Allgemeine Zeitung. Nr. 134. Augsburg, 13. Mai 1840.könnten sie den Chinesen am Amur zu bauen versprechen, im Fall man ihnen diesen Strom abtreten wollte. Von den äußersten militärischen Stationen der Russen bis zur Hauptstadt China's sind nur 160 Meilen, und ein russisches Hülfscorps könnte diesen vielen Kosaken bekannten Weg mit größerer Zuversicht wagen, als den ihnen weit unbekanntern nach Chiwa. Allerdings ist es wahr, daß bisher die russische Mission in Peking noch keinerlei diplomatische Wichtigkeit genoß, wie die Engländer dieß insinuiren wollten. Diese Mission verhandelte nie unmittelbar mit dem chinesischen Kaiserhofe, sondern bloß mit den Beamten des chinesischen Collegiums der auswärtigen Angelegenheiten. Ja sie hatte nicht einmal in den commerciellen Beziehungen einen officiellen Charakter, war vielmehr bloß für die oben angegebenen Zwecke, zum Beten mit den Landsleuten und zum Erlernen der chinesischen Sprache, dort vorhanden. Der kaiserliche Hof nahm bisher scheinbar keinerlei Notiz von ihr. Auf der andern Seite ist es aber eine Uebertreibung, wenn man behauptete, daß die russische Mission in Canton völlig beiseite gesetzt und vernachlässigt werde, und unter Anderm so beschränkt sey, daß ihre Mitglieder sich nicht einmal außerhalb des ihnen vorgezeichneten Quartiers zeigen dürften. Es scheint vielmehr nach den russischen Berichten von der vorletzten und letzten Mission, daß jetzt, besonders seit der letzten Verfolgung der römischen Christen im Jahr 1805 und seit 1817, die Russen in Peking die geachtetsten aller Europäer sind. Die Portugiesen, welche auch dort ein Kloster wie die Russen haben, sind ganz und gar ohne Bedeutung. Sie sind die Kalendermacher der Chinesen, stehen im Staatsdienst und werden demgemäß von den Obermandarinen wie Unterbeamte behandelt. Die Russen bewegen sich nicht nur in Peking selbst völlig frei, haben dort Umgang mit chinesischen Beamten, ja kommen sogar mit den Herren vom Hof in freundschaftliche Berührung, sondern erlangen auch ohne Schwierigkeit Pässe zum Bereisen des Innern des Landes. Bei dieser Achtung und Freiheit, welche die Chinesen den Russen in ihrer Hauptstadt bereits gewähren, bei jener guten Kenntniß, welche die Russen vom Lande erlangten, bei jenem außerordentlichen Aufblühen der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, bei der Vorliebe der Chinesen für gewisse russische Handelswaaren, bei der sehr natürlichen Hinneigung der Russen zum Besitz des Amurlandes, bei dem betrübten Zustande der chinesischen Militärmacht und bei dem drohenden Angriff Englands auf dieselbe, ist es nicht eben sehr unwahrscheinlich, daß China im Jahr 1840 einmal plötzlich von seinem hohen Ton gegen Rußland herabsteigen wird. Das himmlische Reich ist ein großer Riese auf gläsernen Füßen, und wir können hier sehr raschen Umwandlungen entgegensehen. China war schon zu verschiedenen Zeiten seiner Geschichte in ein nördliches und südliches Reich zerschnitten. Vielleicht leitet sich eben jetzt eine abermalige Spaltung in ein russisches Nordchina und in ein englisches Südchina ein! Frankreich. Paris, 6 Mai. Auf dem Felde der hohen Politik begegnen sich in heftigem Streite die Runkelrübe und das Zuckerrohr, das Interesse der Colonien und jenes der inländischen Fabricanten. Seit die Frage einer speciellen Verhandlung unterworfen ist, scheint ihre Lösung weiter vom Ziel zu seyn als jemals. Nicht minder entbrannt in heftigem Hasse stehen sich die beiden großen Städte gegenüber, deren eine heute auf dem Gipfel des Handelswohlstandes und Verkehrs thront, deren andere in trägem Genuß ihrer früher erworbenen Reichthümer hinstirbt: Marseille