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Allgemeine Zeitung. Nr. 171. Augsburg, 19. Juni 1840.

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beschäftigt. Nach seinem Mittagsessen, wenn der Abend anbrach, trat er aus seiner Zelle, ging nach der Straße d'Enfer, wo ich wohnte, und brachte den Abend bis 11 Uhr oder Mitternacht bei mir zu. Ich meinerseits hatte mein Leben beinahe ganz nach dem seinigen eingerichtet: ich verlebte den Tag zwischen meinen Arzneien und Plato; und am Abend machte ich meine Bücher zu und empfing meine Freunde. Santa-Rosa sprach gerne und leidenschaftlich, mit einem Ausdruck voll Wahl und Schönheit, aber ich war so matt und schwach, daß ich die Energie, welche er in seine Worte legte, nicht ertragen konnte. Ich bekam das Fieber, und eine nervöse Aufregung endete mit allgemeiner Mattigkeit oder vielmehr Ohnmacht. Da schwieg der energische Mann mit den glühenden Worten, und an seine Stelle trat das liebevollste Wesen von der Welt. Wie viele Nächte hat er nicht an meinem Bette zugebracht mit meiner alten Haushälterin! Als ich besser wurde, warf er sich ganz angekleidet auf ein Sopha, und trotz seiner Sorgen und seines Kummers schlief er in wenigen Minuten mit seinem guten Gewissen und einer unverwüstlichen Gesundheit ein, um erst mit Tagesanbruch wieder zu erwachen.

Es ist hier am Platze, sein Porträt zu entwerfen. Santa-Rosa war damals etwa vierzig Jahre alt; er war von mittlerer Größe, ungefähr fünf Fuß zwei Zoll. Sein Kopf war groß, die Stirne kahl, Lippen und Nase ein wenig zu stark, in der Regel trug er eine Brille. Nichts Elegantes in seinen Manieren; ein ernstes männliches Aussehen unter außerordentlich feinen Formen. Er war weit davon entfernt, schön genannt zu werden, aber sein Gesicht, wenn es belebt war, und das war er immer, hatte etwas so Leidenschaftliches, daß es interessant wurde. Das Auffallendste an ihm war eine ganz ungewöhnliche Körperkraft. Weder groß, noch klein, weder stark noch mager, war er ein wahrer Löwe an Kraft und Behendigkeit. Wenn er einmal nicht Acht auf sich hatte, so ging er nicht, er hüpfte. Er hatte Muskeln, wie von Stahl, und seine Hand war eine Schraube, mit welcher er die stärksten drückte. Ich habe ihn, fast ohne Anstrengung, die schwersten Tische aufheben sehen. Er ertrug die längsten Strapazen, und für den Krieg schien er geboren. Dieß Handwerk liebte er denn auch leidenschaftlich. Er war Grenadierhauptmann gewesen, und Niemand hatte von der Natur, was Geist sowohl, als was Körper anbelangt, in höherem Maaße, als er, das empfangen, was den wahren Soldaten macht. Sein Blick war belebt, aber ernst; seine ganze Person und seine bloße Erscheinung waren das Ideal der Kraft.

"Ich habe nie ein rührenderes Schauspiel gesehen, als das, welches dieser so kräftige Mensch, der so sehr Luft für seine Brust, Bewegung für seine robusten Glieder bedurfte, bot, indem er sich in eine wahre barmherzige Schwester umwandelte, bald schweigsam, bald heiter, sein Wort und beinahe den Athem anhaltend, um nicht das zerbrechliche Geschöpf zu erschüttern, welchem er seine Theilnahme geschenkt hatte. Die Güte eines schwachen Menschen besticht nicht; denn man sagt sich: es ist vielleicht eben Schwäche; aber die Zärtlichkeit einer kräftigen Natur hat einen beinahe göttlichen Reiz.

