Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 168. Augsburg, 16. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ostseeprovinzen.

III. Die deutsche Sprache in ihrem Ringen mit der russischen.

Wie die alten deutschen Privilegien im Ganzen allerdings noch bestehen, im Einzelnen sich aber viel bedrängt fühlen, wie die lutherische Religion im Ganzen anerkannt ist, durch viele kleine Beschränkungen sich aber in ihrem Gebiete mehr und mehr beengt sieht, so ist es nun endlich auch mit der deutschen Sprache der russischen gegenüber.

Die russische Sprache ist in diesen Provinzen natürlich so alt, wie die russische Nation selbst. Ja sie ist hier schon älter als die deutsche. Von jeher gab es in den Ostseeprovinzen zerstreut siedelnde Russen, so vor der Eroberung des Landes durch die Deutschen wie nach derselben. Auch mußten sich von jeher einzelne Deutsche wegen ihres Verkehrs mit Nowgorod, Pleskau, Smolensk u. s. w. der russischen Sprache befleißigen. Nichtsdestoweniger war vor der russischen Besitznahme des Landes dieß Alles von geringer Bedeutung. Deutsche, lateinische, schwedische, polnische Idiome waren abwechselnd officielle Sprachen, während Esthisch und Lettisch immer die Sprache des Volks und Deutsch und Französisch die Sprachen der gebildeten Gesellschaft blieben. Und die russische Sprache mochte nicht mehr in Gebrauch und verbreitet seyn, als z. B. Italiener und italienisch in den Theilen des deutschen Tyrols und der deutschen Schweiz, die mit Italien viel verkehren. Auch in der ersten Zeit der russischen Herrschaft wurde hierin wenig geändert. Die Provinz hatte ihre fast völlig gesonderte Regierung, und nur in den Verhältnissen mit den Russen, die sich auf sehr wenige Berührungspunkte reducirten, war die russische Sprache vonnöthen. Seitdem aber Rußland sich nun selber in seinem Innern so mächtig entwickelte, seitdem es seine Sprache zur Schrift und Conversation thätig ausbildete, seitdem russische Schulen mehr und mehr Platz griffen, seitdem eine eigene russische Litteratur mit reicheren und immer reicheren Blüthen erwuchs, seitdem wurden auch die Anforderungen der Russen in Bezug auf die Kenntniß der russischen Sprache bei den Deutschen der Ostseeprovinzen größer und größer, und zwar am Ende jetzt so groß, daß während früher hie und da ein russischer Officier deutsch verstehen mußte - weil bei manchen russischen Truppengattungen das Commando deutsch war - jetzt sogar nach neuesten Bestimmungen ein deutsch-lutherischer Prediger nicht anders angestellt werden soll, als nachdem er seine Kenntniß in der russischen Sprache gehörig attestirt hat.

Das Gebiet der russischen Sprache, wie es sich dermalen in den Ostseeprovinzen mit den übrigen hier üblichen Sprachen abgränzt, läßt sich folgendermaßen bestimmen. Zunächst wird das Russische von allen hier ansässigen Russen gesprochen, und zwar ausschließlich nur russisch. Denn da sie weder ihre Religion, noch ihre Kleidung, noch auch ihre ganze Nationalität unter den Letten, Esthen und Deutschen ablegen, und da sich die meisten von diesen, die mit ihnen verkehren, herablassen ihre Sprache zu lernen, so erlernen sie selten deutsch oder esthisch und lettisch. Nur die wenigen russischen Beamten, die es in der Mauth, an den Schulen und einigen andern Verwaltungszweigen gibt und die als Gebildete mit zu den deutschen Gesellschaften gezogen werden, machen davon eine Ausnahme. Sie lernen alsdann auch deutsch. Da die Russen in den Ostseeprovinzen aber in der Regel von geringer Herkunft und Bildung, und der Gebildeten nur sehr wenige sind, so wird durch sie im Ganzen nicht viel russischer Sprachsamen ausgestreut.

