Allgemeine Zeitung. Nr. 164. Augsburg, 12. Juni 1840.in dem monarchischen Princip ein Festungswerk haben, das zu Vertheidigung und Angriff einer unendlichen Entwicklung fähig ist. Auf jener eben eröffneten Bahn repräsentativer Fortschritte bildet zwar die administrative Zurechnungsfähigkeit und strafrechtliche Belangbarkeit der einzelnen Bureauchefs (der "höchsten Commis", wie sie oft genannt wurden), den ersten freien Anlauf; das natürliche Ziel aber ist die politische Solidarität eines Ministeriums, das, als eine Auswahl erkannter Talente und politischer Charaktere dem König empfohlen, als der jeweilige Ausdruck der Einigung zwischen Krone und Ständen von beiden abhängig, den Majoritäten einen entscheidenden Einfluß auf das Regierungssystem zuerkennt. Zu einer ächten Majorität, zu einem reinen Ausdruck der Landesgesinnung, wenigstens zur folgerechten Wirkung der im Wahlgesetz als souverän erkannten Elemente, wird im Allgemeinen natürlich erfordert, daß die beiden zur Majorität etwa berechtigten oder darum kämpfenden Parteien über die Grundfragen der Verfassung einig, und offenherzig einig seyen (wie Whig und Tory z. B. immer über die Dynastie), daß ferner, gegen unächte Coalitionsmajoritäten, der Krone ein Auflösungsrecht der Wahlkammer und eine neue Berufung an die Nation zustehe; nur mit diesen Waffen ausgerüstet kann das Repräsentativsystem eine Aristokratie des Geistes seyn. Der gemäßigte politische Charakter des Holländers (der jene Einrichtungen in seinem Grundgesetz nicht hat, vielmehr die unauflösbare Wahlkammer je zu 1/3 erneuert) wird alle diese Fragen nicht sogleich auf die Spitze treiben. Aber so ungern und mißlaunig die Regierung sich dazu verstanden hat, den ersten Schritt zu thun, so bescheiden und bedächtig die Stände ans Werk gehen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die eben begonnenen Discussionen über die Veränderungen des Grundgesetzes, daß die Abstimmungen der Generalstaaten darüber, zuerst in einfacher, dann verfassungsmäßig in doppelter Zahl, wobei so viele neue Stimmen ertönen werden, selbst unwillkürlich einen politischen Neubau zur Folge haben müssen. Mit den vierziger Jahren beginnt für Holland ein neuer Zeitraum. Dazu genügen schon fast die jetzt vorliegenden Entwürfe. Selbst der obenbesprochene, könnte er so durchgehen, *) würde doch schon die Minister, dem König gegenüber stärker, gegenüber den Kammern vorsichtiger machen. In dem Personal werden vielleicht gerade am wenigsten Veränderungen vorgehen. Die Minister, die ja, wie gesagt, ihre unentbehrlichen Verdienste haben, werden fast alle in ihren Stellen bleiben oder dieselben wechseln. Nur das Colonialdepartement, das durch den Rücktritt des verdienten Generals van den Bosch am Ende des vorigen Jahres erledigt wurde, und jetzt durch Hrn. Baude verwaltet wird, ebenso das Finanzministerium, in welchem der gar zu unpräsentable Hr. Beelaerts seinen Platz ad interim dem Hrn. van Gennep abgetreten hat, der, wenn einer, die Labyrinthe des Amortisationssyndicats kennt, der aber sehr hoch an Jahren ist - nur diese beiden Portefeuilles müssen wieder definitiv vergeben werden. Sodann wird durch die neue Verantwortlichkeit aller Minister das Institut, welches bisher zwischen diesen und dem Cabinet stand, die Staatssecretarie, eingehen. Der jetzige Minister-Staatssecretär Hr. van Doorn, der gewandteste Staatsmann unter allen, der wohl bei jeder Combination wieder in Anschlag kommen muß, wird vielleicht sein früheres Ministerium des Innern von General de Kock zurücknehmen. Krieg und Marine, die unter fürstlicher Leitung nur eines administrativen Verantworters bedürfen, bleiben wahrscheinlich in den Händen der jetzigen Inhaber. Ebenso unzweifelhaft das auswärtige Portefeuille in denen des Hrn. Verstolk. Am