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Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840.

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Familie auf dem Balcon der Tuilerien, worauf das Concert der Militärmusik begann. Die Marseillaise wurde am Anfang und am Schlusse gespielt und mit donnernden Bravos bgrüßt; der König erhob sich von seinem Sitze als das berühmte Lied ertönte, so erzählen wenigstens einige Blätter. Um halb neun Uhr begann das Feuerwerk, welches der König selbst durch das Anzünden der ersten Rakete eröffnete. Das Feuerwerk stellte zur Linken ein Minaret, den Vertheidigern von Masagran gewidmet, zur Rechten einen Wappenschild mit den Namenszügen der Neuvermählten dar; in der Mitte brannte ein Tempel von maurischen Formen.

Ein herrliches Wetter begünstigte die Feier des Philippstages. Der Tuileriengarten, die Place de la Concorde und die Champs-Elysees waren von frühem Morgen an von den wogenden Massen der Spaziergänger und Schaulustigen angefüllt. Die Menge drängte sich besonders zu den militärischen Pantomimen. Auf der Place de la Concorde sprangen zwei neue Springbrunnen; in den Champs-Elysees waren wie gewöhnlich Kletterstangen errichtet und Musikbanden spielten zum Tanz auf. "Die Statue der Freiheitsgöttin - sagt der Moniteur - welche seit zwei Tagen auf der Juliussäule steht, zog viele Spaziergänger, wie auch die Freunde der Kunst und des Nationalruhms an."

Der Constitutionnel versichert, der Graf von Paris habe nicht die Blattern gehabt, wie einige Journale gesagt hatten, sondern die Masern, von denen jetzt auch die Herzogin von Orleans ergriffen sey.

Die ministerielle Revue des deux Mondes sagt in ihrer neuesten politischen Uebersicht: "Unsre Verhältnisse mit dem Ausland spüren den Einfluß von zwei eminenten Männern - Thiers und Guizot. Hr. Guizot hat in England den vollständigen Erfolg errungen, der seinen Talenten, seinem Charakter und Ruf gebührte. Der Präsident des Conseils findet, mit jener edlen Unparteilichkeit, die nur bedeutenden Männern eigen ist, ein Vergnügen daran, sich in Lob zu ergießen über die Dienste, welche der berühmte Repräsentant Frankreichs in London dem Lande leistet. - Die neapolitanische Frage beschäftigt gegenwärtig die Gemüther am meisten. England hat keine Zeit verloren; mit Schwachen macht man wenig Umstände; mehrere neapolitanische Fahrzeuge sind von englischen Kreuzern weggenommen worden. Hoffen wir, daß die freundschaftliche Intervention Frankreichs diesem häßlichen Streit um so leichter ein Ende machen werde, als das gute Recht sich auf keiner Seite ganz befindet. Bei der Lage der Dinge, die der Einführung des Schwefelmonopols folgte, hatte Jedermann, mit Ausnahme der Compagnie, das Recht sich zu beklagen und den König von Neapel auf die traurigen politischen wie ökonomischen Folgen einer Maaßregel aufmerksam zu machen, deren Nutzen sich auf einige hunderttausend Franken beschränkte, die in den Schatz flossen. Jedermann konnte der Regierung von Neapel hierüber dieselben freundschaftlichen Vorstellungen machen, wie man sie Frankreich machen könnte, wenn es uns einfiele, einer Compagnie das Monopol des Bordeauxweins oder des Champagners zu verleihen. Dagegen hätte Niemand das Recht, Frankreich zu einer Zurücknahme dieser Maaßregel zu zwingen. Wenn auch die Weinberge der Champagne oder Gascogne sämmtlich Preußen, Engländern, Spaniern angehörten, so hätten doch die Regierungen von Preußen, England und Spanien nicht das Recht, in unsre Gesetzgebung sich einzumischen, und uns zu einer Modification derselben zu zwingen. Und gewiß, wenn man uns in einem solchen Falle Aufforderungen der Art machen würde, wie Hr. Temple sie an den König von Neapel gerichtet zu haben scheint, so würde Frankreich, wie lebhaft auch sein Wunsch wäre den Weltfrieden ungestört zu lassen, anfangs durch eine trockene Weigerung und dann mit Kanonenschüssen antworten. In einem Vertrag, der zwischen England und Neapel im Jahre 1816 abgeschlossen worden, findet