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Allgemeine Zeitung. Nr. 138. Augsburg, 17. Mai 1840.

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sich noch immer mit argwöhnischem Blick beobachten. Offenbar besorgt jede von ihnen, von der andern angegriffen zu werden. Beide Theile, Christen und Mohammedaner, sind aufgereizt und dunkle Gerüchte von bevorstehenden Gefahren vermehren die Unruhe der Gemüther. In Adrianopel hatte der Pascha, wie es scheint, die Hand im Spiele. Nafiz Pascha, so heißt dieser Mann, ein Mann von Talent, aber dem alten System ergeben, kann vermöge seiner Ueberzeugungen und Neigungen weder den Christen noch den einschränkenden Anordnungen eines Reformsystems geneigt seyn, das den Eigennutz der Beamten, den Vorzug des Islams vor andern Religionen ernstlich bedrohen dürfte. Die Pforte beeilte sich, diesen gefährlichen Menschen von seinem Posten zu entfernen, Nafiz seines Gouvernements zu entsetzen und den redlichen Osman Pascha, ehemaligen Gouverneur von Erzerum, an seiner Stelle zum Pascha zu ernennen. Man hofft, daß durch das Erscheinen dieses Mannes in der beunruhigten Stadt das Vertrauen zurückkehren, die Aufregung sich legen werde. Unläugbar ist die Thatsache, daß alle christlichen Bevölkerungen der europäischen Türkei nach Unabhängigkeit von dem türkischen Joche mit Entschlossenheit streben. Zwar werden sie durch die wohlmeinenden Absichten der gegenwärtigen osmanischen Regierung beschwichtigt, denn sie sind gezwungen ihre redlichen Absichten anzuerkennen; dieß hindert sie indessen nicht, in ihrem Benehmen eine sehr vorgreifende Methode zu befolgen, nach der sie mit eifersüchtigem Blick auf jede Bewegung der Paschas und ihrer Untergebenen sehen, jede Handlung derselben mit Ingrimm und Feindseligkeit bewachen. Wenn sie etwas bemerkt zu haben glauben, was mit dem neuen Geist sich nicht verträgt, so erheben sie ein betäubendes Geschrei, schicken aus ihrer Mitte Deputationen nach der Hauptstadt und setzen ihre Vorgesetzten in Anklagestand. Es ist leicht zu ermessen, welche Wirkung ein solches Benehmen auf die türkischen Paschas und auf die Moslims überhaupt hervorbringen muß, die den Giaur noch vor wenig Jahren nur in demüthigem Sklavensinn sich beugen sahen. Sie fluchen den Reformen, sie schmähen den Hattischeriff von Gülhaneh als den Grund der neuen Uebel, und der alte Haß gegen die Christen erwacht um so heftiger, als er jetzt zurückgedrängt werden muß wegen der philantropischen Richtung, welche die Regierung zu Konstantinopel genommen hat. Man kann sich leicht denken, daß dieß von den Agenten des Vicekönigs von Aegypten benützt wird, deren doppeltes Geschäft, einerseits die Christen gegen die Türken aufzuhetzen, andererseits den Haß der Türken gegen die "anmaßenden" Christen zu vermehren, nur zu gut zu gelingen scheint. Daß Mehemed Ali einen fruchtbaren Boden für seine Umtriebe findet, ist augenscheinlich; die Fehler der in der Umwälzung des bisher Bestandenen überraschen Pforte begünstigen seine Attentate, und die lächerlichsten Einfälle Mehemed Ali's werden bei der verwirrten Stimmung der Gemüther zu furchtbaren Waffen in seinen Händen. So lassen seine Emissäre - und es gelingt ihnen gläubige Ohren zu finden - das Gerücht überall ausstreuen, der Großsultan, Reschid, Chosrew Pascha nebst einer Anzahl mit Namen aufgeführter Mitglieder des Ministeriums seyen zum Christenthum übergegangen, und kein Mittel wird gescheut, um durch boshafte Berechnung die Gemüther aufzureizen. Die Agitation der Christen wird von Aegypten aus und, wie behauptet wird, von einer westlichen Macht mit gleichem Eifer betrieben, und die Thätigkeit, die hierin entwickelt wird, gilt nur als Fortsetzung lange schon gehegter Plane. Vielleicht einen Monat vor Entdeckung