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Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840.

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weiß was von dem Todten erwarten. Ihr irrt euch. Ihr werdet einen sehr stillen Mann an ihm finden.

Während aber der kluge Präsident des Conseils die Nationaleitelkeit unserer lieben Kächenäer, der Maulaufsperrer an der Seine, mit Erfolg zu kitzeln und auszubeuten weiß, zeigt er sich sehr indifferent, ja mehr als indifferent in einer Sache, wo nicht die Interessen eines Landes oder eines Volks, sondern die Interessen der Menschheit selbst in Betracht kommen. Ist es Mangel an liberalem Gefühl oder an Scharfsinn, was ihn verleitete, für den französischen Consul, dem in der Tragödie von Damaskus die schändlichste Rolle zugeschrieben wird, offenbar Partei zu nehmen? Nein, Hr. Thiers ist ein Mann von großer Einsicht und Humanität, aber er ist auch Staatsmann, er bedarf nicht bloß der revolutionären Sympathien, er hat Helfer nöthig von jeder Sorte, er muß transigiren, er braucht eine Majorität in der Pairskammer, er kann den Clerus als ein gouvernementales Mittel benützen, nämlich jenen Theil des Clerus, der, von der ältern bourbonischen Linie nichts mehr erwartend, sich der jetzigen Regierung angeschlossen hat. Dieser Theil des Clerus, welchen man le clerge rallie nennt, und der ein Journal, Namens Univers, zu seinem Organ hat, erwartet das Heil der Kirche von Hrn. Thiers, und dieser sucht wieder in jenem seine Stütze. Graf Montalembert, welcher Mitglied einer gewissen Schule ist, auch eine Lebensbeschreibung der heiligen Elisabeth herausgegeben hat, und sich seit dem ersten März als einen Seiden des Hrn. Thiers aufgethan, ist der sichtbare Vermittler zwischen dem Sohn der Revolution und den Vätern des Glaubens, zwischen dem ehemaligen Redacteur des National und den jetzigen Redactoren des Univers, die in ihren Colonnen alles Mögliche aufbieten, um der Welt glauben zu machen, die Juden fräßen alte Capuciner und der Graf Ratti-Menton sey ein ehrlicher Mann. Graf Ratti-Menton, ein Freund, vielleicht nur ein Werkzeug der Freunde des Grafen Montalembert, war früher französischer Consul in Sicilien, wo er zweimal Bankerott machte und fortgeschafft ward. Später war er Consul in Tiflis, wo er ebenfalls das Feld räumen mußte, und zwar wegen Dingen, die nicht sonderlich ehrender Art scheinen; nur so viel will ich bemerken, daß damals der russische Botschafter zu Paris, Graf Pahlen, dem hiesigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Mole, die bestimmte Anzeige machte: im Fall man den Hrn. Ratti-Menton nicht von Tiflis abberufe, werde die kaiserlich russische Regierung denselben zu entfernen wissen. Man hätte das Holz, womit man Flammen schüren will, nicht von so faulem Baume nehmen sollen! Zwischen dem Univers und der Quotidienne, welche sich von ersterem durch einen etwas chevaleresken Charakter unterscheidet, hat sich in Betreff der Damascener Vorgänge eine Polemik entsponnen, die sehr wunderlicher, fast ergötzlicher Art ist: die Quotidienne, ein Organ der reinen Legitimisten, der Anhänger der älteren Linie, steht in natürlicher Fehde mit jenem Theil des Clerus, welcher sich der jüngeren Linie der Bourbone, der herrschenden Dynastie, anschließt.

Italien.