schwersten wird es Hrn. van Maanen fallen, in seinem altgewohnten Justizministerium an eine neue Zeit zu glauben; doch wird er es deßhalb nicht verlassen. Die Wirkungskraft der nun dargebotenen parlamentarischen Waffe wird sich sehr bald an dem Amortisationssyndicat bewähren können, an der täglich erwarteten Erörterung über den neuen Entwurf zu dessen Einziehung. Nur durch das Niederreißen dieses Labyrinths kann es in den Finanzen Tag werden. Denn das ist gewiß: die Finanzen werden über das Schicksal dieses Staats entscheiden. Ist die Regierung in dieser Lebensfrage endlich nachgiebig und offen, so werden alle weiteren politischen Wünsche verstummen; versucht sie es aber nochmals mit anfänglicher Hartschlägigkeit, so wird der ständische Kampf auf allen Punkten zugleich beginnen, und eine verspätete erzwungene Nachgiebigkeit wird ihr dann nicht mehr gedankt werden. Mit der Finanzfrage hängt am innigsten die Colonialfrage zusammen, die Competenz der Generalstaaten darin und die Verpflichtung der Regierung zu regelmäßigen Zuschüssen aus den Colonialcassen, überhaupt die Rechenschaftsablage darüber. Weniger genau wird man es vielleicht nehmen mit den neuen Gesetzen über Armee, Miliz und Schuttery. Aber wenn einmal der Kampf auf der ganzen Linie anheben sollte, wenn einmal die gemäßigtere Opposition der heftigeren weichen müßte, dann würde das ganze Verwaltungssystem angegriffen, das Verhältniß der Religionsparteien angeregt werden, dann würde man auf directe Wahlen dringen und die erste Kammer zur Rechenschaft über ihr Daseyn ziehen. Die augenblickliche günstige Stimmung, welche die zugesagte Verantwortlichkeit der Minister hervorgebracht hat, kann die Regierung durch freiwilliges Nachgeben zu rechter Zeit noch sehr zu ihrem Vortheil benützen. Noch gibt es edlere Beweggründe, die Nation vor heftigen Auftritten zu bewahren, als die bloße Angst vor dem Bankerutt. Aber der Holländer, wenn seine nationale Ehre und sein Bestehen auf dem Spiele stehen, - und beide sind in der Finanzfrage gefährdet - wenn er getäuscht und gereizt wird, ist einer Energie fähig, einer Aufopferung, die man ihm in ruhigen Tagen nicht zutrauen sollte. Zum Aeußersten ist aber die Regierung gar nicht gerüstet, viel weniger entschlossen. Kaum einer der Minister würde eine buchstäbliche Verletzung des Grundgesetzes auf sich nehmen, und gewaltsame Maaßregeln liegen gar nicht im Charakter des Königs. Der Hof, durch keine absolute Scheidewand von dem großen reichen Mittelstande getrennt, steht viel zu vereinzelt da, weder von einem glänzenden Adel, noch von ausgezeichneten Talenten umgeben, um den Ehrgeiz verführen oder gar befriedigen zu können. Also ist eine reactionäre Hofpartei, wie etwa in Frankreich, hier gar nicht vorhanden; ebenso wenig eine Race von sentimental-violenten Hofmärtyrern, die schon im Normalzustande des Friedens den Emigrantismus athmen. Höchstens gibt es unter den niedern Classen der Residenz, wo auch immer eine Hauptstütze der Statthalter war, einzelne traditionelle Anhänger des Hofes, die man hier Prinzen-Leute nennt; aber auf Zahl und Art ist kein Verlaß. Die Liebe zu dem regierenden Hause ist in Alt-Niederland gebaut auf eine vernünftige, männliche Hochachtung vor den königlichen Nachkommen glorreicher und gemeinschaftlicher republicanischer Vorfahren, sodann auf die Schätzung persönlicher Eigenschaften. Die Liebe zum König persönlich gründet sich auf die dankbare Anerkennung großer, oft freudenloser Anstrengungen während einer 25jährigen Regierung, auf die Erinnerung des Schutzes und der Begünstigung gegen die unruhigen belgischen Mitbrüder bis 1830, und seitdem endlich auf den allgemeinen Glauben an eine kluge und uneigennützige *) Er ist durchgegangen. Wir verweisen auf die heutige Zeitung.