sich ein Artikel, welcher bestimmt, daß die Engländer in Sicilien auf dem Fuße der begünstigtsten Nationen behandelt werden sollen, daß sie Güter daselbst kaufen, besitzen, verkaufen und darüber verfügen dürfen, wie die Eingebornen. Was beweist dieß? In hundert europäischen Tractaten findet sich diese Clausel, die eine Sache der Form ist. Wollte man sie auslegen, wie die Engländer, so gäbe es keinen Staat in Europa, der noch Herr im eigenen Haus, oberster Schiedsrichter seiner Interessen und seiner Gesetzgebung wäre; es gäbe keinen, der nicht, bevor er eine Finanzmaaßregel ergriffe, die Regierungen, mit denen er Verträge geschlossen, um Rath fragen, sie um die Erlaubniß bitten müßte, seine Gesetze zu modificiren. Von diesem Gesichtspunkt aus genommen ist die Frage sehr ernst, denn es handelt sich um Präcedentien, welche nicht nur den Staat Neapel, sondern alle Nationen, die auf ihre Autorität, ihre Unabhängigkeit und Würde halten, interessiren. - Der König von Neapel hat einen starken Verwaltungsfehler begangen, indem er ein so seltsames Monopol einführte. England konnte ihm darüber diplomatische Vorstellungen machen wie einem Freund, der einen Irrthum begeht; Frankreich konnte dasselbe thun, so wie jede Regierung, welche Handelsverbindungen mit Neapel unterhält, aber keine hatte das Recht mit Gewalt einzuschreiten. Zur Wegnahme von Fahrzeugen und zum Krieg war kein rechtmäßiger Grund vorhanden. Indessen hat der König von Neapel seiner Sache selbst geschadet, und England gerechten Grund zu Beschwerden gegeben. Man sagt, daß nach den ersten Vorstellungen Englands die neapolitanische Regierung unter dem Ministerium des Herzogs von Cassaro das Versprechen gegeben habe, das Monopol wieder abzuschaffen. Aber, erzählt man ferner, im Augenblick, wo das Versprechen erfüllt werden sollte, fand eine plötzliche Aenderung, deren Ursache wir nicht ergründen können, im neapolitanischen Cabinet statt, und der Widerruf des Monopols wurde verweigert; was weiter erfolgt, ist bekannt. Wenn diese Angaben wahr sind, so hat England ein unbestreitbares Recht. Sein Recht datirt nicht von 1816, sondern von dem Tag an, wo man mit dem englischen Gesandten und der englischen Regierung sein Spiel getrieben. Es hat nicht das Recht, in die Gesetzgebung und die Verwaltung Siciliens sich einzumischen, wohl aber kann es eine Genugthuung fordern, daß man ein ihm gegebenes Versprechen nicht gehalten. Ob es diese Genugthuung unter der Form einer Entschädigung oder durch Abschaffung des Monopols erhalte, ist zweifelsohne der Gegenstand der Unterhandlung. Und wie gesagt, die Unterhandlung muß gelingen, weil keiner das Recht ganz auf seiner Seite hat; in einem solchen Fall ist die Ausgleichung möglich, ja leicht."

Unsere Tageschronik ist ein buntes Feld, auf dem sich Freud und Leid, Lust und Unglück, Jauchzen und Wehklagen im seltsamsten Gemische durcheinander drängen. Hier, im königlichen Schlosse, eine Hochzeit und ununterbrochene Feste, wenn auch nur in sehr beschränktem Kreise; in den Departements eine dumpf gährende Unbehaglichkeit und Meutereien gegen die Theurung der Fruchtpreise; in Paris, in der schönen, müßigen Welt, großer Beifall über das seltsame Juniuswetter, das den regnerischen und schauerigen April wie verdrängt hat; in den untern Classen und an der Börse besorgliches Hinblicken auf die Saat, die der göttlichen Befeuchtung

Familie auf dem Balcon der Tuilerien, worauf das Concert der Militärmusik begann. Die Marseillaise wurde am Anfang und am Schlusse gespielt und mit donnernden Bravos bgrüßt; der König erhob sich von seinem Sitze als das berühmte Lied ertönte, so erzählen wenigstens einige Blätter. Um halb neun Uhr begann das Feuerwerk, welches der König selbst durch das Anzünden der ersten Rakete eröffnete. Das Feuerwerk stellte zur Linken ein Minaret, den Vertheidigern von Masagran gewidmet, zur Rechten einen Wappenschild mit den Namenszügen der Neuvermählten dar; in der Mitte brannte ein Tempel von maurischen Formen.

