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Allgemeine Zeitung. Nr. 127. Augsburg, 6. Mai 1840.

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Bord, der gewöhnlich ein Spanier ist, und als Ober-Cargador mit dem Kauf und Verkauf der an Bord gebrachten Güter beauftragt ist. In Cuba angelangt, wechseln die Capitäne ihre Rollen; der Spanier wird Befehlshaber, der Amerikaner aber bloßer Cajüten-Passagier, der nun für nichts weiter verantwortlich ist, und die amerikanischen Matrosen werden ebenfalls entlassen, um an ihrer Statt eine Anzahl bewaffneter Spanier und Creolen anzuwerben. Das Schiff wird jetzt mit zwei oder vier Kanonen versehen, und nun geht es auf die Negerjagd. Wenn es die beabsichtigte Anzahl derselben an Bord hat, so steuert es nach der amerikanischen oder texanischen Küste, wobei der Cajüten-Passagier in schwierigen Fällen, wenn nämlich ein englisches oder französisches Kriegsschiff in der Nähe ist, nicht selten einen oder den andern guten Rath ertheilt, bis man endlich die Neger irgendwo landet und sogleich wieder nach Cuba zurückkehrt. Dort tauschen Spanier und Amerikaner wieder ihre Rollen um, und das Schiff kehrt als legitimirter amerikanischer Kauffahrer mit Tabak, Indigo oder Zucker geladen nach dem Orte seiner Bestimmung zurück, wo natürlich kein Mensch etwas Böses ahnet oder höchstens von der langen Ueberfahrt spricht und den Stürmen, die das arme Fahrzeug auszustehen hatte. - Wird ein solches Schiff von den Engländern aufgebracht, so werden höchstens die Spanier gehenkt, oder man wirft auch die Neger geradezu über Bord, und benimmt hiedurch den nach dem Buchstaben des Gesetzes handelnden Engländern den Beweis des Verbrechens, oder man macht es auch wie jener Yankee, der, von einer englischen Kriegsschaluppe hart verfolgt, einen Neger, mit einer Flagge in der Hand, in der Hälfte eines entzweigeschnittenen Fasses über Bord warf, und hiedurch die Verfolger nöthigte stille zu halten, um den Neger vom Ertrinken zu retten. Eine Viertelstunde später warf er ganz auf ähnliche Art einen zweiten Neger über Bord, und so fort einen dritten und vierten, bis ihn endlich die Schaluppe aus dem Gesichte verlor. Auf diese und ähnliche Art versündigen sich die Weißen und namentlich die Amerikaner noch immer gegen die afrikanische Menschheit, aber bereits beginnt auch die letztere an den erstern sich zu rächen. Die ewige Gerechtigkeit läßt sich nicht aus der Geschichte verbannen, und so sind jetzt die Engländer in Westindien und in Bermuda gezwungen, die Schwarzen in den Waffen zu unterrichten, um sie nöthigenfalls als Milizen gegen den Ueberfall einer fremden Macht gebrauchen zu können. Die Bekanntschaft mit den Waffen und der tägliche Gebrauch derselben, verbunden mit der beabsichtigten politischen Gleichstellung der Neger mit den Weißen, öffnen aber jetzt schon den Pflanzern die Augen über ihre wahre Stellung: der Preis aller Realitäten ist im Sinken, die Erzeugnisse aller westindischen Producte in Abnahme, und es fängt die weiße Bevölkerung freiwillig an, die für sie nicht mehr wünschenswerthen Inseln ihren ehemaligen Sklaven zu überlassen. So beugt man einer Katastrophe wie die von St. Domingo vor, die der Schutz der brittischen Waffen eben so wenig aufzuhalten im Stande wäre, als es ihnen möglich ist, den Gang der Natur zu unterbrechen, welche jene glücklichen, den Europäer aber tödtenden Himmelsstriche der afrikanischen Menschheit zum Wohnort auserlesen zu haben scheint. Oder sollen die Neger in Westindien und in den südlichen Staaten der Union die Gräuel rächen, die sich die Europäer bei der Vertreibung der Caraiben - die die Amerikaner noch jetzt, durch die grausame Vertilgung der Indianerstämme sich zu Schulden kommen lassen?

Frankreich.

