch in kleinem Quartformat und auf grauem Papier erschienen, treten jetzt in großem zwölf- oder sechszehnspaltigen Folio auf weißem Maschinenpapier auf, und, bis auf einige Theaterrecensionen und mitunter Uebersetzungen aus französischen Feuilletons, beschäftigen sie sich von Anfang bis zu Ende nur mit politischen Gegenständen. Das Publicum der politischen Zeitungen vermehrt sich jährlich, während Litteratur und Wissenschaft so wenig Theilnahme finden, daß alle Versuche, die in den späteren Jahren hier gemacht wurden, litterarische Zeitungen zu begründen, sämmtlich gescheitert sind, obwohl sie nicht selten von bedeutenden Talenten selbst mit Aufopferung unterstützt wurden. In diesem Augenblick besteht in Schweden keine einzige litterarische Zeitung. Wenn also die politische Bildung hier in einigen Jahren bedeutend zugenommen, ist es doch kaum zu läugnen, daß dieß zum Theil auf Kosten des Geschmacks für ernste Lecture geschehen ist.

(Fortsetzung folgt.)

*) Die einzige Veränderung im Preßgesetz, welche die von den Ständen vorgeschlagenen und jetzt vom König zu bestätigenden Reformen zur Folge haben werden, ist, daß die bisherige Competenz des Hofkanzlers künftighin auf den Staatsminister der Justiz übertragen wird.

die Gränzen und Küsten wurden sorgfältiger gegen freisinnige Ideen als gegen sonstige Contrebande bewacht. Wie wenig damit ausgerichtet wurde, zeigte die Folge. Hätte Gustav Adolf der Presse den Mund geöffnet, wäre er vielleicht noch König in Schweden. Denn die Presse würde ihn zeitig genug von der Stimmung im Lande aufgeklärt haben, und sie würde, was die Höflinge nicht wagten oder nicht wollten, laut genug in seine Ohren gerufen haben, um selbst eine Halsstarrigkeit, wie die seinige, aufzuschrecken. Allein er hatte sich selbst des großen Barometers beraubt, welches ihm das herannahende Gewitter hätte prophezeien können, und so traf ihn ganz unvorbereitet die Nemesis, welche über Königen und Völkern waltet.

Die Einführung der Preßfreiheit war eine der wichtigsten Folgen der schwedischen Staatsumwälzung, und das dießfalls auf dem Reichstag im Jahr 1812 entstandene Gesetz, wodurch die Schranken jener Freiheit bestimmt und die Juryeinrichtung für Preßvergehen regulirt wurde, dient noch zur Nachfolge. Nur hat man, was besonders die periodische Presse betrifft, bisher vergebens auf die Aufhebung jener, bei ihrer Entstehung nur als interimistisch angegebenen Verordnung gewartet, welche dem Hofkanzler die Macht übertrug, die weitere Herausgabe jeder beliebigen Zeitung ohne Richterspruch, unter bloßem Vorbehalt nachfolgender königlichen Gutheißung zu verbieten. Die Bande, die man durch diese sogenannte Einziehungsmacht der periodischen Presse aufgelegt zu haben glaubte, sind in der That nur illusorisch. Denn eine vom Hofkanzler eingezogene Zeitung braucht nur einen andern Namen des verantwortlichen Redacteurs anzugeben, und eine kleine, oftmals kaum bemerkliche Veränderung im Titel des Blatts zu machen, z. B. das Wort „neue“, „neueste“, „vierte“, „fünfte“ u. s. w. hinzuzufügen, um gleich am folgenden Tage wieder zu erscheinen. Format, Druck, Redaction, Tendenz – Alles bleibt wie vorher, nur die Zahl der Abonnenten vermehrt sich. Denn das Interesse oder doch die Neugier des Publicums steigt, wie gewöhnlich, mit jedem neuen Verbot.