der letzten griechischen Verschwörung machte ich Sie auf das Treiben Mehemed Ali's in dieser Hinsicht aufmerksam. Die Bewegung zu Anfang des Jahrs 1840 war unter den griechischen Christen in allen europäischen Provinzen allgemein; das Mißlingen der Plane ward durch die Unvorsichtigkeit ihrer Führer oder der Beförderer herbeigeführt, aber die gehegten Anschläge wurden deßhalb nicht aufgegeben, sie werden nur mit größerer Umsicht geleitet. Der Ausbruch der bevorstehenden Bewegung, wenn es jetzt überhaupt zum Ausbruche kommen sollte, ist auf die griechischen Osterfeiertage festgesetzt. Wir wollen ruhig noch diese paar Tage abwarten, in der Ueberzeugung, daß jetzt, wo das Uebel entdeckt ist, es einer gewarnten und vorbereiteten Regierung minder schwer fallen wird, für die Aufrechterhaltung der bedrohten Ruhe zu sorgen. Hassan Pascha hat in Smyrna mit seltener Umsicht den Gefahren bereits vorgebeugt; ich zweifle nicht, daß Osman denselben Erfolg erreicht; aber die Uebel sind groß und fordern gebieterisch einen festen Gang. - Aus Alexandrien haben wir mit dem letzten Dampfboot nichts Wichtiges über die Haltung des Vicekönigs erhalten; dagegen wird berichtet, daß die zwei englischen Kriegsschiffe den dortigen Hafen verlassen haben, ohne die übliche Salutation bei dem Auslaufen aus dem Hafen zu geben. Man war daher in banger Erwartung, daß die englische Flotte bald in feindseliger Absicht vor jener Stadt erscheinen werde.

Ostindien und China.

Die Unzufriedenheit über den Zustand der chinesischen Angelegenheiten ist hier sehr groß, was erklärlich genug ist, denn Bombay leidet durch die Unterbrechung des Handels mit Canton mehr als alle indischen und englischen Häfen zusammengenommen. Nicht nur war die hiesige Ausfuhr von Opium größer als die von Calcutta, sondern der ganze Baumwollenhandel von China war in den Händen der hiesigen Häuser. Die Ausfuhr von roher Baumwolle betrug im Durchschnitt eine Million Centner, in dem letzten Jahre mehr, und die allgemeine Meinung unserer Kaufleute war, daß China Baumwolle in unbegränzter Masse consumiren würde, wenn Indien sie ohne Erhöhung der Preise liefern könnte. Die Unterbrechung paralysirt die ganze Cultur in der Provinz von Puna, in den Concans und in der Provinz Surat, und zwingt unsere Kaufleute ihren Vorrath nach En land zu versenden, obgleich der größere Theil der Baumwolle nicht für den englischen Markt taugt, weil ihr Stapel zu kurz ist. China ist, seit der Verdrängung der indischen Manufacturen durch Maschinengarn, der einzige große Manufacturstaat, wo noch Handspinnerei im Großen getrieben wird, und wohin also unsere kurze Baumwolle mit Vortheil gehen konnte; jetzt beraubt uns das unsinnige Betragen von Elliot unseres einzigen Marktes. Die Briefe aus China, welche die parsischen Häuser hier erhalten haben, gehen bis Ende Januars, und sind sehr wenig tröstlich. Die Parsen, welche von Macao nach Canton zurückgekehrt sind, sind von dem kaiserlichen Commissär als englische Unterthanen vertrieben worden, und die einzige Aussicht, die man bisher hatte, unsere Baumwolle durch amerikanische Schiffe nach China zu bringen, ist ebenfalls zu Ende. Denn der kaiserliche Commissär ist durch die Amerikaner selbst vollkommen unterrichtet von allem was vorgeht, und so in den Stand gesetzt, nach seiner Erklärung alle englischen und Colonialproducte, welche auf fremden Schiffen eingeführt würden, zu confisciren. Die Amerikaner in Lintin, welche bisher gegen hohe Fracht die Baumwolle von den englischen Schiffen umgeladen und in die Bocca Tigris gebracht haben, weigern sich daher jetzt es zu thun, und laden Reis, um in Canton Thee und Seide einzunehmen und nach Manilla oder Singapur zu bringen, von wo sie wieder mit Reis nach Canton zurückkehren.

