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Allgemeine Zeitung. Nr. 164. Augsburg, 12. Juni 1840.

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Bei dessen Widerschein von jenen Sternen
Die späten Enkel werden sehen lernen,
Um in prophetisch höheren Gefichten
Von Gott und Menschheit Höh'res zu berichten."
Die Ostseeprovinzen.

II. Das Lutherthum und die griechisch-russische Kirche.

(Beschluß.)

Das wichtigste, den Protestantismus der Ostseeprovinzen am meisten und zwar vorzugsweise in seinen vornehmsten Stützen, den gebildeten und ersten Ständen des Landes, angreifende und beeinträchtigende Princip ist die Vorschrift der griechisch-russischen Regierung über die gemischten Ehen, von welchen der Grundsatz gilt, daß aus einer Ehe, wo der eine Theil, Mann oder Frau, griechischer Confession ist, durchaus keine andern als griechische Kinder hervorgehen könnten. Es ist auch bei uns in neuerer Zeit von diesem Grundsatze viel die Rede gewesen. Man hat davon gesprochen, als von einer ganz neuen Vorschrift, und als von einer ganz neuen, den baltischen Protestantismus bedrängenden Ukase. Dieß ist indeß durchaus falsch. Jener Grundsatz der griechischen Kirche ist vielmehr uralt und wurde von jeher befolgt. Nur zu Zeiten wird er durch besondere Gesetze geschärft, detaillirt und ins Gedächtniß gerufen.

Alles griechisch-russische Blut betrachtet die Kirche als geweiht, als ihr angehörig. Keiner hat außer ihr darüber Gewalt, keiner kann außer ihr es durch gottesdienstliche Handlungen binden, heiligen. Daher auch alle gemischten Ehen ausschließlich von russischen Priestern eingesegnet werden können, und die, welche es nicht waren, durchaus als ungültig und unbindend angesehen werden. So tolerant die Kirche sonst im Dulden des Bestehenden und beim Proselytenmachen ist, so intolerant ist sie in Bezug auf das, was ihr entfremdet werden könnte, und so eifrig, ja fanatisch hält sie auf die Beobachtung der zu ihrer Vertheidigung über die Ehen aufgestellten Grundsätze. Es sind strenge Strafen bestimmt für den lutherischen Prediger, der es wagen würde, eine solche gemischte Ehe einzusegnen. Jede von einem lutherischen Prediger zwischen einem Russen und einer Protestantin gestiftete Ehe wird gar nicht als Ehe anerkannt, sondern bloß als Concubinat. Die Frau kann nicht das Vermögen ihres Mannes erben. Die Kinder werden als uneheliche Kinder betrachtet und haben keinen Anspruch auf den Familien-Namen und Stand ihres Vaters. Es sind bei solchen Fällen von den russischen Priestern höchst betrübte Härten geübt worden. Nur die höchste Staatsgewalt konnte hie und da auf dem Wege der Begnadigung das Unglück mildern.