und Bordeaux. Der Zankapfel ist die transatlantische Dampfschifffahrt, die beide für sich ansprechen, und die aller Wahrscheinlichkeit nach der thätigsten, rüstigsten der beiden Bewerberinnen, Marseille, zufallen wird. Das Ministerium ist in den beiden Fragen in unverkennbarer Verlegenheit, und die Schwierigkeit seiner Stellung wird dadurch vermehrt, daß die sogenannte conservative Partei ihren Haß und ihren Groll jeden Tag verdoppelt, und in allen Verhandlungen nur den Augenblick zu erspähen scheint, um das Ministerium in eine tödtliche Verlegenheit zu versetzen. - Lassen wir einen Augenblick diese unablässige Polemik, um uns einer friedlichern und freundlichern Region zuzuwenden: wir haben in diesem Augenblick, im Louvre, die Ausstellung der Arbeiten aus den königlichen Manufacturen von Sevres, den Gobelins und den Fabriken von Beauvais. Die ausgestellten Gegenstände sind: Porcellan und Glasmalerei (Sevres); Teppiche und gewirkte Kunstarbeiten (Gobelins und Beauvais). Ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen summarischen Bericht über das Sehenswertheste und Merkwürdigste dieser Ausstellung zu senden; einstweilen erlauben Sie mir, die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf eine Kunstarbeit, ein Kunstwerk hinzulenken, dessen Grundgedanken durch einen wichtigen Theil der ausgestellten Erzeugnisse neue Nahrung und Aufmunterung erhält, ich meine das große Werk des Hrn. v. Lasteyrie, Sohn, über die Geschichte der Glasmalerei, nach den in Frankreich vorfindlichen Denkmälern. Das Werk erscheint in Folio und ist bereits bis zu seiner achten Lieferung gediehen. Hr. v. Lasteyrie ist der Sohn des ausgezeichneten und ehrenvoll bekannten Philanthropen gleiches Namens, und scheint von ihm die Liebe und Beharrlichkeit im Vollbringen nützlicher Arbeiten überkommen zu haben. - Unsere Ministerpräsidenten, wenn sie Emeriten werden, ziehen sich in das Heiligthum der Wissenschaft zurück, schreiben historische Würdigungen und pflegen die poetische Panegyrik. So neulich Hr. v. Mole in seiner Lebensbeschreibung des Generals Bernard; so Hr. v. Broglie in seiner Gedächtnißfeier des Hrn. v. Sacy. So wie sie wünschen, daß ihnen einst geschehe, thun sie jetzt den Andern; christliche Milde, die der Sorge pro domo keinen Eintrag thut. - Die Akademie der inscriptions et belles Lettres hat nächstens eine wichtige und schwierige Aufgabe zu lösen. Ein gewisser Gobert, der im Alter von 25 Jahren gestorben ist, hatte den großmüthigen Gedanken, dem Verfasser des besten Werks über die Geschichte Frankreichs eine jährliche Rente von 10,000 Fr. zu sichern und die Akademie mit der Zuerkennung dieses Preises zu beauftragen. Nach den Worten seines Testaments soll der Gekrönte die Rente so lange genießen, als kein vorzüglicheres Werk erscheint und ihn seines Vortheils entsetzt, eine sinnreiche Vorsicht, um das Studium fortwährend anzuspornen und stets nach Höherem streben zu lassen. - Nun, ohne allen Uebergang, erlauben Sie mir, Ihnen eine Bitte vorzutragen, welche die Allg. Zeitung an den rechten Mann bringen möge. Lassen Sie gefälligst dem Verfasser der geologischen Briefe die Kunde zukommen, mit welchem Vergnügen, mit welcher dankenden Anerkennung man im fernen Lande der "Gallier" seine so klare, ansprechende und populäre Darstellung der Geschichte unsers Erdkörpers aufgenommen hat. Wir andern hier, wir reformiren zwar jeden Tag die politischen und socialen Einrichtungen unseres irdischen Zusammenlebens, wir reden von den Gestirnen und der Luft und dem Winde der Politik mit hochwohlweiser Wichtigkeit, aber von dem Boden, der uns trägt, von der Erde, die uns nährt und begräbt, von