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Allgemeine Zeitung. Nr. 132. Augsburg, 11. Mai 1840.

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Französisches Recht, Urtheilssammlung, Gerichtszeitung.

(Beschluß.) Welches ist nun der Weg, den Ledru-Rollin in seinem Journal du Palais eingeschlagen hat, um die Gebrechen seiner Vorgänger zu vermeiden, ohne auf deren Tugenden zu verzichten, und demgemäß als Ersatz der einen wie der andern zu dienen? Erstens: das Journal du Palais hat als Grundlage seiner Urtheilssammlung die chronologische Ordnung gewählt, und tritt in dieser Beziehung den Repertorien von Merlin und Dalloz entgegen, die alphabetisch sind. Gründe der triftigsten Art haben es in dieser Entschließung geleitet. Schon Bacon, der im 16ten Jahrhundert diese nämliche Frage untersuchte, hatte sich für die chronologische Ordnung ausgesprochen, indem er (Aph. 77) sagt: "sie ist die einfachste, denn sie bietet ein fortlaufendes Gemälde der Gesetze; der einsichtsvolle Richter aber schöpft Belehrung eben sowohl in der Epoche der ergangenen Urtheile, als in deren speciellen Umständen." Mehr noch als der Name dieses großen Denkers, den keine blinde Anhänglichkeit an das Hergebrachte irre leiten konnte, scheint uns der von ihm sehr kurz berührte Grund seiner Ueberzeugung der Beachtung werth. Nach dem im Eingange dieses Aufsatzes bezeichneten wahren Charakter der Rechtssprechung ist dieselbe nicht etwa ein todtes Bild einer Masse von Erkenntnissen, eine geistlose Mechanik, die bloß dem jeweiligen Bedürfniß einer Nachschlagung in diesem oder jenem Rechtsfalle dienen, für diese oder jene Meinung in einem Processe einen Anhaltspunkt darbieten soll, und daher als Beleg in verstümmelter Gestalt an diesen oder jenen Rechtssatz sich anfügen mag. Nein, die Rechtssprechung ist der wahre Geist des Rechtes, der vor Allem den todten Buchstaben des Gesetzes beleben soll, der ihn oft erst in das praktische Leben einführt, der ihn häufig deutet, mildert, ja nicht selten ganz anders erscheinen läßt, als ihn die bloße Theorie, fern vom Einflusse der Zeit und des Fortschrittes der Gesellschaft, verstanden, und der überall die vergangene und gegenwärtige Wissenschaft mit der zukünftigen, mit der neuen Gesetzgebung vermittelt. Daß dieß die wahre Natur der Jurisprudenz (ich gebrauche dieses Wort im oben erklärten französischen Sinne als Rechtssprechung), namentlich in einem Lande ist, wo öffentliche Rechtspflege besteht, wird jedem klar seyn, der einen Blick werfen will auf eine Reihe von Vorschriften des französischen Civilcodex, wie z. B. über eheliche und väterliche Gewalt, Testamente und Eigenthumsprivilegien, die alle von der Praxis der Gerichtshöfe mehr oder minder bedeutende Modificationen erfahren haben. Um nun aber die Autorität der Rechtssprechung in dieser Weise nach Gebühr würdigen zu können, ist es unerläßlich, daß jeder Spruch ganz, in seiner wahren Gestalt, in dem Prisma seiner besondern Thatsachen, seiner Oertlichkeit und seines geschichtlichen Datums sich dem Geiste darstelle, daß ihn, so wie er ein Element der Rechtsgeschichte bilden soll, auch wirklich der historische Hauch belebe, und z. B. die Erkenntnisse des Cassationshofes über adelige Güter, Feudalrechte und grundherrliche Abgaben, die nach den denkwürdigen Gesetzen der Nationalversammlung im J. 1789 und 1790 erlassen wurden, an ihrem rechten Orte und unbeschnitten vorkommen, und unverzüglich mit allen sonstigen Wahrzeichen der Epoche in Vergleichung gebracht werden können. Diesen Erheischungen zu entsprechen, ist aber nur der chronologischen Ordnung vergönnt, weil sie kein Erkenntniß zweimal zu geben braucht, darum dem Lichte und Schatten eines jeden den