Ein herrliches Wetter begünstigte die Feier des Philippstages. Der Tuileriengarten, die Place de la Concorde und die Champs-Elysées waren von frühem Morgen an von den wogenden Massen der Spaziergänger und Schaulustigen angefüllt. Die Menge drängte sich besonders zu den militärischen Pantomimen. Auf der Place de la Concorde sprangen zwei neue Springbrunnen; in den Champs-Elysées waren wie gewöhnlich Kletterstangen errichtet und Musikbanden spielten zum Tanz auf. „Die Statue der Freiheitsgöttin – sagt der Moniteur – welche seit zwei Tagen auf der Juliussäule steht, zog viele Spaziergänger, wie auch die Freunde der Kunst und des Nationalruhms an.“

Der Constitutionnel versichert, der Graf von Paris habe nicht die Blattern gehabt, wie einige Journale gesagt hatten, sondern die Masern, von denen jetzt auch die Herzogin von Orleans ergriffen sey.

Die ministerielle Revue des deux Mondes sagt in ihrer neuesten politischen Uebersicht: „Unsre Verhältnisse mit dem Ausland spüren den Einfluß von zwei eminenten Männern – Thiers und Guizot. Hr. Guizot hat in England den vollständigen Erfolg errungen, der seinen Talenten, seinem Charakter und Ruf gebührte. Der Präsident des Conseils findet, mit jener edlen Unparteilichkeit, die nur bedeutenden Männern eigen ist, ein Vergnügen daran, sich in Lob zu ergießen über die Dienste, welche der berühmte Repräsentant Frankreichs in London dem Lande leistet. – Die neapolitanische Frage beschäftigt gegenwärtig die Gemüther am meisten. England hat keine Zeit verloren; mit Schwachen macht man wenig Umstände; mehrere neapolitanische Fahrzeuge sind von englischen Kreuzern weggenommen worden. Hoffen wir, daß die freundschaftliche Intervention Frankreichs diesem häßlichen Streit um so leichter ein Ende machen werde, als das gute Recht sich auf keiner Seite ganz befindet. Bei der Lage der Dinge, die der Einführung des Schwefelmonopols folgte, hatte Jedermann, mit Ausnahme der Compagnie, das Recht sich zu beklagen und den König von Neapel auf die traurigen politischen wie ökonomischen Folgen einer Maaßregel aufmerksam zu machen, deren Nutzen sich auf einige hunderttausend Franken beschränkte, die in den Schatz flossen. Jedermann konnte der Regierung von Neapel hierüber dieselben freundschaftlichen Vorstellungen machen, wie man sie Frankreich machen könnte, wenn es uns einfiele, einer Compagnie das Monopol des Bordeauxweins oder des Champagners zu verleihen. Dagegen hätte Niemand das Recht, Frankreich zu einer Zurücknahme dieser Maaßregel zu zwingen. Wenn auch die Weinberge der Champagne oder Gascogne sämmtlich Preußen, Engländern, Spaniern angehörten, so hätten doch die Regierungen von Preußen, England und Spanien nicht das Recht, in unsre Gesetzgebung sich einzumischen, und uns zu einer Modification derselben zu zwingen. Und gewiß, wenn man uns in einem solchen Falle Aufforderungen der Art machen würde, wie Hr. Temple sie an den König von Neapel gerichtet zu haben scheint, so würde Frankreich, wie lebhaft auch sein Wunsch wäre den Weltfrieden ungestört zu lassen, anfangs durch eine trockene Weigerung und dann mit Kanonenschüssen antworten. In einem Vertrag, der zwischen England und Neapel im Jahre 1816 abgeschlossen worden, findet sich ein Artikel, welcher bestimmt, daß die Engländer in Sicilien auf dem Fuße der begünstigtsten Nationen behandelt werden sollen, daß sie Güter daselbst kaufen, besitzen, verkaufen und darüber verfügen dürfen, wie die Eingebornen. Was beweist dieß? In hundert europäischen Tractaten findet sich diese Clausel, die eine Sache der Form ist. Wollte man sie auslegen, wie die Engländer, so gäbe es keinen Staat in Europa, der noch Herr im eigenen Haus, oberster Schiedsrichter seiner Interessen und seiner Gesetzgebung wäre; es gäbe keinen, der nicht, bevor er eine Finanzmaaßregel ergriffe, die