den Bergen, die wir als Kinder mit heimlichem Grausen besteigen, und den Thälern, die uns die Einbildung mit so wunderlieblichen Träumereien füllten, was könnten sie den Chinesen am Amur zu bauen versprechen, im Fall man ihnen diesen Strom abtreten wollte. Von den äußersten militärischen Stationen der Russen bis zur Hauptstadt China's sind nur 160 Meilen, und ein russisches Hülfscorps könnte diesen vielen Kosaken bekannten Weg mit größerer Zuversicht wagen, als den ihnen weit unbekanntern nach Chiwa. Allerdings ist es wahr, daß bisher die russische Mission in Peking noch keinerlei diplomatische Wichtigkeit genoß, wie die Engländer dieß insinuiren wollten. Diese Mission verhandelte nie unmittelbar mit dem chinesischen Kaiserhofe, sondern bloß mit den Beamten des chinesischen Collegiums der auswärtigen Angelegenheiten. Ja sie hatte nicht einmal in den commerciellen Beziehungen einen officiellen Charakter, war vielmehr bloß für die oben angegebenen Zwecke, zum Beten mit den Landsleuten und zum Erlernen der chinesischen Sprache, dort vorhanden. Der kaiserliche Hof nahm bisher scheinbar keinerlei Notiz von ihr. Auf der andern Seite ist es aber eine Uebertreibung, wenn man behauptete, daß die russische Mission in Canton völlig beiseite gesetzt und vernachlässigt werde, und unter Anderm so beschränkt sey, daß ihre Mitglieder sich nicht einmal außerhalb des ihnen vorgezeichneten Quartiers zeigen dürften. Es scheint vielmehr nach den russischen Berichten von der vorletzten und letzten Mission, daß jetzt, besonders seit der letzten Verfolgung der römischen Christen im Jahr 1805 und seit 1817, die Russen in Peking die geachtetsten aller Europäer sind. Die Portugiesen, welche auch dort ein Kloster wie die Russen haben, sind ganz und gar ohne Bedeutung. Sie sind die Kalendermacher der Chinesen, stehen im Staatsdienst und werden demgemäß von den Obermandarinen wie Unterbeamte behandelt. Die Russen bewegen sich nicht nur in Peking selbst völlig frei, haben dort Umgang mit chinesischen Beamten, ja kommen sogar mit den Herren vom Hof in freundschaftliche Berührung, sondern erlangen auch ohne Schwierigkeit Pässe zum Bereisen des Innern des Landes. Bei dieser Achtung und Freiheit, welche die Chinesen den Russen in ihrer Hauptstadt bereits gewähren, bei jener guten Kenntniß, welche die Russen vom Lande erlangten, bei jenem außerordentlichen Aufblühen der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, bei der Vorliebe der Chinesen für gewisse russische Handelswaaren, bei der sehr natürlichen Hinneigung der Russen zum Besitz des Amurlandes, bei dem betrübten Zustande der chinesischen Militärmacht und bei dem drohenden Angriff Englands auf dieselbe, ist es nicht eben sehr unwahrscheinlich, daß China im Jahr 1840 einmal plötzlich von seinem hohen Ton gegen Rußland herabsteigen wird. Das himmlische Reich ist ein großer Riese auf gläsernen Füßen, und wir können hier sehr raschen Umwandlungen entgegensehen. China war schon zu verschiedenen Zeiten seiner Geschichte in ein nördliches und südliches Reich zerschnitten. Vielleicht leitet sich eben jetzt eine abermalige Spaltung in ein russisches Nordchina und in ein englisches Südchina ein! Frankreich. Paris, 6 Mai. Auf dem Felde der hohen Politik begegnen sich in heftigem Streite die Runkelrübe und das Zuckerrohr, das Interesse der Colonien und jenes der inländischen Fabricanten. Seit die Frage einer speciellen Verhandlung unterworfen ist, scheint ihre Lösung weiter vom Ziel zu seyn als jemals. Nicht minder entbrannt in heftigem Hasse stehen sich die beiden großen Städte gegenüber, deren eine heute auf dem Gipfel des Handelswohlstandes