gehörigen Raum und die erforderliche Sorgfalt in vollem Maaße widmen kann, und außerdem in der natürlichen Zeitfolge selbst einem weitern Elemente der Uebersichtlichkeit begegnet. - Damit aber zweitens auch die Doctrin ihr gebührendes Recht habe, wird alsbald nach dem Schlusse des 24sten Bandes eine analytische Uebersicht der französischen Rechtswissenschaft folgen, die, dogmatisch nach den Materien geordnet, nicht bloß ein mageres Register seyn, sondern mehrere Bände füllen und ein wahres Repertorium bilden wird, in dem jeglicher Gegenstand, jede Lehre nach den vier folgenden Hauptgesichtspunkten beleuchtet ist: Allgemeine Grundsätze der Gesetzgebungslehre über den betreffenden Gegenstand und Meinung der Autoren; Text des positiven, bestehenden Gesetzes; synoptische Darstellung der richterlichen Erkenntnisse mit Hinweisung auf die Stelle, wo die Einzelnheiten zu finden sind, und endlich: eigene Ansichten und Bedenken des Verfassers. Was auf diese Weise für den Zeitraum von 1791 bis 1837 am Schlusse des 24sten Bandes ergänzend und beleuchtend eintritt, wird sich in den folgenden Jahren an jeden einzelnen Jahrgang in sachgemäßem Umfange anschließen und den Faden des Hauptgewebes ununterbrochen fortspinnen. Unverkennbar hat diese Methode allein die Logik für sich, indem sie Doctrin wie Jurisprudenz jede in ihrem Bereiche unverkümmert läßt, während die alphabetische Ordnung von Dalloz nach einiger Zeit nothgedrungen zur chronologischen Ordnung zurückkehren muß, wenn sie ihr Werk nicht veralten lassen oder aber jedes Jahr von neuem beginnen will.

Was die innere Ausführung des Journal du Palais betrifft, so sind die vorliegenden 17 Bände der beste Beweis, mit welcher gewissenhaften Genauigkeit der Verfasser den Titel seines Werkes rechtfertigt. Eine große Anzahl wichtiger Erkenntnisse war nie aus den handschriftlichen Registern des Cassationshofes ausgezogen worden, andere waren in den Werken der Schriftsteller nur unvollständig angeführt, viele Urtheile der Gerichtshöfe in den Departementen, wiewohl von Werth, hatten keine Sammler gefunden oder waren den frühern entgangen; noch andere, die den Zeitraum des Cassationshofes vom Jahr 1790 bis 1793 betreffen, lagen in den Archiven des Königsreiches vergraben, und waren unbenutzt geblieben. Um all diesen Reichthum für das Journal du Palais zu benützen, ließ Ledru-Rollin und sein thätiger Verleger Patrice mehrere Mitarbeiter eigens die Provinz bereisen und sorgfältige Nachlese halten, verschiedene andere die Archive in Paris selbst durchstöbern und namentlich auch aus dem wichtigen Gebiete der Registrirungsgebühren- und streitigkeiten eine Reihe zerstreuter Urtheile aufnehmen. Auch die belgische und piemontesische Jurisprudenz ist darin vertreten. So geschah es denn, daß schon der 1ste Band des Journal du Palais über 400 Erkenntnisse mehr enthält als die übrigen Sammlungen, und zwar 400 Erkenntnisse, die in keinem der bestehenden Repertorien bisher vorgekommen waren. Vergleicht man die ersten 15 Bände des Journal du Palais mit den Sammlungen von Dalloz und Sivey in dem nämlichen Zeitraum (von 1791 bis 1820), so sieht man, daß Sivey 10,527, Dalloz 15,302 und Ledru-Rollin 25,546 Urtheile enthält. Wäre dieses Mehr auf Kosten der Sorgfalt und Genauigkeit der Darstellung erzielt, so wäre es nur ein werthloser Ueberfluß, aber der Augenschein lehrt, daß die einzelnen Erkenntnisse, überall wo es ihre Wichtigkeit erheischt, ausführlich geschildert und mit vergleichenden Noten, mit belehrenden Commentarien und einer scharfsinnigen Glosse begleitet sind, so daß schon im Verlauf der chronologischen Sammlung jenem dogmatischen Schlußwerke

Französisches Recht, Urtheilssammlung, Gerichtszeitung.