Von den Herausgebern wird weder eine Cautionssumme gefordert, noch sind die Redacteure angehalten, ihren Namen in der Zeitung anzugeben. Dieß macht, daß es nie einer Redaction schwer fallen kann, wenn ihr Blatt von einer Einziehung betroffen worden, einen neuen verantwortlichen Redacteur zu finden. Denn es handelt sich nur um einen Namen, und es findet sich leicht, wenn nicht ein Schriftsteller, doch ein Schriftsetzer, ein Gewürzkrämer oder ein Schuhmacher, der bereit ist, den seinigen um einige Reichsthaler, wenn nicht gar umsonst aus „Patriotismus“, herzugeben. Kommt dann nach einiger Zeit ein neuer Bannstrahl vom Hofkanzler, so wird zwar der Schuster künftig für unwürdig gehalten, irgend eine Zeitung herauszugeben, aber dieß kümmert ihn gar wenig, denn er hat eigentlich nie schriftstellerische Ansprüche gehabt, und ist stets bei seinem Leisten geblieben. Sein Name kann leicht in dem Register des Hofkanzlers etwa durch einen Schneider ersetzt werden, und so fort.

Aergerlicher ist es, wenn die Zeitung sich eine richterliche Anklage zugezogen hat. Der ostensible verantwortliche Redacteur wird dann vor Gericht gezogen, um für Zeitungsartikel Rede zu stehen, die er oft weder geschrieben noch gelesen hat. Die wirkliche Redaction steckt ihm aber dann eine Vertheidigungsschrift in die Hand oder stellt ihm einen Advocaten zur Seite, nennt ihm einige ihrer guten Freunde oder gar Mitarbeiter, die er sich als Jurymänner zu wählen hat, bezahlt die Strafgelder, wenn er verurtheilt wird, und hält sich schadlos durch die vermittelst des geweckten Aufsehens vermehrte Pränumerantenzahl. Im schlimmsten Fall kann wohl auch der verantwortliche angebliche Redacteur zur Gefängnißstrafe verurtheilt werden, und die wirkliche geheime Redaction, welche seinen Namen vorgeschoben, sieht sich dann wenigstens aus Ehrgefühl aufgefordert, dem gewissermaßen unschuldig Leidenden eine Genugthuung für den erlittenen Verdruß und Zeitverlust zu geben. Dieß kommt aber selten vor, und am Ende wird wohl jede Zeitungsredaction es sich lieber eine mäßige Geldsumme kosten lassen, um einen jedenfalls nutzlosen Vertreter im Gefängniß zu unterhalten, als einen ihrer thätigen Hauptredactoren auf eine Zeit lang verlieren zu müssen. Der Verurtheilte hat vielleicht nichts zu versäumen, und kann daher in aller Muße seinen Unterhalt verzehren und ruhig die Stunde seiner Befreiung abwarten, sicher, wie er ist, von seinen Freunden als ein Märtyrer der Freiheit gepriesen zu werden.