und Verkehrs thront, deren andere in trägem Genuß ihrer früher erworbenen Reichthümer hinstirbt: Marseille und Bordeaux. Der Zankapfel ist die transatlantische Dampfschifffahrt, die beide für sich ansprechen, und die aller Wahrscheinlichkeit nach der thätigsten, rüstigsten der beiden Bewerberinnen, Marseille, zufallen wird. Das Ministerium ist in den beiden Fragen in unverkennbarer Verlegenheit, und die Schwierigkeit seiner Stellung wird dadurch vermehrt, daß die sogenannte conservative Partei ihren Haß und ihren Groll jeden Tag verdoppelt, und in allen Verhandlungen nur den Augenblick zu erspähen scheint, um das Ministerium in eine tödtliche Verlegenheit zu versetzen. – Lassen wir einen Augenblick diese unablässige Polemik, um uns einer friedlichern und freundlichern Region zuzuwenden: wir haben in diesem Augenblick, im Louvre, die Ausstellung der Arbeiten aus den königlichen Manufacturen von Sèvres, den Gobelins und den Fabriken von Beauvais. Die ausgestellten Gegenstände sind: Porcellan und Glasmalerei (Sèvres); Teppiche und gewirkte Kunstarbeiten (Gobelins und Beauvais). Ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen summarischen Bericht über das Sehenswertheste und Merkwürdigste dieser Ausstellung zu senden; einstweilen erlauben Sie mir, die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf eine Kunstarbeit, ein Kunstwerk hinzulenken, dessen Grundgedanken durch einen wichtigen Theil der ausgestellten Erzeugnisse neue Nahrung und Aufmunterung erhält, ich meine das große Werk des Hrn. v. Lasteyrie, Sohn, über die Geschichte der Glasmalerei, nach den in Frankreich vorfindlichen Denkmälern. Das Werk erscheint in Folio und ist bereits bis zu seiner achten Lieferung gediehen. Hr. v. Lasteyrie ist der Sohn des ausgezeichneten und ehrenvoll bekannten Philanthropen gleiches Namens, und scheint von ihm die Liebe und Beharrlichkeit im Vollbringen nützlicher Arbeiten überkommen zu haben. – Unsere Ministerpräsidenten, wenn sie Emeriten werden, ziehen sich in das Heiligthum der Wissenschaft zurück, schreiben historische Würdigungen und pflegen die poetische Panegyrik. So neulich Hr. v. Molé in seiner Lebensbeschreibung des Generals Bernard; so Hr. v. Broglie in seiner Gedächtnißfeier des Hrn. v. Sacy. So wie sie wünschen, daß ihnen einst geschehe, thun sie jetzt den Andern; christliche Milde, die der Sorge pro domo keinen Eintrag thut. – Die Akademie der inscriptions et belles Lettres hat nächstens eine wichtige und schwierige Aufgabe zu lösen. Ein gewisser Gobert, der im Alter von 25 Jahren gestorben ist, hatte den großmüthigen Gedanken, dem Verfasser des besten Werks über die Geschichte Frankreichs eine jährliche Rente von 10,000 Fr. zu sichern und die Akademie mit der Zuerkennung dieses Preises zu beauftragen. Nach den Worten seines Testaments soll der Gekrönte die Rente so lange genießen, als kein vorzüglicheres Werk erscheint und ihn seines Vortheils entsetzt, eine sinnreiche Vorsicht, um das Studium fortwährend anzuspornen und stets nach Höherem streben zu lassen. – Nun, ohne allen Uebergang, erlauben Sie mir, Ihnen eine Bitte vorzutragen, welche die Allg. Zeitung an den rechten Mann bringen möge. Lassen Sie gefälligst dem Verfasser der geologischen Briefe die Kunde zukommen, mit welchem Vergnügen, mit welcher dankenden Anerkennung man im fernen Lande der „Gallier“ seine so klare, ansprechende und populäre Darstellung der Geschichte unsers Erdkörpers aufgenommen hat. Wir andern hier, wir reformiren zwar jeden Tag die politischen und socialen Einrichtungen unseres irdischen Zusammenlebens, wir reden von den Gestirnen und der Luft und dem Winde der Politik mit hochwohlweiser Wichtigkeit, aber von dem Boden, der uns trägt, von der Erde, die uns nährt und begräbt, von den Bergen, die wir als Kinder mit heimlichem Grausen besteigen, und den Thälern, die uns die Einbildung mit so wunderlieblichen Träumereien füllten, was <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="1067"/> könnten sie den Chinesen am Amur zu bauen versprechen, im Fall man ihnen diesen Strom abtreten wollte. 