(Beschluß.) Welches ist nun der Weg, den Ledru-Rollin in seinem Journal du Palais eingeschlagen hat, um die Gebrechen seiner Vorgänger zu vermeiden, ohne auf deren Tugenden zu verzichten, und demgemäß als Ersatz der einen wie der andern zu dienen? Erstens: das Journal du Palais hat als Grundlage seiner Urtheilssammlung die chronologische Ordnung gewählt, und tritt in dieser Beziehung den Repertorien von Merlin und Dalloz entgegen, die alphabetisch sind. Gründe der triftigsten Art haben es in dieser Entschließung geleitet. Schon Bacon, der im 16ten Jahrhundert diese nämliche Frage untersuchte, hatte sich für die chronologische Ordnung ausgesprochen, indem er (Aph. 77) sagt: „sie ist die einfachste, denn sie bietet ein fortlaufendes Gemälde der Gesetze; der einsichtsvolle Richter aber schöpft Belehrung eben sowohl in der Epoche der ergangenen Urtheile, als in deren speciellen Umständen.“ Mehr noch als der Name dieses großen Denkers, den keine blinde Anhänglichkeit an das Hergebrachte irre leiten konnte, scheint uns der von ihm sehr kurz berührte Grund seiner Ueberzeugung der Beachtung werth. Nach dem im Eingange dieses Aufsatzes bezeichneten wahren Charakter der Rechtssprechung ist dieselbe nicht etwa ein todtes Bild einer Masse von Erkenntnissen, eine geistlose Mechanik, die bloß dem jeweiligen Bedürfniß einer Nachschlagung in diesem oder jenem Rechtsfalle dienen, für diese oder jene Meinung in einem Processe einen Anhaltspunkt darbieten soll, und daher als Beleg in verstümmelter Gestalt an diesen oder jenen Rechtssatz sich anfügen mag. Nein, die Rechtssprechung ist der wahre Geist des Rechtes, der vor Allem den todten Buchstaben des Gesetzes beleben soll, der ihn oft erst in das praktische Leben einführt, der ihn häufig deutet, mildert, ja nicht selten ganz anders erscheinen läßt, als ihn die bloße Theorie, fern vom Einflusse der Zeit und des Fortschrittes der Gesellschaft, verstanden, und der überall die vergangene und gegenwärtige Wissenschaft mit der zukünftigen, mit der neuen Gesetzgebung vermittelt. Daß dieß die wahre Natur der Jurisprudenz (ich gebrauche dieses Wort im oben erklärten französischen Sinne als Rechtssprechung), namentlich in einem Lande ist, wo öffentliche Rechtspflege besteht, wird jedem klar seyn, der einen Blick werfen will auf eine Reihe von Vorschriften des französischen Civilcodex, wie z. B. über eheliche und väterliche Gewalt, Testamente und Eigenthumsprivilegien, die alle von der Praxis der Gerichtshöfe mehr oder minder bedeutende Modificationen erfahren haben. Um nun aber die Autorität der Rechtssprechung in dieser Weise nach Gebühr würdigen zu können, ist es unerläßlich, daß jeder Spruch ganz, in seiner wahren Gestalt, in dem Prisma seiner besondern Thatsachen, seiner Oertlichkeit und seines geschichtlichen Datums sich dem Geiste darstelle, daß ihn, so wie er ein Element der Rechtsgeschichte bilden soll, auch wirklich der historische Hauch belebe, und z. B. die Erkenntnisse des Cassationshofes über adelige Güter, Feudalrechte und grundherrliche Abgaben, die nach den denkwürdigen Gesetzen der Nationalversammlung im J. 1789 und 1790 erlassen wurden, an ihrem rechten Orte und unbeschnitten vorkommen, und unverzüglich mit allen sonstigen Wahrzeichen der Epoche in Vergleichung gebracht werden können. Diesen Erheischungen zu entsprechen, ist aber nur der chronologischen Ordnung vergönnt, weil sie kein Erkenntniß zweimal zu geben braucht, darum dem Lichte und Schatten eines jeden den gehörigen Raum und die erforderliche Sorgfalt in vollem Maaße widmen kann, und außerdem in der natürlichen Zeitfolge selbst einem weitern Elemente der Uebersichtlichkeit begegnet. – Damit aber zweitens auch die Doctrin ihr gebührendes Recht habe, wird alsbald nach dem Schlusse des 24sten Bandes eine analytische Uebersicht der französischen Rechtswissenschaft folgen, die, dogmatisch nach den Materien geordnet, nicht bloß ein mageres Register seyn, sondern mehrere Bände füllen und ein wahres Repertorium bilden wird, in dem jeglicher Gegenstand, jede Lehre nach den vier folgenden Hauptgesichtspunkten beleuchtet ist: Allgemeine Grundsätze der Gesetzgebungslehre über den betreffenden Gegenstand und Meinung der Autoren; Text des positiven, bestehenden Gesetzes; synoptische Darstellung der richterlichen Erkenntnisse mit Hinweisung auf die Stelle, wo die Einzelnheiten zu finden sind, und endlich: eigene Ansichten und Bedenken des Verfassers. Was auf diese Weise für den Zeitraum von 1791 bis 1837 am Schlusse des 24sten Bandes ergänzend und beleuchtend eintritt, wird sich in den folgenden Jahren an jeden einzelnen Jahrgang in sachgemäßem Umfange anschließen und den Faden des Hauptgewebes ununterbrochen fortspinnen. Unverkennbar hat diese Methode allein die Logik für sich, indem sie Doctrin wie Jurisprudenz jede in ihrem Bereiche unverkümmert läßt, während die alphabetische Ordnung von Dalloz nach einiger Zeit nothgedrungen zur chronologischen Ordnung zurückkehren muß, wenn sie ihr Werk nicht veralten lassen oder aber jedes Jahr von neuem beginnen will.