Als die hiesige Regierung vor etwa zwei Jahren die Rechtspflege einer durchgreifenden Reform unterwarf, sah sie dieselbe als Mittelpunkt anderer Verbesserungen an, der eine gänzliche Regeneration des Unterrichts zur Voraussetzung, und die Ausarbeitung eines neuen Gesetzbuchs zur nothwendigen Schlußfolge haben mußte. Der Code nun, an welchem seit längerer Zeit mit Thätigkeit gearbeitet wird, hat den Vortheil, daß er der dritte ist, welcher nach dem neapolitanischen und piemontesischen erscheint; den Principien der neuern Zeit, welche in beiden genannten Gesetzbüchern als charakteristisch vorgefunden werden, kann hier also, wo überdieß Mißbräuche, wie sie in Neapel und Piemont noch bis auf die neueste Zeit bestanden, theils nie vorhanden, theils längst abgeschafft waren, eine größere Einheit, Consequenz und Ausdehnung gegeben werden. Die große Einfachheit und Ordnung, welche die Administration dieses Landes auszeichnen, werden es zu gleicher Zeit möglich und leicht machen alle localen Interessen zu schonen, und Zustände und Verhältnisse zu achten, die in Toscana's Boden und Geschichte als nothwendig gegeben sind. In Bezug auf den Unterricht liegt jetzt ein ausführlicher Plan vor, dessen Ausführung namentlich eine wesentliche Umgestaltung der höhern Bildungsanstalten mit sich führen würde. Nicht allein die Errichtung neuer Lyceen und Gymnasien, sondern auch die Aufhebung der Universität zu Siena und die Verlegung derselben nach Pisa, ist in demselben vorgeschlagen; die praktische Ausbildung der Mediciner würde darnach schon der Spitäler wegen sehr passend auf Florenz beschränkt werden. - Die Einladung der italienischen und fremden Naturforscher nach Turin ist erfolgt, und der Anfang der Sitzungen auf den 10 September festgesetzt. Die dabei interessirten römischen und neapolitanischen Unterthanen werden, wie verlautet, auch dieses Jahr verhindert seyn an diesen wissenschaftlichen Zusammenkünften Theil zu nehmen. Ein eigentliches Verbot wird dießmal schwerlich erscheinen; die Weisungen aber, welche angesehene Männer der römischen Provinzen in Bezug auf die durch den Marchese Ridolfi erfolgte Einladung der Section für Ackerbau und Technologie erhalten haben, lassen über die Absicht der Regierung kaum einen Zweifel.

Schweiz.

Neben einem wahren Satz, demjenigen nämlich, daß "in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht," sind in dem neulich mitgetheilten Aufsatz über den neuen Theorienkampf in der Schweiz (Beilage zur Allg. Zeitung vom 8 Mai) so viele Irrthümer enthalten, daß ich dieselben nicht stillschweigend übergehen will. Was Ihre Correspondenten in der Schweiz betrifft, so müssen Sie selbst wissen, inwiefern Ihnen dieselben zusagen; daß aber deren Berichte "mit mißtrauischer Eilfertigkeit" überschlagen werden, ist der Wahrheit kaum getreu. Ihr [irrelevantes Material] Correspondent von Zürich ist wegen seiner Correspondenzartikel von Schweizer Blättern, welche einer andern politischen Tendenz huldigen, schon so vielfach angefeindet worden, daß hierin allein schon ein Argument gegen jene Behauptung liegt. Die Mehrzahl der Artikel Ihrer [irrelevantes Material], [irrelevantes Material] und [irrelevantes Material] Correspondenten aus Bern und Zürich sind in deutsche und französische Schweizer-Blätter übergegangen; der eine dieser Correspondenten namentlich ist von Schweizer Blättern mehrfach als ein "Wohlunterrichteter" bezeichnet worden. Die Artikel Ihres [irrelevantes Material] Correspondenten aus St. Gallen endlich werden von den Einsichtigen aller Parteien mit großem Interesse gelesen. Doch dem sey wie ihm wolle, es ist erlaubt, sich über den Grad der Theilnahme zu irren, welche dieses oder jenes Imprimat erregt; auch der Irrthum, in welchem der Verfasser jenes Aufsatzes zu schweben scheint, als habe Savigny "Compendien" geschrieben, mag verzeihlich seyn; aber über die Idee, welche einem historischen Factum zu Grunde liegt, sollte sich derjenige, der jenes Factum erklären will, nicht täuschen. Während bisher in der Schweiz geglaubt wurde, es habe die Volksbewegung vom 6 September vorigen Jahrs einerseits in der durch die Berufung des Dr. Strauß als Lehrer der Dogmatik geschehenen Verletzung

weiß was von dem Todten erwarten. Ihr irrt euch. Ihr werdet einen sehr stillen Mann an ihm finden.