Wir hatten im Grunde dieselben Ansichten, und er hat nicht wenig dazu beigetragen, mich in meinem guten Glauben zu bestärken. Wie ich war er durch und durch constitutionell gesinnt, weder servil, noch demokratisch, ohne Neid und ohne Unbescheidenheit. Er geizte weder nach Rang, noch nach Vermögen, und das materielle Wohlseyn war ihm gleichgültig; aber er geizte nach Ruhm. Eben so in der Moral liebte er aufrichtig die Tugend, und verehrte die Pflicht, aber er hatte auch die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden; die Liebe oder eine zärtliche Freundschaft waren seinem Herzen Bedürfniß. In der Religion galt er in Italien für einen Menschen von großer Frömmigkeit, und in der That war er voll Achtung für das Christenthum, das er aufmerksam studirt hatte. Er war selbst ein bißchen Theologe. Er erzählte mir, daß er in der Schweiz gegen die protestantischen Geistlichen disputirt und den Katholicismus vertheidigt habe; aber sein Glaube war nicht der Mansoni's, und ich habe im Grunde seines Herzens nichts mehr finden können, als den Glauben des savoyischen Vicars. Lern- und wißbegierig, und Alles an die Politik reihend, verschlang er in meiner Bibliothek Alles, was mit der Moral und Praxis im Zusammenhang stand. Obwohl liberal, oder vielmehr gerade weil er es wirklich war, verwarf er den Einfluß der liberalen Declamationen, und je tiefer er die Religiosität in der europäischen Gesellschaft sinken sah, desto mehr fühlte er das Bedürfniß einer sittlich edeln und erhabenen Philosophie. Niemand in der Welt hat mich so ermuthigt und aufrecht erhalten in meiner philosophischen Laufbahn. Meine Zwecke waren die seinigen geworden, und wäre er in Frankreich geblieben, er würde der guten philosophischen Sache in ihren moralischen und politischen Anwendungen einen vortrefflichen Schriftsteller mehr, ein festes, großartiges, überzeugendes Organ verliehen haben.

Allerdings war sein Geist nicht der eines Gelehrten oder Philosophen, sondern eines Militärs oder Staatsmannes. Sein Sinn war richtig und gerade, wie sein Herz; er verabscheute die Paradoxen, und bei ernsten Materien kämpfte er mit allem Ernste gegen jede gewagte, willkürliche, nur persönliche Ansicht. Er tadelte mich oft wegen mehrerer meiner Meinungen, und führte mich unermüdlich von den engen und gefahrvollen Pfaden der persönlichen Theorien auf die große Straße des Gemeinsinns und der allgemeinen Ueberzeugung. Er hatte weder Umfang noch Originalität in seinen Gedanken, aber er fühlte tief und energisch, und er äußerte sich, sprach und schrieb mit Würde und Ueberzeugung. Sein Werk über die piemontesische Revolution hat wahrhaft schöne Stellen. Und das war sein erster Versuch! Was würde er noch geleistet haben, wäre er am Leben geblieben!

In der Politik besaß dieser "Revolutionär" eine Mäßigung, welche ihm, wäre er in Frankreich in jener Epoche in der Deputirtenkammer gewesen, seinen Platz zwischen Royer-Collard und Laine angewiesen hätte. Meine Freunde und ich waren damals übel mitgenommen worden durch das Ministerium des Hrn. v. Richelieu, und wir waren nicht immer gerecht gegen dasselbe. Santa-Rosa, mit seinem gewohnten Ernste, wies meine Aufgeregtheit zurück und wunderte sich über die meiner klügsten und vernünftigsten Freunde. Ich erinnere mich noch eines Abends, wo er bei mir war mit Humann und Royer-Collard, und an einer ernsten Discussion Theil nahm darüber, was unter den gegenwärtigen Umständen zu thun sey, ob man das Ministerium Richelieu leben lassen solle, wofür Pasquier, Laine und Dessolles sich erklärten, oder ob man es stürzen solle durch eine Allianz mit der rechten Seite, deren Führer Corbiere und Villele waren. Royer-Collard war der Meinung, daß, wenn Corbiere und Villele an die Spitze kämen, sie sich keine sechs Monate halten würden; und wenn das Ministerium Richelieu gestürzt sey, so sehe er hinter Villele und Corbiere den schnellen Triumph der liberalen Sache. Das war eine sehr verführerische Aussicht für einen Geächteten, wie Santa-Rosa. In sechs Monaten, nach einer stürmischen und ephemeren Regierung, ein liberales Ministerium, welches zum mindesten das Exil der piemontesischen Refugies gemildert, und indem es mich und meine