Eine Veranlassung von ungewöhnlichem Interesse hatte gestern einen glänzenden litterarischen und artistischen Areopag im Theatre francais versammelt. Der "größte der lebenden Dichter in Frankreich", wie ihn zu meiner Freude einer Ihrer "antigallischen" Correspondenten nennt, George Sand, hatte gestern in diesem Theater die erste Vorstellung seines Drama's: Cosima. Das Publicum hatte zu entscheiden, ob es dem Poeten auch im Gebiete der dramatischen Schaffung den Lorbeer zuerkennen sollte, der ihm als Romanschreiber, als philosophischem Ergründer der menschlichen Leidenschaften längst die Schläfe umwindet. Die Probe ist nicht glücklich ausgefallen. Das Publicum, das mit großen Erwartungen gekommen war, sah sich getäuscht; die Kunstrichter gingen unbefriedigt weg. Cosima ist die Frau eines reichen Bürgers, Alvice Petruccio, in Florenz. Sie liebt ihren Mann, der, trotz seines bürgerlichen Standes, vorzügliche Eigenschaften besitzt, so weit sie kann; sie wird von einem reichen, schönen, jungen Patricier aus Venedig, Ordonnio, verfolgt, und sie kann sich auf die Länge nicht bergen, daß ihr Herz in Wahrheit ihm angehört. Hier haben Sie die Hauptpersonen des Drama's: eine unglücklich liebende Frau, ein Mann und ein Geliebter; aus den Romanen von George Sand müssen Sie längst schon an diesen Rahmen gewöhnt seyn. Der Mann überrascht Cosima und Ordonnio in dem Moment, wo dieser eine feurige Liebeserklärung anbringt; er sagt nichts im Augenblick, fordert aber später seinen Nebenbuhler zum Zweikampf heraus, und zwingt ihn durch die bittersten Beschimpfungen das Duell "mit einem Bürgerlichen" anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit benimmt sich Ordonnio so, daß Cosima, die Alles mit anhört, ihr Herz gänzlich von ihm abwendet und nur noch darauf sinnt, den verhängnisvollen Kampf zu hintertreiben, und ihren Gatten, zu dem sie mit erneuter Liebe sich hingezogen fühlt, zu retten. Ich sage, Cosima hat Alles mit angehört, denn sie war, in allen Ehren zwar, doch aus Eifersucht über Ordonnio, bei dem sie andere Weiber vermuthete, in dessen Palast gegangen und hatte sich nicht schnell genug entfernen können, als ihr Gemahl kam, um Ordonnio herauszufordern. Es ist ihre Bestimmung, von Anfang bis zu Ende den Verdacht eines Fehlers zu leiden, den sie nicht begangen hat und nicht begeht. Sie wissen, die Weiber George Sands haben so ihre eigene Weise zu lieben. Sie will ihren Gatten vermögen, von dem Duell abzustehen, muß ihm also bekennen, daß sie Kenntniß davon hat und woher, was den Unglücklichen in seinem Verdacht und in seinem Haß bestärkt, und den entgegengesetzten Effect hervorbringt. Es bleibt ihr ein letztes Mittel: sie verfügt sich zu Ordonnio und umfaßt seine Kniee; sie fleht so beredt und so lange, bis die verabredete Stunde des Duells, wie sie es wollte, verstrichen und Alvice durch die Feigheit seines Gegners von dem Zweikampf befreit ist. Allein sie selbst war nur das Opfer seiner List: die Uhr war vorgerückt, und in dem Augenblick, wo sie glaubt, daß Alles vorbei, weil verspätet sey, erscheinen die Zeugen des Duells u. s. w. In diesem Moment äußern sich die Wirkungen des Gifts, das sie genommen hatte, um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, die nur ihr so unauflöslich mag geschienen haben. Sie stirbt unschuldig. In diesem Drama, das eigentlich keines ist, fehlt vor Allem, in den 5 langen Acten nebst Prolog, die Handlung und eine bühnenfertige Sprache. Nichts ist wahrer, als daß zu einem Schauspiel, das für die Bühne bestimmt ist, noch ganz andere Bedingungen außer Geist, Herz und Phantasie erfordert werden. Je mehr sich die außerordentliche Frau ihrem eigenthümlichen Talent und der nur von ihr