Es scheint offenbar, daß diese Grundsätze und Vorschriften über die gemischte Ehe allein hinreichend sind, im Laufe der Zeit den ganzen Protestantismus nicht nur, sondern die ganze deutsche Nationalität der Ostseeprovinzen über den Haufen zu werfen. Sie nagen an ihnen wie ein langsam, aber um so sicherer arbeitender Wurm. Die Heirathen zwischen Deutschen und Russen sind sehr häufig, und zwar aus dem Grunde, weil den Deutschen als sehr begehrten Leuten, als Menschen von höherer geistiger und meist schöner körperlicher Bildung, gewöhnlich sehr gute Partien angeboten werden. Die Russen, welche in die Ostseeprovinzen, als Officiere, Beamte, Kaufleute kommen, schätzen sich gewöhnlich glücklich, wenn ein armes, aber hübsches deutsches Mädchen ihnen die Hand gibt, und entführen auf diese Weise manches seiner väterlichen Sitte und seiner Heimath. Die Deutschen, welche als Aerzte, Beamte, Militärs nach St. Petersburg oder ins Innere von Rußland gehen, finden gewöhnlich so viel reiche russische Mädchen, die ihnen mit Freuden Hand, Gut und Geld geben, daß sie in der Regel gern auf die armen, deutschen Fräulein verzichten, und sich willig darein ergeben, in Zukunft mit ihren griechisch-russischen Kindern das Kreuz zu schlagen und die Heiligen anzubeten. Auf diese Weise ist denn natürlich immer doppelter Verlust dabei, wenn sich Deutsch mit Deutschen paart. Sie verliert einen hohen General, und er ein reiches russisches Fräulein und beide bilden ein armes Paar. Daher also die häufigen Paarungen zwischen deutschem und russischem Blut, aus denen dann nun wieder einzig und allein russisches Blut hervorgeht - russisches nicht nur in Beziehung auf die Religion, sondern auch in Beziehung auf die Nationalität. Denn dem Lutherthum entsagen, heißt dort auch das Deutschthum abschwören. Die griechische Religion erfordert die Kenntniß und den beständigen Gebrauch der russischen Sprache, und die griechische Religion ist so ganz und gar mit dem ganzen Wesen der russischen Nation verwebt, daß man sich schwer ihr anschließen kann, ohne sich auch diesem völlig zu ergeben. Doch macht man in dieser Hinsicht in Livland die Bemerkung, daß das Meiste dabei von der Mutter abhänge. War die Mutter eine Russin, so werden die Kinder in Wesen, Sprache und in allen Stücken russisch, und das Deutsch des Vaters ist von geringem Einfluß. War die Mutter aber eine Deutsche, so werden die Kinder wieder in Gesinnung, Sprache und Charakter mehr deutsch, obgleich dem Gesetze nach in äußerer Religionsübung russisch.

Auf diese Weise hat nun die vollkommene Amalgamirung der beiden Stämme in Folge jenes Grundsatzes über die gemischten Ehen begonnen, und man findet bereits in den Ostseeprovinzen, in Esthland mehr als in Livland, in Kurland am wenigsten, eine Menge solcher zwitterhafter Deutsch-Russen, in allen Ständen und Classen der Gesellschaft. Ja von den vornehmsten Familien des deutschen Adels haben sich auf diese Weise einzelne Stämme ins russische Element hinüber abgezweigt, so daß bereits die meisten Familien in einen russischen oder russisch-griechischen und in einen deutschen oder deutsch-lutherischen Stamm zerfallen. So gibt es z. B. russische Engelhardts und deutsche Engelhardts, russische und deutsche Korffs, russische und deutsche Vietinghöfe, russische und deutsche Osten-Sackens, die im geselligen Leben auch immer mit jenen ihre Nationalität und Religion bezeichnenden Beiwörtern von einander geschieden werden. Viele Güter in den Ostseeprovinzen gingen so bereits in Besitz solcher russischen Familien über.

Man könnte auf diese Weise die völlige Russificirung der Ostseeprovinzen allein in Folge jenes Gesetzes über die gemischten Ehen als nahe bevorstehend vermuthen. Allein um diese Befürchtung nicht zu lebhaft werden zu lassen, ist es noch nöthig, den Grad des Vorschreitens jener Russificirung näher zu bestimmen.

Die Abneigung der deutschen Nation gegen die russische ist nicht wenig groß, und ein Russe muß schon erstaunlich viel in die Wagschale werfen, bis ein deutsches Fräulein sich entschließt, ihm die Hand zu geben. Es ist bekannt, daß in den russischen Familien häusliches Glück und Zufriedenheit nicht so heimisch ist wie in den deutschen; schwer entschließt sich daher ein deutscher Vater zur Einwilligung in die Heirath seiner Tochter mit einem Russen. Ein junges Mädchen von Adel muß schon nicht wenig arm seyn, wenn sie einem russischen Officier hohen Ranges ihre Hand reichen soll, und sie zieht

Bei dessen Widerschein von jenen Sternen
Die späten Enkel werden sehen lernen,
Um in prophetisch höheren Gefichten
Von Gott und Menschheit Höh'res zu berichten.“
Die Ostseeprovinzen.