Was die innere Ausführung des Journal du Palais betrifft, so sind die vorliegenden 17 Bände der beste Beweis, mit welcher gewissenhaften Genauigkeit der Verfasser den Titel seines Werkes rechtfertigt. Eine große Anzahl wichtiger Erkenntnisse war nie aus den handschriftlichen Registern des Cassationshofes ausgezogen worden, andere waren in den Werken der Schriftsteller nur unvollständig angeführt, viele Urtheile der Gerichtshöfe in den Departementen, wiewohl von Werth, hatten keine Sammler gefunden oder waren den frühern entgangen; noch andere, die den Zeitraum des Cassationshofes vom Jahr 1790 bis 1793 betreffen, lagen in den Archiven des Königsreiches vergraben, und waren unbenutzt geblieben. Um all diesen Reichthum für das Journal du Palais zu benützen, ließ Ledru-Rollin und sein thätiger Verleger Patrice mehrere Mitarbeiter eigens die Provinz bereisen und sorgfältige Nachlese halten, verschiedene andere die Archive in Paris selbst durchstöbern und namentlich auch aus dem wichtigen Gebiete der Registrirungsgebühren- und streitigkeiten eine Reihe zerstreuter Urtheile aufnehmen. Auch die belgische und piemontesische Jurisprudenz ist darin vertreten. So geschah es denn, daß schon der 1ste Band des Journal du Palais über 400 Erkenntnisse mehr enthält als die übrigen Sammlungen, und zwar 400 Erkenntnisse, die in keinem der bestehenden Repertorien bisher vorgekommen waren. Vergleicht man die ersten 15 Bände des Journal du Palais mit den Sammlungen von Dalloz und Sivey in dem nämlichen Zeitraum (von 1791 bis 1820), so sieht man, daß Sivey 10,527, Dalloz 15,302 und Ledru-Rollin 25,546 Urtheile enthält. Wäre dieses Mehr auf Kosten der Sorgfalt und Genauigkeit der Darstellung erzielt, so wäre es nur ein werthloser Ueberfluß, aber der Augenschein lehrt, daß die einzelnen Erkenntnisse, überall wo es ihre Wichtigkeit erheischt, ausführlich geschildert und mit vergleichenden Noten, mit belehrenden Commentarien und einer scharfsinnigen Glosse begleitet sind, so daß schon im Verlauf der chronologischen Sammlung jenem dogmatischen Schlußwerke

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Schon Bacon, der im 16ten Jahrhundert diese nämliche Frage untersuchte, hatte sich für die chronologische Ordnung ausgesprochen, indem er (Aph. 77) sagt: &#x201E;sie ist die einfachste, denn sie bietet ein fortlaufendes Gemälde der Gesetze; der einsichtsvolle Richter aber schöpft Belehrung eben sowohl in der Epoche der ergangenen Urtheile, als in deren speciellen Umständen.&#x201C; Mehr noch als der Name dieses großen Denkers, den keine blinde Anhänglichkeit an das Hergebrachte irre leiten konnte, scheint uns der von ihm sehr kurz berührte Grund seiner Ueberzeugung der Beachtung werth. Nach dem im Eingange dieses Aufsatzes bezeichneten wahren Charakter der Rechtssprechung ist dieselbe nicht etwa ein todtes Bild einer Masse von Erkenntnissen, eine geistlose Mechanik, die bloß dem jeweiligen Bedürfniß einer Nachschlagung in diesem oder jenem Rechtsfalle dienen, für diese oder jene Meinung in einem Processe einen Anhaltspunkt darbieten soll, und daher als Beleg in verstümmelter Gestalt an diesen oder jenen Rechtssatz sich anfügen mag. Nein, die Rechtssprechung ist der wahre Geist des Rechtes, der vor Allem den todten Buchstaben des Gesetzes beleben soll, der ihn oft erst in das praktische Leben einführt, der ihn häufig deutet, mildert, ja nicht selten ganz anders erscheinen läßt, als ihn die bloße Theorie, fern vom Einflusse der Zeit und des Fortschrittes der Gesellschaft, verstanden, und der