beschäftigt. Nach seinem Mittagsessen, wenn der Abend anbrach, trat er aus seiner Zelle, ging nach der Straße d'Enfer, wo ich wohnte, und brachte den Abend bis 11 Uhr oder Mitternacht bei mir zu. Ich meinerseits hatte mein Leben beinahe ganz nach dem seinigen eingerichtet: ich verlebte den Tag zwischen meinen Arzneien und Plato; und am Abend machte ich meine Bücher zu und empfing meine Freunde. Santa-Rosa sprach gerne und leidenschaftlich, mit einem Ausdruck voll Wahl und Schönheit, aber ich war so matt und schwach, daß ich die Energie, welche er in seine Worte legte, nicht ertragen konnte. Ich bekam das Fieber, und eine nervöse Aufregung endete mit allgemeiner Mattigkeit oder vielmehr Ohnmacht. Da schwieg der energische Mann mit den glühenden Worten, und an seine Stelle trat das liebevollste Wesen von der Welt. Wie viele Nächte hat er nicht an meinem Bette zugebracht mit meiner alten Haushälterin! Als ich besser wurde, warf er sich ganz angekleidet auf ein Sopha, und trotz seiner Sorgen und seines Kummers schlief er in wenigen Minuten mit seinem guten Gewissen und einer unverwüstlichen Gesundheit ein, um erst mit Tagesanbruch wieder zu erwachen.

Es ist hier am Platze, sein Porträt zu entwerfen. Santa-Rosa war damals etwa vierzig Jahre alt; er war von mittlerer Größe, ungefähr fünf Fuß zwei Zoll. Sein Kopf war groß, die Stirne kahl, Lippen und Nase ein wenig zu stark, in der Regel trug er eine Brille. Nichts Elegantes in seinen Manieren; ein ernstes männliches Aussehen unter außerordentlich feinen Formen. Er war weit davon entfernt, schön genannt zu werden, aber sein Gesicht, wenn es belebt war, und das war er immer, hatte etwas so Leidenschaftliches, daß es interessant wurde. Das Auffallendste an ihm war eine ganz ungewöhnliche Körperkraft. Weder groß, noch klein, weder stark noch mager, war er ein wahrer Löwe an Kraft und Behendigkeit. Wenn er einmal nicht Acht auf sich hatte, so ging er nicht, er hüpfte. Er hatte Muskeln, wie von Stahl, und seine Hand war eine Schraube, mit welcher er die stärksten drückte. Ich habe ihn, fast ohne Anstrengung, die schwersten Tische aufheben sehen. Er ertrug die längsten Strapazen, und für den Krieg schien er geboren. Dieß Handwerk liebte er denn auch leidenschaftlich. Er war Grenadierhauptmann gewesen, und Niemand hatte von der Natur, was Geist sowohl, als was Körper anbelangt, in höherem Maaße, als er, das empfangen, was den wahren Soldaten macht. Sein Blick war belebt, aber ernst; seine ganze Person und seine bloße Erscheinung waren das Ideal der Kraft.

„Ich habe nie ein rührenderes Schauspiel gesehen, als das, welches dieser so kräftige Mensch, der so sehr Luft für seine Brust, Bewegung für seine robusten Glieder bedurfte, bot, indem er sich in eine wahre barmherzige Schwester umwandelte, bald schweigsam, bald heiter, sein Wort und beinahe den Athem anhaltend, um nicht das zerbrechliche Geschöpf zu erschüttern, welchem er seine Theilnahme geschenkt hatte. Die Güte eines schwachen Menschen besticht nicht; denn man sagt sich: es ist vielleicht eben Schwäche; aber die Zärtlichkeit einer kräftigen Natur hat einen beinahe göttlichen Reiz.

