Allgemeine Zeitung. Nr. 159. Augsburg, 7. Juni 1840.Die Deutschen und das Ausland. Vom Main. Es ist in diesen Blättern die Würde des deutschen Volks gegen die Bemerkungen eines französischen Litteraten verfochten worden; ich will nicht entscheiden, ob nicht mit einer allzuehrenden Weitschweifigkeit. Aber wer öffentlich als Anwalt unserer Ehre auftritt, dem mag daran gelegen seyn zu erfahren, wie weit in den Augen von so manchen seiner Landsleute seine Fürsprache der deutschen Würde genug gethan hat. Erlauben Sie mir deßhalb ein paar Worte. Das Wesen einer oberflächlichen Betrachtung, wenn sie mit einigem Geist geschieht, besteht nicht nur in der Annahme falscher Dinge, sondern auch - und das hauptsächlich - in der Hervorhebung gewisser in die Augen fallender Mängel, deren Vorhandenseyn der Beobachter bemerkt, ohne doch die innern Gründe zu durchdringen, die sie - für den Augenblick oder für immer - um größerer Dinge willen, unerläßlich machen. Dieser Art waren die Betrachtungen des Hrn. Marmier; dieser Art sind die meisten, die von den Franzosen, und sehr viele, die von den Ausländern überhaupt über Deutschland gemacht werden. In solchen Fällen kommt es darauf an, nicht die vorhandenen Mängel abzuläugnen oder zu bemänteln, sondern darzuthun, wie und warum sie, hervorgehend entweder aus der innern Natur oder aus der nothwendigen momentanen Geistesentwicklung des deutschen Volks, vorhanden seyn müssen. Das Ausland sagt uns: Ihr seyd unpraktische Ideologen, zu wenig zugekehrt der äußern Welt, gelehrte Kathedermänner, oft voll spießbürgerlicher Pedanterei, allzu empfänglich für jed weden fremden Einfluß, bewundernd was euch von außen gegeben wird, und unsicher in dem, was euch geistig und gemüthlich zu eigenst gehört, weil es nicht getragen wird von der stärkenden Kraft eines einigen Nationalgeistes. In allem dem hat das Ausland Recht; es sind Fehler, die zum Theil sogar in unserer Natur liegen. Jederman weiß aus der Geschichte, daß die großen Menschen, die das Schicksal mit der höchsten Kraft des Geistes und Gemüths ausrüstet, um durch Jahrhunderte hinaus auf die Menschen zu wirken, ihre persönliche Höhe mit eben so vielen persönlichen Schwächen erkaufen müssen. So ist es auch mit den begabtesten Völkerindividuen, so mit dem deutschen Volk. Keine Nation in Europa ist reicher an äußern Schwächen als die deutsche; keine kennt sie selbst besser als eben diese, weil sie am wenigsten davon zu fürchten hat. Hier gilt es also, von den gegebenen Mängeln unserer Natur hinaufzuleiten zu ihrer Größe; zu zeigen, wie die erstern, nach dem Wesen aller Organisation, die nothwendige Bedingung bilden für die letztern. Das Ausland sagt uns weiter: Berufen durch euer Land, eure Weltlage, euern Verstand, der politische Schwerpunkt des europäischen Lebens zu seyn, habt ihr seit der Reformation diese eure Bestimmung öfter als einmal verläugnet. Zweimal hat Frankreich den Continent beherrscht, zweimal habt ihr unter seinem Uebergewicht gelitten. Ihr habt im Freiheitskriege die Franzosen besiegt, aber dieser Sieg ist nach so langer Duldung kein Ruhm mehr. Wessen ihr euch einzig berühmen könntet, ist, den Mann besiegt zu haben, der sich auf einige Zeit mit dem französischen Volk identificirt hatte; aber ihr habt ihn nicht allein besiegt, und so groß war eure Pietät gegen das Genie, daß ihr, wäre nicht Rußland und England gewesen, ihm vielleicht noch länger gehorcht hättet. Seitdem haben jene beiden Mächte die Oberherrschaft an sich gerissen, und ihr wachsender Kampf erzeugt Weltfragen, an denen ihr nicht anders Theil nehmt, denn als stumme Zuschauer. Das Alles ist wieder wahr, wir sind zu groß, um es nicht anzuerkennen. Wer uns solchen Vorwürfen gegenüber vertheidigen will, hat daran nichts zu mindern. Er hat zu zeigen, welche Arbeit des Geistes es ist, die seit der Reformation