In China selbst fangen die Convulsionen, welche jede große Krisis mit sich bringt, an, sich zu zeigen. Canton und die

sich noch immer mit argwöhnischem Blick beobachten. Offenbar besorgt jede von ihnen, von der andern angegriffen zu werden. Beide Theile, Christen und Mohammedaner, sind aufgereizt und dunkle Gerüchte von bevorstehenden Gefahren vermehren die Unruhe der Gemüther. In Adrianopel hatte der Pascha, wie es scheint, die Hand im Spiele. Nafiz Pascha, so heißt dieser Mann, ein Mann von Talent, aber dem alten System ergeben, kann vermöge seiner Ueberzeugungen und Neigungen weder den Christen noch den einschränkenden Anordnungen eines Reformsystems geneigt seyn, das den Eigennutz der Beamten, den Vorzug des Islams vor andern Religionen ernstlich bedrohen dürfte. Die Pforte beeilte sich, diesen gefährlichen Menschen von seinem Posten zu entfernen, Nafiz seines Gouvernements zu entsetzen und den redlichen Osman Pascha, ehemaligen Gouverneur von Erzerum, an seiner Stelle zum Pascha zu ernennen. Man hofft, daß durch das Erscheinen dieses Mannes in der beunruhigten Stadt das Vertrauen zurückkehren, die Aufregung sich legen werde. Unläugbar ist die Thatsache, daß alle christlichen Bevölkerungen der europäischen Türkei nach Unabhängigkeit von dem türkischen Joche mit Entschlossenheit streben. Zwar werden sie durch die wohlmeinenden Absichten der gegenwärtigen osmanischen Regierung beschwichtigt, denn sie sind gezwungen ihre redlichen Absichten anzuerkennen; dieß hindert sie indessen nicht, in ihrem Benehmen eine sehr vorgreifende Methode zu befolgen, nach der sie mit eifersüchtigem Blick auf jede Bewegung der Paschas und ihrer Untergebenen sehen, jede Handlung derselben mit Ingrimm und Feindseligkeit bewachen. Wenn sie etwas bemerkt zu haben glauben, was mit dem neuen Geist sich nicht verträgt, so erheben sie ein betäubendes Geschrei, schicken aus ihrer Mitte Deputationen nach der Hauptstadt und setzen ihre Vorgesetzten in Anklagestand. Es ist leicht zu ermessen, welche Wirkung ein solches Benehmen auf die türkischen Paschas und auf die Moslims überhaupt hervorbringen muß, die den Giaur noch vor wenig Jahren nur in demüthigem Sklavensinn sich beugen sahen. Sie fluchen den Reformen, sie schmähen den Hattischeriff von Gülhaneh als den Grund der neuen Uebel, und der alte Haß gegen die Christen erwacht um so heftiger, als er jetzt zurückgedrängt werden muß wegen der philantropischen Richtung, welche die Regierung zu Konstantinopel genommen hat. Man kann sich leicht denken, daß dieß von den Agenten des Vicekönigs von Aegypten benützt wird, deren