Während aber der kluge Präsident des Conseils die Nationaleitelkeit unserer lieben Kächenäer, der Maulaufsperrer an der Seine, mit Erfolg zu kitzeln und auszubeuten weiß, zeigt er sich sehr indifferent, ja mehr als indifferent in einer Sache, wo nicht die Interessen eines Landes oder eines Volks, sondern die Interessen der Menschheit selbst in Betracht kommen. Ist es Mangel an liberalem Gefühl oder an Scharfsinn, was ihn verleitete, für den französischen Consul, dem in der Tragödie von Damaskus die schändlichste Rolle zugeschrieben wird, offenbar Partei zu nehmen? Nein, Hr. Thiers ist ein Mann von großer Einsicht und Humanität, aber er ist auch Staatsmann, er bedarf nicht bloß der revolutionären Sympathien, er hat Helfer nöthig von jeder Sorte, er muß transigiren, er braucht eine Majorität in der Pairskammer, er kann den Clerus als ein gouvernementales Mittel benützen, nämlich jenen Theil des Clerus, der, von der ältern bourbonischen Linie nichts mehr erwartend, sich der jetzigen Regierung angeschlossen hat. Dieser Theil des Clerus, welchen man le clergé rallié nennt, und der ein Journal, Namens Univers, zu seinem Organ hat, erwartet das Heil der Kirche von Hrn. Thiers, und dieser sucht wieder in jenem seine Stütze. Graf Montalembert, welcher Mitglied einer gewissen Schule ist, auch eine Lebensbeschreibung der heiligen Elisabeth herausgegeben hat, und sich seit dem ersten März als einen Seïden des Hrn. Thiers aufgethan, ist der sichtbare Vermittler zwischen dem Sohn der Revolution und den Vätern des Glaubens, zwischen dem ehemaligen Redacteur des National und den jetzigen Redactoren des Univers, die in ihren Colonnen alles Mögliche aufbieten, um der Welt glauben zu machen, die Juden fräßen alte Capuciner und der Graf Ratti-Menton sey ein ehrlicher Mann. Graf Ratti-Menton, ein Freund, vielleicht nur ein Werkzeug der Freunde des Grafen Montalembert, war früher französischer Consul in Sicilien, wo er zweimal Bankerott machte und fortgeschafft ward. Später war er Consul in Tiflis, wo er ebenfalls das Feld räumen mußte, und zwar wegen Dingen, die nicht sonderlich ehrender Art scheinen; nur so viel will ich bemerken, daß damals der russische Botschafter zu Paris, Graf Pahlen, dem hiesigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Molé, die bestimmte Anzeige machte: im Fall man den Hrn. Ratti-Menton nicht von Tiflis abberufe, werde die kaiserlich russische Regierung denselben zu entfernen wissen. Man hätte das Holz, womit man Flammen schüren will, nicht von so faulem Baume nehmen sollen! Zwischen dem Univers und der Quotidienne, welche sich von ersterem durch einen etwas chevaleresken Charakter unterscheidet, hat sich in Betreff der Damascener Vorgänge eine Polemik entsponnen, die sehr wunderlicher, fast ergötzlicher Art ist: die Quotidienne, ein Organ der reinen Legitimisten, der Anhänger der älteren Linie, steht in natürlicher Fehde mit jenem Theil des Clerus, welcher sich der jüngeren Linie der Bourbone, der herrschenden Dynastie, anschließt.

Italien.