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Auf der andern Seite ist es aber eine Uebertreibung, wenn man behauptete, daß die russische Mission in Canton völlig beiseite gesetzt und vernachlässigt werde, und unter Anderm so beschränkt sey, daß ihre Mitglieder sich nicht einmal außerhalb des ihnen vorgezeichneten Quartiers zeigen dürften. Es scheint vielmehr nach den russischen Berichten von der vorletzten und letzten Mission, daß jetzt, besonders seit der letzten Verfolgung der römischen Christen im Jahr 1805 und seit 1817, die Russen in Peking die geachtetsten aller Europäer sind. Die Portugiesen, welche auch dort ein Kloster wie die Russen haben, sind ganz und gar ohne Bedeutung. Sie sind die Kalendermacher der Chinesen, stehen im Staatsdienst und werden demgemäß von den Obermandarinen wie Unterbeamte behandelt. Die Russen bewegen sich nicht nur in Peking selbst völlig frei, haben dort Umgang mit chinesischen Beamten, ja kommen sogar mit den Herren vom Hof in freundschaftliche Berührung, sondern erlangen auch ohne Schwierigkeit Pässe zum Bereisen des Innern des Landes.</p><lb/> <p>Bei dieser Achtung und Freiheit, welche die Chinesen den Russen in ihrer Hauptstadt bereits gewähren, bei jener guten Kenntniß, welche die Russen vom Lande erlangten, bei jenem außerordentlichen Aufblühen der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, bei der Vorliebe der Chinesen für gewisse russische Handelswaaren, bei der sehr natürlichen Hinneigung der Russen zum Besitz des Amurlandes, bei dem betrübten Zustande der chinesischen Militärmacht und bei dem drohenden Angriff Englands auf dieselbe, ist es nicht eben sehr unwahrscheinlich, daß China im Jahr 1840 einmal plötzlich von seinem hohen Ton gegen Rußland herabsteigen wird. Das himmlische Reich ist ein großer Riese auf gläsernen Füßen, und wir können hier sehr raschen Umwandlungen entgegensehen. China war schon zu verschiedenen Zeiten seiner Geschichte in ein nördliches und südliches Reich zerschnitten. Vielleicht leitet sich eben jetzt eine abermalige Spaltung in ein russisches Nordchina und in ein englisches Südchina ein!</p><lb/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 6 Mai.</dateline> <p> Auf dem Felde der hohen Politik begegnen sich in heftigem Streite die Runkelrübe und das Zuckerrohr, das Interesse der Colonien und jenes der inländischen Fabricanten. Seit die Frage einer speciellen Verhandlung unterworfen ist, scheint ihre Lösung weiter vom Ziel zu seyn als jemals. Nicht minder entbrannt in heftigem Hasse stehen sich die beiden großen Städte gegenüber, deren eine heute auf dem Gipfel des Handelswohlstandes und Verkehrs thront, deren andere in trägem Genuß ihrer früher erworbenen Reichthümer hinstirbt: Marseille und Bordeaux. Der Zankapfel ist die transatlantische Dampfschifffahrt, die beide für sich ansprechen, und die aller Wahrscheinlichkeit nach der thätigsten, rüstigsten der beiden Bewerberinnen, Marseille, zufallen wird. Das Ministerium ist in den beiden Fragen in unverkennbarer Verlegenheit, und die Schwierigkeit seiner Stellung wird dadurch vermehrt, daß die sogenannte conservative Partei ihren Haß und ihren Groll jeden Tag verdoppelt, und in allen Verhandlungen nur den Augenblick zu erspähen scheint, um das Ministerium in eine tödtliche Verlegenheit zu versetzen. – Lassen wir einen Augenblick diese unablässige Polemik, um uns einer friedlichern und freundlichern Region zuzuwenden: wir haben in diesem Augenblick, im Louvre, die Ausstellung der Arbeiten aus den königlichen Manufacturen von Sèvres, den Gobelins und den Fabriken von Beauvais. Die ausgestellten Gegenstände sind: Porcellan und Glasmalerei (Sèvres); Teppiche und gewirkte Kunstarbeiten (Gobelins und Beauvais). Ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen summarischen Bericht über das Sehenswertheste und Merkwürdigste dieser Ausstellung zu senden; einstweilen erlauben Sie mir, die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf eine Kunstarbeit, ein Kunstwerk hinzulenken, dessen Grundgedanken durch einen wichtigen Theil der ausgestellten Erzeugnisse neue Nahrung und Aufmunterung erhält, ich meine das große Werk des Hrn. v. Lasteyrie, Sohn, über die Geschichte der Glasmalerei, nach den in Frankreich vorfindlichen Denkmälern. Das Werk erscheint in Folio und ist bereits bis zu seiner achten Lieferung gediehen. Hr. v. Lasteyrie ist der Sohn des ausgezeichneten und ehrenvoll bekannten Philanthropen gleiches Namens, und scheint von ihm die Liebe und Beharrlichkeit im Vollbringen nützlicher Arbeiten überkommen zu haben. – Unsere Ministerpräsidenten, wenn sie Emeriten werden, ziehen sich in das Heiligthum der Wissenschaft zurück, schreiben historische Würdigungen und pflegen die poetische Panegyrik. So neulich Hr. v. Molé in seiner Lebensbeschreibung des Generals Bernard; so Hr. v. Broglie in seiner Gedächtnißfeier des Hrn. v. Sacy. So wie sie wünschen, daß ihnen einst geschehe, thun sie jetzt den Andern; christliche Milde, die der Sorge pro domo keinen Eintrag thut. – Die Akademie der inscriptions et belles Lettres hat nächstens eine wichtige und schwierige Aufgabe zu lösen. Ein gewisser Gobert, der im Alter von 25 Jahren gestorben ist, hatte den großmüthigen Gedanken, dem Verfasser des besten Werks über die Geschichte Frankreichs eine jährliche Rente von 10,000 Fr. zu sichern und die Akademie mit der Zuerkennung dieses Preises zu beauftragen. Nach den Worten seines Testaments soll der Gekrönte die Rente so lange genießen, als kein vorzüglicheres Werk erscheint und ihn seines Vortheils entsetzt, eine sinnreiche Vorsicht, um das Studium fortwährend anzuspornen und stets nach Höherem streben zu lassen. – Nun, ohne allen Uebergang, erlauben Sie mir, Ihnen eine Bitte vorzutragen, welche die Allg. Zeitung an den rechten Mann bringen möge. Lassen Sie gefälligst dem Verfasser der <hi rendition="#g">geologischen Briefe</hi> die Kunde zukommen, mit welchem Vergnügen, mit welcher dankenden Anerkennung man im fernen Lande der „Gallier“ seine so klare, ansprechende und populäre Darstellung der Geschichte unsers Erdkörpers aufgenommen hat. Wir andern hier, wir reformiren zwar jeden Tag die politischen und socialen Einrichtungen unseres irdischen Zusammenlebens, wir reden von den Gestirnen und der Luft und dem Winde der Politik mit hochwohlweiser Wichtigkeit, aber von dem Boden, der uns trägt, von der Erde, die uns nährt und begräbt, von den Bergen, die wir als Kinder mit heimlichem Grausen besteigen, und den Thälern, die uns die Einbildung mit so wunderlieblichen Träumereien füllten, was<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1067/0011]
könnten sie den Chinesen am Amur zu bauen versprechen, im Fall man ihnen diesen Strom abtreten wollte. Von den äußersten militärischen Stationen der Russen bis zur Hauptstadt China's sind nur 160 Meilen, und ein russisches Hülfscorps könnte diesen vielen Kosaken bekannten Weg mit größerer Zuversicht wagen, als den ihnen weit unbekanntern nach Chiwa.