doppeltes Geschäft, einerseits die Christen gegen die Türken aufzuhetzen, andererseits den Haß der Türken gegen die „anmaßenden“ Christen zu vermehren, nur zu gut zu gelingen scheint. Daß Mehemed Ali einen fruchtbaren Boden für seine Umtriebe findet, ist augenscheinlich; die Fehler der in der Umwälzung des bisher Bestandenen überraschen Pforte begünstigen seine Attentate, und die lächerlichsten Einfälle Mehemed Ali's werden bei der verwirrten Stimmung der Gemüther zu furchtbaren Waffen in seinen Händen. So lassen seine Emissäre – und es gelingt ihnen gläubige Ohren zu finden – das Gerücht überall ausstreuen, der Großsultan, Reschid, Chosrew Pascha nebst einer Anzahl mit Namen aufgeführter Mitglieder des Ministeriums seyen zum Christenthum übergegangen, und kein Mittel wird gescheut, um durch boshafte Berechnung die Gemüther aufzureizen. Die Agitation der Christen wird von Aegypten aus und, wie behauptet wird, von einer westlichen Macht mit gleichem Eifer betrieben, und die Thätigkeit, die hierin entwickelt wird, gilt nur als Fortsetzung lange schon gehegter Plane. Vielleicht einen Monat vor Entdeckung der letzten griechischen Verschwörung machte ich Sie auf das Treiben Mehemed Ali's in dieser Hinsicht aufmerksam. Die Bewegung zu Anfang des Jahrs 1840 war unter den griechischen Christen in allen europäischen Provinzen allgemein; das Mißlingen der Plane ward durch die Unvorsichtigkeit ihrer Führer oder der Beförderer herbeigeführt, aber die gehegten Anschläge wurden deßhalb nicht aufgegeben, sie werden nur mit größerer Umsicht geleitet. Der Ausbruch der bevorstehenden Bewegung, wenn es jetzt überhaupt zum Ausbruche kommen sollte, ist auf die griechischen Osterfeiertage festgesetzt. Wir wollen ruhig noch diese paar Tage abwarten, in der Ueberzeugung, daß jetzt, wo das Uebel entdeckt ist, es einer gewarnten und vorbereiteten Regierung minder schwer fallen wird, für die Aufrechterhaltung der bedrohten Ruhe zu sorgen. Hassan Pascha hat in Smyrna mit seltener Umsicht den Gefahren bereits vorgebeugt; ich zweifle nicht, daß Osman denselben Erfolg erreicht; aber die Uebel sind groß und fordern gebieterisch einen festen Gang. – Aus Alexandrien haben wir mit dem letzten Dampfboot nichts Wichtiges über die Haltung des Vicekönigs erhalten; dagegen wird berichtet, daß die zwei englischen Kriegsschiffe den dortigen Hafen verlassen haben, ohne die übliche Salutation bei dem Auslaufen aus dem Hafen zu geben. Man war daher in banger Erwartung, daß die englische Flotte bald in feindseliger Absicht vor jener Stadt erscheinen werde.

Ostindien und China.