uns dem Handeln entfremdet hat, welche innere Fragen, über deren Lösung wir so oft den Druck des Auslandes vergessen konnten, wie durch dieses innere Ringen die ganze Richtung und Entwicklung des europäischen Völkerlebens vorzüglich mit bedingt wird, wie wir bei allem dem durch Oesterreich und Preußen - deutsche Weltmächte - unsern Einfluß wahren. Erlassen Sie mir, eine solche Vertheidigung zu führen; sie ist unnöthig für die Deutschen selbst (denn jedes tiefere deutsche Gemüth trägt sie in sich) und vergeblich gegen das Ausland, wenigstens gegen die Franzosen, die bei der gänzlichen Verschiedenheit ihrer gegenwärtigen politischen und Bildungsstufe zu wenig Organ für dergleichen haben. Der Staub Napoleons. Wir sagen Staub, weil Napoleon nicht verbrannt worden ist, also von seiner Asche nicht wohl die Rede seyn kann. - Der Staub Napoleons soll dem fernen romantischen Grabe der Insel St. Helena entrückt und an den Ufern der Seine in der Mitte des französischen Volkes, wie er selbst in seinem Testament verordnet, beigesetzt werden. Das ist etwas sehr Natürliches. Zwar hat man mit Recht bemerkt, daß die Ferne jenes Grab mit einem eigenen poetischen Zauber umkleidete; zwar fürchten einige von denen, die für Napoleons Andenken schwärmen, die Weihe der Verbannung und des Unglücks, welche sein Grab heiligte, werde verloren gehen, Nähe und Gewohnheit und Parteigezänk werden eine Profanation herbeiführen. Indeß ist in der Masse des Volks offenbar der Wunsch, den großen Kaiser wieder zu haben, den Verbannten zurückzurufen, den Gefangenen zu befreien und seinen eigenen letzten Befehl zu erfüllen, der natürlichste und stärkste. Wer sollte einem Nationalgefühl dieser Art nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen! Handelt es sich aber allein von der Befriedigung eines Nationalgefühls? Da Ludwig Philipp oder Thiers in dieser Angelegenheit die Initiative ergriffen, ist man bereits allgemein darüber einverstanden, daß die Uebersiedelung des Sarges von St. Helena nicht Zweck, sondern nur Mittel seyn soll. Es zweifelt Niemand, daß Napoleon noch lange ruhig auf seiner Insel gelegen haben würde, wenn er bloß um seinetwillen oder um Frankreichs willen hätte herüber geholt werden sollen. Man weiß, er kommt jetzt nur, um vor den Triumphwagen des Bürgerkönigs oder des Hrn. Thiers gespannt zu werden. Ihm selbst wird es ziemlich gleichgültig seyn, wem von beiden er diesen Dienst leisten soll, da er ihn in jedem Fall unfreiwillig leistet. Wenn der Gedanke vom König ausgegangen ist, läßt er sich rechtfertigen: erstens als eine natürliche Consequenz des schon früher von ihm eingehaltenen, dem Nationalstolz schmeichelnden Systems, das mit der Adoption der dreifarbigen Fahne begann; zweitens als eine Demonstration gegen die Napoleoniden, denen er bei dieser Gelegenheit sehr augenfällig zeigt, daß er sie nicht mehr zu fürchten hat; drittens als eine Demonstration gegen das Ausland im Sinne der Politik, Die Deutschen und das Ausland. Vom Main. Es ist in diesen Blättern die Würde des deutschen Volks gegen die Bemerkungen eines französischen Litteraten verfochten worden; ich will nicht entscheiden, ob nicht mit einer allzuehrenden Weitschweifigkeit. Aber wer öffentlich als Anwalt unserer Ehre auftritt, dem mag daran gelegen seyn zu erfahren, wie weit in den Augen von so manchen seiner Landsleute seine Fürsprache der deutschen Würde genug gethan hat. Erlauben Sie mir deßhalb ein paar Worte. Das Wesen einer oberflächlichen Betrachtung, wenn sie mit einigem Geist geschieht, besteht nicht nur in der Annahme falscher Dinge, sondern auch – und das hauptsächlich – in der Hervorhebung gewisser in die Augen fallender Mängel, deren Vorhandenseyn der Beobachter bemerkt, ohne doch die innern Gründe zu durchdringen, die sie – für den Augenblick oder für immer – um größerer