Wichtig, ja allein wichtig ist das, was von oben herab auf officiellem Wege durch die Regierung für die Ausbreitung der russischen Sprache geschieht. Zunächst gibt die russische Armee bedeutende Gelegenheit dazu. Da in dieser Armee ohne Unterschied und Auswahl alle von Rußland beherrschten Nationen durch einander gemischt sind, die Russen aber natürlich durch ihre große Anzahl prädominiren, so lernen alle die ihr incorporirten Finnen, Letten und Deutschen das Russische vollkommen. Die gemeinen Soldaten werden freilich auch ohne Kenntniß des Russischen darin aufgenommen. Doch lernen sie es mit der Zeit, und wenn sie nach zwanzigjährigem Dienste in die Ostseeprovinzen zurückkehren, so sind sie vollkommen Russen geworden. Die Deutschen, welche als Officiere in der Armee Dienst nehmen wollen, haben zuvor ihre Kenntniß des Russischen zu beweisen, die sie jedoch im Dienste selbst erst recht ausbilden und vervollkommnen. Sie kehren ebenfalls als vollkommene Russen zurück - doch auch dieser Zurückkehrenden sind nicht viele, da die meisten ihre gute Carriere, die sie machen, immer mehr und mehr im innern Rußland fesselt.

Ferner wird von allen in den Ostseeprovinzen Angestellten, von den sogenannten Kronbeamten schon lange, dann aber auch von allen deutschen Lehrern, Professoren u. s. w. und neuerdings auch von den Adelsbeamten und sogar, wie gesagt, von den deutschen Predigern die vollkommene Kenntniß der russischen Sprache verlangt. Vollkommenen Leistungen ist man allerdings bis jetzt noch sehr fern. Auch kein deutscher Student soll weder an den russischen Universitäten noch bei der deutschen Universität Dorpat angenommen werden, ohne ein Examen im Russischen bestanden zu haben. Es wird indeß den Deutschen sehr schwer, diese Kenntniß der russischen Sprache sich anzueignen, denn es fehlt überall an den Lehrern des Russischen. Bei der Universität Dorpat ist allerdings ein Professor der russischen Litteratur und Sprache angestellt. Auch bei allen Gymnasien und Kreisschulen sollen der Vorschrift nach Sprachlehrer des Russischen angestellt seyn. Der gebildeten Russen sind überhaupt noch wenige, und die wenigen fühlen sich in den Ostseeprovinzen nicht wohl, nicht zu Hause. Daher sie schwer ins Land zu locken und darin zu fesseln sind. Auf dem Lande und in den Familien ist man oft glücklich, wenn man einen russischen invaliden Lieutenant, oder einen Unterofficier oder einen abgedankten lettischen Soldaten, der während seiner Dienstzeit etwas russisch lernte, habhaft werden und als Lehrer bei den Kindern gebrauchen kann.

Gewiß ist es für jeden einzelnen Bewohner der Ostseeprovinzen ein großer Vortheil, wenn er des Russischen völlig mächtig ist. Die Interpretation der Gesetze und der Regierungsbefehle, die für das ganze Reich in russischer Sprache gegeben werden, ist ihm leichter; er fördert sich leichter im russischen Staatsdienst, und im Lande selber sogar, wo er mit russischen Militärs, russischen Arbeitern, Kaufleuten u. s. w. in Berührung kommt, könnte er seinen Geschäften auf vielfache Weise nützlich seyn; und insofern es dabei nicht auf völlige Ausrottung deutscher Sprache und Sitte abgesehen ist, ist daher das Bestreben der Regierung, den Ostseeprovinzianern ein besseres Russisch zu lehren, sehr vernünftig und wohlbegründet. Die obersten Leiter des Staats in Petersburg erkennen nicht mit Unrecht die russische Sprache als die einzig gültige und officielle fürs ganze Reich an, und in allen Amtsverhältnissen bedienen sie sich keiner andern mit den Deutschen als dieser selbst, wenn sie auch die deutsche verstehen.

Wie wenig indeß die Deutschen noch den russischen Anforderungen genügt haben, leuchtet schon daraus hervor, daß selbst

Die Ostseeprovinzen.