II. Das Lutherthum und die griechisch-russische Kirche.

(Beschluß.)

Das wichtigste, den Protestantismus der Ostseeprovinzen am meisten und zwar vorzugsweise in seinen vornehmsten Stützen, den gebildeten und ersten Ständen des Landes, angreifende und beeinträchtigende Princip ist die Vorschrift der griechisch-russischen Regierung über die gemischten Ehen, von welchen der Grundsatz gilt, daß aus einer Ehe, wo der eine Theil, Mann oder Frau, griechischer Confession ist, durchaus keine andern als griechische Kinder hervorgehen könnten. Es ist auch bei uns in neuerer Zeit von diesem Grundsatze viel die Rede gewesen. Man hat davon gesprochen, als von einer ganz neuen Vorschrift, und als von einer ganz neuen, den baltischen Protestantismus bedrängenden Ukase. Dieß ist indeß durchaus falsch. Jener Grundsatz der griechischen Kirche ist vielmehr uralt und wurde von jeher befolgt. Nur zu Zeiten wird er durch besondere Gesetze geschärft, detaillirt und ins Gedächtniß gerufen.

Alles griechisch-russische Blut betrachtet die Kirche als geweiht, als ihr angehörig. Keiner hat außer ihr darüber Gewalt, keiner kann außer ihr es durch gottesdienstliche Handlungen binden, heiligen. Daher auch alle gemischten Ehen ausschließlich von russischen Priestern eingesegnet werden können, und die, welche es nicht waren, durchaus als ungültig und unbindend angesehen werden. So tolerant die Kirche sonst im Dulden des Bestehenden und beim Proselytenmachen ist, so intolerant ist sie in Bezug auf das, was ihr entfremdet werden könnte, und so eifrig, ja fanatisch hält sie auf die Beobachtung der zu ihrer Vertheidigung über die Ehen aufgestellten Grundsätze. Es sind strenge Strafen bestimmt für den lutherischen Prediger, der es wagen würde, eine solche gemischte Ehe einzusegnen. Jede von einem lutherischen Prediger zwischen einem Russen und einer Protestantin gestiftete Ehe wird gar nicht als Ehe anerkannt, sondern bloß als Concubinat. Die Frau kann nicht das Vermögen ihres Mannes erben. Die Kinder werden als uneheliche Kinder betrachtet und haben keinen Anspruch auf den Familien-Namen und Stand ihres Vaters. Es sind bei solchen Fällen von den russischen Priestern höchst betrübte Härten geübt worden. Nur die höchste Staatsgewalt konnte hie und da auf dem Wege der Begnadigung das Unglück mildern.