Man sieht, Alle gewinnen bei dieser Jurisprudenz, nur die Gerechtigkeit nicht. Die Mängel einer Preßgesetzgebung, die auf solche Weise eludirt werden kann, sind zu auffallend, als daß wir sie weiter auseinander zu setzen brauchten. Dennoch hört man nicht, daß die jetzigen Reichsstände dieser wichtigen Frage einige Aufmerksamkeit widmen. *)

Obwohl, wie schon bemerkt worden, die jetzige Preßfreiheit in Schweden dreißig Jahre alt ist, hat doch eigentlich erst in den letzten fünfzehn Jahren die periodische Presse hier allmählich eine politische Bedeutung gewonnen. In den ersten Jahren nach der Revolution schien die Presse noch nicht zum Bewußtseyn ihrer Macht gekommen zu seyn. Nur die Dichter und Belletristen nahmen gleich Besitz von dem frei gewordenen Feld. Ein neuer Frühling jugendlicher Dichterlust schien sich entwickeln zu wollen; es flitterten Canzonen und Sonette von einem in der schwedischen Sprache noch unerhörten Schwung; die „Phosphoristen“ kämpften mit Lust gegen die Nachbeter der französischen Classicität in der schwedischen Akademie, und die sentimentale deutsche Romantik vermählte sich mit der derben altnordischen Mythologie. Ob der Sommer gehalten hat, was jener Frühling versprach, mag hier unerörtert bleiben. Damals erregte wenigstens die neue Bewegung in der Litteratur eine allgemeine Theilnahme; mehrere Zeitungen oder Zeitschriften wurden fast ausschließlich den litterarischen Fehden gewidmet, und die Politik stand nur im Hintergrund. Jetzt ist das Verhältniß umgekehrt. Die Zeitungen, welche vor zwanzig Jahren noch in kleinem Quartformat und auf grauem Papier erschienen, treten jetzt in großem zwölf- oder sechszehnspaltigen Folio auf weißem Maschinenpapier auf, und, bis auf einige Theaterrecensionen und mitunter Uebersetzungen aus französischen Feuilletons, beschäftigen sie sich von Anfang bis zu Ende nur mit politischen Gegenständen. Das Publicum der politischen Zeitungen vermehrt sich jährlich, während Litteratur und Wissenschaft so wenig Theilnahme finden, daß alle Versuche, die in den späteren Jahren hier gemacht wurden, litterarische Zeitungen zu begründen, sämmtlich gescheitert sind, obwohl sie nicht selten von bedeutenden Talenten selbst mit Aufopferung unterstützt wurden. In diesem Augenblick besteht in Schweden keine einzige litterarische Zeitung. Wenn also die politische Bildung hier in einigen Jahren bedeutend zugenommen, ist es doch kaum zu läugnen, daß dieß zum Theil auf Kosten des Geschmacks für ernste Lecture geschehen ist.

(Fortsetzung folgt.)

*) Die einzige Veränderung im Preßgesetz, welche die von den Ständen vorgeschlagenen und jetzt vom König zu bestätigenden Reformen zur Folge haben werden, ist, daß die bisherige Competenz des Hofkanzlers künftighin auf den Staatsminister der Justiz übertragen wird.
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          <p>Die Einführung der Preßfreiheit war eine der wichtigsten Folgen der schwedischen Staatsumwälzung, und das dießfalls auf dem Reichstag im Jahr 1812 entstandene Gesetz, wodurch die Schranken jener Freiheit bestimmt und die Juryeinrichtung für Preßvergehen regulirt wurde, dient noch zur Nachfolge. Nur hat man, was besonders die periodische Presse betrifft, bisher vergebens auf die Aufhebung jener, bei ihrer Entstehung nur als interimistisch angegebenen Verordnung gewartet, welche dem Hofkanzler die Macht übertrug, die weitere Herausgabe jeder beliebigen Zeitung ohne Richterspruch, unter bloßem Vorbehalt nachfolgender königlichen Gutheißung zu verbieten. Die Bande, die man durch diese sogenannte Einziehungsmacht der periodischen