Die Unzufriedenheit über den Zustand der chinesischen Angelegenheiten ist hier sehr groß, was erklärlich genug ist, denn Bombay leidet durch die Unterbrechung des Handels mit Canton mehr als alle indischen und englischen Häfen zusammengenommen. Nicht nur war die hiesige Ausfuhr von Opium größer als die von Calcutta, sondern der ganze Baumwollenhandel von China war in den Händen der hiesigen Häuser. Die Ausfuhr von roher Baumwolle betrug im Durchschnitt eine Million Centner, in dem letzten Jahre mehr, und die allgemeine Meinung unserer Kaufleute war, daß China Baumwolle in unbegränzter Masse consumiren würde, wenn Indien sie ohne Erhöhung der Preise liefern könnte. Die Unterbrechung paralysirt die ganze Cultur in der Provinz von Puna, in den Concans und in der Provinz Surat, und zwingt unsere Kaufleute ihren Vorrath nach En land zu versenden, obgleich der größere Theil der Baumwolle nicht für den englischen Markt taugt, weil ihr Stapel zu kurz ist. China ist, seit der Verdrängung der indischen Manufacturen durch Maschinengarn, der einzige große Manufacturstaat, wo noch Handspinnerei im Großen getrieben wird, und wohin also unsere kurze Baumwolle mit Vortheil gehen konnte; jetzt beraubt uns das unsinnige Betragen von Elliot unseres einzigen Marktes. Die Briefe aus China, welche die parsischen Häuser hier erhalten haben, gehen bis Ende Januars, und sind sehr wenig tröstlich. Die Parsen, welche von Macao nach Canton zurückgekehrt sind, sind von dem kaiserlichen Commissär als englische Unterthanen vertrieben worden, und die einzige Aussicht, die man bisher hatte, unsere Baumwolle durch amerikanische Schiffe nach China zu bringen, ist ebenfalls zu Ende. Denn der kaiserliche Commissär ist durch die Amerikaner selbst vollkommen unterrichtet von allem was vorgeht, und so in den Stand gesetzt, nach seiner Erklärung alle englischen und Colonialproducte, welche auf fremden Schiffen eingeführt würden, zu confisciren. Die Amerikaner in Lintin, welche bisher gegen hohe Fracht die Baumwolle von den englischen Schiffen umgeladen und in die Bocca Tigris gebracht haben, weigern sich daher jetzt es zu thun, und laden Reis, um in Canton Thee und Seide einzunehmen und nach Manilla oder Singapur zu bringen, von wo sie wieder mit Reis nach Canton zurückkehren.

In China selbst fangen die Convulsionen, welche jede große Krisis mit sich bringt, an, sich zu zeigen. Canton und die

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sich noch immer mit argwöhnischem Blick beobachten. Offenbar besorgt jede von ihnen, von der andern angegriffen zu werden. Beide Theile, Christen und Mohammedaner, sind aufgereizt und dunkle Gerüchte von bevorstehenden Gefahren vermehren die Unruhe der Gemüther. In Adrianopel hatte der Pascha, wie es scheint, die Hand im Spiele. Nafiz Pascha, so heißt dieser Mann, ein Mann von Talent, aber dem alten System ergeben, kann vermöge seiner Ueberzeugungen und Neigungen weder den Christen noch den einschränkenden Anordnungen eines Reformsystems geneigt seyn, das den Eigennutz der Beamten, den Vorzug des Islams vor andern Religionen ernstlich bedrohen dürfte. Die Pforte beeilte sich, diesen gefährlichen Menschen von seinem Posten zu entfernen, Nafiz seines Gouvernements zu entsetzen und den redlichen Osman Pascha, ehemaligen Gouverneur von Erzerum, an seiner Stelle zum Pascha zu ernennen. Man hofft, daß durch das Erscheinen dieses Mannes in der beunruhigten Stadt das Vertrauen zurückkehren, die Aufregung sich legen werde. Unläugbar ist die Thatsache, daß alle christlichen Bevölkerungen der europäischen Türkei nach Unabhängigkeit von