Wir hatten im Grunde dieselben Ansichten, und er hat nicht wenig dazu beigetragen, mich in meinem guten Glauben zu bestärken. Wie ich war er durch und durch constitutionell gesinnt, weder servil, noch demokratisch, ohne Neid und ohne Unbescheidenheit. Er geizte weder nach Rang, noch nach Vermögen, und das materielle Wohlseyn war ihm gleichgültig; aber er geizte nach Ruhm. Eben so in der Moral liebte er aufrichtig die Tugend, und verehrte die Pflicht, aber er hatte auch die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden; die Liebe oder eine zärtliche Freundschaft waren seinem Herzen Bedürfniß. In der Religion galt er in Italien für einen Menschen von großer Frömmigkeit, und in der That war er voll Achtung für das Christenthum, das er aufmerksam studirt hatte. Er war selbst ein bißchen Theologe. Er erzählte mir, daß er in der Schweiz gegen die protestantischen Geistlichen disputirt und den Katholicismus vertheidigt habe; aber sein Glaube war nicht der Mansoni's, und ich habe im Grunde seines Herzens nichts mehr finden können, als den Glauben des savoyischen Vicars. Lern- und wißbegierig, und Alles an die Politik reihend, verschlang er in meiner Bibliothek Alles, was mit der Moral und Praxis im Zusammenhang stand. Obwohl liberal, oder vielmehr gerade weil er es wirklich war, verwarf er den Einfluß der liberalen Declamationen, und je tiefer er die Religiosität in der europäischen Gesellschaft sinken sah, desto mehr fühlte er das Bedürfniß einer sittlich edeln und erhabenen Philosophie. Niemand in der Welt hat mich so ermuthigt und aufrecht erhalten in meiner philosophischen Laufbahn. Meine Zwecke waren die seinigen geworden, und wäre er in Frankreich geblieben, er würde der guten philosophischen Sache in ihren moralischen und politischen Anwendungen einen vortrefflichen Schriftsteller mehr, ein festes, großartiges, überzeugendes Organ verliehen haben.

Allerdings war sein Geist nicht der eines Gelehrten oder Philosophen, sondern eines Militärs oder Staatsmannes. Sein Sinn war richtig und gerade, wie sein Herz; er verabscheute die Paradoxen, und bei ernsten Materien kämpfte er mit allem Ernste gegen jede gewagte, willkürliche, nur persönliche Ansicht. Er tadelte mich oft wegen mehrerer meiner Meinungen, und führte mich unermüdlich von den engen und gefahrvollen Pfaden der persönlichen Theorien auf die große Straße des Gemeinsinns und der allgemeinen Ueberzeugung. Er hatte weder Umfang noch Originalität in seinen Gedanken, aber er fühlte tief und energisch, und er äußerte sich, sprach und schrieb mit Würde und Ueberzeugung. Sein Werk über die piemontesische Revolution hat wahrhaft schöne Stellen. Und das war sein erster Versuch! Was würde er noch geleistet haben, wäre er am Leben geblieben!

In der Politik besaß dieser „Revolutionär“ eine Mäßigung, welche ihm, wäre er in Frankreich in jener Epoche in der Deputirtenkammer gewesen, seinen Platz zwischen Royer-Collard und Lainé angewiesen hätte. Meine Freunde und ich waren damals übel mitgenommen worden durch das Ministerium des Hrn. v. Richelieu, und wir waren nicht immer gerecht gegen dasselbe. Santa-Rosa, mit seinem gewohnten Ernste, wies meine Aufgeregtheit zurück und wunderte sich über die meiner klügsten und vernünftigsten Freunde. Ich erinnere mich noch eines Abends, wo er bei mir war mit Humann und Royer-Collard, und an einer ernsten Discussion Theil nahm darüber, was unter den gegenwärtigen Umständen zu thun sey, ob man das Ministerium Richelieu leben lassen solle, wofür Pasquier, Lainé und Dessolles sich erklärten, oder ob man es stürzen solle durch eine Allianz mit der rechten Seite, deren Führer Corbière und Villèle waren. Royer-Collard war der Meinung, daß, wenn Corbière und Villèle an die Spitze kämen, sie sich keine sechs Monate halten würden; und wenn das Ministerium Richelieu gestürzt sey, so sehe er hinter Villèle und Corbière den schnellen Triumph der liberalen Sache. Das war eine sehr verführerische Aussicht für einen Geächteten, wie Santa-Rosa. In sechs Monaten, nach einer stürmischen und ephemeren Regierung, ein liberales Ministerium, welches zum mindesten das Exil der piemontesischen Réfugiés gemildert, und indem es mich und meine