Als die hiesige Regierung vor etwa zwei Jahren die Rechtspflege einer durchgreifenden Reform unterwarf, sah sie dieselbe als Mittelpunkt anderer Verbesserungen an, der eine gänzliche Regeneration des Unterrichts zur Voraussetzung, und die Ausarbeitung eines neuen Gesetzbuchs zur nothwendigen Schlußfolge haben mußte. Der Code nun, an welchem seit längerer Zeit mit Thätigkeit gearbeitet wird, hat den Vortheil, daß er der dritte ist, welcher nach dem neapolitanischen und piemontesischen erscheint; den Principien der neuern Zeit, welche in beiden genannten Gesetzbüchern als charakteristisch vorgefunden werden, kann hier also, wo überdieß Mißbräuche, wie sie in Neapel und Piemont noch bis auf die neueste Zeit bestanden, theils nie vorhanden, theils längst abgeschafft waren, eine größere Einheit, Consequenz und Ausdehnung gegeben werden. Die große Einfachheit und Ordnung, welche die Administration dieses Landes auszeichnen, werden es zu gleicher Zeit möglich und leicht machen alle localen Interessen zu schonen, und Zustände und Verhältnisse zu achten, die in Toscana's Boden und Geschichte als nothwendig gegeben sind. In Bezug auf den Unterricht liegt jetzt ein ausführlicher Plan vor, dessen Ausführung namentlich eine wesentliche Umgestaltung der höhern Bildungsanstalten mit sich führen würde. Nicht allein die Errichtung neuer Lyceen und Gymnasien, sondern auch die Aufhebung der Universität zu Siena und die Verlegung derselben nach Pisa, ist in demselben vorgeschlagen; die praktische Ausbildung der Mediciner würde darnach schon der Spitäler wegen sehr passend auf Florenz beschränkt werden. – Die Einladung der italienischen und fremden Naturforscher nach Turin ist erfolgt, und der Anfang der Sitzungen auf den 10 September festgesetzt. Die dabei interessirten römischen und neapolitanischen Unterthanen werden, wie verlautet, auch dieses Jahr verhindert seyn an diesen wissenschaftlichen Zusammenkünften Theil zu nehmen. Ein eigentliches Verbot wird dießmal schwerlich erscheinen; die Weisungen aber, welche angesehene Männer der römischen Provinzen in Bezug auf die durch den Marchese Ridolfi erfolgte Einladung der Section für Ackerbau und Technologie erhalten haben, lassen über die Absicht der Regierung kaum einen Zweifel.

Schweiz.

Neben einem wahren Satz, demjenigen nämlich, daß „in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht,“ sind in dem neulich mitgetheilten Aufsatz über den neuen Theorienkampf in der Schweiz (Beilage zur Allg. Zeitung vom 8 Mai) so viele Irrthümer enthalten, daß ich dieselben nicht stillschweigend übergehen will. Was Ihre Correspondenten in der Schweiz betrifft, so müssen Sie selbst wissen, inwiefern Ihnen dieselben zusagen; daß aber deren Berichte „mit mißtrauischer Eilfertigkeit“ überschlagen werden, ist der Wahrheit kaum getreu. Ihr [irrelevantes Material] Correspondent von Zürich ist wegen seiner Correspondenzartikel von Schweizer Blättern, welche einer andern politischen Tendenz huldigen, schon so vielfach angefeindet worden, daß hierin allein schon ein Argument gegen jene Behauptung liegt. Die Mehrzahl der Artikel Ihrer [irrelevantes Material], [irrelevantes Material] und [irrelevantes Material] Correspondenten aus Bern und Zürich sind in deutsche und französische Schweizer-Blätter übergegangen; der eine dieser Correspondenten namentlich ist von Schweizer Blättern mehrfach als ein „Wohlunterrichteter“ bezeichnet worden. Die Artikel Ihres [irrelevantes Material] Correspondenten aus St. Gallen endlich werden von den Einsichtigen aller Parteien mit großem Interesse gelesen. Doch dem sey wie ihm wolle, es ist erlaubt, sich über den Grad der Theilnahme zu irren, welche dieses oder jenes Imprimat erregt; auch der Irrthum, in welchem der Verfasser jenes Aufsatzes zu schweben scheint, als habe Savigny „Compendien“ geschrieben, mag verzeihlich seyn; aber über die Idee, welche einem historischen Factum zu Grunde liegt, sollte sich derjenige, der jenes Factum erklären will, nicht täuschen. Während bisher in der Schweiz geglaubt wurde, es habe die Volksbewegung vom 6 September vorigen Jahrs einerseits in der durch die Berufung des Dr. Strauß als Lehrer der Dogmatik geschehenen Verletzung

