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Allgemeine Zeitung. Nr. 161. Augsburg, 9. Juni 1840.

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14 Tagen an den Folgen der Grippe sehr leidend sey, und daß die Krankheits-Symptome stets bedenklicher würden. Bisher hatte der König selbst nicht zugeben wollen, daß man durch Veröffentlichung von Bulletins das Publicum beunruhige. Heute früh ist ein zweites erschienen, welches an allen öffentlichen Orten auslag, auch den Zeitungen beigelegt werden wird. (S. oben.) Die Kaiserin von Rußland hat bald, nachdem sie ihren Vater wiedergesehen, einen Courier an ihren Gemahl gesandt, und ihn, wie man vernimmt, auffordern lassen, ebenfalls nach Berlin zu kommen, da sie von dem schmerzlichen Wiedersehen ihres Vaters ungemein ergriffen ist. Vom König selbst hört man, daß er fortwährend mit gewohnter inniger Theilnahme Alles aufnimmt, was ein Zeugniß des treuen Verhältnisses zwischen ihm und dem Lande ist. So hat er den Lorbeerkranz, welchen ihm die Stadt Berlin am Tage der Grundsteinlegung des Friedrichs-Denkmals übersandte und der ihm von seiner treuen Pflegerin, der verehrten Fürstin von Liegnitz, auf dem Krankenbette gereicht wurde, mit rührender Anerkennung hingenommen, die sich mehreremal in den Worten: "Sehr brav, sehr brav!" aussprach. Gleichwohl hatte Se. Majestät auch nicht zugeben wollen, daß man an demselben Tage und bei derselben Gelegenheit, wo Friedrich II gefeiert wurde, das dem regierenden König geltende "Heil dir im Siegerkranz" anstimme, da er das öffentliche Fest, wie durch Ignorirung seiner Krankheit, so auch überhaupt ganz ungeschmälert dem Gefeierten lassen wollte.

Der Zustand des Königs hält uns auch noch heute in gleicher angstvoller Spannung. Der Volksandrang um das königliche Palais hat sich indessen in Folge ausgegebener Bulletins, welche an die Thür des Commandanturgebäudes angeschlagen sind, verloren. Ueber die Vorgänge seit gestern habe ich Ihnen Folgendes zu melden. Als Ihre Maj. die Kaiserin Nachmittag um halb 4 Uhr im Palais eintraf, befand sich ihr königlicher Vater so übel, daß sie denselben nicht sprechen konnte. Nach 6 Uhr Abends jedoch fand das Wiedersehen statt. Wie erschütternd es seyn mußte, läßt sich leichter begreifen als schildern. Ihre Maj. verweilte die Nacht im Palais, um jeden Augenblick zur Hand zu seyn. Um 4 Uhr Morgens trat wieder wie Tags zuvor eine starke Brustbeklemmung ein. Die Kaiserin und alle Kinder des Königs waren zugegen. Der Anfall ging vorüber. Um 10 Uhr Vormittags ließ sich Se. Maj. das heilige Abendmahl reichen. Seitdem ist kein entscheidender Moment eingetreten, die Entkräftung jedoch so groß, daß man das Leben des verehrten Monarchen nur noch nach Stunden zählt. Das Gerücht besagt, die Auflösung sey bereits erfolgt, werde aber verheimlicht. Den Zeitungen ist vielmehr diesen Vormittag angezeigt worden, daß sie von jetzt ab Bulletins erhalten sollen; die gestrige große Aufregung in der Stadt hat wohl diese Maaßregel unerläßlich gemacht. - Nachschrift. 6 1/2 Uhr. Noch hat sich in dem Zustande Sr. Maj. nichts entschieden. Diesen Abend um 9 Uhr erwartet man, daß der Kaiser von Rußland eintreffe.

Rußland.

Der General der Infanterie, von Rimsky-Korsakoff, ist am 25 d. M. im 87sten Jahre seines Alters mit Tod abgegangen. Seit dem Jahre 1830 war derselbe Mitglied des Reichsraths.

Türkei.