Dinge willen, unerläßlich machen. Dieser Art waren die Betrachtungen des Hrn. Marmier; dieser Art sind die meisten, die von den Franzosen, und sehr viele, die von den Ausländern überhaupt über Deutschland gemacht werden. In solchen Fällen kommt es darauf an, nicht die vorhandenen Mängel abzuläugnen oder zu bemänteln, sondern darzuthun, wie und warum sie, hervorgehend entweder aus der innern Natur oder aus der nothwendigen momentanen Geistesentwicklung des deutschen Volks, vorhanden seyn müssen. Das Ausland sagt uns: Ihr seyd unpraktische Ideologen, zu wenig zugekehrt der äußern Welt, gelehrte Kathedermänner, oft voll spießbürgerlicher Pedanterei, allzu empfänglich für jed weden fremden Einfluß, bewundernd was euch von außen gegeben wird, und unsicher in dem, was euch geistig und gemüthlich zu eigenst gehört, weil es nicht getragen wird von der stärkenden Kraft eines einigen Nationalgeistes. In allem dem hat das Ausland Recht; es sind Fehler, die zum Theil sogar in unserer Natur liegen. Jederman weiß aus der Geschichte, daß die großen Menschen, die das Schicksal mit der höchsten Kraft des Geistes und Gemüths ausrüstet, um durch Jahrhunderte hinaus auf die Menschen zu wirken, ihre persönliche Höhe mit eben so vielen persönlichen Schwächen erkaufen müssen. So ist es auch mit den begabtesten Völkerindividuen, so mit dem deutschen Volk. Keine Nation in Europa ist reicher an äußern Schwächen als die deutsche; keine kennt sie selbst besser als eben diese, weil sie am wenigsten davon zu fürchten hat. Hier gilt es also, von den gegebenen Mängeln unserer Natur hinaufzuleiten zu ihrer Größe; zu zeigen, wie die erstern, nach dem Wesen aller Organisation, die nothwendige Bedingung bilden für die letztern. Das Ausland sagt uns weiter: Berufen durch euer Land, eure Weltlage, euern Verstand, der politische Schwerpunkt des europäischen Lebens zu seyn, habt ihr seit der Reformation diese eure Bestimmung öfter als einmal verläugnet. Zweimal hat Frankreich den Continent beherrscht, zweimal habt ihr unter seinem Uebergewicht gelitten. Ihr habt im Freiheitskriege die Franzosen besiegt, aber dieser Sieg ist nach so langer Duldung kein Ruhm mehr. Wessen ihr euch einzig berühmen könntet, ist, den Mann besiegt zu haben, der sich auf einige Zeit mit dem französischen Volk identificirt hatte; aber ihr habt ihn nicht allein besiegt, und so groß war eure Pietät gegen das Genie, daß ihr, wäre nicht Rußland und England gewesen, ihm vielleicht noch länger gehorcht hättet. Seitdem haben jene beiden Mächte die Oberherrschaft an sich gerissen, und ihr wachsender Kampf erzeugt Weltfragen, an denen ihr nicht anders Theil nehmt, denn als stumme Zuschauer. Das Alles ist wieder wahr, wir sind zu groß, um es nicht anzuerkennen. Wer uns solchen Vorwürfen gegenüber vertheidigen will, hat daran nichts zu mindern. Er hat zu zeigen, welche Arbeit des Geistes es ist, die seit der Reformation uns dem Handeln entfremdet hat, welche innere Fragen, über deren Lösung wir so oft den Druck des Auslandes vergessen konnten, wie durch dieses innere Ringen die ganze Richtung und Entwicklung des europäischen Völkerlebens vorzüglich mit bedingt wird, wie wir bei allem dem durch Oesterreich und Preußen – deutsche Weltmächte – unsern Einfluß wahren. Erlassen Sie mir, eine solche Vertheidigung zu führen; sie ist unnöthig für die Deutschen selbst (denn jedes tiefere deutsche Gemüth trägt sie in sich) und vergeblich gegen das Ausland, wenigstens gegen die Franzosen, die bei der gänzlichen Verschiedenheit ihrer gegenwärtigen politischen und Bildungsstufe zu wenig Organ für dergleichen haben. Der Staub Napoleons. Wir sagen Staub, weil Napoleon nicht verbrannt worden ist, also von seiner Asche nicht wohl die Rede seyn kann. – Der Staub Napoleons soll dem fernen romantischen Grabe der Insel St. Helena entrückt und