III. Die deutsche Sprache in ihrem Ringen mit der russischen.

Wie die alten deutschen Privilegien im Ganzen allerdings noch bestehen, im Einzelnen sich aber viel bedrängt fühlen, wie die lutherische Religion im Ganzen anerkannt ist, durch viele kleine Beschränkungen sich aber in ihrem Gebiete mehr und mehr beengt sieht, so ist es nun endlich auch mit der deutschen Sprache der russischen gegenüber.

Die russische Sprache ist in diesen Provinzen natürlich so alt, wie die russische Nation selbst. Ja sie ist hier schon älter als die deutsche. Von jeher gab es in den Ostseeprovinzen zerstreut siedelnde Russen, so vor der Eroberung des Landes durch die Deutschen wie nach derselben. Auch mußten sich von jeher einzelne Deutsche wegen ihres Verkehrs mit Nowgorod, Pleskau, Smolensk u. s. w. der russischen Sprache befleißigen. Nichtsdestoweniger war vor der russischen Besitznahme des Landes dieß Alles von geringer Bedeutung. Deutsche, lateinische, schwedische, polnische Idiome waren abwechselnd officielle Sprachen, während Esthisch und Lettisch immer die Sprache des Volks und Deutsch und Französisch die Sprachen der gebildeten Gesellschaft blieben. Und die russische Sprache mochte nicht mehr in Gebrauch und verbreitet seyn, als z. B. Italiener und italienisch in den Theilen des deutschen Tyrols und der deutschen Schweiz, die mit Italien viel verkehren. Auch in der ersten Zeit der russischen Herrschaft wurde hierin wenig geändert. Die Provinz hatte ihre fast völlig gesonderte Regierung, und nur in den Verhältnissen mit den Russen, die sich auf sehr wenige Berührungspunkte reducirten, war die russische Sprache vonnöthen. Seitdem aber Rußland sich nun selber in seinem Innern so mächtig entwickelte, seitdem es seine Sprache zur Schrift und Conversation thätig ausbildete, seitdem russische Schulen mehr und mehr Platz griffen, seitdem eine eigene russische Litteratur mit reicheren und immer reicheren Blüthen erwuchs, seitdem wurden auch die Anforderungen der Russen in Bezug auf die Kenntniß der russischen Sprache bei den Deutschen der Ostseeprovinzen größer und größer, und zwar am Ende jetzt so groß, daß während früher hie und da ein russischer Officier deutsch verstehen mußte – weil bei manchen russischen Truppengattungen das Commando deutsch war – jetzt sogar nach neuesten Bestimmungen ein deutsch-lutherischer Prediger nicht anders angestellt werden soll, als nachdem er seine Kenntniß in der russischen Sprache gehörig attestirt hat.

Das Gebiet der russischen Sprache, wie es sich dermalen in den Ostseeprovinzen mit den übrigen hier üblichen Sprachen abgränzt, läßt sich folgendermaßen bestimmen. Zunächst wird das Russische von allen hier ansässigen Russen gesprochen, und zwar ausschließlich nur russisch. Denn da sie weder ihre Religion, noch ihre Kleidung, noch auch ihre ganze Nationalität unter den Letten, Esthen und Deutschen ablegen, und da sich die meisten von diesen, die mit ihnen verkehren, herablassen ihre Sprache zu lernen, so erlernen sie selten deutsch oder esthisch und lettisch. Nur die wenigen russischen Beamten, die es in der Mauth, an den Schulen und einigen andern Verwaltungszweigen gibt und die als Gebildete mit zu den deutschen Gesellschaften gezogen werden, machen davon eine Ausnahme. Sie lernen alsdann auch deutsch. Da die Russen in den Ostseeprovinzen aber in der Regel von geringer Herkunft und Bildung, und der Gebildeten nur sehr wenige sind, so wird durch sie im Ganzen nicht viel russischer Sprachsamen ausgestreut.