in dem monarchischen Princip ein Festungswerk haben, das zu Vertheidigung und Angriff einer unendlichen Entwicklung fähig ist. Auf jener eben eröffneten Bahn repräsentativer Fortschritte bildet zwar die administrative Zurechnungsfähigkeit und strafrechtliche Belangbarkeit der einzelnen Bureauchefs (der „höchsten Commis“, wie sie oft genannt wurden), den ersten freien Anlauf; das natürliche Ziel aber ist die politische Solidarität eines Ministeriums, das, als eine Auswahl erkannter Talente und politischer Charaktere dem König empfohlen, als der jeweilige Ausdruck der Einigung zwischen Krone und Ständen von beiden abhängig, den Majoritäten einen entscheidenden Einfluß auf das Regierungssystem zuerkennt. Zu einer ächten Majorität, zu einem reinen Ausdruck der Landesgesinnung, wenigstens zur folgerechten Wirkung der im Wahlgesetz als souverän erkannten Elemente, wird im Allgemeinen natürlich erfordert, daß die beiden zur Majorität etwa berechtigten oder darum kämpfenden Parteien über die Grundfragen der Verfassung einig, und offenherzig einig seyen (wie Whig und Tory z. B. immer über die Dynastie), daß ferner, gegen unächte Coalitionsmajoritäten, der Krone ein Auflösungsrecht der Wahlkammer und eine neue Berufung an die Nation zustehe; nur mit diesen Waffen ausgerüstet kann das Repräsentativsystem eine Aristokratie des Geistes seyn. Der gemäßigte politische Charakter des Holländers (der jene Einrichtungen in seinem Grundgesetz nicht hat, vielmehr die unauflösbare Wahlkammer je zu 1/3 erneuert) wird alle diese Fragen nicht sogleich auf die Spitze treiben. Aber so ungern und mißlaunig die Regierung sich dazu verstanden hat, den ersten Schritt zu thun, so bescheiden und bedächtig die Stände ans Werk gehen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die eben begonnenen Discussionen über die Veränderungen des Grundgesetzes, daß die Abstimmungen der Generalstaaten darüber, zuerst in einfacher, dann verfassungsmäßig in doppelter Zahl, wobei so viele neue Stimmen ertönen werden, selbst unwillkürlich einen politischen Neubau zur Folge haben müssen. Mit den vierziger Jahren beginnt für Holland ein neuer Zeitraum. Dazu genügen schon fast die jetzt vorliegenden Entwürfe. Selbst der obenbesprochene, könnte er so durchgehen, *) würde doch schon die Minister, dem König gegenüber stärker, gegenüber den Kammern vorsichtiger machen. In dem Personal werden vielleicht gerade am wenigsten Veränderungen vorgehen. Die Minister, die ja, wie gesagt, ihre unentbehrlichen Verdienste haben, werden fast alle in ihren Stellen bleiben oder dieselben wechseln. Nur das Colonialdepartement, das durch den Rücktritt des verdienten Generals van den Bosch am Ende des vorigen Jahres erledigt wurde, und jetzt durch Hrn. Baude verwaltet wird, ebenso das Finanzministerium, in welchem der gar zu unpräsentable Hr. Beelaerts seinen Platz ad interim dem Hrn. van Gennep abgetreten hat, der, wenn einer, die Labyrinthe des Amortisationssyndicats kennt, der aber sehr hoch an Jahren ist – nur diese beiden Portefeuilles müssen wieder definitiv vergeben werden. Sodann wird durch die neue Verantwortlichkeit aller Minister das Institut, welches bisher zwischen diesen und dem Cabinet stand, die Staatssecretarie, eingehen. Der jetzige Minister-Staatssecretär Hr. van Doorn, der gewandteste Staatsmann unter allen, der wohl bei jeder Combination wieder in Anschlag kommen muß, wird vielleicht sein früheres Ministerium des Innern von General de Kock zurücknehmen. Krieg und Marine, die unter fürstlicher Leitung nur eines administrativen Verantworters bedürfen, bleiben wahrscheinlich in den Händen der jetzigen Inhaber. Ebenso unzweifelhaft das auswärtige Portefeuille in denen des Hrn. Verstolk. Am schwersten wird es