Regierungen, mit denen er Verträge geschlossen, um Rath fragen, sie um die Erlaubniß bitten müßte, seine Gesetze zu modificiren. Von diesem Gesichtspunkt aus genommen ist die Frage sehr ernst, denn es handelt sich um Präcedentien, welche nicht nur den Staat Neapel, sondern alle Nationen, die auf ihre Autorität, ihre Unabhängigkeit und Würde halten, interessiren. – Der König von Neapel hat einen starken Verwaltungsfehler begangen, indem er ein so seltsames Monopol einführte. England konnte ihm darüber diplomatische Vorstellungen machen wie einem Freund, der einen Irrthum begeht; Frankreich konnte dasselbe thun, so wie jede Regierung, welche Handelsverbindungen mit Neapel unterhält, aber keine hatte das Recht mit Gewalt einzuschreiten. Zur Wegnahme von Fahrzeugen und zum Krieg war kein rechtmäßiger Grund vorhanden. Indessen hat der König von Neapel seiner Sache selbst geschadet, und England gerechten Grund zu Beschwerden gegeben. Man sagt, daß nach den ersten Vorstellungen Englands die neapolitanische Regierung unter dem Ministerium des Herzogs von Cassaro das Versprechen gegeben habe, das Monopol wieder abzuschaffen. Aber, erzählt man ferner, im Augenblick, wo das Versprechen erfüllt werden sollte, fand eine plötzliche Aenderung, deren Ursache wir nicht ergründen können, im neapolitanischen Cabinet statt, und der Widerruf des Monopols wurde verweigert; was weiter erfolgt, ist bekannt. Wenn diese Angaben wahr sind, so hat England ein unbestreitbares Recht. Sein Recht datirt nicht von 1816, sondern von dem Tag an, wo man mit dem englischen Gesandten und der englischen Regierung sein Spiel getrieben. Es hat nicht das Recht, in die Gesetzgebung und die Verwaltung Siciliens sich einzumischen, wohl aber kann es eine Genugthuung fordern, daß man ein ihm gegebenes Versprechen nicht gehalten. Ob es diese Genugthuung unter der Form einer Entschädigung oder durch Abschaffung des Monopols erhalte, ist zweifelsohne der Gegenstand der Unterhandlung. Und wie gesagt, die Unterhandlung muß gelingen, weil keiner das Recht ganz auf seiner Seite hat; in einem solchen Fall ist die Ausgleichung möglich, ja leicht.“

Unsere Tageschronik ist ein buntes Feld, auf dem sich Freud und Leid, Lust und Unglück, Jauchzen und Wehklagen im seltsamsten Gemische durcheinander drängen. Hier, im königlichen Schlosse, eine Hochzeit und ununterbrochene Feste, wenn auch nur in sehr beschränktem Kreise; in den Departements eine dumpf gährende Unbehaglichkeit und Meutereien gegen die Theurung der Fruchtpreise; in Paris, in der schönen, müßigen Welt, großer Beifall über das seltsame Juniuswetter, das den regnerischen und schauerigen April wie verdrängt hat; in den untern Classen und an der Börse besorgliches Hinblicken auf die Saat, die der göttlichen Befeuchtung

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Familie auf dem Balcon der Tuilerien, worauf das Concert der Militärmusik begann. Die Marseillaise wurde am Anfang und am Schlusse gespielt und mit donnernden Bravos bgrüßt; der König erhob sich von seinem Sitze als das berühmte Lied ertönte, so erzählen wenigstens einige Blätter. Um halb neun Uhr begann das Feuerwerk, welches der König selbst durch das Anzünden der ersten Rakete eröffnete. Das Feuerwerk stellte zur Linken ein Minaret, den Vertheidigern von Masagran gewidmet, zur Rechten einen Wappenschild mit den Namenszügen der Neuvermählten dar; in der Mitte brannte ein Tempel von maurischen Formen.</p><lb/>