Wichtig, ja allein wichtig ist das, was von oben herab auf officiellem Wege durch die Regierung für die Ausbreitung der russischen Sprache geschieht. Zunächst gibt die russische Armee bedeutende Gelegenheit dazu. Da in dieser Armee ohne Unterschied und Auswahl alle von Rußland beherrschten Nationen durch einander gemischt sind, die Russen aber natürlich durch ihre große Anzahl prädominiren, so lernen alle die ihr incorporirten Finnen, Letten und Deutschen das Russische vollkommen. Die gemeinen Soldaten werden freilich auch ohne Kenntniß des Russischen darin aufgenommen. Doch lernen sie es mit der Zeit, und wenn sie nach zwanzigjährigem Dienste in die Ostseeprovinzen zurückkehren, so sind sie vollkommen Russen geworden. Die Deutschen, welche als Officiere in der Armee Dienst nehmen wollen, haben zuvor ihre Kenntniß des Russischen zu beweisen, die sie jedoch im Dienste selbst erst recht ausbilden und vervollkommnen. Sie kehren ebenfalls als vollkommene Russen zurück – doch auch dieser Zurückkehrenden sind nicht viele, da die meisten ihre gute Carriere, die sie machen, immer mehr und mehr im innern Rußland fesselt.

Ferner wird von allen in den Ostseeprovinzen Angestellten, von den sogenannten Kronbeamten schon lange, dann aber auch von allen deutschen Lehrern, Professoren u. s. w. und neuerdings auch von den Adelsbeamten und sogar, wie gesagt, von den deutschen Predigern die vollkommene Kenntniß der russischen Sprache verlangt. Vollkommenen Leistungen ist man allerdings bis jetzt noch sehr fern. Auch kein deutscher Student soll weder an den russischen Universitäten noch bei der deutschen Universität Dorpat angenommen werden, ohne ein Examen im Russischen bestanden zu haben. Es wird indeß den Deutschen sehr schwer, diese Kenntniß der russischen Sprache sich anzueignen, denn es fehlt überall an den Lehrern des Russischen. Bei der Universität Dorpat ist allerdings ein Professor der russischen Litteratur und Sprache angestellt. Auch bei allen Gymnasien und Kreisschulen sollen der Vorschrift nach Sprachlehrer des Russischen angestellt seyn. Der gebildeten Russen sind überhaupt noch wenige, und die wenigen fühlen sich in den Ostseeprovinzen nicht wohl, nicht zu Hause. Daher sie schwer ins Land zu locken und darin zu fesseln sind. Auf dem Lande und in den Familien ist man oft glücklich, wenn man einen russischen invaliden Lieutenant, oder einen Unterofficier oder einen abgedankten lettischen Soldaten, der während seiner Dienstzeit etwas russisch lernte, habhaft werden und als Lehrer bei den Kindern gebrauchen kann.

Gewiß ist es für jeden einzelnen Bewohner der Ostseeprovinzen ein großer Vortheil, wenn er des Russischen völlig mächtig ist. Die Interpretation der Gesetze und der Regierungsbefehle, die für das ganze Reich in russischer Sprache gegeben werden, ist ihm leichter; er fördert sich leichter im russischen Staatsdienst, und im Lande selber sogar, wo er mit russischen Militärs, russischen Arbeitern, Kaufleuten u. s. w. in Berührung kommt, könnte er seinen Geschäften auf vielfache Weise nützlich seyn; und insofern es dabei nicht auf völlige Ausrottung deutscher Sprache und Sitte abgesehen ist, ist daher das Bestreben der Regierung, den Ostseeprovinzianern ein besseres Russisch zu lehren, sehr vernünftig und wohlbegründet. Die obersten Leiter des Staats in Petersburg erkennen nicht mit Unrecht die russische Sprache als die einzig gültige und officielle fürs ganze Reich an, und in allen Amtsverhältnissen bedienen sie sich keiner andern mit den Deutschen als dieser selbst, wenn sie auch die deutsche verstehen.