Hrn. van Maanen fallen, in seinem altgewohnten Justizministerium an eine neue Zeit zu glauben; doch wird er es deßhalb nicht verlassen. Die Wirkungskraft der nun dargebotenen parlamentarischen Waffe wird sich sehr bald an dem Amortisationssyndicat bewähren können, an der täglich erwarteten Erörterung über den neuen Entwurf zu dessen Einziehung. Nur durch das Niederreißen dieses Labyrinths kann es in den Finanzen Tag werden. Denn das ist gewiß: die Finanzen werden über das Schicksal dieses Staats entscheiden. Ist die Regierung in dieser Lebensfrage endlich nachgiebig und offen, so werden alle weiteren politischen Wünsche verstummen; versucht sie es aber nochmals mit anfänglicher Hartschlägigkeit, so wird der ständische Kampf auf allen Punkten zugleich beginnen, und eine verspätete erzwungene Nachgiebigkeit wird ihr dann nicht mehr gedankt werden. Mit der Finanzfrage hängt am innigsten die Colonialfrage zusammen, die Competenz der Generalstaaten darin und die Verpflichtung der Regierung zu regelmäßigen Zuschüssen aus den Colonialcassen, überhaupt die Rechenschaftsablage darüber. Weniger genau wird man es vielleicht nehmen mit den neuen Gesetzen über Armee, Miliz und Schuttery. Aber wenn einmal der Kampf auf der ganzen Linie anheben sollte, wenn einmal die gemäßigtere Opposition der heftigeren weichen müßte, dann würde das ganze Verwaltungssystem angegriffen, das Verhältniß der Religionsparteien angeregt werden, dann würde man auf directe Wahlen dringen und die erste Kammer zur Rechenschaft über ihr Daseyn ziehen. Die augenblickliche günstige Stimmung, welche die zugesagte Verantwortlichkeit der Minister hervorgebracht hat, kann die Regierung durch freiwilliges Nachgeben zu rechter Zeit noch sehr zu ihrem Vortheil benützen. Noch gibt es edlere Beweggründe, die Nation vor heftigen Auftritten zu bewahren, als die bloße Angst vor dem Bankerutt. Aber der Holländer, wenn seine nationale Ehre und sein Bestehen auf dem Spiele stehen, – und beide sind in der Finanzfrage gefährdet – wenn er getäuscht und gereizt wird, ist einer Energie fähig, einer Aufopferung, die man ihm in ruhigen Tagen nicht zutrauen sollte. Zum Aeußersten ist aber die Regierung gar nicht gerüstet, viel weniger entschlossen. Kaum einer der Minister würde eine buchstäbliche Verletzung des Grundgesetzes auf sich nehmen, und gewaltsame Maaßregeln liegen gar nicht im Charakter des Königs. Der Hof, durch keine absolute Scheidewand von dem großen reichen Mittelstande getrennt, steht viel zu vereinzelt da, weder von einem glänzenden Adel, noch von ausgezeichneten Talenten umgeben, um den Ehrgeiz verführen oder gar befriedigen zu können. Also ist eine reactionäre Hofpartei, wie etwa in Frankreich, hier gar nicht vorhanden; ebenso wenig eine Race von sentimental-violenten Hofmärtyrern, die schon im Normalzustande des Friedens den Emigrantismus athmen. Höchstens gibt es unter den niedern Classen der Residenz, wo auch immer eine Hauptstütze der Statthalter war, einzelne traditionelle Anhänger des Hofes, die man hier Prinzen-Leute nennt; aber auf Zahl und Art ist kein Verlaß. Die Liebe zu dem regierenden Hause ist in Alt-Niederland gebaut auf eine vernünftige, männliche Hochachtung vor den königlichen Nachkommen glorreicher und gemeinschaftlicher republicanischer Vorfahren, sodann auf die Schätzung persönlicher Eigenschaften. Die Liebe zum König persönlich gründet sich auf die dankbare Anerkennung großer, oft freudenloser Anstrengungen während einer 25jährigen Regierung, auf die Erinnerung des Schutzes und der Begünstigung gegen die unruhigen belgischen Mitbrüder bis 1830, und seitdem endlich auf den allgemeinen Glauben an eine kluge und uneigennützige *) Er ist durchgegangen. Wir verweisen auf die heutige Zeitung.