dem türkischen Joche mit Entschlossenheit streben. Zwar werden sie durch die wohlmeinenden Absichten der gegenwärtigen osmanischen Regierung beschwichtigt, denn sie sind gezwungen ihre redlichen Absichten anzuerkennen; dieß hindert sie indessen nicht, in ihrem Benehmen eine sehr vorgreifende Methode zu befolgen, nach der sie mit eifersüchtigem Blick auf jede Bewegung der Paschas und ihrer Untergebenen sehen, jede Handlung derselben mit Ingrimm und Feindseligkeit bewachen. Wenn sie etwas bemerkt zu haben glauben, was mit dem neuen Geist sich nicht verträgt, so erheben sie ein betäubendes Geschrei, schicken aus ihrer Mitte Deputationen nach der Hauptstadt und setzen ihre Vorgesetzten in Anklagestand. Es ist leicht zu ermessen, welche Wirkung ein solches Benehmen auf die türkischen Paschas und auf die Moslims überhaupt hervorbringen muß, die den Giaur noch vor wenig Jahren nur in demüthigem Sklavensinn sich beugen sahen. Sie fluchen den Reformen, sie schmähen den Hattischeriff von Gülhaneh als den Grund der neuen Uebel, und der alte Haß gegen die Christen erwacht um so heftiger, als er jetzt zurückgedrängt werden muß wegen der philantropischen Richtung, welche die Regierung zu Konstantinopel genommen hat. Man kann sich leicht denken, daß dieß von den Agenten des Vicekönigs von Aegypten benützt wird, deren doppeltes Geschäft, einerseits die Christen gegen die Türken aufzuhetzen, andererseits den Haß der Türken gegen die &#x201E;anmaßenden&#x201C; Christen zu vermehren, nur zu gut zu gelingen scheint. 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Vielleicht einen Monat vor Entdeckung der letzten griechischen Verschwörung machte ich Sie auf das Treiben Mehemed Ali's in dieser Hinsicht aufmerksam. Die Bewegung zu Anfang des Jahrs 1840 war unter den griechischen Christen in allen europäischen Provinzen allgemein; das Mißlingen der Plane ward durch die Unvorsichtigkeit ihrer Führer oder der Beförderer herbeigeführt, aber die gehegten Anschläge wurden deßhalb nicht aufgegeben, sie werden nur mit größerer Umsicht geleitet. Der Ausbruch der bevorstehenden Bewegung, wenn es jetzt überhaupt zum Ausbruche kommen sollte, ist auf die griechischen Osterfeiertage festgesetzt. Wir wollen ruhig noch diese paar Tage abwarten, in der Ueberzeugung, daß jetzt, wo das Uebel entdeckt ist, es einer gewarnten und vorbereiteten Regierung minder schwer fallen wird, für die Aufrechterhaltung der bedrohten Ruhe zu sorgen. Hassan Pascha hat in Smyrna mit seltener Umsicht den Gefahren bereits vorgebeugt; ich zweifle nicht, daß Osman denselben Erfolg erreicht; aber die Uebel sind groß und fordern gebieterisch einen festen Gang. &#x2013; Aus Alexandrien haben wir mit dem letzten Dampfboot nichts Wichtiges über die Haltung des Vicekönigs erhalten; dagegen wird berichtet, daß die zwei englischen Kriegsschiffe den dortigen Hafen verlassen haben, ohne die übliche Salutation bei dem Auslaufen aus dem Hafen zu geben. Man war daher in banger Erwartung, daß die englische Flotte bald in feindseliger Absicht vor jener Stadt erscheinen werde.</p><lb/>