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Hoffen wir, daß die freundschaftliche Intervention Frankreichs diesem häßlichen Streit um so leichter ein Ende machen werde, als das gute Recht sich auf keiner Seite ganz befindet. Bei der Lage der Dinge, die der Einführung des Schwefelmonopols folgte, hatte Jedermann, mit Ausnahme der Compagnie, das Recht sich zu beklagen und den König von Neapel auf die traurigen politischen wie ökonomischen Folgen einer Maaßregel aufmerksam zu machen, deren Nutzen sich auf einige hunderttausend Franken beschränkte, die in den Schatz flossen. Jedermann konnte der Regierung von Neapel hierüber dieselben freundschaftlichen Vorstellungen machen, wie man sie Frankreich machen könnte, wenn es uns einfiele, einer Compagnie das Monopol des Bordeauxweins oder des Champagners zu verleihen. Dagegen hätte Niemand das Recht, Frankreich zu einer Zurücknahme dieser Maaßregel zu zwingen. Wenn auch die Weinberge der Champagne oder Gascogne sämmtlich Preußen, Engländern, Spaniern angehörten, so hätten doch die Regierungen von Preußen, England und Spanien nicht das Recht, in unsre Gesetzgebung sich einzumischen, und uns zu einer Modification derselben zu zwingen. Und gewiß, wenn man uns in einem solchen Falle Aufforderungen der Art machen würde, wie Hr. Temple sie an den König von Neapel gerichtet zu haben scheint, so würde Frankreich, wie lebhaft auch sein Wunsch wäre den Weltfrieden ungestört zu lassen, anfangs durch eine trockene Weigerung und dann mit Kanonenschüssen antworten. In einem Vertrag, der zwischen England und Neapel im Jahre 1816 abgeschlossen worden, findet sich ein Artikel, welcher bestimmt, daß die Engländer in Sicilien auf dem Fuße der begünstigtsten Nationen behandelt werden sollen, daß sie Güter daselbst kaufen, besitzen, verkaufen und darüber verfügen dürfen, wie die Eingebornen. Was beweist dieß? In hundert europäischen Tractaten findet sich diese Clausel, die eine Sache der Form ist. Wollte man sie auslegen, wie die Engländer, so gäbe es keinen Staat in Europa, der noch Herr im eigenen Haus, oberster Schiedsrichter seiner Interessen und seiner Gesetzgebung wäre; es gäbe keinen, der nicht, bevor er eine Finanzmaaßregel ergriffe, die Regierungen, mit denen er Verträge geschlossen, um Rath fragen, sie um die Erlaubniß bitten müßte, seine Gesetze zu modificiren. Von diesem Gesichtspunkt aus genommen ist die Frage sehr ernst, denn es handelt sich um Präcedentien, welche nicht nur den Staat Neapel, sondern alle Nationen, die auf ihre Autorität, ihre Unabhängigkeit und Würde halten, interessiren. &#x2013; Der König von Neapel hat einen starken Verwaltungsfehler begangen, indem er ein so seltsames Monopol einführte. England konnte ihm darüber diplomatische Vorstellungen machen wie einem Freund, der einen Irrthum begeht; Frankreich konnte dasselbe thun, so wie jede Regierung, welche Handelsverbindungen mit Neapel unterhält, aber keine hatte das Recht mit Gewalt einzuschreiten. Zur Wegnahme von Fahrzeugen und zum Krieg war kein rechtmäßiger Grund vorhanden. Indessen hat der König von Neapel seiner Sache selbst geschadet, und England gerechten Grund zu Beschwerden gegeben. Man sagt, daß nach den ersten Vorstellungen Englands die neapolitanische Regierung unter dem Ministerium des Herzogs von Cassaro das Versprechen gegeben habe, das Monopol wieder abzuschaffen. Aber, erzählt man ferner, im Augenblick, wo das Versprechen erfüllt werden sollte, fand eine plötzliche Aenderung, deren Ursache wir nicht ergründen können, im neapolitanischen Cabinet statt, und der Widerruf des Monopols wurde verweigert; was weiter erfolgt, ist bekannt. Wenn diese Angaben wahr sind, so hat England ein unbestreitbares Recht. Sein Recht datirt nicht von 1816, sondern von dem Tag an, wo man mit dem englischen Gesandten und der englischen Regierung sein Spiel getrieben. Es hat nicht das Recht, in die Gesetzgebung und die Verwaltung Siciliens sich einzumischen, wohl aber kann es eine Genugthuung fordern, daß man ein ihm gegebenes Versprechen nicht gehalten. Ob es diese Genugthuung unter der Form einer Entschädigung oder durch Abschaffung des Monopols erhalte, ist zweifelsohne der Gegenstand der Unterhandlung. Und wie gesagt, die Unterhandlung muß gelingen, weil keiner das Recht ganz auf seiner Seite hat; in einem solchen Fall ist die Ausgleichung möglich, ja leicht.&#x201C;</p>
