Allgemeine Zeitung. Nr. 125. Augsburg, 4. Mai 1840.vielen weichen seidenen Kissen aller Farben belegt. Den Boden deckten bis auf eine gewisse Distance vom Divan kunstreich aus Palmblättern gewobene Matten, die nirgends schöner als im Sudan verfertigt werden. Die Wände waren zwar, als eine besondere Recherche für diesen Palast, geweißt worden, hatten aber bereits die allgemeine Staubfarbe schon wieder angenommen, und alles Amenblement des Salons bestand nur aus zwei enormen Fässern aus gebranntem Thon, durch die fortwährend das öfters darin erneute Nilwasser in große darunterstehende Becken filtrirte, wo es sich klar wie Krystall und kühl wie Brunnenwasser erhielt; mehrere Bardocken (irdene Krüge, die das Wasser durch Ausschwitzen noch kälter machen) standen auf einem in der Wand befestigten Brette zum beliebigen Gebrauch daneben. Ein Duzend reichgekleidete, aber barfuß gehende Diener füllten außerdem das Zimmer, und beeiferten sich mir prächtige Pfeifen nebst Kaffee und Scherbet in den kostbarsten Gefäßen zu präsentiren. Die Schlafstuben neben dieser Hauptpiece waren gräulich für alle Sinne, schlechter als der ärmste Bauer in Europa sie würde bewohnen wollen. Ich beschloß daher, mich für meine Person Tag und Nacht im Divan einzurichten, und bedauerte aufrichtig meine Leute und Sklaven, welche in diesen dumpfen, schmutzigen Löchern nothgedrungen ihre Wohnung aufzuschlagen gezwungen waren. Denn nur für den Doctor hatte man noch außerdem ein eigenes kleineres Haus bereitet, das in Allem die Diminutivabbildung des meinigen repräsentirte, und ihm an Schmutz und mit Pracht übertünchtem Elend n chts nachgab. Deutsche und französische Poesie der Gegenwart. (Beschluß.) Die französische Poesie befindet sich allerdings, mit sich selbst verglichen, derzeit in einem glänzenderen Stadium als die deutsche; denn unsere poetische Litteratur hatte ohne Zweifel ihre glänzendste Zeit zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, und die poetische Productionskraft ließ in Deutschland verhältnißmäßig nach gerade von der Zeit an, wo in Frankreich nach dem Ende der Kriege ein neues Leben in die litterarische und poetische Thätigkeit kam. Nachdem die stürmische Periode des kriegerischen Ruhmes vorüber war, begann ein schöner Wetteifer im Ringen nach dem friedlichen Lorbeer der Dichtkunst. Zurückgedrängte Kräfte schienen sich jetzt Bahn zu brechen, unterdrückte Keime um so gewaltiger zu treiben; die französische Lyrik hat seit fünfundzwanzig Jahren wohl Größeres geleistet, als je zuvor, und die Töne, welche Victor Hugo und Lamartine der gallischen Lyra entlockten, hätte man früher, zumal unter dem Kaiserreich, für unmöglich gehalten. Und doch haben, dünkt uns, die Deutschen die Vergleichung ihrer Poesie mit der französischen auch im jetzigen Augenblick nicht zu scheuen. Welches sind die Namen der jetzt lebenden französischen Dichter, welche so ziemlich allgemein anerkannt sind? Etwa folgende: Beranger, Delavigne, Lamartine, Victor Hugo, A. de Vigny, Barthelemy, A. de Musset, Barbier, Sainte-Beuve, Quinet; wir begreifen, daß der Franzose diese Namen mit Stolz und patriotischem Selbstgefühl nennt. Wir finden dieß um so natürlicher, als unter den genannten allen kaum Einer seyn dürfte, der nicht dem französischen Nationalgefühl in irgend einer Weise ausdrücklich gehuldigt hätte. Die in ihrer Poesie schärfer, man möchte sagen ausschließlicher ausgeprägte Nationalität ist es, was man als einen Vorzug dieser Dichter gegenüber den deutschen geltend machen kann, obgleich der poetische Werth im engeren Sinn davon nicht berührt wird; sie sind Alle mehr oder weniger Dichter Frankreichs, nicht bloß Dichter in französischer Sprache, sie stehen in Rapport mit dem öffentlichen Geist und Leben der Nation; dieß steigert ihre Bedeutung und gibt ihren Werken etwas Positives, eine Concentration, einen Mittelpunkt; sie werden gleichsam die Söhne der Nation. Dieß ist