Die Krise geht hier rasch vor sich. Chosrew Pascha, der als Urheber oder als Werkzeug bei der Absetzung Halil Pascha's thätig war, ist nun selbst durch Halils Partei gestürzt, und somit das von Mahmud für das Wohl des Reiches und zum Besten seines Sohnes eingesetzte Triumvirat zu Grabe gegangen. Niemand weiß, wie das enden soll. Der bornirte Ferik Ahmed Fethi Pascha, der bisher dem Ministerium des Handels vorstand, ist an Chosrews Stelle berufen, und steht jetzt bei dem Sultan in der höchsten Gunst. Ahmed Fethi wird binnen kurzem die Hand der Hadidsche Sultane, Schwester des Sultans, erhalten. Der alte Chosrew Pascha kann schwerlich mehr zur Gewalt gelangen; er gilt für das Haupt der mächtigen russischen Partei, und es sollen in letzterer Zeit wichtige Entdeckungen hinsichtlich der auswärtigen Verbindungen des abgesetzten Großwessiers gemacht worden seyn, so daß man die Veranlassung zu seiner Abdankung weder in Aegypten noch in der Türkei, sondern lediglich in den oben angedeuteten Beziehungen zu suchen haben würde. Aber wer vermag in der allgemeinen Verwirrung Verleumdung von Wahrheit zu unterscheiden? Machte man doch vor ein paar Wochen auch dem abgesetzten Halil dieselben Verbindungen zum Vorwurfe! Die Gährung in den höchsten Kreisen des Staats ist zu heftig, als daß man irgend etwas mit Bestimmtheit unterscheiden könnte. Vielleicht erhalten wir bald einiges Licht über diese gänzliche Verrückung der Personalverhältnisse, die bis zum Augenblick in der hiesigen Administration bestanden und jetzt allmählich durch andere, für die Türkei vielleicht verderblichere ersetzt werden sollen.

14 Tagen an den Folgen der Grippe sehr leidend sey, und daß die Krankheits-Symptome stets bedenklicher würden. Bisher hatte der König selbst nicht zugeben wollen, daß man durch Veröffentlichung von Bulletins das Publicum beunruhige. Heute früh ist ein zweites erschienen, welches an allen öffentlichen Orten auslag, auch den Zeitungen beigelegt werden wird. (S. oben.) Die Kaiserin von Rußland hat bald, nachdem sie ihren Vater wiedergesehen, einen Courier an ihren Gemahl gesandt, und ihn, wie man vernimmt, auffordern lassen, ebenfalls nach Berlin zu kommen, da sie von dem schmerzlichen Wiedersehen ihres Vaters ungemein ergriffen ist. Vom König selbst hört man, daß er fortwährend mit gewohnter inniger Theilnahme Alles aufnimmt, was ein Zeugniß des treuen Verhältnisses zwischen ihm und dem Lande ist. So hat er den Lorbeerkranz, welchen ihm die Stadt Berlin am Tage der Grundsteinlegung des Friedrichs-Denkmals übersandte und der ihm von seiner treuen Pflegerin, der verehrten Fürstin von Liegnitz, auf dem Krankenbette gereicht wurde, mit rührender Anerkennung hingenommen, die sich mehreremal in den Worten: „Sehr brav, sehr brav!“ aussprach. Gleichwohl hatte Se. Majestät auch nicht zugeben wollen, daß man an demselben Tage und bei derselben Gelegenheit, wo Friedrich II gefeiert wurde, das dem regierenden König geltende „Heil dir im Siegerkranz“ anstimme, da er das öffentliche Fest, wie durch Ignorirung seiner Krankheit, so auch überhaupt ganz ungeschmälert dem Gefeierten lassen wollte.

Der Zustand des Königs hält uns auch noch heute in gleicher angstvoller Spannung. Der Volksandrang um das königliche Palais hat sich indessen in Folge ausgegebener Bulletins, welche an die Thür des Commandanturgebäudes angeschlagen sind, verloren. Ueber die Vorgänge seit gestern habe ich Ihnen Folgendes zu melden. Als Ihre Maj. die Kaiserin Nachmittag um halb 4 Uhr im Palais eintraf, befand sich ihr königlicher Vater so übel, daß sie denselben nicht sprechen konnte. Nach 6 Uhr Abends jedoch fand das Wiedersehen statt. Wie erschütternd es seyn mußte, läßt sich leichter begreifen als schildern. Ihre Maj. verweilte die Nacht im Palais, um jeden Augenblick zur Hand zu seyn. Um 4 Uhr Morgens trat wieder wie Tags zuvor eine starke Brustbeklemmung ein. Die Kaiserin und alle Kinder des Königs waren zugegen. Der Anfall ging vorüber. Um 10 Uhr Vormittags ließ sich Se. Maj. das heilige Abendmahl reichen. Seitdem ist kein entscheidender Moment eingetreten, die Entkräftung jedoch so groß, daß man das Leben des verehrten Monarchen nur noch nach Stunden zählt. Das Gerücht besagt, die Auflösung sey bereits erfolgt, werde aber verheimlicht. Den Zeitungen ist vielmehr diesen Vormittag angezeigt worden, daß sie von jetzt ab Bulletins erhalten sollen; die gestrige große Aufregung in der Stadt hat wohl diese Maaßregel unerläßlich gemacht. – Nachschrift. 6 1/2 Uhr. Noch hat sich in dem Zustande Sr. Maj. nichts entschieden. Diesen Abend um 9 Uhr erwartet man, daß der Kaiser von Rußland eintreffe.