Wie wenig indeß die Deutschen noch den russischen Anforderungen genügt haben, leuchtet schon daraus hervor, daß selbst

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0010" n="1338"/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ostseeprovinzen</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>III. <hi rendition="#g">Die deutsche Sprache in ihrem Ringen mit der russischen</hi>.</p><lb/>
        <p>Wie die alten deutschen Privilegien im Ganzen allerdings noch bestehen, im Einzelnen sich aber viel bedrängt fühlen, wie die lutherische Religion im Ganzen anerkannt ist, durch viele kleine Beschränkungen sich aber in ihrem Gebiete mehr und mehr beengt sieht, so ist es nun endlich auch mit der deutschen Sprache der russischen gegenüber.</p><lb/>
        <p>Die russische Sprache ist in diesen Provinzen natürlich so alt, wie die russische Nation selbst. Ja sie ist hier schon älter als die deutsche. Von jeher gab es in den Ostseeprovinzen zerstreut siedelnde Russen, so vor der Eroberung des Landes durch die Deutschen wie nach derselben. Auch mußten sich von jeher einzelne Deutsche wegen ihres Verkehrs mit Nowgorod, Pleskau, Smolensk u. s. w. der russischen Sprache befleißigen. Nichtsdestoweniger war vor der russischen Besitznahme des Landes dieß Alles von geringer Bedeutung. Deutsche, lateinische, schwedische, polnische Idiome waren abwechselnd officielle Sprachen, während Esthisch und Lettisch immer die Sprache des Volks und Deutsch und Französisch die Sprachen der gebildeten Gesellschaft blieben. Und die russische Sprache mochte nicht mehr in Gebrauch und verbreitet seyn, als z. B. Italiener und italienisch in den Theilen des deutschen Tyrols und der deutschen Schweiz, die mit Italien viel verkehren. Auch in der ersten Zeit der russischen Herrschaft wurde hierin wenig geändert. Die Provinz hatte ihre fast völlig gesonderte Regierung, und nur in den Verhältnissen mit den Russen, die sich auf sehr wenige Berührungspunkte reducirten, war die russische Sprache vonnöthen. Seitdem aber Rußland sich nun selber in seinem Innern so mächtig entwickelte, seitdem es seine Sprache zur Schrift und Conversation thätig ausbildete, seitdem russische Schulen mehr und mehr Platz griffen, seitdem eine eigene russische Litteratur mit reicheren und immer reicheren Blüthen erwuchs, seitdem wurden auch die Anforderungen der Russen in Bezug auf die Kenntniß der russischen Sprache bei den Deutschen der Ostseeprovinzen größer und größer, und zwar am Ende jetzt so groß, daß während früher hie und da ein russischer Officier deutsch verstehen mußte &#x2013; weil bei manchen russischen Truppengattungen das Commando deutsch war &#x2013; jetzt sogar nach neuesten Bestimmungen ein deutsch-lutherischer Prediger nicht anders angestellt werden soll, als nachdem er seine Kenntniß in der russischen Sprache gehörig attestirt hat.</p><lb/>
        <p>Das Gebiet der russischen Sprache, wie es sich dermalen in den Ostseeprovinzen mit den übrigen hier üblichen Sprachen abgränzt, läßt sich folgendermaßen bestimmen. Zunächst wird das Russische von allen hier ansässigen Russen gesprochen, und zwar ausschließlich nur russisch. Denn da sie weder ihre Religion, noch ihre Kleidung, noch auch ihre ganze Nationalität unter den Letten, Esthen und Deutschen ablegen, und da sich die meisten von diesen, die mit ihnen verkehren, herablassen ihre Sprache zu lernen, so erlernen sie selten deutsch oder esthisch und lettisch. Nur die wenigen russischen Beamten, die es in der Mauth, an den Schulen und einigen andern Verwaltungszweigen gibt und die als Gebildete mit zu den deutschen Gesellschaften gezogen werden, machen davon eine Ausnahme. Sie lernen alsdann auch deutsch. Da die Russen in den Ostseeprovinzen aber in der Regel von geringer Herkunft und Bildung, und der Gebildeten nur sehr wenige sind, so wird durch sie im Ganzen nicht viel russischer Sprachsamen ausgestreut.</p><lb/>