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[1103/0007] sich noch immer mit argwöhnischem Blick beobachten. Offenbar besorgt jede von ihnen, von der andern angegriffen zu werden. Beide Theile, Christen und Mohammedaner, sind aufgereizt und dunkle Gerüchte von bevorstehenden Gefahren vermehren die Unruhe der Gemüther. In Adrianopel hatte der Pascha, wie es scheint, die Hand im Spiele. Nafiz Pascha, so heißt dieser Mann, ein Mann von Talent, aber dem alten System ergeben, kann vermöge seiner Ueberzeugungen und Neigungen weder den Christen noch den einschränkenden Anordnungen eines Reformsystems geneigt seyn, das den Eigennutz der Beamten, den Vorzug des Islams vor andern Religionen ernstlich bedrohen dürfte. Die Pforte beeilte sich, diesen gefährlichen Menschen von seinem Posten zu entfernen, Nafiz seines Gouvernements zu entsetzen und den redlichen Osman Pascha, ehemaligen Gouverneur von Erzerum, an seiner Stelle zum Pascha zu ernennen. Man hofft, daß durch das Erscheinen dieses Mannes in der beunruhigten Stadt das Vertrauen zurückkehren, die Aufregung sich legen werde. Unläugbar ist die Thatsache, daß alle christlichen Bevölkerungen der europäischen Türkei nach Unabhängigkeit von dem türkischen Joche mit Entschlossenheit streben. Zwar werden sie durch die wohlmeinenden Absichten der gegenwärtigen osmanischen Regierung beschwichtigt, denn sie sind gezwungen ihre redlichen Absichten anzuerkennen; dieß hindert sie indessen nicht, in ihrem Benehmen eine sehr vorgreifende Methode zu befolgen, nach der sie mit eifersüchtigem Blick auf jede Bewegung der Paschas und ihrer Untergebenen sehen, jede Handlung derselben mit Ingrimm und Feindseligkeit bewachen. Wenn sie etwas bemerkt zu haben glauben, was mit dem neuen Geist sich nicht verträgt, so erheben sie ein betäubendes Geschrei, schicken aus ihrer Mitte Deputationen nach der Hauptstadt und setzen ihre Vorgesetzten in Anklagestand. Es ist leicht zu ermessen, welche Wirkung ein solches Benehmen auf die türkischen Paschas und auf die Moslims überhaupt hervorbringen muß, die den Giaur noch vor wenig Jahren nur in demüthigem Sklavensinn sich beugen sahen. Sie fluchen den Reformen, sie schmähen den Hattischeriff von Gülhaneh als den Grund der neuen Uebel, und der alte Haß gegen die Christen erwacht um so heftiger, als er jetzt zurückgedrängt werden muß wegen der philantropischen Richtung, welche die Regierung zu Konstantinopel genommen hat. Man kann sich leicht denken, daß dieß von den Agenten des Vicekönigs von Aegypten benützt wird, deren doppeltes Geschäft, einerseits die Christen gegen die Türken aufzuhetzen, andererseits den Haß der Türken gegen die „anmaßenden“ Christen zu vermehren, nur zu gut zu gelingen scheint. Daß Mehemed Ali einen fruchtbaren Boden für seine Umtriebe findet, ist augenscheinlich; die Fehler der in der Umwälzung des bisher Bestandenen überraschen Pforte begünstigen seine Attentate, und die lächerlichsten Einfälle Mehemed Ali's werden bei der verwirrten Stimmung der Gemüther zu furchtbaren Waffen in seinen Händen. So lassen seine Emissäre – und es gelingt ihnen gläubige Ohren zu finden – das Gerücht überall ausstreuen, der Großsultan, Reschid, Chosrew Pascha nebst einer Anzahl mit Namen aufgeführter Mitglieder des Ministeriums seyen zum Christenthum übergegangen, und kein Mittel wird gescheut, um durch boshafte Berechnung die Gemüther aufzureizen. Die Agitation der Christen wird von Aegypten aus und, wie behauptet wird, von einer westlichen Macht mit gleichem Eifer betrieben, und die Thätigkeit, die hierin entwickelt wird, gilt nur als Fortsetzung lange schon gehegter Plane. Vielleicht einen Monat vor Entdeckung der letzten griechischen Verschwörung machte ich Sie auf das Treiben Mehemed Ali's in dieser Hinsicht aufmerksam. Die Bewegung zu Anfang des Jahrs 1840 war unter den griechischen Christen in allen europäischen Provinzen allgemein; das Mißlingen der Plane ward durch die Unvorsichtigkeit ihrer Führer oder der Beförderer herbeigeführt, aber die gehegten Anschläge wurden deßhalb nicht aufgegeben, sie werden nur mit größerer Umsicht geleitet. Der Ausbruch der