Rußland.

Der General der Infanterie, von Rimsky-Korsakoff, ist am 25 d. M. im 87sten Jahre seines Alters mit Tod abgegangen. Seit dem Jahre 1830 war derselbe Mitglied des Reichsraths.

Türkei.

Die Krise geht hier rasch vor sich. Chosrew Pascha, der als Urheber oder als Werkzeug bei der Absetzung Halil Pascha's thätig war, ist nun selbst durch Halils Partei gestürzt, und somit das von Mahmud für das Wohl des Reiches und zum Besten seines Sohnes eingesetzte Triumvirat zu Grabe gegangen. Niemand weiß, wie das enden soll. Der bornirte Ferik Ahmed Fethi Pascha, der bisher dem Ministerium des Handels vorstand, ist an Chosrews Stelle berufen, und steht jetzt bei dem Sultan in der höchsten Gunst. Ahmed Fethi wird binnen kurzem die Hand der Hadidsche Sultane, Schwester des Sultans, erhalten. Der alte Chosrew Pascha kann schwerlich mehr zur Gewalt gelangen; er gilt für das Haupt der mächtigen russischen Partei, und es sollen in letzterer Zeit wichtige Entdeckungen hinsichtlich der auswärtigen Verbindungen des abgesetzten Großwessiers gemacht worden seyn, so daß man die Veranlassung zu seiner Abdankung weder in Aegypten noch in der Türkei, sondern lediglich in den oben angedeuteten Beziehungen zu suchen haben würde. Aber wer vermag in der allgemeinen Verwirrung Verleumdung von Wahrheit zu unterscheiden? Machte man doch vor ein paar Wochen auch dem abgesetzten Halil dieselben Verbindungen zum Vorwurfe! Die Gährung in den höchsten Kreisen des Staats ist zu heftig, als daß man irgend etwas mit Bestimmtheit unterscheiden könnte. Vielleicht erhalten wir bald einiges Licht über diese gänzliche Verrückung der Personalverhältnisse, die bis zum Augenblick in der hiesigen Administration bestanden und jetzt allmählich durch andere, für die Türkei vielleicht verderblichere ersetzt werden sollen.