an den Ufern der Seine in der Mitte des französischen Volkes, wie er selbst in seinem Testament verordnet, beigesetzt werden. Das ist etwas sehr Natürliches. Zwar hat man mit Recht bemerkt, daß die Ferne jenes Grab mit einem eigenen poetischen Zauber umkleidete; zwar fürchten einige von denen, die für Napoleons Andenken schwärmen, die Weihe der Verbannung und des Unglücks, welche sein Grab heiligte, werde verloren gehen, Nähe und Gewohnheit und Parteigezänk werden eine Profanation herbeiführen. Indeß ist in der Masse des Volks offenbar der Wunsch, den großen Kaiser wieder zu haben, den Verbannten zurückzurufen, den Gefangenen zu befreien und seinen eigenen letzten Befehl zu erfüllen, der natürlichste und stärkste. Wer sollte einem Nationalgefühl dieser Art nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen! Handelt es sich aber allein von der Befriedigung eines Nationalgefühls? Da Ludwig Philipp oder Thiers in dieser Angelegenheit die Initiative ergriffen, ist man bereits allgemein darüber einverstanden, daß die Uebersiedelung des Sarges von St. Helena nicht Zweck, sondern nur Mittel seyn soll. Es zweifelt Niemand, daß Napoleon noch lange ruhig auf seiner Insel gelegen haben würde, wenn er bloß um seinetwillen oder um Frankreichs willen hätte herüber geholt werden sollen. Man weiß, er kommt jetzt nur, um vor den Triumphwagen des Bürgerkönigs oder des Hrn. Thiers gespannt zu werden. Ihm selbst wird es ziemlich gleichgültig seyn, wem von beiden er diesen Dienst leisten soll, da er ihn in jedem Fall unfreiwillig leistet. Wenn der Gedanke vom König ausgegangen ist, läßt er sich rechtfertigen: erstens als eine natürliche Consequenz des schon früher von ihm eingehaltenen, dem Nationalstolz schmeichelnden Systems, das mit der Adoption der dreifarbigen Fahne begann; zweitens als eine Demonstration gegen die Napoleoniden, denen er bei dieser Gelegenheit sehr augenfällig zeigt, daß er sie nicht mehr zu fürchten hat; drittens als eine Demonstration gegen das Ausland im Sinne der Politik, <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0009" n="1265"/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Deutschen und das Ausland</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline> <hi rendition="#b">Vom Main.</hi> </dateline> <p> Es ist in diesen Blättern die Würde des deutschen Volks gegen die Bemerkungen eines französischen Litteraten verfochten worden; ich will nicht entscheiden, ob nicht mit einer allzuehrenden Weitschweifigkeit. 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Jederman weiß aus der Geschichte, daß die großen Menschen, die das Schicksal mit der höchsten Kraft des Geistes und Gemüths ausrüstet, um durch Jahrhunderte hinaus auf die Menschen zu wirken, ihre persönliche Höhe mit eben so vielen persönlichen Schwächen erkaufen müssen. So ist es auch mit den begabtesten Völkerindividuen, so mit dem deutschen Volk. Keine Nation in Europa ist reicher an äußern Schwächen als die deutsche; keine kennt sie selbst besser als eben diese, weil sie am wenigsten davon zu fürchten hat. Hier gilt es also, von den gegebenen Mängeln unserer Natur hinaufzuleiten zu ihrer Größe; zu zeigen, wie die erstern, nach dem Wesen aller Organisation, die nothwendige Bedingung bilden für die letztern.</p><lb/> <p>Das Ausland sagt uns weiter: Berufen durch euer Land, eure Weltlage, euern Verstand, der politische Schwerpunkt des europäischen Lebens zu seyn, habt ihr seit der Reformation diese eure Bestimmung öfter als einmal verläugnet. Zweimal hat Frankreich den Continent beherrscht, zweimal habt ihr unter seinem Uebergewicht gelitten. Ihr habt im Freiheitskriege die Franzosen besiegt, aber dieser Sieg ist nach so langer Duldung kein Ruhm mehr. Wessen ihr euch einzig berühmen könntet, ist, den Mann besiegt zu haben, der sich auf einige Zeit mit dem französischen Volk identificirt hatte; aber ihr habt ihn nicht allein besiegt, und so groß war eure Pietät gegen das Genie, daß ihr, wäre nicht Rußland und England gewesen, ihm vielleicht noch länger gehorcht hättet. Seitdem haben jene beiden Mächte die Oberherrschaft an sich gerissen, und ihr wachsender Kampf erzeugt Weltfragen, an denen ihr nicht anders Theil nehmt, denn als stumme Zuschauer.