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[1019/0003] Familie auf dem Balcon der Tuilerien, worauf das Concert der Militärmusik begann. Die Marseillaise wurde am Anfang und am Schlusse gespielt und mit donnernden Bravos bgrüßt; der König erhob sich von seinem Sitze als das berühmte Lied ertönte, so erzählen wenigstens einige Blätter. Um halb neun Uhr begann das Feuerwerk, welches der König selbst durch das Anzünden der ersten Rakete eröffnete. Das Feuerwerk stellte zur Linken ein Minaret, den Vertheidigern von Masagran gewidmet, zur Rechten einen Wappenschild mit den Namenszügen der Neuvermählten dar; in der Mitte brannte ein Tempel von maurischen Formen. Ein herrliches Wetter begünstigte die Feier des Philippstages. Der Tuileriengarten, die Place de la Concorde und die Champs-Elysées waren von frühem Morgen an von den wogenden Massen der Spaziergänger und Schaulustigen angefüllt. Die Menge drängte sich besonders zu den militärischen Pantomimen. Auf der Place de la Concorde sprangen zwei neue Springbrunnen; in den Champs-Elysées waren wie gewöhnlich Kletterstangen errichtet und Musikbanden spielten zum Tanz auf. „Die Statue der Freiheitsgöttin – sagt der Moniteur – welche seit zwei Tagen auf der Juliussäule steht, zog viele Spaziergänger, wie auch die Freunde der Kunst und des Nationalruhms an.“ Der Constitutionnel versichert, der Graf von Paris habe nicht die Blattern gehabt, wie einige Journale gesagt hatten, sondern die Masern, von denen jetzt auch die Herzogin von Orleans ergriffen sey. Die ministerielle Revue des deux Mondes sagt in ihrer neuesten politischen Uebersicht: „Unsre Verhältnisse mit dem Ausland spüren den Einfluß von zwei eminenten Männern – Thiers und Guizot. Hr. Guizot hat in England den vollständigen Erfolg errungen, der seinen Talenten, seinem Charakter und Ruf gebührte. Der Präsident des Conseils findet, mit jener edlen Unparteilichkeit, die nur bedeutenden Männern eigen ist, ein Vergnügen daran, sich in Lob zu ergießen über die Dienste, welche der berühmte Repräsentant Frankreichs in London dem Lande leistet. – Die neapolitanische Frage beschäftigt gegenwärtig die Gemüther am meisten. England hat keine Zeit verloren; mit Schwachen macht man wenig Umstände; mehrere neapolitanische Fahrzeuge sind von englischen Kreuzern weggenommen worden. Hoffen wir, daß die freundschaftliche Intervention Frankreichs diesem häßlichen Streit um so leichter ein Ende machen werde, als das gute Recht sich auf keiner Seite ganz befindet. Bei der Lage der Dinge, die der Einführung des Schwefelmonopols folgte, hatte Jedermann, mit Ausnahme der Compagnie, das Recht sich zu beklagen und den König von Neapel auf die traurigen politischen wie ökonomischen Folgen einer Maaßregel aufmerksam zu machen, deren Nutzen sich auf einige hunderttausend Franken beschränkte, die in den Schatz flossen. Jedermann konnte der Regierung von Neapel hierüber dieselben freundschaftlichen Vorstellungen machen, wie man sie Frankreich machen könnte, wenn es uns einfiele, einer Compagnie das Monopol des Bordeauxweins oder des Champagners zu verleihen. Dagegen hätte Niemand das Recht, Frankreich zu einer Zurücknahme dieser Maaßregel zu zwingen. Wenn auch die Weinberge der Champagne oder Gascogne sämmtlich Preußen, Engländern, Spaniern angehörten, so hätten doch die Regierungen von Preußen, England und Spanien nicht das Recht, in unsre Gesetzgebung sich einzumischen, und uns zu einer Modification derselben zu zwingen. Und gewiß, wenn man uns in einem solchen Falle Aufforderungen der Art machen würde, wie Hr. Temple sie an den König von Neapel gerichtet zu