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Zu einer ächten Majorität, zu einem reinen Ausdruck der Landesgesinnung, wenigstens zur folgerechten Wirkung der im Wahlgesetz als souverän erkannten Elemente, wird im Allgemeinen natürlich erfordert, daß die beiden zur Majorität etwa berechtigten oder darum kämpfenden Parteien über die Grundfragen der Verfassung einig, und offenherzig einig seyen (wie Whig und Tory z. B. immer über die Dynastie), daß ferner, gegen unächte Coalitionsmajoritäten, der Krone ein Auflösungsrecht der Wahlkammer und eine neue Berufung an die Nation zustehe; nur mit diesen Waffen ausgerüstet kann das Repräsentativsystem eine Aristokratie des Geistes seyn. Der gemäßigte politische Charakter des Holländers (der jene Einrichtungen in seinem Grundgesetz nicht hat, vielmehr die unauflösbare Wahlkammer je zu 1/3 erneuert) wird alle diese Fragen nicht sogleich auf die Spitze treiben. Aber so ungern und mißlaunig die Regierung sich dazu verstanden hat, den ersten Schritt zu thun, so bescheiden und bedächtig die Stände ans Werk gehen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die eben begonnenen Discussionen über die Veränderungen des Grundgesetzes, daß die Abstimmungen der Generalstaaten darüber, zuerst in einfacher, dann verfassungsmäßig in doppelter Zahl, wobei so viele neue Stimmen ertönen werden, selbst unwillkürlich einen politischen Neubau zur Folge haben müssen.</p><lb/> <p>Mit den vierziger Jahren beginnt für Holland ein neuer Zeitraum. Dazu genügen schon fast die jetzt vorliegenden Entwürfe. Selbst der obenbesprochene, könnte er so durchgehen, <note place="foot" n="*)"><p>Er <hi rendition="#g">ist</hi> durchgegangen. Wir verweisen auf die heutige Zeitung.</p></note> würde doch schon die Minister, dem König gegenüber stärker, gegenüber den Kammern vorsichtiger machen. In dem Personal werden vielleicht gerade am wenigsten Veränderungen vorgehen. Die Minister, die ja, wie gesagt, ihre unentbehrlichen Verdienste haben, werden fast alle in ihren Stellen bleiben oder dieselben wechseln. Nur das Colonialdepartement, das durch den Rücktritt des verdienten Generals van den Bosch am Ende des vorigen Jahres erledigt wurde, und jetzt durch Hrn. Baude verwaltet wird, ebenso das Finanzministerium, in welchem der gar zu unpräsentable Hr. Beelaerts seinen Platz ad interim dem Hrn. van Gennep abgetreten hat, der, wenn einer, die Labyrinthe des Amortisationssyndicats kennt, der aber sehr hoch an Jahren ist – nur diese beiden Portefeuilles müssen wieder definitiv vergeben werden. Sodann wird durch die neue Verantwortlichkeit aller Minister das Institut, welches bisher zwischen diesen und dem Cabinet stand, die Staatssecretarie, eingehen. Der jetzige Minister-Staatssecretär Hr. van Doorn, der gewandteste Staatsmann unter allen, der wohl bei jeder Combination wieder in Anschlag kommen muß, wird vielleicht sein früheres Ministerium des Innern von General de Kock zurücknehmen. Krieg und Marine, die unter fürstlicher Leitung nur eines administrativen Verantworters bedürfen, bleiben wahrscheinlich in den Händen der jetzigen Inhaber. Ebenso unzweifelhaft das auswärtige Portefeuille in denen des Hrn. Verstolk. Am schwersten wird es Hrn. van Maanen fallen, in seinem altgewohnten Justizministerium an eine neue Zeit zu glauben; doch wird er es deßhalb nicht verlassen.