Bord, der gewöhnlich ein Spanier ist, und als Ober-Cargador mit dem Kauf und Verkauf der an Bord gebrachten Güter beauftragt ist. In Cuba angelangt, wechseln die Capitäne ihre Rollen; der Spanier wird Befehlshaber, der Amerikaner aber bloßer Cajüten-Passagier, der nun für nichts weiter verantwortlich ist, und die amerikanischen Matrosen werden ebenfalls entlassen, um an ihrer Statt eine Anzahl bewaffneter Spanier und Creolen anzuwerben. Das Schiff wird jetzt mit zwei oder vier Kanonen versehen, und nun geht es auf die Negerjagd. Wenn es die beabsichtigte Anzahl derselben an Bord hat, so steuert es nach der amerikanischen oder texanischen Küste, wobei der Cajüten-Passagier in schwierigen Fällen, wenn nämlich ein englisches oder französisches Kriegsschiff in der Nähe ist, nicht selten einen oder den andern guten Rath ertheilt, bis man endlich die Neger irgendwo landet und sogleich wieder nach Cuba zurückkehrt. Dort tauschen Spanier und Amerikaner wieder ihre Rollen um, und das Schiff kehrt als legitimirter amerikanischer Kauffahrer mit Tabak, Indigo oder Zucker geladen nach dem Orte seiner Bestimmung zurück, wo natürlich kein Mensch etwas Böses ahnet oder höchstens von der langen Ueberfahrt spricht und den Stürmen, die das arme Fahrzeug auszustehen hatte. – Wird ein solches Schiff von den Engländern aufgebracht, so werden höchstens die Spanier gehenkt, oder man wirft auch die Neger geradezu über Bord, und benimmt hiedurch den nach dem Buchstaben des Gesetzes handelnden Engländern den Beweis des Verbrechens, oder man macht es auch wie jener Yankee, der, von einer englischen Kriegsschaluppe hart verfolgt, einen Neger, mit einer Flagge in der Hand, in der Hälfte eines entzweigeschnittenen Fasses über Bord warf, und hiedurch die Verfolger nöthigte stille zu halten, um den Neger vom Ertrinken zu retten. Eine Viertelstunde später warf er ganz auf ähnliche Art einen zweiten Neger über Bord, und so fort einen dritten und vierten, bis ihn endlich die Schaluppe aus dem Gesichte verlor. Auf diese und ähnliche Art versündigen sich die Weißen und namentlich die Amerikaner noch immer gegen die afrikanische Menschheit, aber bereits beginnt auch die letztere an den erstern sich zu rächen. Die ewige Gerechtigkeit läßt sich nicht aus der Geschichte verbannen, und so sind jetzt die Engländer in Westindien und in Bermuda gezwungen, die Schwarzen in den Waffen zu unterrichten, um sie nöthigenfalls als Milizen gegen den Ueberfall einer fremden Macht gebrauchen zu können. Die Bekanntschaft mit den Waffen und der tägliche Gebrauch derselben, verbunden mit der beabsichtigten politischen Gleichstellung der Neger mit den Weißen, öffnen aber jetzt schon den Pflanzern die Augen über ihre wahre Stellung: der Preis aller Realitäten ist im Sinken, die Erzeugnisse aller westindischen Producte in Abnahme, und es fängt die weiße Bevölkerung freiwillig an, die für sie nicht mehr wünschenswerthen Inseln ihren ehemaligen Sklaven zu überlassen. So beugt man einer Katastrophe wie die von St. Domingo vor, die der Schutz der brittischen Waffen eben so wenig aufzuhalten im Stande wäre, als es ihnen möglich ist, den Gang der Natur zu unterbrechen, welche jene glücklichen, den Europäer aber tödtenden Himmelsstriche der afrikanischen Menschheit zum Wohnort auserlesen zu haben scheint. Oder sollen die Neger in Westindien und in den südlichen Staaten der Union die Gräuel rächen, die sich die Europäer bei der Vertreibung der Caraiben – die die Amerikaner noch jetzt, durch die grausame Vertilgung der Indianerstämme sich zu Schulden kommen lassen?

Frankreich.