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[1147/0011] weiß was von dem Todten erwarten. Ihr irrt euch. Ihr werdet einen sehr stillen Mann an ihm finden. Während aber der kluge Präsident des Conseils die Nationaleitelkeit unserer lieben Kächenäer, der Maulaufsperrer an der Seine, mit Erfolg zu kitzeln und auszubeuten weiß, zeigt er sich sehr indifferent, ja mehr als indifferent in einer Sache, wo nicht die Interessen eines Landes oder eines Volks, sondern die Interessen der Menschheit selbst in Betracht kommen. Ist es Mangel an liberalem Gefühl oder an Scharfsinn, was ihn verleitete, für den französischen Consul, dem in der Tragödie von Damaskus die schändlichste Rolle zugeschrieben wird, offenbar Partei zu nehmen? Nein, Hr. Thiers ist ein Mann von großer Einsicht und Humanität, aber er ist auch Staatsmann, er bedarf nicht bloß der revolutionären Sympathien, er hat Helfer nöthig von jeder Sorte, er muß transigiren, er braucht eine Majorität in der Pairskammer, er kann den Clerus als ein gouvernementales Mittel benützen, nämlich jenen Theil des Clerus, der, von der ältern bourbonischen Linie nichts mehr erwartend, sich der jetzigen Regierung angeschlossen hat. Dieser Theil des Clerus, welchen man le clergé rallié nennt, und der ein Journal, Namens Univers, zu seinem Organ hat, erwartet das Heil der Kirche von Hrn. Thiers, und dieser sucht wieder in jenem seine Stütze. Graf Montalembert, welcher Mitglied einer gewissen Schule ist, auch eine Lebensbeschreibung der heiligen Elisabeth herausgegeben hat, und sich seit dem ersten März als einen Seïden des Hrn. Thiers aufgethan, ist der sichtbare Vermittler zwischen dem Sohn der Revolution und den Vätern des Glaubens, zwischen dem ehemaligen Redacteur des National und den jetzigen Redactoren des Univers, die in ihren Colonnen alles Mögliche aufbieten, um der Welt glauben zu machen, die Juden fräßen alte Capuciner und der Graf Ratti-Menton sey ein ehrlicher Mann. Graf Ratti-Menton, ein Freund, vielleicht nur ein Werkzeug der Freunde des Grafen Montalembert, war früher französischer Consul in Sicilien, wo er zweimal Bankerott machte und fortgeschafft ward. Später war er Consul in Tiflis, wo er ebenfalls das Feld räumen mußte, und zwar wegen Dingen, die nicht sonderlich ehrender Art scheinen; nur so viel will ich bemerken, daß damals der russische Botschafter zu Paris, Graf Pahlen, dem hiesigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Molé, die bestimmte Anzeige machte: im Fall man den Hrn. Ratti-Menton nicht von Tiflis abberufe, werde die kaiserlich russische Regierung denselben zu entfernen wissen. Man hätte das Holz, womit man Flammen schüren will, nicht von so faulem Baume nehmen sollen! Zwischen dem Univers und der Quotidienne, welche sich von ersterem durch einen etwas chevaleresken Charakter unterscheidet, hat sich in Betreff der Damascener Vorgänge eine Polemik entsponnen, die sehr wunderlicher, fast ergötzlicher Art ist: die Quotidienne, ein Organ der reinen Legitimisten, der Anhänger der älteren Linie, steht in natürlicher Fehde mit jenem Theil des Clerus, welcher sich der jüngeren Linie der Bourbone, der herrschenden Dynastie, anschließt. Italien. _ Florenz, 16 Mai. Als die hiesige Regierung vor etwa zwei Jahren die Rechtspflege einer durchgreifenden Reform unterwarf, sah sie dieselbe als Mittelpunkt anderer Verbesserungen an, der eine gänzliche Regeneration des Unterrichts zur Voraussetzung, und die Ausarbeitung eines neuen Gesetzbuchs zur nothwendigen Schlußfolge haben mußte. Der Code nun, an welchem seit längerer Zeit mit Thätigkeit gearbeitet wird, hat den Vortheil, daß er der dritte ist, welcher nach dem neapolitanischen und piemontesischen erscheint; den Principien der neuern