Es scheint offenbar, daß diese Grundsätze und Vorschriften über die gemischte Ehe allein hinreichend sind, im Laufe der Zeit den ganzen Protestantismus nicht nur, sondern die ganze deutsche Nationalität der Ostseeprovinzen über den Haufen zu werfen. Sie nagen an ihnen wie ein langsam, aber um so sicherer arbeitender Wurm. Die Heirathen zwischen Deutschen und Russen sind sehr häufig, und zwar aus dem Grunde, weil den Deutschen als sehr begehrten Leuten, als Menschen von höherer geistiger und meist schöner körperlicher Bildung, gewöhnlich sehr gute Partien angeboten werden. Die Russen, welche in die Ostseeprovinzen, als Officiere, Beamte, Kaufleute kommen, schätzen sich gewöhnlich glücklich, wenn ein armes, aber hübsches deutsches Mädchen ihnen die Hand gibt, und entführen auf diese Weise manches seiner väterlichen Sitte und seiner Heimath. Die Deutschen, welche als Aerzte, Beamte, Militärs nach St. Petersburg oder ins Innere von Rußland gehen, finden gewöhnlich so viel reiche russische Mädchen, die ihnen mit Freuden Hand, Gut und Geld geben, daß sie in der Regel gern auf die armen, deutschen Fräulein verzichten, und sich willig darein ergeben, in Zukunft mit ihren griechisch-russischen Kindern das Kreuz zu schlagen und die Heiligen anzubeten. Auf diese Weise ist denn natürlich immer doppelter Verlust dabei, wenn sich Deutsch mit Deutschen paart. Sie verliert einen hohen General, und er ein reiches russisches Fräulein und beide bilden ein armes Paar. Daher also die häufigen Paarungen zwischen deutschem und russischem Blut, aus denen dann nun wieder einzig und allein russisches Blut hervorgeht – russisches nicht nur in Beziehung auf die Religion, sondern auch in Beziehung auf die Nationalität. Denn dem Lutherthum entsagen, heißt dort auch das Deutschthum abschwören. Die griechische Religion erfordert die Kenntniß und den beständigen Gebrauch der russischen Sprache, und die griechische Religion ist so ganz und gar mit dem ganzen Wesen der russischen Nation verwebt, daß man sich schwer ihr anschließen kann, ohne sich auch diesem völlig zu ergeben. Doch macht man in dieser Hinsicht in Livland die Bemerkung, daß das Meiste dabei von der Mutter abhänge. War die Mutter eine Russin, so werden die Kinder in Wesen, Sprache und in allen Stücken russisch, und das Deutsch des Vaters ist von geringem Einfluß. War die Mutter aber eine Deutsche, so werden die Kinder wieder in Gesinnung, Sprache und Charakter mehr deutsch, obgleich dem Gesetze nach in äußerer Religionsübung russisch.

Auf diese Weise hat nun die vollkommene Amalgamirung der beiden Stämme in Folge jenes Grundsatzes über die gemischten Ehen begonnen, und man findet bereits in den Ostseeprovinzen, in Esthland mehr als in Livland, in Kurland am wenigsten, eine Menge solcher zwitterhafter Deutsch-Russen, in allen Ständen und Classen der Gesellschaft. Ja von den vornehmsten Familien des deutschen Adels haben sich auf diese Weise einzelne Stämme ins russische Element hinüber abgezweigt, so daß bereits die meisten Familien in einen russischen oder russisch-griechischen und in einen deutschen oder deutsch-lutherischen Stamm zerfallen. So gibt es z. B. russische Engelhardts und deutsche Engelhardts, russische und deutsche Korffs, russische und deutsche Vietinghöfe, russische und deutsche Osten-Sackens, die im geselligen Leben auch immer mit jenen ihre Nationalität und Religion bezeichnenden Beiwörtern von einander geschieden werden. Viele Güter in den Ostseeprovinzen gingen so bereits in Besitz solcher russischen Familien über.

Man könnte auf diese Weise die völlige Russificirung der Ostseeprovinzen allein in Folge jenes Gesetzes über die gemischten Ehen als nahe bevorstehend vermuthen. Allein um diese Befürchtung nicht zu lebhaft werden zu lassen, ist es noch nöthig, den Grad des Vorschreitens jener Russificirung näher zu bestimmen.

Die Abneigung der deutschen Nation gegen die russische ist nicht wenig groß, und ein Russe muß schon erstaunlich viel in die Wagschale werfen, bis ein deutsches Fräulein sich entschließt, ihm die Hand zu geben. Es ist bekannt, daß in den russischen Familien häusliches Glück und Zufriedenheit nicht so heimisch ist wie in den deutschen; schwer entschließt sich daher ein deutscher Vater zur Einwilligung in die Heirath seiner Tochter mit einem Russen. Ein junges Mädchen von Adel muß schon nicht wenig arm seyn, wenn sie einem russischen Officier hohen Ranges ihre Hand reichen soll, und sie zieht