Allerdings ist es wahr, daß bisher die russische Mission in Peking noch keinerlei diplomatische Wichtigkeit genoß, wie die Engländer dieß insinuiren wollten. Diese Mission verhandelte nie unmittelbar mit dem chinesischen Kaiserhofe, sondern bloß mit den Beamten des chinesischen Collegiums der auswärtigen Angelegenheiten. Ja sie hatte nicht einmal in den commerciellen Beziehungen einen officiellen Charakter, war vielmehr bloß für die oben angegebenen Zwecke, zum Beten mit den Landsleuten und zum Erlernen der chinesischen Sprache, dort vorhanden. Der kaiserliche Hof nahm bisher scheinbar keinerlei Notiz von ihr. Auf der andern Seite ist es aber eine Uebertreibung, wenn man behauptete, daß die russische Mission in Canton völlig beiseite gesetzt und vernachlässigt werde, und unter Anderm so beschränkt sey, daß ihre Mitglieder sich nicht einmal außerhalb des ihnen vorgezeichneten Quartiers zeigen dürften. Es scheint vielmehr nach den russischen Berichten von der vorletzten und letzten Mission, daß jetzt, besonders seit der letzten Verfolgung der römischen Christen im Jahr 1805 und seit 1817, die Russen in Peking die geachtetsten aller Europäer sind. Die Portugiesen, welche auch dort ein Kloster wie die Russen haben, sind ganz und gar ohne Bedeutung. Sie sind die Kalendermacher der Chinesen, stehen im Staatsdienst und werden demgemäß von den Obermandarinen wie Unterbeamte behandelt. Die Russen bewegen sich nicht nur in Peking selbst völlig frei, haben dort Umgang mit chinesischen Beamten, ja kommen sogar mit den Herren vom Hof in freundschaftliche Berührung, sondern erlangen auch ohne Schwierigkeit Pässe zum Bereisen des Innern des Landes.
Bei dieser Achtung und Freiheit, welche die Chinesen den Russen in ihrer Hauptstadt bereits gewähren, bei jener guten Kenntniß, welche die Russen vom Lande erlangten, bei jenem außerordentlichen Aufblühen der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, bei der Vorliebe der Chinesen für gewisse russische Handelswaaren, bei der sehr natürlichen Hinneigung der Russen zum Besitz des Amurlandes, bei dem betrübten Zustande der chinesischen Militärmacht und bei dem drohenden Angriff Englands auf dieselbe, ist es nicht eben sehr unwahrscheinlich, daß China im Jahr 1840 einmal plötzlich von seinem hohen Ton gegen Rußland herabsteigen wird. Das himmlische Reich ist ein großer Riese auf gläsernen Füßen, und wir können hier sehr raschen Umwandlungen entgegensehen. China war schon zu verschiedenen Zeiten seiner Geschichte in ein nördliches und südliches Reich zerschnitten. Vielleicht leitet sich eben jetzt eine abermalige Spaltung in ein russisches Nordchina und in ein englisches Südchina ein!
Frankreich.
_ Paris, 6 Mai. Auf dem Felde der hohen Politik begegnen sich in heftigem Streite die Runkelrübe und das Zuckerrohr, das Interesse der Colonien und jenes der inländischen Fabricanten. Seit die Frage einer speciellen Verhandlung unterworfen ist, scheint ihre Lösung weiter vom Ziel zu seyn als jemals. Nicht minder entbrannt in heftigem Hasse stehen sich die beiden großen Städte gegenüber, deren eine heute auf dem Gipfel des Handelswohlstandes und Verkehrs thront, deren andere in trägem Genuß ihrer früher erworbenen Reichthümer hinstirbt: Marseille und Bordeaux. Der Zankapfel ist die transatlantische Dampfschifffahrt, die beide für sich ansprechen, und die aller Wahrscheinlichkeit nach der thätigsten, rüstigsten der beiden Bewerberinnen, Marseille, zufallen wird. Das Ministerium ist in den beiden Fragen in