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[1363/0011] beschäftigt. Nach seinem Mittagsessen, wenn der Abend anbrach, trat er aus seiner Zelle, ging nach der Straße d'Enfer, wo ich wohnte, und brachte den Abend bis 11 Uhr oder Mitternacht bei mir zu. Ich meinerseits hatte mein Leben beinahe ganz nach dem seinigen eingerichtet: ich verlebte den Tag zwischen meinen Arzneien und Plato; und am Abend machte ich meine Bücher zu und empfing meine Freunde. Santa-Rosa sprach gerne und leidenschaftlich, mit einem Ausdruck voll Wahl und Schönheit, aber ich war so matt und schwach, daß ich die Energie, welche er in seine Worte legte, nicht ertragen konnte. Ich bekam das Fieber, und eine nervöse Aufregung endete mit allgemeiner Mattigkeit oder vielmehr Ohnmacht. Da schwieg der energische Mann mit den glühenden Worten, und an seine Stelle trat das liebevollste Wesen von der Welt. Wie viele Nächte hat er nicht an meinem Bette zugebracht mit meiner alten Haushälterin! Als ich besser wurde, warf er sich ganz angekleidet auf ein Sopha, und trotz seiner Sorgen und seines Kummers schlief er in wenigen Minuten mit seinem guten Gewissen und einer unverwüstlichen Gesundheit ein, um erst mit Tagesanbruch wieder zu erwachen. Es ist hier am Platze, sein Porträt zu entwerfen. Santa-Rosa war damals etwa vierzig Jahre alt; er war von mittlerer Größe, ungefähr fünf Fuß zwei Zoll. Sein Kopf war groß, die Stirne kahl, Lippen und Nase ein wenig zu stark, in der Regel trug er eine Brille. Nichts Elegantes in seinen Manieren; ein ernstes männliches Aussehen unter außerordentlich feinen Formen. Er war weit davon entfernt, schön genannt zu werden, aber sein Gesicht, wenn es belebt war, und das war er immer, hatte etwas so Leidenschaftliches, daß es interessant wurde. Das Auffallendste an ihm war eine ganz ungewöhnliche Körperkraft. Weder groß, noch klein, weder stark noch mager, war er ein wahrer Löwe an Kraft und Behendigkeit. Wenn er einmal nicht Acht auf sich hatte, so ging er nicht, er hüpfte. Er hatte Muskeln, wie von Stahl, und seine Hand war eine Schraube, mit welcher er die stärksten drückte. Ich habe ihn, fast ohne Anstrengung, die schwersten Tische aufheben sehen. Er ertrug die längsten Strapazen, und für den Krieg schien er geboren. Dieß Handwerk liebte er denn auch leidenschaftlich. Er war Grenadierhauptmann gewesen, und Niemand hatte von der Natur, was Geist sowohl, als was Körper anbelangt, in höherem Maaße, als er, das empfangen, was den wahren Soldaten macht. Sein Blick war belebt, aber ernst; seine ganze Person und seine bloße Erscheinung waren das Ideal der Kraft. „Ich habe nie ein rührenderes Schauspiel gesehen, als das, welches dieser so kräftige Mensch, der so sehr Luft für seine Brust, Bewegung für seine robusten Glieder bedurfte, bot, indem er sich in eine wahre barmherzige Schwester umwandelte, bald schweigsam, bald heiter, sein Wort und beinahe den Athem anhaltend, um nicht das zerbrechliche Geschöpf zu erschüttern, welchem er seine Theilnahme geschenkt hatte. Die Güte eines schwachen Menschen besticht nicht; denn man sagt sich: es ist vielleicht eben Schwäche; aber die Zärtlichkeit einer kräftigen Natur hat einen beinahe göttlichen Reiz. Wir hatten im Grunde dieselben Ansichten, und er hat nicht wenig dazu beigetragen, mich in meinem guten Glauben zu bestärken. Wie ich war er durch und durch constitutionell gesinnt, weder servil, noch demokratisch, ohne Neid und ohne Unbescheidenheit. Er geizte weder nach Rang, noch nach Vermögen, und das materielle Wohlseyn war ihm gleichgültig; aber er geizte nach Ruhm. Eben so in der Moral liebte er aufrichtig die Tugend, und verehrte die Pflicht, aber er hatte auch die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden; die Liebe oder eine zärtliche Freundschaft waren