überall die vergangene und gegenwärtige Wissenschaft mit der zukünftigen, mit der neuen Gesetzgebung vermittelt. Daß dieß die wahre Natur der Jurisprudenz (ich gebrauche dieses Wort im oben erklärten französischen Sinne als <hi rendition="#g">Rechtssprechung</hi>), namentlich in einem Lande ist, wo öffentliche Rechtspflege besteht, wird jedem klar seyn, der einen Blick werfen will auf eine Reihe von Vorschriften des französischen Civilcodex, wie z. B. über eheliche und väterliche Gewalt, Testamente und Eigenthumsprivilegien, die alle von der Praxis der Gerichtshöfe mehr oder minder bedeutende Modificationen erfahren haben. Um nun aber die Autorität der Rechtssprechung in dieser Weise nach Gebühr würdigen zu können, ist es unerläßlich, daß jeder Spruch ganz, in seiner wahren Gestalt, in dem Prisma seiner besondern Thatsachen, seiner Oertlichkeit und seines geschichtlichen Datums sich dem Geiste darstelle, daß ihn, so wie er ein Element der Rechtsgeschichte bilden soll, auch wirklich der historische Hauch belebe, und z. B. die Erkenntnisse des Cassationshofes über adelige Güter, Feudalrechte und grundherrliche Abgaben, die nach den denkwürdigen Gesetzen der Nationalversammlung im J. 1789 und 1790 erlassen wurden, an ihrem rechten Orte und unbeschnitten vorkommen, und unverzüglich mit allen sonstigen Wahrzeichen der Epoche in Vergleichung gebracht werden können. Diesen Erheischungen zu entsprechen, ist aber nur der chronologischen Ordnung vergönnt, weil sie kein Erkenntniß zweimal zu geben braucht, darum dem Lichte und Schatten eines jeden den gehörigen Raum und die erforderliche Sorgfalt in vollem Maaße widmen kann, und außerdem in der natürlichen Zeitfolge selbst einem weitern Elemente der Uebersichtlichkeit begegnet. &#x2013; Damit aber <hi rendition="#g">zweitens</hi> auch die Doctrin ihr gebührendes Recht habe, wird alsbald nach dem Schlusse des 24sten Bandes eine analytische Uebersicht der französischen Rechtswissenschaft folgen, die, dogmatisch nach den Materien geordnet, nicht bloß ein mageres Register seyn, sondern mehrere Bände füllen und ein wahres Repertorium bilden wird, in dem jeglicher Gegenstand, jede Lehre nach den vier folgenden Hauptgesichtspunkten beleuchtet ist: Allgemeine Grundsätze der Gesetzgebungslehre über den betreffenden Gegenstand und Meinung der Autoren; Text des positiven, bestehenden Gesetzes; synoptische Darstellung der richterlichen Erkenntnisse mit Hinweisung auf die Stelle, wo die Einzelnheiten zu finden sind, und endlich: eigene Ansichten und Bedenken des Verfassers. Was auf diese Weise für den Zeitraum von 1791 bis 1837 am Schlusse des 24sten Bandes ergänzend und beleuchtend eintritt, wird sich in den folgenden Jahren an jeden einzelnen Jahrgang in sachgemäßem Umfange anschließen und den Faden des Hauptgewebes ununterbrochen fortspinnen. Unverkennbar hat diese Methode allein die Logik für sich, indem sie Doctrin wie Jurisprudenz jede in ihrem Bereiche unverkümmert läßt, während die alphabetische Ordnung von Dalloz nach einiger Zeit nothgedrungen zur chronologischen Ordnung zurückkehren muß, wenn sie ihr Werk nicht veralten lassen oder aber jedes Jahr von neuem beginnen will.</p><lb/>