</p><lb/> <p>Das Alles ist wieder wahr, wir sind zu groß, um es nicht anzuerkennen. Wer uns solchen Vorwürfen gegenüber vertheidigen will, hat daran nichts zu mindern. Er hat zu zeigen, welche Arbeit des Geistes es ist, die seit der Reformation uns dem Handeln entfremdet hat, welche innere Fragen, über deren Lösung wir so oft den Druck des Auslandes vergessen konnten, wie durch dieses innere Ringen die ganze Richtung und Entwicklung des europäischen Völkerlebens vorzüglich mit bedingt wird, wie wir bei allem dem durch Oesterreich und Preußen – <hi rendition="#g">deutsche</hi> Weltmächte – unsern Einfluß wahren.</p><lb/> <p>Erlassen Sie mir, eine solche Vertheidigung zu führen; sie ist unnöthig für die Deutschen selbst (denn jedes tiefere deutsche Gemüth trägt sie in sich) und vergeblich gegen das Ausland, wenigstens gegen die Franzosen, die bei der gänzlichen Verschiedenheit ihrer gegenwärtigen politischen und Bildungsstufe zu wenig Organ für dergleichen haben.</p><lb/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Staub Napoleons</hi>.</hi> </head><lb/> <p>Wir sagen Staub, weil Napoleon nicht verbrannt worden ist, also von seiner Asche nicht wohl die Rede seyn kann. – Der Staub Napoleons soll dem fernen romantischen Grabe der Insel St. Helena entrückt und an den Ufern der Seine in der Mitte des französischen Volkes, wie er selbst in seinem Testament verordnet, beigesetzt werden. Das ist etwas sehr Natürliches. Zwar hat man mit Recht bemerkt, daß die Ferne jenes Grab mit einem eigenen poetischen Zauber umkleidete; zwar fürchten einige von denen, die für Napoleons Andenken schwärmen, die Weihe der Verbannung und des Unglücks, welche sein Grab heiligte, werde verloren gehen, Nähe und Gewohnheit und Parteigezänk werden eine Profanation herbeiführen. Indeß ist in der Masse des Volks offenbar der Wunsch, den großen Kaiser wieder zu haben, den Verbannten zurückzurufen, den Gefangenen zu befreien und seinen eigenen letzten Befehl zu erfüllen, der natürlichste und stärkste. Wer sollte einem Nationalgefühl dieser Art nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen!</p><lb/> <p>Handelt es sich aber allein von der Befriedigung eines Nationalgefühls? Da Ludwig Philipp oder Thiers in dieser Angelegenheit die Initiative ergriffen, ist man bereits allgemein darüber einverstanden, daß die Uebersiedelung des Sarges von St. Helena nicht Zweck, sondern nur Mittel seyn soll. Es zweifelt Niemand, daß Napoleon noch lange ruhig auf seiner Insel gelegen haben würde, wenn er bloß um seinetwillen oder um Frankreichs willen hätte herüber geholt werden sollen. Man weiß, er kommt jetzt nur, um vor den Triumphwagen des Bürgerkönigs oder des Hrn. Thiers gespannt zu werden. Ihm selbst wird es ziemlich gleichgültig seyn, wem von beiden er diesen Dienst leisten soll, da er ihn in jedem Fall unfreiwillig leistet.</p><lb/> <p>Wenn der Gedanke vom König ausgegangen ist, läßt er sich rechtfertigen: erstens als eine natürliche Consequenz des schon früher von ihm eingehaltenen, dem Nationalstolz schmeichelnden Systems, das mit der Adoption der dreifarbigen Fahne begann; zweitens als eine Demonstration gegen die Napoleoniden, denen er bei dieser Gelegenheit sehr augenfällig zeigt, daß er sie nicht mehr zu fürchten hat; drittens als eine Demonstration gegen das Ausland im Sinne der Politik,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1265/0009]
Die Deutschen und das Ausland.