</p><lb/> <p>Die Wirkungskraft der nun dargebotenen parlamentarischen Waffe wird sich sehr bald an dem Amortisationssyndicat bewähren können, an der täglich erwarteten Erörterung über den neuen Entwurf zu dessen Einziehung. Nur durch das Niederreißen dieses Labyrinths kann es in den Finanzen Tag werden. Denn das ist gewiß: die Finanzen werden über das Schicksal dieses Staats entscheiden. Ist die Regierung in dieser Lebensfrage endlich nachgiebig und offen, so werden alle weiteren politischen Wünsche verstummen; versucht sie es aber nochmals mit anfänglicher Hartschlägigkeit, so wird der ständische Kampf auf allen Punkten zugleich beginnen, und eine verspätete erzwungene Nachgiebigkeit wird ihr dann nicht mehr gedankt werden. Mit der Finanzfrage hängt am innigsten die Colonialfrage zusammen, die Competenz der Generalstaaten darin und die Verpflichtung der Regierung zu regelmäßigen Zuschüssen aus den Colonialcassen, überhaupt die Rechenschaftsablage darüber. Weniger genau wird man es vielleicht nehmen mit den neuen Gesetzen über Armee, Miliz und Schuttery. Aber wenn einmal der Kampf auf der ganzen Linie anheben sollte, wenn einmal die gemäßigtere Opposition der heftigeren weichen müßte, dann würde das ganze Verwaltungssystem angegriffen, das Verhältniß der Religionsparteien angeregt werden, dann würde man auf directe Wahlen dringen und die erste Kammer zur Rechenschaft über ihr Daseyn ziehen. Die augenblickliche günstige Stimmung, welche die zugesagte Verantwortlichkeit der Minister hervorgebracht hat, kann die Regierung durch freiwilliges Nachgeben zu rechter Zeit noch sehr zu ihrem Vortheil benützen. Noch gibt es edlere Beweggründe, die Nation vor heftigen Auftritten zu bewahren, als die bloße Angst vor dem Bankerutt. Aber der Holländer, wenn seine nationale Ehre und sein Bestehen auf dem Spiele stehen, – und beide sind in der Finanzfrage gefährdet – wenn er getäuscht und gereizt wird, ist einer Energie fähig, einer Aufopferung, die man ihm in ruhigen Tagen nicht zutrauen sollte. Zum Aeußersten ist aber die Regierung gar nicht gerüstet, viel weniger entschlossen. Kaum einer der Minister würde eine buchstäbliche Verletzung des Grundgesetzes auf sich nehmen, und gewaltsame Maaßregeln liegen gar nicht im Charakter des Königs. Der Hof, durch keine absolute Scheidewand von dem großen reichen Mittelstande getrennt, steht viel zu vereinzelt da, weder von einem glänzenden Adel, noch von ausgezeichneten Talenten umgeben, um den Ehrgeiz verführen oder gar befriedigen zu können. Also ist eine reactionäre Hofpartei, wie etwa in Frankreich, hier gar nicht vorhanden; ebenso wenig eine Race von sentimental-violenten Hofmärtyrern, die schon im Normalzustande des Friedens den Emigrantismus athmen. Höchstens gibt es unter den niedern Classen der Residenz, wo auch immer eine Hauptstütze der Statthalter war, einzelne traditionelle Anhänger des Hofes, die man hier Prinzen-Leute nennt; aber auf Zahl und Art ist kein Verlaß. Die Liebe zu dem regierenden Hause ist in Alt-Niederland gebaut auf eine vernünftige, männliche Hochachtung vor den königlichen Nachkommen glorreicher und gemeinschaftlicher republicanischer Vorfahren, sodann auf die Schätzung persönlicher Eigenschaften. Die Liebe zum König persönlich gründet sich auf die dankbare Anerkennung großer, oft freudenloser Anstrengungen während einer 25jährigen Regierung, auf die Erinnerung des Schutzes und der Begünstigung gegen die unruhigen belgischen Mitbrüder bis 1830, und seitdem endlich auf den allgemeinen Glauben an eine kluge und uneigennützige<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1308/0012]