        <p>Wichtig, ja allein wichtig ist das, was von oben herab auf officiellem Wege durch die Regierung für die Ausbreitung der russischen Sprache geschieht. Zunächst gibt die russische Armee bedeutende Gelegenheit dazu. Da in dieser Armee ohne Unterschied und Auswahl alle von Rußland beherrschten Nationen durch einander gemischt sind, die Russen aber natürlich durch ihre große Anzahl prädominiren, so lernen alle die ihr incorporirten Finnen, Letten und Deutschen das Russische vollkommen. Die gemeinen Soldaten werden freilich auch ohne Kenntniß des Russischen darin aufgenommen. Doch lernen sie es mit der Zeit, und wenn sie nach zwanzigjährigem Dienste in die Ostseeprovinzen zurückkehren, so sind sie vollkommen Russen geworden. Die Deutschen, welche als Officiere in der Armee Dienst nehmen wollen, haben zuvor ihre Kenntniß des Russischen zu beweisen, die sie jedoch im Dienste selbst erst recht ausbilden und vervollkommnen. Sie kehren ebenfalls als vollkommene Russen zurück &#x2013; doch auch dieser Zurückkehrenden sind nicht viele, da die meisten ihre gute Carriere, die sie machen, immer mehr und mehr im innern Rußland fesselt.</p><lb/>
        <p>Ferner wird von allen in den Ostseeprovinzen Angestellten, von den sogenannten Kronbeamten schon lange, dann aber auch von allen deutschen Lehrern, Professoren u. s. w. und neuerdings auch von den Adelsbeamten und sogar, wie gesagt, von den deutschen Predigern die vollkommene Kenntniß der russischen Sprache <hi rendition="#g">verlangt</hi>. Vollkommenen Leistungen ist man allerdings bis jetzt noch sehr fern. Auch kein deutscher Student soll weder an den russischen Universitäten noch bei der deutschen Universität Dorpat angenommen werden, ohne ein Examen im Russischen bestanden zu haben. Es wird indeß den Deutschen sehr schwer, diese Kenntniß der russischen Sprache sich anzueignen, denn es fehlt überall an den Lehrern des Russischen. Bei der Universität Dorpat ist allerdings ein Professor der russischen Litteratur und Sprache angestellt. Auch bei allen Gymnasien und Kreisschulen sollen der Vorschrift nach Sprachlehrer des Russischen angestellt seyn. Der gebildeten Russen sind überhaupt noch wenige, und die wenigen fühlen sich in den Ostseeprovinzen nicht wohl, nicht zu Hause. Daher sie schwer ins Land zu locken und darin zu fesseln sind. Auf dem Lande und in den Familien ist man oft glücklich, wenn man einen russischen invaliden Lieutenant, oder einen Unterofficier oder einen abgedankten lettischen Soldaten, der während seiner Dienstzeit etwas russisch lernte, habhaft werden und als Lehrer bei den Kindern gebrauchen kann.</p><lb/>
        <p>Gewiß ist es für jeden einzelnen Bewohner der Ostseeprovinzen ein großer Vortheil, wenn er des Russischen völlig mächtig ist. Die Interpretation der Gesetze und der Regierungsbefehle, die für das ganze Reich in russischer Sprache gegeben werden, ist ihm leichter; er fördert sich leichter im russischen Staatsdienst, und im Lande selber sogar, wo er mit russischen Militärs, russischen Arbeitern, Kaufleuten u. s. w. in Berührung kommt, könnte er seinen Geschäften auf vielfache Weise nützlich seyn; und insofern es dabei nicht auf völlige Ausrottung deutscher Sprache und Sitte abgesehen ist, ist daher das Bestreben der Regierung, den Ostseeprovinzianern ein besseres Russisch zu lehren, sehr vernünftig und wohlbegründet. Die obersten Leiter des Staats in Petersburg erkennen nicht mit Unrecht die russische Sprache als die einzig gültige und officielle fürs ganze Reich an, und in allen Amtsverhältnissen bedienen sie sich keiner andern mit den Deutschen als dieser selbst, wenn sie auch die deutsche verstehen.</p><lb/>