_ Vom Main. Es ist in diesen Blättern die Würde des deutschen Volks gegen die Bemerkungen eines französischen Litteraten verfochten worden; ich will nicht entscheiden, ob nicht mit einer allzuehrenden Weitschweifigkeit. Aber wer öffentlich als Anwalt unserer Ehre auftritt, dem mag daran gelegen seyn zu erfahren, wie weit in den Augen von so manchen seiner Landsleute seine Fürsprache der deutschen Würde genug gethan hat. Erlauben Sie mir deßhalb ein paar Worte.
Das Wesen einer oberflächlichen Betrachtung, wenn sie mit einigem Geist geschieht, besteht nicht nur in der Annahme falscher Dinge, sondern auch – und das hauptsächlich – in der Hervorhebung gewisser in die Augen fallender Mängel, deren Vorhandenseyn der Beobachter bemerkt, ohne doch die innern Gründe zu durchdringen, die sie – für den Augenblick oder für immer – um größerer Dinge willen, unerläßlich machen. Dieser Art waren die Betrachtungen des Hrn. Marmier; dieser Art sind die meisten, die von den Franzosen, und sehr viele, die von den Ausländern überhaupt über Deutschland gemacht werden. In solchen Fällen kommt es darauf an, nicht die vorhandenen Mängel abzuläugnen oder zu bemänteln, sondern darzuthun, wie und warum sie, hervorgehend entweder aus der innern Natur oder aus der nothwendigen momentanen Geistesentwicklung des deutschen Volks, vorhanden seyn müssen.
Das Ausland sagt uns: Ihr seyd unpraktische Ideologen, zu wenig zugekehrt der äußern Welt, gelehrte Kathedermänner, oft voll spießbürgerlicher Pedanterei, allzu empfänglich für jed weden fremden Einfluß, bewundernd was euch von außen gegeben wird, und unsicher in dem, was euch geistig und gemüthlich zu eigenst gehört, weil es nicht getragen wird von der stärkenden Kraft eines einigen Nationalgeistes.
In allem dem hat das Ausland Recht; es sind Fehler, die zum Theil sogar in unserer Natur liegen. Jederman weiß aus der Geschichte, daß die großen Menschen, die das Schicksal mit der höchsten Kraft des Geistes und Gemüths ausrüstet, um durch Jahrhunderte hinaus auf die Menschen zu wirken, ihre persönliche Höhe mit eben so vielen persönlichen Schwächen erkaufen müssen. So ist es auch mit den begabtesten Völkerindividuen, so mit dem deutschen Volk. Keine Nation in Europa ist reicher an äußern Schwächen als die deutsche; keine kennt sie selbst besser als eben diese, weil sie am wenigsten davon zu fürchten hat. Hier gilt es also, von den gegebenen Mängeln unserer Natur hinaufzuleiten zu ihrer Größe; zu zeigen, wie die erstern, nach dem Wesen aller Organisation, die nothwendige Bedingung bilden für die letztern.