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[1306/0010] Bei dessen Widerschein von jenen Sternen Die späten Enkel werden sehen lernen, Um in prophetisch höheren Gefichten Von Gott und Menschheit Höh'res zu berichten.“ Die Ostseeprovinzen. II. Das Lutherthum und die griechisch-russische Kirche. (Beschluß.) Das wichtigste, den Protestantismus der Ostseeprovinzen am meisten und zwar vorzugsweise in seinen vornehmsten Stützen, den gebildeten und ersten Ständen des Landes, angreifende und beeinträchtigende Princip ist die Vorschrift der griechisch-russischen Regierung über die gemischten Ehen, von welchen der Grundsatz gilt, daß aus einer Ehe, wo der eine Theil, Mann oder Frau, griechischer Confession ist, durchaus keine andern als griechische Kinder hervorgehen könnten. Es ist auch bei uns in neuerer Zeit von diesem Grundsatze viel die Rede gewesen. Man hat davon gesprochen, als von einer ganz neuen Vorschrift, und als von einer ganz neuen, den baltischen Protestantismus bedrängenden Ukase. Dieß ist indeß durchaus falsch. Jener Grundsatz der griechischen Kirche ist vielmehr uralt und wurde von jeher befolgt. Nur zu Zeiten wird er durch besondere Gesetze geschärft, detaillirt und ins Gedächtniß gerufen. Alles griechisch-russische Blut betrachtet die Kirche als geweiht, als ihr angehörig. Keiner hat außer ihr darüber Gewalt, keiner kann außer ihr es durch gottesdienstliche Handlungen binden, heiligen. Daher auch alle gemischten Ehen ausschließlich von russischen Priestern eingesegnet werden können, und die, welche es nicht waren, durchaus als ungültig und unbindend angesehen werden. So tolerant die Kirche sonst im Dulden des Bestehenden und beim Proselytenmachen ist, so intolerant ist sie in Bezug auf das, was ihr entfremdet werden könnte, und so eifrig, ja fanatisch hält sie auf die Beobachtung der zu ihrer Vertheidigung über die Ehen aufgestellten Grundsätze. Es sind strenge Strafen bestimmt für den lutherischen Prediger, der es wagen würde, eine solche gemischte Ehe einzusegnen. Jede von einem lutherischen Prediger zwischen einem Russen und einer Protestantin gestiftete Ehe wird gar nicht als Ehe anerkannt, sondern bloß als Concubinat. Die Frau kann nicht das Vermögen ihres Mannes erben. Die Kinder werden als uneheliche Kinder betrachtet und haben keinen Anspruch auf den Familien-Namen und Stand ihres Vaters. Es sind bei solchen Fällen von den russischen Priestern höchst betrübte Härten geübt worden. Nur die höchste Staatsgewalt konnte hie und da auf dem Wege der Begnadigung das Unglück mildern. Es scheint offenbar, daß diese Grundsätze und Vorschriften über die gemischte Ehe allein hinreichend sind, im Laufe der Zeit den ganzen Protestantismus nicht nur, sondern die ganze deutsche Nationalität der Ostseeprovinzen über den Haufen zu werfen. Sie nagen an ihnen wie ein langsam, aber um so sicherer arbeitender Wurm. Die Heirathen zwischen Deutschen und Russen sind sehr häufig, und zwar aus dem Grunde, weil den Deutschen als sehr begehrten Leuten, als Menschen von höherer geistiger und meist schöner körperlicher Bildung, gewöhnlich sehr gute Partien angeboten werden. Die Russen, welche in die Ostseeprovinzen, als Officiere, Beamte, Kaufleute kommen, schätzen sich gewöhnlich glücklich, wenn ein armes, aber hübsches deutsches Mädchen ihnen die Hand gibt, und entführen auf diese Weise manches seiner väterlichen Sitte und seiner Heimath. Die Deutschen, welche als Aerzte, Beamte, Militärs nach St. Petersburg oder ins Innere von Rußland gehen, finden gewöhnlich so viel reiche russische Mädchen, die ihnen mit Freuden Hand, Gut