Eine Veranlassung von ungewöhnlichem Interesse hatte gestern einen glänzenden litterarischen und artistischen Areopag im Théàtre français versammelt. Der „größte der lebenden Dichter in Frankreich“, wie ihn zu meiner Freude einer Ihrer „antigallischen“ Correspondenten nennt, George Sand, hatte gestern in diesem Theater die erste Vorstellung seines Drama's: Cosima. Das Publicum hatte zu entscheiden, ob es dem Poeten auch im Gebiete der dramatischen Schaffung den Lorbeer zuerkennen sollte, der ihm als Romanschreiber, als philosophischem Ergründer der menschlichen Leidenschaften längst die Schläfe umwindet. Die Probe ist nicht glücklich ausgefallen. Das Publicum, das mit großen Erwartungen gekommen war, sah sich getäuscht; die Kunstrichter gingen unbefriedigt weg. Cosima ist die Frau eines reichen Bürgers, Alvice Petruccio, in Florenz. Sie liebt ihren Mann, der, trotz seines bürgerlichen Standes, vorzügliche Eigenschaften besitzt, so weit sie kann; sie wird von einem reichen, schönen, jungen Patricier aus Venedig, Ordonnio, verfolgt, und sie kann sich auf die Länge nicht bergen, daß ihr Herz in Wahrheit ihm angehört. Hier haben Sie die Hauptpersonen des Drama's: eine unglücklich liebende Frau, ein Mann und ein Geliebter; aus den Romanen von George Sand müssen Sie längst schon an diesen Rahmen gewöhnt seyn. Der Mann überrascht Cosima und Ordonnio in dem Moment, wo dieser eine feurige Liebeserklärung anbringt; er sagt nichts im Augenblick, fordert aber später seinen Nebenbuhler zum Zweikampf heraus, und zwingt ihn durch die bittersten Beschimpfungen das Duell „mit einem Bürgerlichen“ anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit benimmt sich Ordonnio so, daß Cosima, die Alles mit anhört, ihr Herz gänzlich von ihm abwendet und nur noch darauf sinnt, den verhängnisvollen Kampf zu hintertreiben, und ihren Gatten, zu dem sie mit erneuter Liebe sich hingezogen fühlt, zu retten. Ich sage, Cosima hat Alles mit angehört, denn sie war, in allen Ehren zwar, doch aus Eifersucht über Ordonnio, bei dem sie andere Weiber vermuthete, in dessen Palast gegangen und hatte sich nicht schnell genug entfernen können, als ihr Gemahl kam, um Ordonnio herauszufordern. Es ist ihre Bestimmung, von Anfang bis zu Ende den Verdacht eines Fehlers zu leiden, den sie nicht begangen hat und nicht begeht. Sie wissen, die Weiber George Sands haben so ihre eigene Weise zu lieben. Sie will ihren Gatten vermögen, von dem Duell abzustehen, muß ihm also bekennen, daß sie Kenntniß davon hat und woher, was den Unglücklichen in seinem Verdacht und in seinem Haß bestärkt, und den entgegengesetzten Effect hervorbringt. Es bleibt ihr ein letztes Mittel: sie verfügt sich zu Ordonnio und umfaßt seine Kniee; sie fleht so beredt und so lange, bis die verabredete Stunde des Duells, wie sie es wollte, verstrichen und Alvice durch die Feigheit seines Gegners von dem Zweikampf befreit ist. Allein sie selbst war nur das Opfer seiner List: die Uhr war vorgerückt, und in dem Augenblick, wo sie glaubt, daß Alles vorbei, weil verspätet sey, erscheinen die Zeugen des Duells u. s. w. In diesem Moment äußern sich die Wirkungen des Gifts, das sie genommen hatte, um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, die nur ihr so unauflöslich mag geschienen haben. Sie stirbt unschuldig. In diesem Drama, das eigentlich keines ist, fehlt vor Allem, in den 5 langen Acten nebst Prolog, die Handlung und eine bühnenfertige Sprache. Nichts ist wahrer, als daß zu einem Schauspiel, das für die Bühne bestimmt ist, noch ganz andere Bedingungen außer Geist, Herz und Phantasie erfordert werden. Je mehr sich die außerordentliche Frau ihrem eigenthümlichen Talent und der nur von ihr