bevorstehenden Bewegung, wenn es jetzt überhaupt zum Ausbruche kommen sollte, ist auf die griechischen Osterfeiertage festgesetzt. Wir wollen ruhig noch diese paar Tage abwarten, in der Ueberzeugung, daß jetzt, wo das Uebel entdeckt ist, es einer gewarnten und vorbereiteten Regierung minder schwer fallen wird, für die Aufrechterhaltung der bedrohten Ruhe zu sorgen. Hassan Pascha hat in Smyrna mit seltener Umsicht den Gefahren bereits vorgebeugt; ich zweifle nicht, daß Osman denselben Erfolg erreicht; aber die Uebel sind groß und fordern gebieterisch einen festen Gang. – Aus Alexandrien haben wir mit dem letzten Dampfboot nichts Wichtiges über die Haltung des Vicekönigs erhalten; dagegen wird berichtet, daß die zwei englischen Kriegsschiffe den dortigen Hafen verlassen haben, ohne die übliche Salutation bei dem Auslaufen aus dem Hafen zu geben. Man war daher in banger Erwartung, daß die englische Flotte bald in feindseliger Absicht vor jener Stadt erscheinen werde. Ostindien und China. _ Bombay, 21 März. Die Unzufriedenheit über den Zustand der chinesischen Angelegenheiten ist hier sehr groß, was erklärlich genug ist, denn Bombay leidet durch die Unterbrechung des Handels mit Canton mehr als alle indischen und englischen Häfen zusammengenommen. Nicht nur war die hiesige Ausfuhr von Opium größer als die von Calcutta, sondern der ganze Baumwollenhandel von China war in den Händen der hiesigen Häuser. Die Ausfuhr von roher Baumwolle betrug im Durchschnitt eine Million Centner, in dem letzten Jahre mehr, und die allgemeine Meinung unserer Kaufleute war, daß China Baumwolle in unbegränzter Masse consumiren würde, wenn Indien sie ohne Erhöhung der Preise liefern könnte. Die Unterbrechung paralysirt die ganze Cultur in der Provinz von Puna, in den Concans und in der Provinz Surat, und zwingt unsere Kaufleute ihren Vorrath nach En land zu versenden, obgleich der größere Theil der Baumwolle nicht für den englischen Markt taugt, weil ihr Stapel zu kurz ist. China ist, seit der Verdrängung der indischen Manufacturen durch Maschinengarn, der einzige große Manufacturstaat, wo noch Handspinnerei im Großen getrieben wird, und wohin also unsere kurze Baumwolle mit Vortheil gehen konnte; jetzt beraubt uns das unsinnige Betragen von Elliot unseres einzigen Marktes. Die Briefe aus China, welche die parsischen Häuser hier erhalten haben, gehen bis Ende Januars, und sind sehr wenig tröstlich. Die Parsen, welche von Macao nach Canton zurückgekehrt sind, sind von dem kaiserlichen Commissär als englische Unterthanen vertrieben worden, und die einzige Aussicht, die man bisher hatte, unsere Baumwolle durch amerikanische Schiffe nach China zu bringen, ist ebenfalls zu Ende. Denn der kaiserliche Commissär ist durch die Amerikaner selbst vollkommen unterrichtet von allem was vorgeht, und so in den Stand gesetzt, nach seiner Erklärung alle englischen und Colonialproducte, welche auf fremden Schiffen eingeführt würden, zu confisciren. Die Amerikaner in Lintin, welche bisher gegen hohe Fracht die Baumwolle von den englischen Schiffen umgeladen und in die Bocca Tigris gebracht haben, weigern sich daher jetzt es zu thun, und laden Reis, um in Canton Thee und Seide einzunehmen und nach Manilla oder Singapur zu bringen, von wo sie wieder mit Reis nach Canton zurückkehren. In China selbst fangen die Convulsionen, welche jede große Krisis mit sich bringt, an, sich zu zeigen. Canton und die

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 138. Augsburg, 17. Mai 1840, S. 1103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_138_18400517/7>, abgerufen am 27.04.2024.