in dem monarchischen Princip ein Festungswerk haben, das zu Vertheidigung und Angriff einer unendlichen Entwicklung fähig ist. Auf jener eben eröffneten Bahn repräsentativer Fortschritte bildet zwar die administrative Zurechnungsfähigkeit und strafrechtliche Belangbarkeit der einzelnen Bureauchefs (der „höchsten Commis“, wie sie oft genannt wurden), den ersten freien Anlauf; das natürliche Ziel aber ist die politische Solidarität eines Ministeriums, das, als eine Auswahl erkannter Talente und politischer Charaktere dem König empfohlen, als der jeweilige Ausdruck der Einigung zwischen Krone und Ständen von beiden abhängig, den Majoritäten einen entscheidenden Einfluß auf das Regierungssystem zuerkennt. Zu einer ächten Majorität, zu einem reinen Ausdruck der Landesgesinnung, wenigstens zur folgerechten Wirkung der im Wahlgesetz als souverän erkannten Elemente, wird im Allgemeinen natürlich erfordert, daß die beiden zur Majorität etwa berechtigten oder darum kämpfenden Parteien über die Grundfragen der Verfassung einig, und offenherzig einig seyen (wie Whig und Tory z. B. immer über die Dynastie), daß ferner, gegen unächte Coalitionsmajoritäten, der Krone ein Auflösungsrecht der Wahlkammer und eine neue Berufung an die Nation zustehe; nur mit diesen Waffen ausgerüstet kann das Repräsentativsystem eine Aristokratie des Geistes seyn. Der gemäßigte politische Charakter des Holländers (der jene Einrichtungen in seinem Grundgesetz nicht hat, vielmehr die unauflösbare Wahlkammer je zu 1/3 erneuert) wird alle diese Fragen nicht sogleich auf die Spitze treiben. Aber so ungern und mißlaunig die Regierung sich dazu verstanden hat, den ersten Schritt zu thun, so bescheiden und bedächtig die Stände ans Werk gehen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die eben begonnenen Discussionen über die Veränderungen des Grundgesetzes, daß die Abstimmungen der Generalstaaten darüber, zuerst in einfacher, dann verfassungsmäßig in doppelter Zahl, wobei so viele neue Stimmen ertönen werden, selbst unwillkürlich einen politischen Neubau zur Folge haben müssen.
Mit den vierziger Jahren beginnt für Holland ein neuer Zeitraum. Dazu genügen schon fast die jetzt vorliegenden Entwürfe. Selbst der obenbesprochene, könnte er so durchgehen, *) würde doch schon die Minister, dem König gegenüber stärker, gegenüber den Kammern vorsichtiger machen. In dem Personal werden vielleicht gerade am wenigsten Veränderungen vorgehen. Die Minister, die ja, wie gesagt, ihre unentbehrlichen Verdienste haben, werden fast alle in ihren Stellen bleiben oder dieselben wechseln. Nur das Colonialdepartement, das durch den Rücktritt des verdienten Generals van den Bosch am Ende des vorigen Jahres erledigt wurde, und jetzt durch Hrn. Baude verwaltet wird, ebenso das Finanzministerium, in welchem der gar zu unpräsentable Hr. Beelaerts seinen Platz ad interim dem Hrn. van Gennep abgetreten hat, der, wenn einer, die Labyrinthe des Amortisationssyndicats kennt, der aber sehr hoch an Jahren ist – nur diese beiden Portefeuilles müssen wieder definitiv vergeben werden. Sodann wird durch die neue Verantwortlichkeit aller Minister das Institut, welches bisher zwischen diesen und dem Cabinet stand, die Staatssecretarie, eingehen. Der jetzige Minister-Staatssecretär Hr. van Doorn, der gewandteste Staatsmann unter allen, der wohl bei jeder Combination wieder in Anschlag kommen muß, wird vielleicht sein früheres Ministerium des Innern von General de Kock zurücknehmen. Krieg und Marine, die unter fürstlicher Leitung nur eines administrativen Verantworters bedürfen, bleiben wahrscheinlich in den Händen der jetzigen Inhaber. Ebenso unzweifelhaft das auswärtige Portefeuille in denen des Hrn. Verstolk. Am schwersten wird es Hrn. van Maanen fallen, in seinem altgewohnten Justizministerium an eine neue Zeit zu glauben; doch wird er es deßhalb nicht verlassen.