Presse aufgelegt zu haben glaubte, sind in der That nur illusorisch. Denn eine vom Hofkanzler eingezogene Zeitung braucht nur einen andern Namen des verantwortlichen Redacteurs anzugeben, und eine kleine, oftmals kaum bemerkliche Veränderung im Titel des Blatts zu machen, z. B. das Wort &#x201E;neue&#x201C;, &#x201E;neueste&#x201C;, &#x201E;vierte&#x201C;, &#x201E;fünfte&#x201C; u. s. w. hinzuzufügen, um gleich am folgenden Tage wieder zu erscheinen. Format, Druck, Redaction, Tendenz &#x2013; Alles bleibt wie vorher, nur die Zahl der Abonnenten vermehrt sich. Denn das Interesse oder doch die Neugier des Publicums steigt, wie gewöhnlich, mit jedem neuen Verbot.</p><lb/>
          <p>Von den Herausgebern wird weder eine Cautionssumme gefordert, noch sind die Redacteure angehalten, ihren Namen in der Zeitung anzugeben. Dieß macht, daß es nie einer Redaction schwer fallen kann, wenn ihr Blatt von einer Einziehung betroffen worden, einen neuen verantwortlichen Redacteur zu finden. Denn es handelt sich nur um einen Namen, und es findet sich leicht, wenn nicht ein Schriftsteller, doch ein Schriftsetzer, ein Gewürzkrämer oder ein Schuhmacher, der bereit ist, den seinigen um einige Reichsthaler, wenn nicht gar umsonst aus &#x201E;Patriotismus&#x201C;, herzugeben. Kommt dann nach einiger Zeit ein neuer Bannstrahl vom Hofkanzler, so wird zwar der Schuster künftig für unwürdig gehalten, irgend eine Zeitung herauszugeben, aber dieß kümmert ihn gar wenig, denn er hat eigentlich nie schriftstellerische Ansprüche gehabt, und ist stets bei seinem Leisten geblieben. Sein Name kann leicht in dem Register des Hofkanzlers etwa durch einen Schneider ersetzt werden, und so fort.</p><lb/>
          <p>Aergerlicher ist es, wenn die Zeitung sich eine richterliche Anklage zugezogen hat. Der ostensible verantwortliche Redacteur wird dann vor Gericht gezogen, um für Zeitungsartikel Rede zu stehen, die er oft weder geschrieben noch gelesen hat. Die wirkliche Redaction steckt ihm aber dann eine Vertheidigungsschrift in die Hand oder stellt ihm einen Advocaten zur Seite, nennt ihm einige ihrer guten Freunde oder gar Mitarbeiter, die er sich als Jurymänner zu wählen hat, bezahlt die Strafgelder, wenn er verurtheilt wird, und hält sich schadlos durch die vermittelst des geweckten Aufsehens vermehrte Pränumerantenzahl. Im schlimmsten Fall kann wohl auch der verantwortliche angebliche Redacteur zur Gefängnißstrafe verurtheilt werden, und die wirkliche geheime Redaction, welche seinen Namen vorgeschoben, sieht sich dann wenigstens aus Ehrgefühl aufgefordert, dem gewissermaßen unschuldig Leidenden eine Genugthuung für den erlittenen Verdruß und Zeitverlust zu geben. Dieß kommt aber selten vor, und am Ende wird wohl jede Zeitungsredaction es sich lieber eine mäßige Geldsumme kosten lassen, um einen jedenfalls nutzlosen Vertreter im Gefängniß zu unterhalten, als einen ihrer thätigen Hauptredactoren auf eine Zeit lang verlieren zu müssen. Der Verurtheilte hat vielleicht nichts zu versäumen, und kann daher in aller Muße seinen Unterhalt verzehren und ruhig die Stunde seiner Befreiung abwarten, sicher, wie er ist, von seinen Freunden als ein Märtyrer der Freiheit gepriesen zu werden.</p><lb/>