haben scheint, so würde Frankreich, wie lebhaft auch sein Wunsch wäre den Weltfrieden ungestört zu lassen, anfangs durch eine trockene Weigerung und dann mit Kanonenschüssen antworten. In einem Vertrag, der zwischen England und Neapel im Jahre 1816 abgeschlossen worden, findet sich ein Artikel, welcher bestimmt, daß die Engländer in Sicilien auf dem Fuße der begünstigtsten Nationen behandelt werden sollen, daß sie Güter daselbst kaufen, besitzen, verkaufen und darüber verfügen dürfen, wie die Eingebornen. Was beweist dieß? In hundert europäischen Tractaten findet sich diese Clausel, die eine Sache der Form ist. Wollte man sie auslegen, wie die Engländer, so gäbe es keinen Staat in Europa, der noch Herr im eigenen Haus, oberster Schiedsrichter seiner Interessen und seiner Gesetzgebung wäre; es gäbe keinen, der nicht, bevor er eine Finanzmaaßregel ergriffe, die Regierungen, mit denen er Verträge geschlossen, um Rath fragen, sie um die Erlaubniß bitten müßte, seine Gesetze zu modificiren. Von diesem Gesichtspunkt aus genommen ist die Frage sehr ernst, denn es handelt sich um Präcedentien, welche nicht nur den Staat Neapel, sondern alle Nationen, die auf ihre Autorität, ihre Unabhängigkeit und Würde halten, interessiren. – Der König von Neapel hat einen starken Verwaltungsfehler begangen, indem er ein so seltsames Monopol einführte. England konnte ihm darüber diplomatische Vorstellungen machen wie einem Freund, der einen Irrthum begeht; Frankreich konnte dasselbe thun, so wie jede Regierung, welche Handelsverbindungen mit Neapel unterhält, aber keine hatte das Recht mit Gewalt einzuschreiten. Zur Wegnahme von Fahrzeugen und zum Krieg war kein rechtmäßiger Grund vorhanden. Indessen hat der König von Neapel seiner Sache selbst geschadet, und England gerechten Grund zu Beschwerden gegeben. Man sagt, daß nach den ersten Vorstellungen Englands die neapolitanische Regierung unter dem Ministerium des Herzogs von Cassaro das Versprechen gegeben habe, das Monopol wieder abzuschaffen. Aber, erzählt man ferner, im Augenblick, wo das Versprechen erfüllt werden sollte, fand eine plötzliche Aenderung, deren Ursache wir nicht ergründen können, im neapolitanischen Cabinet statt, und der Widerruf des Monopols wurde verweigert; was weiter erfolgt, ist bekannt. Wenn diese Angaben wahr sind, so hat England ein unbestreitbares Recht. Sein Recht datirt nicht von 1816, sondern von dem Tag an, wo man mit dem englischen Gesandten und der englischen Regierung sein Spiel getrieben. Es hat nicht das Recht, in die Gesetzgebung und die Verwaltung Siciliens sich einzumischen, wohl aber kann es eine Genugthuung fordern, daß man ein ihm gegebenes Versprechen nicht gehalten. Ob es diese Genugthuung unter der Form einer Entschädigung oder durch Abschaffung des Monopols erhalte, ist zweifelsohne der Gegenstand der Unterhandlung. Und wie gesagt, die Unterhandlung muß gelingen, weil keiner das Recht ganz auf seiner Seite hat; in einem solchen Fall ist die Ausgleichung möglich, ja leicht.“ _ Paris, 2 Mai. Unsere Tageschronik ist ein buntes Feld, auf dem sich Freud und Leid, Lust und Unglück, Jauchzen und Wehklagen im seltsamsten Gemische durcheinander drängen. Hier, im königlichen Schlosse, eine Hochzeit und ununterbrochene Feste, wenn auch nur in sehr beschränktem Kreise; in den Departements eine dumpf gährende Unbehaglichkeit und Meutereien gegen die Theurung der Fruchtpreise; in Paris, in der schönen, müßigen Welt, großer Beifall über das seltsame Juniuswetter, das den regnerischen und schauerigen April wie verdrängt hat; in den untern Classen und an der Börse besorgliches Hinblicken auf die Saat, die der göttlichen Befeuchtung

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840, S. 1019. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/3>, abgerufen am 24.11.2024.