Die Wirkungskraft der nun dargebotenen parlamentarischen Waffe wird sich sehr bald an dem Amortisationssyndicat bewähren können, an der täglich erwarteten Erörterung über den neuen Entwurf zu dessen Einziehung. Nur durch das Niederreißen dieses Labyrinths kann es in den Finanzen Tag werden. Denn das ist gewiß: die Finanzen werden über das Schicksal dieses Staats entscheiden. Ist die Regierung in dieser Lebensfrage endlich nachgiebig und offen, so werden alle weiteren politischen Wünsche verstummen; versucht sie es aber nochmals mit anfänglicher Hartschlägigkeit, so wird der ständische Kampf auf allen Punkten zugleich beginnen, und eine verspätete erzwungene Nachgiebigkeit wird ihr dann nicht mehr gedankt werden. Mit der Finanzfrage hängt am innigsten die Colonialfrage zusammen, die Competenz der Generalstaaten darin und die Verpflichtung der Regierung zu regelmäßigen Zuschüssen aus den Colonialcassen, überhaupt die Rechenschaftsablage darüber. Weniger genau wird man es vielleicht nehmen mit den neuen Gesetzen über Armee, Miliz und Schuttery. Aber wenn einmal der Kampf auf der ganzen Linie anheben sollte, wenn einmal die gemäßigtere Opposition der heftigeren weichen müßte, dann würde das ganze Verwaltungssystem angegriffen, das Verhältniß der Religionsparteien angeregt werden, dann würde man auf directe Wahlen dringen und die erste Kammer zur Rechenschaft über ihr Daseyn ziehen. Die augenblickliche günstige Stimmung, welche die zugesagte Verantwortlichkeit der Minister hervorgebracht hat, kann die Regierung durch freiwilliges Nachgeben zu rechter Zeit noch sehr zu ihrem Vortheil benützen. Noch gibt es edlere Beweggründe, die Nation vor heftigen Auftritten zu bewahren, als die bloße Angst vor dem Bankerutt. Aber der Holländer, wenn seine nationale Ehre und sein Bestehen auf dem Spiele stehen, – und beide sind in der Finanzfrage gefährdet – wenn er getäuscht und gereizt wird, ist einer Energie fähig, einer Aufopferung, die man ihm in ruhigen Tagen nicht zutrauen sollte. Zum Aeußersten ist aber die Regierung gar nicht gerüstet, viel weniger entschlossen. Kaum einer der Minister würde eine buchstäbliche Verletzung des Grundgesetzes auf sich nehmen, und gewaltsame Maaßregeln liegen gar nicht im Charakter des Königs. Der Hof, durch keine absolute Scheidewand von dem großen reichen Mittelstande getrennt, steht viel zu vereinzelt da, weder von einem glänzenden Adel, noch von ausgezeichneten Talenten umgeben, um den Ehrgeiz verführen oder gar befriedigen zu können. Also ist eine reactionäre Hofpartei, wie etwa in Frankreich, hier gar nicht vorhanden; ebenso wenig eine Race von sentimental-violenten Hofmärtyrern, die schon im Normalzustande des Friedens den Emigrantismus athmen. Höchstens gibt es unter den niedern Classen der Residenz, wo auch immer eine Hauptstütze der Statthalter war, einzelne traditionelle Anhänger des Hofes, die man hier Prinzen-Leute nennt; aber auf Zahl und Art ist kein Verlaß. Die Liebe zu dem regierenden Hause ist in Alt-Niederland gebaut auf eine vernünftige, männliche Hochachtung vor den königlichen Nachkommen glorreicher und gemeinschaftlicher republicanischer Vorfahren, sodann auf die Schätzung persönlicher Eigenschaften. Die Liebe zum König persönlich gründet sich auf die dankbare Anerkennung großer, oft freudenloser Anstrengungen während einer 25jährigen Regierung, auf die Erinnerung des Schutzes und der Begünstigung gegen die unruhigen belgischen Mitbrüder bis 1830, und seitdem endlich auf den allgemeinen Glauben an eine kluge und uneigennützige
*) Er ist durchgegangen. Wir verweisen auf die heutige Zeitung.
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