        <p>Wie wenig indeß die Deutschen noch den russischen Anforderungen genügt haben, leuchtet schon daraus hervor, daß selbst<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1338/0010] Die Ostseeprovinzen. III. Die deutsche Sprache in ihrem Ringen mit der russischen. Wie die alten deutschen Privilegien im Ganzen allerdings noch bestehen, im Einzelnen sich aber viel bedrängt fühlen, wie die lutherische Religion im Ganzen anerkannt ist, durch viele kleine Beschränkungen sich aber in ihrem Gebiete mehr und mehr beengt sieht, so ist es nun endlich auch mit der deutschen Sprache der russischen gegenüber. Die russische Sprache ist in diesen Provinzen natürlich so alt, wie die russische Nation selbst. Ja sie ist hier schon älter als die deutsche. Von jeher gab es in den Ostseeprovinzen zerstreut siedelnde Russen, so vor der Eroberung des Landes durch die Deutschen wie nach derselben. Auch mußten sich von jeher einzelne Deutsche wegen ihres Verkehrs mit Nowgorod, Pleskau, Smolensk u. s. w. der russischen Sprache befleißigen. Nichtsdestoweniger war vor der russischen Besitznahme des Landes dieß Alles von geringer Bedeutung. Deutsche, lateinische, schwedische, polnische Idiome waren abwechselnd officielle Sprachen, während Esthisch und Lettisch immer die Sprache des Volks und Deutsch und Französisch die Sprachen der gebildeten Gesellschaft blieben. Und die russische Sprache mochte nicht mehr in Gebrauch und verbreitet seyn, als z. B. Italiener und italienisch in den Theilen des deutschen Tyrols und der deutschen Schweiz, die mit Italien viel verkehren. Auch in der ersten Zeit der russischen Herrschaft wurde hierin wenig geändert. Die Provinz hatte ihre fast völlig gesonderte Regierung, und nur in den Verhältnissen mit den Russen, die sich auf sehr wenige Berührungspunkte reducirten, war die russische Sprache vonnöthen. Seitdem aber Rußland sich nun selber in seinem Innern so mächtig entwickelte, seitdem es seine Sprache zur Schrift und Conversation thätig ausbildete, seitdem russische Schulen mehr und mehr Platz griffen, seitdem eine eigene russische Litteratur mit reicheren und immer reicheren Blüthen erwuchs, seitdem wurden auch die Anforderungen der Russen in Bezug auf die Kenntniß der russischen Sprache bei den Deutschen der Ostseeprovinzen größer und größer, und zwar am Ende jetzt so groß, daß während früher hie und da ein russischer Officier deutsch verstehen mußte – weil bei manchen russischen Truppengattungen das Commando deutsch war – jetzt sogar nach neuesten Bestimmungen ein deutsch-lutherischer Prediger nicht anders angestellt werden soll, als nachdem er seine Kenntniß in der russischen Sprache gehörig attestirt hat. Das Gebiet der russischen Sprache, wie es sich dermalen in den Ostseeprovinzen mit den übrigen hier üblichen Sprachen abgränzt, läßt sich folgendermaßen bestimmen. Zunächst wird das Russische von allen hier ansässigen Russen gesprochen, und zwar ausschließlich nur russisch. Denn da sie weder ihre Religion, noch ihre Kleidung, noch auch ihre ganze Nationalität unter den Letten, Esthen und Deutschen ablegen, und da sich die meisten von diesen, die mit ihnen verkehren, herablassen ihre Sprache zu lernen, so erlernen sie selten deutsch oder esthisch und lettisch. Nur die wenigen russischen Beamten, die es in der Mauth, an den Schulen und einigen andern Verwaltungszweigen gibt und die als Gebildete mit zu den deutschen Gesellschaften gezogen werden, machen davon eine Ausnahme. Sie lernen alsdann auch deutsch. Da die Russen in den Ostseeprovinzen aber in der Regel von geringer Herkunft und Bildung, und der Gebildeten nur sehr wenige sind, so wird durch sie im Ganzen nicht viel russischer Sprachsamen ausgestreut. Wichtig, ja allein wichtig ist das, was von oben herab auf officiellem Wege durch die Regierung für die Ausbreitung der russischen Sprache geschieht. Zunächst gibt die russische Armee bedeutende