Das Ausland sagt uns weiter: Berufen durch euer Land, eure Weltlage, euern Verstand, der politische Schwerpunkt des europäischen Lebens zu seyn, habt ihr seit der Reformation diese eure Bestimmung öfter als einmal verläugnet. Zweimal hat Frankreich den Continent beherrscht, zweimal habt ihr unter seinem Uebergewicht gelitten. Ihr habt im Freiheitskriege die Franzosen besiegt, aber dieser Sieg ist nach so langer Duldung kein Ruhm mehr. Wessen ihr euch einzig berühmen könntet, ist, den Mann besiegt zu haben, der sich auf einige Zeit mit dem französischen Volk identificirt hatte; aber ihr habt ihn nicht allein besiegt, und so groß war eure Pietät gegen das Genie, daß ihr, wäre nicht Rußland und England gewesen, ihm vielleicht noch länger gehorcht hättet. Seitdem haben jene beiden Mächte die Oberherrschaft an sich gerissen, und ihr wachsender Kampf erzeugt Weltfragen, an denen ihr nicht anders Theil nehmt, denn als stumme Zuschauer.
Das Alles ist wieder wahr, wir sind zu groß, um es nicht anzuerkennen. Wer uns solchen Vorwürfen gegenüber vertheidigen will, hat daran nichts zu mindern. Er hat zu zeigen, welche Arbeit des Geistes es ist, die seit der Reformation uns dem Handeln entfremdet hat, welche innere Fragen, über deren Lösung wir so oft den Druck des Auslandes vergessen konnten, wie durch dieses innere Ringen die ganze Richtung und Entwicklung des europäischen Völkerlebens vorzüglich mit bedingt wird, wie wir bei allem dem durch Oesterreich und Preußen – deutsche Weltmächte – unsern Einfluß wahren.
Erlassen Sie mir, eine solche Vertheidigung zu führen; sie ist unnöthig für die Deutschen selbst (denn jedes tiefere deutsche Gemüth trägt sie in sich) und vergeblich gegen das Ausland, wenigstens gegen die Franzosen, die bei der gänzlichen Verschiedenheit ihrer gegenwärtigen politischen und Bildungsstufe zu wenig Organ für dergleichen haben.
Der Staub Napoleons.
Wir sagen Staub, weil Napoleon nicht verbrannt worden ist, also von seiner Asche nicht wohl die Rede seyn kann. – Der Staub Napoleons soll dem fernen romantischen Grabe der Insel St. Helena entrückt und an den Ufern der Seine in der Mitte des französischen Volkes, wie er selbst in seinem Testament verordnet, beigesetzt werden. Das ist etwas sehr Natürliches. Zwar hat man mit Recht bemerkt, daß die Ferne jenes Grab mit einem eigenen poetischen Zauber umkleidete; zwar fürchten einige von denen, die für Napoleons Andenken schwärmen, die Weihe der Verbannung und des Unglücks, welche sein Grab heiligte, werde verloren gehen, Nähe und Gewohnheit und Parteigezänk werden eine Profanation herbeiführen. Indeß ist in der Masse des Volks offenbar der Wunsch, den großen Kaiser wieder zu haben, den Verbannten zurückzurufen, den Gefangenen zu befreien und seinen eigenen letzten Befehl zu erfüllen, der natürlichste und stärkste. Wer sollte einem Nationalgefühl dieser Art nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen!
Handelt es sich aber allein von der Befriedigung eines Nationalgefühls? Da Ludwig Philipp oder Thiers in dieser Angelegenheit die Initiative ergriffen, ist man bereits allgemein darüber einverstanden, daß die Uebersiedelung des Sarges von St. Helena nicht Zweck, sondern nur Mittel seyn soll. Es zweifelt Niemand, daß Napoleon noch lange ruhig auf seiner Insel gelegen haben würde, wenn er bloß um seinetwillen oder um Frankreichs willen hätte herüber geholt werden sollen. Man weiß, er kommt jetzt nur, um vor den Triumphwagen des Bürgerkönigs oder des Hrn. Thiers gespannt zu werden. Ihm selbst wird es ziemlich gleichgültig seyn, wem von beiden er diesen Dienst leisten soll, da er ihn in jedem Fall unfreiwillig leistet.
Wenn der Gedanke vom König ausgegangen ist, läßt er sich rechtfertigen: erstens als eine natürliche Consequenz des schon früher von ihm eingehaltenen, dem Nationalstolz schmeichelnden Systems, das mit der Adoption der dreifarbigen Fahne begann; zweitens als eine Demonstration gegen die Napoleoniden, denen er bei dieser Gelegenheit sehr augenfällig zeigt, daß er sie nicht mehr zu fürchten hat; drittens als eine Demonstration gegen das Ausland im Sinne der Politik,
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