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[1049/0009] Französisches Recht, Urtheilssammlung, Gerichtszeitung. _ Paris. (Beschluß.) Welches ist nun der Weg, den Ledru-Rollin in seinem Journal du Palais eingeschlagen hat, um die Gebrechen seiner Vorgänger zu vermeiden, ohne auf deren Tugenden zu verzichten, und demgemäß als Ersatz der einen wie der andern zu dienen? Erstens: das Journal du Palais hat als Grundlage seiner Urtheilssammlung die chronologische Ordnung gewählt, und tritt in dieser Beziehung den Repertorien von Merlin und Dalloz entgegen, die alphabetisch sind. Gründe der triftigsten Art haben es in dieser Entschließung geleitet. Schon Bacon, der im 16ten Jahrhundert diese nämliche Frage untersuchte, hatte sich für die chronologische Ordnung ausgesprochen, indem er (Aph. 77) sagt: „sie ist die einfachste, denn sie bietet ein fortlaufendes Gemälde der Gesetze; der einsichtsvolle Richter aber schöpft Belehrung eben sowohl in der Epoche der ergangenen Urtheile, als in deren speciellen Umständen.“ Mehr noch als der Name dieses großen Denkers, den keine blinde Anhänglichkeit an das Hergebrachte irre leiten konnte, scheint uns der von ihm sehr kurz berührte Grund seiner Ueberzeugung der Beachtung werth. Nach dem im Eingange dieses Aufsatzes bezeichneten wahren Charakter der Rechtssprechung ist dieselbe nicht etwa ein todtes Bild einer Masse von Erkenntnissen, eine geistlose Mechanik, die bloß dem jeweiligen Bedürfniß einer Nachschlagung in diesem oder jenem Rechtsfalle dienen, für diese oder jene Meinung in einem Processe einen Anhaltspunkt darbieten soll, und daher als Beleg in verstümmelter Gestalt an diesen oder jenen Rechtssatz sich anfügen mag. Nein, die Rechtssprechung ist der wahre Geist des Rechtes, der vor Allem den todten Buchstaben des Gesetzes beleben soll, der ihn oft erst in das praktische Leben einführt, der ihn häufig deutet, mildert, ja nicht selten ganz anders erscheinen läßt, als ihn die bloße Theorie, fern vom Einflusse der Zeit und des Fortschrittes der Gesellschaft, verstanden, und der überall die vergangene und gegenwärtige Wissenschaft mit der zukünftigen, mit der neuen Gesetzgebung vermittelt. Daß dieß die wahre Natur der Jurisprudenz (ich gebrauche dieses Wort im oben erklärten französischen Sinne als Rechtssprechung), namentlich in einem Lande ist, wo öffentliche Rechtspflege besteht, wird jedem klar seyn, der einen Blick werfen will auf eine Reihe von Vorschriften des französischen Civilcodex, wie z. B. über eheliche und väterliche Gewalt, Testamente und Eigenthumsprivilegien, die alle von der Praxis der Gerichtshöfe mehr oder minder bedeutende Modificationen erfahren haben. Um nun aber die Autorität der Rechtssprechung in dieser Weise nach Gebühr würdigen zu können, ist es unerläßlich, daß jeder Spruch ganz, in seiner wahren Gestalt, in dem Prisma seiner besondern Thatsachen, seiner Oertlichkeit und seines geschichtlichen Datums sich dem Geiste darstelle, daß ihn, so wie er ein Element der Rechtsgeschichte bilden soll, auch wirklich der historische Hauch belebe, und z. B. die Erkenntnisse des Cassationshofes über adelige Güter, Feudalrechte und grundherrliche Abgaben, die nach den denkwürdigen Gesetzen der Nationalversammlung im J. 1789 und 1790 erlassen wurden, an ihrem rechten Orte und unbeschnitten vorkommen, und unverzüglich mit allen sonstigen Wahrzeichen der Epoche in Vergleichung gebracht werden können. Diesen Erheischungen zu entsprechen, ist aber nur der chronologischen Ordnung vergönnt, weil sie kein Erkenntniß zweimal zu geben braucht, darum dem Lichte und Schatten eines jeden den gehörigen Raum und die erforderliche Sorgfalt in vollem Maaße widmen kann, und außerdem in der natürlichen Zeitfolge selbst einem weitern Elemente der Uebersichtlichkeit begegnet. – Damit aber zweitens auch die Doctrin ihr gebührendes Recht habe, wird alsbald nach dem Schlusse des 24sten