Zeit, welche in beiden genannten Gesetzbüchern als charakteristisch vorgefunden werden, kann hier also, wo überdieß Mißbräuche, wie sie in Neapel und Piemont noch bis auf die neueste Zeit bestanden, theils nie vorhanden, theils längst abgeschafft waren, eine größere Einheit, Consequenz und Ausdehnung gegeben werden. Die große Einfachheit und Ordnung, welche die Administration dieses Landes auszeichnen, werden es zu gleicher Zeit möglich und leicht machen alle localen Interessen zu schonen, und Zustände und Verhältnisse zu achten, die in Toscana's Boden und Geschichte als nothwendig gegeben sind. In Bezug auf den Unterricht liegt jetzt ein ausführlicher Plan vor, dessen Ausführung namentlich eine wesentliche Umgestaltung der höhern Bildungsanstalten mit sich führen würde. Nicht allein die Errichtung neuer Lyceen und Gymnasien, sondern auch die Aufhebung der Universität zu Siena und die Verlegung derselben nach Pisa, ist in demselben vorgeschlagen; die praktische Ausbildung der Mediciner würde darnach schon der Spitäler wegen sehr passend auf Florenz beschränkt werden. – Die Einladung der italienischen und fremden Naturforscher nach Turin ist erfolgt, und der Anfang der Sitzungen auf den 10 September festgesetzt. Die dabei interessirten römischen und neapolitanischen Unterthanen werden, wie verlautet, auch dieses Jahr verhindert seyn an diesen wissenschaftlichen Zusammenkünften Theil zu nehmen. Ein eigentliches Verbot wird dießmal schwerlich erscheinen; die Weisungen aber, welche angesehene Männer der römischen Provinzen in Bezug auf die durch den Marchese Ridolfi erfolgte Einladung der Section für Ackerbau und Technologie erhalten haben, lassen über die Absicht der Regierung kaum einen Zweifel. Schweiz. _ Zürich, 16 Mai. Neben einem wahren Satz, demjenigen nämlich, daß „in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht,“ sind in dem neulich mitgetheilten Aufsatz über den neuen Theorienkampf in der Schweiz (Beilage zur Allg. Zeitung vom 8 Mai) so viele Irrthümer enthalten, daß ich dieselben nicht stillschweigend übergehen will. Was Ihre Correspondenten in der Schweiz betrifft, so müssen Sie selbst wissen, inwiefern Ihnen dieselben zusagen; daß aber deren Berichte „mit mißtrauischer Eilfertigkeit“ überschlagen werden, ist der Wahrheit kaum getreu. Ihr _ Correspondent von Zürich ist wegen seiner Correspondenzartikel von Schweizer Blättern, welche einer andern politischen Tendenz huldigen, schon so vielfach angefeindet worden, daß hierin allein schon ein Argument gegen jene Behauptung liegt. Die Mehrzahl der Artikel Ihrer _ , _ und _ Correspondenten aus Bern und Zürich sind in deutsche und französische Schweizer-Blätter übergegangen; der eine dieser Correspondenten namentlich ist von Schweizer Blättern mehrfach als ein „Wohlunterrichteter“ bezeichnet worden. Die Artikel Ihres _ Correspondenten aus St. Gallen endlich werden von den Einsichtigen aller Parteien mit großem Interesse gelesen. Doch dem sey wie ihm wolle, es ist erlaubt, sich über den Grad der Theilnahme zu irren, welche dieses oder jenes Imprimat erregt; auch der Irrthum, in welchem der Verfasser jenes Aufsatzes zu schweben scheint, als habe Savigny „Compendien“ geschrieben, mag verzeihlich seyn; aber über die Idee, welche einem historischen Factum zu Grunde liegt, sollte sich derjenige, der jenes Factum erklären will, nicht täuschen. Während bisher in der Schweiz geglaubt wurde, es habe die Volksbewegung vom 6 September vorigen Jahrs einerseits in der durch die Berufung des Dr. Strauß als Lehrer der Dogmatik geschehenen Verletzung

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840, S. 1147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_144_18400523/11>, abgerufen am 03.05.2024.