Gelegenheit dazu. Da in dieser Armee ohne Unterschied und Auswahl alle von Rußland beherrschten Nationen durch einander gemischt sind, die Russen aber natürlich durch ihre große Anzahl prädominiren, so lernen alle die ihr incorporirten Finnen, Letten und Deutschen das Russische vollkommen. Die gemeinen Soldaten werden freilich auch ohne Kenntniß des Russischen darin aufgenommen. Doch lernen sie es mit der Zeit, und wenn sie nach zwanzigjährigem Dienste in die Ostseeprovinzen zurückkehren, so sind sie vollkommen Russen geworden. Die Deutschen, welche als Officiere in der Armee Dienst nehmen wollen, haben zuvor ihre Kenntniß des Russischen zu beweisen, die sie jedoch im Dienste selbst erst recht ausbilden und vervollkommnen. Sie kehren ebenfalls als vollkommene Russen zurück – doch auch dieser Zurückkehrenden sind nicht viele, da die meisten ihre gute Carriere, die sie machen, immer mehr und mehr im innern Rußland fesselt. Ferner wird von allen in den Ostseeprovinzen Angestellten, von den sogenannten Kronbeamten schon lange, dann aber auch von allen deutschen Lehrern, Professoren u. s. w. und neuerdings auch von den Adelsbeamten und sogar, wie gesagt, von den deutschen Predigern die vollkommene Kenntniß der russischen Sprache verlangt. Vollkommenen Leistungen ist man allerdings bis jetzt noch sehr fern. Auch kein deutscher Student soll weder an den russischen Universitäten noch bei der deutschen Universität Dorpat angenommen werden, ohne ein Examen im Russischen bestanden zu haben. Es wird indeß den Deutschen sehr schwer, diese Kenntniß der russischen Sprache sich anzueignen, denn es fehlt überall an den Lehrern des Russischen. Bei der Universität Dorpat ist allerdings ein Professor der russischen Litteratur und Sprache angestellt. Auch bei allen Gymnasien und Kreisschulen sollen der Vorschrift nach Sprachlehrer des Russischen angestellt seyn. Der gebildeten Russen sind überhaupt noch wenige, und die wenigen fühlen sich in den Ostseeprovinzen nicht wohl, nicht zu Hause. Daher sie schwer ins Land zu locken und darin zu fesseln sind. Auf dem Lande und in den Familien ist man oft glücklich, wenn man einen russischen invaliden Lieutenant, oder einen Unterofficier oder einen abgedankten lettischen Soldaten, der während seiner Dienstzeit etwas russisch lernte, habhaft werden und als Lehrer bei den Kindern gebrauchen kann. Gewiß ist es für jeden einzelnen Bewohner der Ostseeprovinzen ein großer Vortheil, wenn er des Russischen völlig mächtig ist. Die Interpretation der Gesetze und der Regierungsbefehle, die für das ganze Reich in russischer Sprache gegeben werden, ist ihm leichter; er fördert sich leichter im russischen Staatsdienst, und im Lande selber sogar, wo er mit russischen Militärs, russischen Arbeitern, Kaufleuten u. s. w. in Berührung kommt, könnte er seinen Geschäften auf vielfache Weise nützlich seyn; und insofern es dabei nicht auf völlige Ausrottung deutscher Sprache und Sitte abgesehen ist, ist daher das Bestreben der Regierung, den Ostseeprovinzianern ein besseres Russisch zu lehren, sehr vernünftig und wohlbegründet. Die obersten Leiter des Staats in Petersburg erkennen nicht mit Unrecht die russische Sprache als die einzig gültige und officielle fürs ganze Reich an, und in allen Amtsverhältnissen bedienen sie sich keiner andern mit den Deutschen als dieser selbst, wenn sie auch die deutsche verstehen. Wie wenig indeß die Deutschen noch den russischen Anforderungen genügt haben, leuchtet schon daraus hervor, daß selbst

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_168_18400616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_168_18400616/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 168. Augsburg, 16. Juni 1840, S. 1338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_168_18400616/10>, abgerufen am 29.03.2024.