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Bord, der gewöhnlich ein Spanier ist, und als Ober-Cargador mit dem Kauf und Verkauf der an Bord gebrachten Güter beauftragt ist. In Cuba angelangt, wechseln die Capitäne ihre Rollen; der Spanier wird Befehlshaber, der Amerikaner aber bloßer Cajüten-Passagier, der nun für nichts weiter verantwortlich ist, und die amerikanischen Matrosen werden ebenfalls entlassen, um an ihrer Statt eine Anzahl bewaffneter Spanier und Creolen anzuwerben. Das Schiff wird jetzt mit zwei oder vier Kanonen versehen, und nun geht es auf die Negerjagd. Wenn es die beabsichtigte Anzahl derselben an Bord hat, so steuert es nach der amerikanischen oder texanischen Küste, wobei der Cajüten-Passagier in schwierigen Fällen, wenn nämlich ein englisches oder französisches Kriegsschiff in der Nähe ist, nicht selten einen oder den andern guten Rath ertheilt, bis man endlich die Neger irgendwo landet und sogleich wieder nach Cuba zurückkehrt. Dort tauschen Spanier und Amerikaner wieder ihre Rollen um, und das Schiff kehrt als legitimirter amerikanischer Kauffahrer mit Tabak, Indigo oder Zucker geladen nach dem Orte seiner Bestimmung zurück, wo natürlich kein Mensch etwas Böses ahnet oder höchstens von der langen Ueberfahrt spricht und den Stürmen, die das arme Fahrzeug auszustehen hatte. &#x2013; Wird ein solches Schiff von den Engländern aufgebracht, so werden höchstens die Spanier gehenkt, oder man wirft auch die Neger geradezu über Bord, und benimmt hiedurch den nach dem Buchstaben des Gesetzes handelnden Engländern den Beweis des Verbrechens, oder man macht es auch wie jener Yankee, der, von einer englischen Kriegsschaluppe hart verfolgt, einen Neger, mit einer Flagge in der Hand, in der Hälfte eines entzweigeschnittenen Fasses über Bord warf, und hiedurch die Verfolger nöthigte stille zu halten, um den Neger vom Ertrinken zu retten. Eine Viertelstunde später warf er ganz auf ähnliche Art einen zweiten Neger über Bord, und so fort einen dritten und vierten, bis ihn endlich die Schaluppe aus dem Gesichte verlor. Auf diese und ähnliche Art versündigen sich die Weißen und namentlich die Amerikaner noch immer gegen die afrikanische Menschheit, aber bereits beginnt auch die letztere an den erstern sich zu rächen. Die ewige Gerechtigkeit läßt sich nicht aus der Geschichte verbannen, und so sind jetzt die Engländer in Westindien und in Bermuda gezwungen, die Schwarzen in den Waffen zu unterrichten, um sie nöthigenfalls als <hi rendition="#g">Milizen</hi> gegen den Ueberfall einer fremden Macht gebrauchen zu können. Die Bekanntschaft mit den Waffen und der tägliche Gebrauch derselben, verbunden mit der beabsichtigten politischen Gleichstellung der Neger mit den Weißen, öffnen aber jetzt schon den Pflanzern die Augen über ihre wahre Stellung: der Preis aller Realitäten ist im Sinken, die Erzeugnisse aller westindischen Producte in Abnahme, und es fängt die weiße Bevölkerung freiwillig an, die für sie nicht mehr wünschenswerthen Inseln ihren ehemaligen Sklaven zu überlassen. So beugt man einer Katastrophe wie die von St. Domingo vor, die der Schutz der brittischen Waffen eben so wenig aufzuhalten im Stande wäre, als es ihnen möglich ist, den Gang der Natur zu unterbrechen, welche jene glücklichen, den Europäer aber tödtenden Himmelsstriche der afrikanischen Menschheit zum Wohnort auserlesen zu haben scheint. Oder sollen die Neger in Westindien und in den südlichen Staaten der Union die Gräuel rächen, die sich die Europäer bei der Vertreibung der Caraiben &#x2013; die die Amerikaner noch jetzt, durch die grausame Vertilgung der Indianerstämme sich zu Schulden kommen lassen?</p><lb/>