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[1288/0008] 14 Tagen an den Folgen der Grippe sehr leidend sey, und daß die Krankheits-Symptome stets bedenklicher würden. Bisher hatte der König selbst nicht zugeben wollen, daß man durch Veröffentlichung von Bulletins das Publicum beunruhige. Heute früh ist ein zweites erschienen, welches an allen öffentlichen Orten auslag, auch den Zeitungen beigelegt werden wird. (S. oben.) Die Kaiserin von Rußland hat bald, nachdem sie ihren Vater wiedergesehen, einen Courier an ihren Gemahl gesandt, und ihn, wie man vernimmt, auffordern lassen, ebenfalls nach Berlin zu kommen, da sie von dem schmerzlichen Wiedersehen ihres Vaters ungemein ergriffen ist. Vom König selbst hört man, daß er fortwährend mit gewohnter inniger Theilnahme Alles aufnimmt, was ein Zeugniß des treuen Verhältnisses zwischen ihm und dem Lande ist. So hat er den Lorbeerkranz, welchen ihm die Stadt Berlin am Tage der Grundsteinlegung des Friedrichs-Denkmals übersandte und der ihm von seiner treuen Pflegerin, der verehrten Fürstin von Liegnitz, auf dem Krankenbette gereicht wurde, mit rührender Anerkennung hingenommen, die sich mehreremal in den Worten: „Sehr brav, sehr brav!“ aussprach. Gleichwohl hatte Se. Majestät auch nicht zugeben wollen, daß man an demselben Tage und bei derselben Gelegenheit, wo Friedrich II gefeiert wurde, das dem regierenden König geltende „Heil dir im Siegerkranz“ anstimme, da er das öffentliche Fest, wie durch Ignorirung seiner Krankheit, so auch überhaupt ganz ungeschmälert dem Gefeierten lassen wollte. _ Berlin, 4 Jun. Der Zustand des Königs hält uns auch noch heute in gleicher angstvoller Spannung. Der Volksandrang um das königliche Palais hat sich indessen in Folge ausgegebener Bulletins, welche an die Thür des Commandanturgebäudes angeschlagen sind, verloren. Ueber die Vorgänge seit gestern habe ich Ihnen Folgendes zu melden. Als Ihre Maj. die Kaiserin Nachmittag um halb 4 Uhr im Palais eintraf, befand sich ihr königlicher Vater so übel, daß sie denselben nicht sprechen konnte. Nach 6 Uhr Abends jedoch fand das Wiedersehen statt. Wie erschütternd es seyn mußte, läßt sich leichter begreifen als schildern. Ihre Maj. verweilte die Nacht im Palais, um jeden Augenblick zur Hand zu seyn. Um 4 Uhr Morgens trat wieder wie Tags zuvor eine starke Brustbeklemmung ein. Die Kaiserin und alle Kinder des Königs waren zugegen. Der Anfall ging vorüber. Um 10 Uhr Vormittags ließ sich Se. Maj. das heilige Abendmahl reichen. Seitdem ist kein entscheidender Moment eingetreten, die Entkräftung jedoch so groß, daß man das Leben des verehrten Monarchen nur noch nach Stunden zählt. Das Gerücht besagt, die Auflösung sey bereits erfolgt, werde aber verheimlicht. Den Zeitungen ist vielmehr diesen Vormittag angezeigt worden, daß sie von jetzt ab Bulletins erhalten sollen; die gestrige große Aufregung in der Stadt hat wohl diese Maaßregel unerläßlich gemacht. – Nachschrift. 6 1/2 Uhr. Noch hat sich in dem Zustande Sr. Maj. nichts entschieden. Diesen Abend um 9 Uhr erwartet man, daß der Kaiser von Rußland eintreffe. Rußland. _ St. Petersburg, 28 Mai. Der General der Infanterie, von Rimsky-Korsakoff, ist am 25 d. M. im 87sten Jahre seines Alters mit Tod abgegangen. Seit dem Jahre 1830 war derselbe Mitglied des Reichsraths. Türkei. _ Konstantinopel, 21 Mai. Die Krise geht hier rasch vor sich. Chosrew Pascha, der als Urheber oder als Werkzeug bei der Absetzung Halil Pascha's thätig war, ist nun selbst durch Halils Partei gestürzt, und somit das von Mahmud für das Wohl des Reiches und zum Besten seines Sohnes eingesetzte Triumvirat zu Grabe gegangen. Niemand weiß, wie das enden soll. Der bornirte Ferik Ahmed Fethi Pascha, der bisher dem Ministerium des Handels vorstand, ist an Chosrews Stelle berufen, und steht jetzt bei dem Sultan in der höchsten Gunst. Ahmed Fethi wird binnen kurzem die Hand der Hadidsche Sultane, Schwester des Sultans, erhalten. Der alte Chosrew Pascha kann schwerlich mehr zur Gewalt gelangen; er gilt für das Haupt der mächtigen russischen Partei, und es sollen in letzterer Zeit wichtige Entdeckungen hinsichtlich der auswärtigen Verbindungen des abgesetzten Großwessiers gemacht worden seyn, so daß man die Veranlassung zu seiner Abdankung weder in Aegypten noch in der Türkei, sondern lediglich in den oben angedeuteten Beziehungen zu suchen haben würde. Aber wer vermag in der allgemeinen Verwirrung Verleumdung von Wahrheit zu unterscheiden? Machte man doch vor ein paar Wochen auch dem abgesetzten Halil dieselben Verbindungen zum Vorwurfe! Die Gährung in den höchsten Kreisen des Staats ist zu heftig, als daß man irgend etwas mit Bestimmtheit unterscheiden könnte. Vielleicht erhalten wir bald einiges Licht über diese gänzliche Verrückung der Personalverhältnisse, die bis zum Augenblick in der hiesigen Administration bestanden und jetzt allmählich durch andere, für die Türkei vielleicht verderblichere ersetzt werden sollen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 161. Augsburg, 9. Juni 1840, S. 1288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_161_18400609/8>, abgerufen am 03.05.2024.