Bandes eine analytische Uebersicht der französischen Rechtswissenschaft folgen, die, dogmatisch nach den Materien geordnet, nicht bloß ein mageres Register seyn, sondern mehrere Bände füllen und ein wahres Repertorium bilden wird, in dem jeglicher Gegenstand, jede Lehre nach den vier folgenden Hauptgesichtspunkten beleuchtet ist: Allgemeine Grundsätze der Gesetzgebungslehre über den betreffenden Gegenstand und Meinung der Autoren; Text des positiven, bestehenden Gesetzes; synoptische Darstellung der richterlichen Erkenntnisse mit Hinweisung auf die Stelle, wo die Einzelnheiten zu finden sind, und endlich: eigene Ansichten und Bedenken des Verfassers. Was auf diese Weise für den Zeitraum von 1791 bis 1837 am Schlusse des 24sten Bandes ergänzend und beleuchtend eintritt, wird sich in den folgenden Jahren an jeden einzelnen Jahrgang in sachgemäßem Umfange anschließen und den Faden des Hauptgewebes ununterbrochen fortspinnen. Unverkennbar hat diese Methode allein die Logik für sich, indem sie Doctrin wie Jurisprudenz jede in ihrem Bereiche unverkümmert läßt, während die alphabetische Ordnung von Dalloz nach einiger Zeit nothgedrungen zur chronologischen Ordnung zurückkehren muß, wenn sie ihr Werk nicht veralten lassen oder aber jedes Jahr von neuem beginnen will. Was die innere Ausführung des Journal du Palais betrifft, so sind die vorliegenden 17 Bände der beste Beweis, mit welcher gewissenhaften Genauigkeit der Verfasser den Titel seines Werkes rechtfertigt. Eine große Anzahl wichtiger Erkenntnisse war nie aus den handschriftlichen Registern des Cassationshofes ausgezogen worden, andere waren in den Werken der Schriftsteller nur unvollständig angeführt, viele Urtheile der Gerichtshöfe in den Departementen, wiewohl von Werth, hatten keine Sammler gefunden oder waren den frühern entgangen; noch andere, die den Zeitraum des Cassationshofes vom Jahr 1790 bis 1793 betreffen, lagen in den Archiven des Königsreiches vergraben, und waren unbenutzt geblieben. Um all diesen Reichthum für das Journal du Palais zu benützen, ließ Ledru-Rollin und sein thätiger Verleger Patrice mehrere Mitarbeiter eigens die Provinz bereisen und sorgfältige Nachlese halten, verschiedene andere die Archive in Paris selbst durchstöbern und namentlich auch aus dem wichtigen Gebiete der Registrirungsgebühren- und streitigkeiten eine Reihe zerstreuter Urtheile aufnehmen. Auch die belgische und piemontesische Jurisprudenz ist darin vertreten. So geschah es denn, daß schon der 1ste Band des Journal du Palais über 400 Erkenntnisse mehr enthält als die übrigen Sammlungen, und zwar 400 Erkenntnisse, die in keinem der bestehenden Repertorien bisher vorgekommen waren. Vergleicht man die ersten 15 Bände des Journal du Palais mit den Sammlungen von Dalloz und Sivey in dem nämlichen Zeitraum (von 1791 bis 1820), so sieht man, daß Sivey 10,527, Dalloz 15,302 und Ledru-Rollin 25,546 Urtheile enthält. Wäre dieses Mehr auf Kosten der Sorgfalt und Genauigkeit der Darstellung erzielt, so wäre es nur ein werthloser Ueberfluß, aber der Augenschein lehrt, daß die einzelnen Erkenntnisse, überall wo es ihre Wichtigkeit erheischt, ausführlich geschildert und mit vergleichenden Noten, mit belehrenden Commentarien und einer scharfsinnigen Glosse begleitet sind, so daß schon im Verlauf der chronologischen Sammlung jenem dogmatischen Schlußwerke

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 132. Augsburg, 11. Mai 1840, S. 1049. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_132_18400511/9>, abgerufen am 29.03.2024.