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[1395/0011] die Gränzen und Küsten wurden sorgfältiger gegen freisinnige Ideen als gegen sonstige Contrebande bewacht. Wie wenig damit ausgerichtet wurde, zeigte die Folge. Hätte Gustav Adolf der Presse den Mund geöffnet, wäre er vielleicht noch König in Schweden. Denn die Presse würde ihn zeitig genug von der Stimmung im Lande aufgeklärt haben, und sie würde, was die Höflinge nicht wagten oder nicht wollten, laut genug in seine Ohren gerufen haben, um selbst eine Halsstarrigkeit, wie die seinige, aufzuschrecken. Allein er hatte sich selbst des großen Barometers beraubt, welches ihm das herannahende Gewitter hätte prophezeien können, und so traf ihn ganz unvorbereitet die Nemesis, welche über Königen und Völkern waltet. Die Einführung der Preßfreiheit war eine der wichtigsten Folgen der schwedischen Staatsumwälzung, und das dießfalls auf dem Reichstag im Jahr 1812 entstandene Gesetz, wodurch die Schranken jener Freiheit bestimmt und die Juryeinrichtung für Preßvergehen regulirt wurde, dient noch zur Nachfolge. Nur hat man, was besonders die periodische Presse betrifft, bisher vergebens auf die Aufhebung jener, bei ihrer Entstehung nur als interimistisch angegebenen Verordnung gewartet, welche dem Hofkanzler die Macht übertrug, die weitere Herausgabe jeder beliebigen Zeitung ohne Richterspruch, unter bloßem Vorbehalt nachfolgender königlichen Gutheißung zu verbieten. Die Bande, die man durch diese sogenannte Einziehungsmacht der periodischen Presse aufgelegt zu haben glaubte, sind in der That nur illusorisch. Denn eine vom Hofkanzler eingezogene Zeitung braucht nur einen andern Namen des verantwortlichen Redacteurs anzugeben, und eine kleine, oftmals kaum bemerkliche Veränderung im Titel des Blatts zu machen, z. B. das Wort „neue“, „neueste“, „vierte“, „fünfte“ u. s. w. hinzuzufügen, um gleich am folgenden Tage wieder zu erscheinen. Format, Druck, Redaction, Tendenz – Alles bleibt wie vorher, nur die Zahl der Abonnenten vermehrt sich. Denn das Interesse oder doch die Neugier des Publicums steigt, wie gewöhnlich, mit jedem neuen Verbot. Von den Herausgebern wird weder eine Cautionssumme gefordert, noch sind die Redacteure angehalten, ihren Namen in der Zeitung anzugeben. Dieß macht, daß es nie einer Redaction schwer fallen kann, wenn ihr Blatt von einer Einziehung betroffen worden, einen neuen verantwortlichen Redacteur zu finden. Denn es handelt sich nur um einen Namen, und es findet sich leicht, wenn nicht ein Schriftsteller, doch ein Schriftsetzer, ein Gewürzkrämer oder ein Schuhmacher, der bereit ist, den seinigen um einige Reichsthaler, wenn nicht gar umsonst aus „Patriotismus“, herzugeben. Kommt dann nach einiger Zeit ein neuer Bannstrahl vom Hofkanzler, so wird zwar der Schuster künftig für unwürdig gehalten, irgend eine Zeitung herauszugeben, aber dieß kümmert ihn gar wenig, denn er hat eigentlich nie schriftstellerische Ansprüche gehabt, und ist stets bei seinem Leisten geblieben. Sein Name kann leicht in dem Register des Hofkanzlers etwa durch einen Schneider ersetzt werden, und so fort. Aergerlicher ist es, wenn die Zeitung sich eine richterliche Anklage zugezogen hat. Der ostensible verantwortliche Redacteur wird dann vor Gericht gezogen, um für Zeitungsartikel Rede zu stehen, die er oft weder geschrieben noch gelesen hat. Die wirkliche Redaction steckt ihm aber dann eine Vertheidigungsschrift in die Hand oder stellt ihm einen Advocaten zur Seite, nennt ihm einige ihrer guten Freunde oder gar Mitarbeiter, die er sich als Jurymänner zu wählen hat, bezahlt die Strafgelder, wenn er verurtheilt wird, und hält sich schadlos durch die vermittelst des geweckten Aufsehens vermehrte Pränumerantenzahl. Im schlimmsten Fall kann wohl auch der verantwortliche angebliche Redacteur zur Gefängnißstrafe verurtheilt werden, und die wirkliche geheime Redaction, welche seinen Namen vorgeschoben, sieht sich dann wenigstens aus Ehrgefühl aufgefordert, dem gewissermaßen