und Geld geben, daß sie in der Regel gern auf die armen, deutschen Fräulein verzichten, und sich willig darein ergeben, in Zukunft mit ihren griechisch-russischen Kindern das Kreuz zu schlagen und die Heiligen anzubeten. Auf diese Weise ist denn natürlich immer doppelter Verlust dabei, wenn sich Deutsch mit Deutschen paart. Sie verliert einen hohen General, und er ein reiches russisches Fräulein und beide bilden ein armes Paar. Daher also die häufigen Paarungen zwischen deutschem und russischem Blut, aus denen dann nun wieder einzig und allein russisches Blut hervorgeht – russisches nicht nur in Beziehung auf die Religion, sondern auch in Beziehung auf die Nationalität. Denn dem Lutherthum entsagen, heißt dort auch das Deutschthum abschwören. Die griechische Religion erfordert die Kenntniß und den beständigen Gebrauch der russischen Sprache, und die griechische Religion ist so ganz und gar mit dem ganzen Wesen der russischen Nation verwebt, daß man sich schwer ihr anschließen kann, ohne sich auch diesem völlig zu ergeben. Doch macht man in dieser Hinsicht in Livland die Bemerkung, daß das Meiste dabei von der Mutter abhänge. War die Mutter eine Russin, so werden die Kinder in Wesen, Sprache und in allen Stücken russisch, und das Deutsch des Vaters ist von geringem Einfluß. War die Mutter aber eine Deutsche, so werden die Kinder wieder in Gesinnung, Sprache und Charakter mehr deutsch, obgleich dem Gesetze nach in äußerer Religionsübung russisch. Auf diese Weise hat nun die vollkommene Amalgamirung der beiden Stämme in Folge jenes Grundsatzes über die gemischten Ehen begonnen, und man findet bereits in den Ostseeprovinzen, in Esthland mehr als in Livland, in Kurland am wenigsten, eine Menge solcher zwitterhafter Deutsch-Russen, in allen Ständen und Classen der Gesellschaft. Ja von den vornehmsten Familien des deutschen Adels haben sich auf diese Weise einzelne Stämme ins russische Element hinüber abgezweigt, so daß bereits die meisten Familien in einen russischen oder russisch-griechischen und in einen deutschen oder deutsch-lutherischen Stamm zerfallen. So gibt es z. B. russische Engelhardts und deutsche Engelhardts, russische und deutsche Korffs, russische und deutsche Vietinghöfe, russische und deutsche Osten-Sackens, die im geselligen Leben auch immer mit jenen ihre Nationalität und Religion bezeichnenden Beiwörtern von einander geschieden werden. Viele Güter in den Ostseeprovinzen gingen so bereits in Besitz solcher russischen Familien über. Man könnte auf diese Weise die völlige Russificirung der Ostseeprovinzen allein in Folge jenes Gesetzes über die gemischten Ehen als nahe bevorstehend vermuthen. Allein um diese Befürchtung nicht zu lebhaft werden zu lassen, ist es noch nöthig, den Grad des Vorschreitens jener Russificirung näher zu bestimmen. Die Abneigung der deutschen Nation gegen die russische ist nicht wenig groß, und ein Russe muß schon erstaunlich viel in die Wagschale werfen, bis ein deutsches Fräulein sich entschließt, ihm die Hand zu geben. Es ist bekannt, daß in den russischen Familien häusliches Glück und Zufriedenheit nicht so heimisch ist wie in den deutschen; schwer entschließt sich daher ein deutscher Vater zur Einwilligung in die Heirath seiner Tochter mit einem Russen. Ein junges Mädchen von Adel muß schon nicht wenig arm seyn, wenn sie einem russischen Officier hohen Ranges ihre Hand reichen soll, und sie zieht

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 164. Augsburg, 12. Juni 1840, S. 1306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_164_18400612/10>, abgerufen am 24.11.2024.