unverkennbarer Verlegenheit, und die Schwierigkeit seiner Stellung wird dadurch vermehrt, daß die sogenannte conservative Partei ihren Haß und ihren Groll jeden Tag verdoppelt, und in allen Verhandlungen nur den Augenblick zu erspähen scheint, um das Ministerium in eine tödtliche Verlegenheit zu versetzen. – Lassen wir einen Augenblick diese unablässige Polemik, um uns einer friedlichern und freundlichern Region zuzuwenden: wir haben in diesem Augenblick, im Louvre, die Ausstellung der Arbeiten aus den königlichen Manufacturen von Sèvres, den Gobelins und den Fabriken von Beauvais. Die ausgestellten Gegenstände sind: Porcellan und Glasmalerei (Sèvres); Teppiche und gewirkte Kunstarbeiten (Gobelins und Beauvais). Ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen summarischen Bericht über das Sehenswertheste und Merkwürdigste dieser Ausstellung zu senden; einstweilen erlauben Sie mir, die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf eine Kunstarbeit, ein Kunstwerk hinzulenken, dessen Grundgedanken durch einen wichtigen Theil der ausgestellten Erzeugnisse neue Nahrung und Aufmunterung erhält, ich meine das große Werk des Hrn. v. Lasteyrie, Sohn, über die Geschichte der Glasmalerei, nach den in Frankreich vorfindlichen Denkmälern. Das Werk erscheint in Folio und ist bereits bis zu seiner achten Lieferung gediehen. Hr. v. Lasteyrie ist der Sohn des ausgezeichneten und ehrenvoll bekannten Philanthropen gleiches Namens, und scheint von ihm die Liebe und Beharrlichkeit im Vollbringen nützlicher Arbeiten überkommen zu haben. – Unsere Ministerpräsidenten, wenn sie Emeriten werden, ziehen sich in das Heiligthum der Wissenschaft zurück, schreiben historische Würdigungen und pflegen die poetische Panegyrik. So neulich Hr. v. Molé in seiner Lebensbeschreibung des Generals Bernard; so Hr. v. Broglie in seiner Gedächtnißfeier des Hrn. v. Sacy. So wie sie wünschen, daß ihnen einst geschehe, thun sie jetzt den Andern; christliche Milde, die der Sorge pro domo keinen Eintrag thut. – Die Akademie der inscriptions et belles Lettres hat nächstens eine wichtige und schwierige Aufgabe zu lösen. Ein gewisser Gobert, der im Alter von 25 Jahren gestorben ist, hatte den großmüthigen Gedanken, dem Verfasser des besten Werks über die Geschichte Frankreichs eine jährliche Rente von 10,000 Fr. zu sichern und die Akademie mit der Zuerkennung dieses Preises zu beauftragen. Nach den Worten seines Testaments soll der Gekrönte die Rente so lange genießen, als kein vorzüglicheres Werk erscheint und ihn seines Vortheils entsetzt, eine sinnreiche Vorsicht, um das Studium fortwährend anzuspornen und stets nach Höherem streben zu lassen. – Nun, ohne allen Uebergang, erlauben Sie mir, Ihnen eine Bitte vorzutragen, welche die Allg. Zeitung an den rechten Mann bringen möge. Lassen Sie gefälligst dem Verfasser der geologischen Briefe die Kunde zukommen, mit welchem Vergnügen, mit welcher dankenden Anerkennung man im fernen Lande der „Gallier“ seine so klare, ansprechende und populäre Darstellung der Geschichte unsers Erdkörpers aufgenommen hat. Wir andern hier, wir reformiren zwar jeden Tag die politischen und socialen Einrichtungen unseres irdischen Zusammenlebens, wir reden von den Gestirnen und der Luft und dem Winde der Politik mit hochwohlweiser Wichtigkeit, aber von dem Boden, der uns trägt, von der Erde, die uns nährt und begräbt, von den Bergen, die wir als Kinder mit heimlichem Grausen besteigen, und den Thälern, die uns die Einbildung mit so wunderlieblichen Träumereien füllten, was
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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