unschuldig Leidenden eine Genugthuung für den erlittenen Verdruß und Zeitverlust zu geben. Dieß kommt aber selten vor, und am Ende wird wohl jede Zeitungsredaction es sich lieber eine mäßige Geldsumme kosten lassen, um einen jedenfalls nutzlosen Vertreter im Gefängniß zu unterhalten, als einen ihrer thätigen Hauptredactoren auf eine Zeit lang verlieren zu müssen. Der Verurtheilte hat vielleicht nichts zu versäumen, und kann daher in aller Muße seinen Unterhalt verzehren und ruhig die Stunde seiner Befreiung abwarten, sicher, wie er ist, von seinen Freunden als ein Märtyrer der Freiheit gepriesen zu werden. Man sieht, Alle gewinnen bei dieser Jurisprudenz, nur die Gerechtigkeit nicht. Die Mängel einer Preßgesetzgebung, die auf solche Weise eludirt werden kann, sind zu auffallend, als daß wir sie weiter auseinander zu setzen brauchten. Dennoch hört man nicht, daß die jetzigen Reichsstände dieser wichtigen Frage einige Aufmerksamkeit widmen. *) Obwohl, wie schon bemerkt worden, die jetzige Preßfreiheit in Schweden dreißig Jahre alt ist, hat doch eigentlich erst in den letzten fünfzehn Jahren die periodische Presse hier allmählich eine politische Bedeutung gewonnen. In den ersten Jahren nach der Revolution schien die Presse noch nicht zum Bewußtseyn ihrer Macht gekommen zu seyn. Nur die Dichter und Belletristen nahmen gleich Besitz von dem frei gewordenen Feld. Ein neuer Frühling jugendlicher Dichterlust schien sich entwickeln zu wollen; es flitterten Canzonen und Sonette von einem in der schwedischen Sprache noch unerhörten Schwung; die „Phosphoristen“ kämpften mit Lust gegen die Nachbeter der französischen Classicität in der schwedischen Akademie, und die sentimentale deutsche Romantik vermählte sich mit der derben altnordischen Mythologie. Ob der Sommer gehalten hat, was jener Frühling versprach, mag hier unerörtert bleiben. Damals erregte wenigstens die neue Bewegung in der Litteratur eine allgemeine Theilnahme; mehrere Zeitungen oder Zeitschriften wurden fast ausschließlich den litterarischen Fehden gewidmet, und die Politik stand nur im Hintergrund. Jetzt ist das Verhältniß umgekehrt. Die Zeitungen, welche vor zwanzig Jahren noch in kleinem Quartformat und auf grauem Papier erschienen, treten jetzt in großem zwölf- oder sechszehnspaltigen Folio auf weißem Maschinenpapier auf, und, bis auf einige Theaterrecensionen und mitunter Uebersetzungen aus französischen Feuilletons, beschäftigen sie sich von Anfang bis zu Ende nur mit politischen Gegenständen. Das Publicum der politischen Zeitungen vermehrt sich jährlich, während Litteratur und Wissenschaft so wenig Theilnahme finden, daß alle Versuche, die in den späteren Jahren hier gemacht wurden, litterarische Zeitungen zu begründen, sämmtlich gescheitert sind, obwohl sie nicht selten von bedeutenden Talenten selbst mit Aufopferung unterstützt wurden. In diesem Augenblick besteht in Schweden keine einzige litterarische Zeitung. Wenn also die politische Bildung hier in einigen Jahren bedeutend zugenommen, ist es doch kaum zu läugnen, daß dieß zum Theil auf Kosten des Geschmacks für ernste Lecture geschehen ist. (Fortsetzung folgt.) *) Die einzige Veränderung im Preßgesetz, welche die von den Ständen vorgeschlagenen und jetzt vom König zu bestätigenden Reformen zur Folge haben werden, ist, daß die bisherige Competenz des Hofkanzlers künftighin auf den Staatsminister der Justiz übertragen wird.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 175. Augsburg, 23. Juni 1840, S. 1395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_175_18400623/11>, abgerufen am 19.04.2024.