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[1012/0012] Bord, der gewöhnlich ein Spanier ist, und als Ober-Cargador mit dem Kauf und Verkauf der an Bord gebrachten Güter beauftragt ist. In Cuba angelangt, wechseln die Capitäne ihre Rollen; der Spanier wird Befehlshaber, der Amerikaner aber bloßer Cajüten-Passagier, der nun für nichts weiter verantwortlich ist, und die amerikanischen Matrosen werden ebenfalls entlassen, um an ihrer Statt eine Anzahl bewaffneter Spanier und Creolen anzuwerben. Das Schiff wird jetzt mit zwei oder vier Kanonen versehen, und nun geht es auf die Negerjagd. Wenn es die beabsichtigte Anzahl derselben an Bord hat, so steuert es nach der amerikanischen oder texanischen Küste, wobei der Cajüten-Passagier in schwierigen Fällen, wenn nämlich ein englisches oder französisches Kriegsschiff in der Nähe ist, nicht selten einen oder den andern guten Rath ertheilt, bis man endlich die Neger irgendwo landet und sogleich wieder nach Cuba zurückkehrt. Dort tauschen Spanier und Amerikaner wieder ihre Rollen um, und das Schiff kehrt als legitimirter amerikanischer Kauffahrer mit Tabak, Indigo oder Zucker geladen nach dem Orte seiner Bestimmung zurück, wo natürlich kein Mensch etwas Böses ahnet oder höchstens von der langen Ueberfahrt spricht und den Stürmen, die das arme Fahrzeug auszustehen hatte. – Wird ein solches Schiff von den Engländern aufgebracht, so werden höchstens die Spanier gehenkt, oder man wirft auch die Neger geradezu über Bord, und benimmt hiedurch den nach dem Buchstaben des Gesetzes handelnden Engländern den Beweis des Verbrechens, oder man macht es auch wie jener Yankee, der, von einer englischen Kriegsschaluppe hart verfolgt, einen Neger, mit einer Flagge in der Hand, in der Hälfte eines entzweigeschnittenen Fasses über Bord warf, und hiedurch die Verfolger nöthigte stille zu halten, um den Neger vom Ertrinken zu retten. Eine Viertelstunde später warf er ganz auf ähnliche Art einen zweiten Neger über Bord, und so fort einen dritten und vierten, bis ihn endlich die Schaluppe aus dem Gesichte verlor. Auf diese und ähnliche Art versündigen sich die Weißen und namentlich die Amerikaner noch immer gegen die afrikanische Menschheit, aber bereits beginnt auch die letztere an den erstern sich zu rächen. Die ewige Gerechtigkeit läßt sich nicht aus der Geschichte verbannen, und so sind jetzt die Engländer in Westindien und in Bermuda gezwungen, die Schwarzen in den Waffen zu unterrichten, um sie nöthigenfalls als Milizen gegen den Ueberfall einer fremden Macht gebrauchen zu können. Die Bekanntschaft mit den Waffen und der tägliche Gebrauch derselben, verbunden mit der beabsichtigten politischen Gleichstellung der Neger mit den Weißen, öffnen aber jetzt schon den Pflanzern die Augen über ihre wahre Stellung: der Preis aller Realitäten ist im Sinken, die Erzeugnisse aller westindischen Producte in Abnahme, und es fängt die weiße Bevölkerung freiwillig an, die für sie nicht mehr wünschenswerthen Inseln ihren ehemaligen Sklaven zu überlassen. So beugt man einer Katastrophe wie die von St. Domingo vor, die der Schutz der brittischen Waffen eben so wenig aufzuhalten im Stande wäre, als es ihnen möglich ist, den Gang der Natur zu unterbrechen, welche jene glücklichen, den Europäer aber tödtenden Himmelsstriche der afrikanischen Menschheit zum Wohnort auserlesen zu haben scheint. Oder sollen die Neger in Westindien und in den südlichen Staaten der Union die Gräuel rächen, die sich die Europäer bei der Vertreibung der Caraiben – die die Amerikaner noch jetzt, durch die grausame Vertilgung der Indianerstämme sich zu Schulden kommen lassen? Frankreich. _ Paris, 30 April. Eine Veranlassung von ungewöhnlichem Interesse hatte gestern einen glänzenden litterarischen und artistischen Areopag im Théàtre français versammelt. Der „größte der lebenden Dichter in Frankreich“, wie ihn zu meiner Freude einer Ihrer „antigallischen“ Correspondenten nennt, George Sand, hatte gestern in diesem Theater die erste Vorstellung seines Drama's: Cosima. Das Publicum hatte zu entscheiden, ob es dem Poeten auch im Gebiete der dramatischen Schaffung den Lorbeer zuerkennen sollte, der ihm als Romanschreiber, als philosophischem Ergründer der menschlichen Leidenschaften längst die Schläfe umwindet. Die Probe ist nicht glücklich ausgefallen. Das Publicum, das mit großen Erwartungen gekommen war, sah sich getäuscht; die Kunstrichter gingen unbefriedigt weg. Cosima ist die Frau eines reichen Bürgers, Alvice Petruccio, in Florenz. Sie liebt ihren Mann, der, trotz seines bürgerlichen Standes, vorzügliche Eigenschaften besitzt, so weit sie kann; sie wird von einem reichen, schönen, jungen Patricier aus Venedig, Ordonnio, verfolgt, und sie kann sich auf die Länge nicht bergen, daß ihr Herz in Wahrheit ihm angehört. Hier haben Sie die Hauptpersonen des Drama's: eine unglücklich liebende Frau, ein Mann und ein Geliebter; aus den Romanen von George Sand müssen Sie längst schon an diesen Rahmen gewöhnt seyn. Der Mann überrascht Cosima und Ordonnio in dem Moment, wo dieser eine feurige Liebeserklärung anbringt; er sagt nichts im Augenblick, fordert aber später seinen Nebenbuhler zum Zweikampf heraus, und zwingt ihn durch die bittersten Beschimpfungen das Duell „mit einem Bürgerlichen“ anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit benimmt sich Ordonnio so, daß Cosima, die Alles mit anhört, ihr Herz gänzlich von ihm abwendet und nur noch darauf sinnt, den verhängnisvollen Kampf zu hintertreiben, und ihren Gatten, zu dem sie mit erneuter Liebe sich hingezogen fühlt, zu retten. Ich sage, Cosima hat Alles mit angehört, denn sie war, in allen Ehren zwar, doch aus Eifersucht über Ordonnio, bei dem sie andere Weiber vermuthete, in dessen Palast gegangen und hatte sich nicht schnell genug entfernen können, als ihr Gemahl kam, um Ordonnio herauszufordern. Es ist ihre Bestimmung, von Anfang bis zu Ende den Verdacht eines Fehlers zu leiden, den sie nicht begangen hat und nicht begeht. Sie wissen, die Weiber George Sands haben so ihre eigene Weise zu lieben. Sie will ihren Gatten vermögen, von dem Duell abzustehen, muß ihm also bekennen, daß sie Kenntniß davon hat und woher, was den Unglücklichen in seinem Verdacht und in seinem Haß bestärkt, und den entgegengesetzten Effect hervorbringt. Es bleibt ihr ein letztes Mittel: sie verfügt sich zu Ordonnio und umfaßt seine Kniee; sie fleht so beredt und so lange, bis die verabredete Stunde des Duells, wie sie es wollte, verstrichen und Alvice durch die Feigheit seines Gegners von dem Zweikampf befreit ist. Allein sie selbst war nur das Opfer seiner List: die Uhr war vorgerückt, und in dem Augenblick, wo sie glaubt, daß Alles vorbei, weil verspätet sey, erscheinen die Zeugen des Duells u. s. w. In diesem Moment äußern sich die Wirkungen des Gifts, das sie genommen hatte, um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, die nur ihr so unauflöslich mag geschienen haben. Sie stirbt unschuldig. In diesem Drama, das eigentlich keines ist, fehlt vor Allem, in den 5 langen Acten nebst Prolog, die Handlung und eine bühnenfertige Sprache. Nichts ist wahrer, als daß zu einem Schauspiel, das für die Bühne bestimmt ist, noch ganz andere Bedingungen außer Geist, Herz und Phantasie erfordert werden. Je mehr sich die außerordentliche Frau ihrem eigenthümlichen Talent und der nur von ihr

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 127. Augsburg, 6. Mai 1840, S. 1012. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_127_18400506/12>, abgerufen am 01.05.2024.