seinem Herzen Bedürfniß. In der Religion galt er in Italien für einen Menschen von großer Frömmigkeit, und in der That war er voll Achtung für das Christenthum, das er aufmerksam studirt hatte. Er war selbst ein bißchen Theologe. Er erzählte mir, daß er in der Schweiz gegen die protestantischen Geistlichen disputirt und den Katholicismus vertheidigt habe; aber sein Glaube war nicht der Mansoni's, und ich habe im Grunde seines Herzens nichts mehr finden können, als den Glauben des savoyischen Vicars. Lern- und wißbegierig, und Alles an die Politik reihend, verschlang er in meiner Bibliothek Alles, was mit der Moral und Praxis im Zusammenhang stand. Obwohl liberal, oder vielmehr gerade weil er es wirklich war, verwarf er den Einfluß der liberalen Declamationen, und je tiefer er die Religiosität in der europäischen Gesellschaft sinken sah, desto mehr fühlte er das Bedürfniß einer sittlich edeln und erhabenen Philosophie. Niemand in der Welt hat mich so ermuthigt und aufrecht erhalten in meiner philosophischen Laufbahn. Meine Zwecke waren die seinigen geworden, und wäre er in Frankreich geblieben, er würde der guten philosophischen Sache in ihren moralischen und politischen Anwendungen einen vortrefflichen Schriftsteller mehr, ein festes, großartiges, überzeugendes Organ verliehen haben. Allerdings war sein Geist nicht der eines Gelehrten oder Philosophen, sondern eines Militärs oder Staatsmannes. Sein Sinn war richtig und gerade, wie sein Herz; er verabscheute die Paradoxen, und bei ernsten Materien kämpfte er mit allem Ernste gegen jede gewagte, willkürliche, nur persönliche Ansicht. Er tadelte mich oft wegen mehrerer meiner Meinungen, und führte mich unermüdlich von den engen und gefahrvollen Pfaden der persönlichen Theorien auf die große Straße des Gemeinsinns und der allgemeinen Ueberzeugung. Er hatte weder Umfang noch Originalität in seinen Gedanken, aber er fühlte tief und energisch, und er äußerte sich, sprach und schrieb mit Würde und Ueberzeugung. Sein Werk über die piemontesische Revolution hat wahrhaft schöne Stellen. Und das war sein erster Versuch! Was würde er noch geleistet haben, wäre er am Leben geblieben! In der Politik besaß dieser „Revolutionär“ eine Mäßigung, welche ihm, wäre er in Frankreich in jener Epoche in der Deputirtenkammer gewesen, seinen Platz zwischen Royer-Collard und Lainé angewiesen hätte. Meine Freunde und ich waren damals übel mitgenommen worden durch das Ministerium des Hrn. v. Richelieu, und wir waren nicht immer gerecht gegen dasselbe. Santa-Rosa, mit seinem gewohnten Ernste, wies meine Aufgeregtheit zurück und wunderte sich über die meiner klügsten und vernünftigsten Freunde. Ich erinnere mich noch eines Abends, wo er bei mir war mit Humann und Royer-Collard, und an einer ernsten Discussion Theil nahm darüber, was unter den gegenwärtigen Umständen zu thun sey, ob man das Ministerium Richelieu leben lassen solle, wofür Pasquier, Lainé und Dessolles sich erklärten, oder ob man es stürzen solle durch eine Allianz mit der rechten Seite, deren Führer Corbière und Villèle waren. Royer-Collard war der Meinung, daß, wenn Corbière und Villèle an die Spitze kämen, sie sich keine sechs Monate halten würden; und wenn das Ministerium Richelieu gestürzt sey, so sehe er hinter Villèle und Corbière den schnellen Triumph der liberalen Sache. Das war eine sehr verführerische Aussicht für einen Geächteten, wie Santa-Rosa. In sechs Monaten, nach einer stürmischen und ephemeren Regierung, ein liberales Ministerium, welches zum mindesten das Exil der piemontesischen Réfugiés gemildert, und indem es mich und meine

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 171. Augsburg, 19. Juni 1840, S. 1363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_171_18400619/11>, abgerufen am 29.03.2024.