nun freilich bei den deutschen Dichtern nicht der Fall; aber abgesehen davon, können wir wohl Namen gegen Namen stellen. Ist auch Uhland seit Jahren schon stumm, so darf er hier doch wohl aufgezählt werden, da ja auch Beranger und Delavigne (der letztere als Lyriker) nichts mehr von sich hören lassen. Dagegen aber ist Rückert noch immer fruchtbar, und seine in sechs starken Bänden nicht einmal vollständig gesammelten Gedichte stehen den lyrischen Werken Victor Hugo's in ihrer Art schwerlich nach. Marmier klagt über das außerordentliche denuement d'idees in dem von ihm kritisirten Buch. Wollte er sich die Mühe geben, Rückerts sechs Bände oder auch nur seine "Weisheit des Brahmanen" zu studiren so würde er einen Reichthum von Gedanken finden, mit dem sich kein französischer Dichter messen kann. Drei kürzlich Verstorbene dürfen wohl noch unter den Dichtern der Gegenwart aufgezählt werden: Platen, Chamisso, Gaudy, *) und ferner nennen wir: Schwab, Kerner, Anastasius Grün, Lenau, Freiligrath, Zedlitz, Mosen, so geringschätzig auch Marmier von dem Verfasser des Gedichts Ritter Wahn glaubt sprechen zu dürfen. Noch haben wir den Namen desjenigen Dichters nicht genannt, welchen Marmier, nach Maaßgabe der Stolle'schen Sammlung, als Matador der jetzigen deutschen Lyrik verkündet, und den er, auf Einen Schlag der gesammten Poesie das Urtheil sprechend, so tief unter Lamartine und Victor Hugo stellt, Heine. Aus dem bisher Gesagten erhellt, und jeder mit deutscher Litteratur Bekannte weiß es von selbst, daß Heine in keiner Weise als Repräsentant der dermaligen gesammten deutschen Lyrik anzusehen ist, daß er seine eigenthümliche und hohe Stelle einnimmt, aber nicht die deutsche Lyrik krönend abschließt. Hätte nun Marmier sich darauf beschränkt, Heine den beiden Dichtern Lamartine und Victor Hugo im Allgemeinen unterzuordnen, so hätten wir wohl Bedenken getragen, sein Urtheil anzufechten, weil wir der Ansicht sind, daß jene beiden Dichter im Ganzen einen positiveren, einen nationaleren und einen im ethischen Sinn höhern Standpunkt einnehmen, als Heine mit seiner phantastisch-ironischen Zerrissenheit, mit der spukhaften Heimathlosigkeit seiner Poesie. Aber Marmier hat seine Behauptung, seine Vergleichung so gestellt, daß man ihm aufs entschiedenste und zuversichtlichste widersprechen und der Zustimmung jedes competenten, unbefangenen Beurtheilers gewiß seyn kann. Er behauptet, Heine's schönstes Gedicht komme nicht einem der einfachsten Blätter von Lamartine oder Victor Hugo gleich! Das ist in der That etwas stark. Und wenn wir die Worte streng auslegen, müssen wir unter den "einfachsten Gedichten" (une des pages les plus simples) eigentlich die schwächsten Poesien Lamartine's oder Hugo's verstehen, was Marmier lieber geradezu herausgesagt hätte, wenn es einmal sein Gedanke war; an sich freilich könnten die einfachsten Gedichte leicht die besten seyn. Soll es heißen: "die schwächsten," so verdient die Behauptung in der That keine Widerlegung; aber selbst den hyperbolischen *) Die beiden Letztgenannten Herausgeber des deutschen Musenalmanachs. Es kann mit dem Verfall der deutschen Poesie doch so arg nicht seyn, wenn der Musenalmanach zehn Jahre ununterbrochen erscheinen konnte; und was haben die Franzosen diesem Entsprechendes aufzuweisen?
vielen weichen seidenen Kissen aller Farben belegt. Den Boden deckten bis auf eine gewisse Distance vom Divan kunstreich aus Palmblättern gewobene Matten, die nirgends schöner als im Sudan verfertigt werden. Die Wände waren zwar, als eine besondere Recherche für diesen Palast, geweißt worden, hatten aber bereits die allgemeine Staubfarbe schon wieder angenommen, und alles Amenblement des Salons bestand nur aus zwei enormen Fässern aus gebranntem Thon, durch die fortwährend das öfters darin erneute Nilwasser in große darunterstehende Becken filtrirte, wo es sich klar wie Krystall und kühl wie Brunnenwasser erhielt; mehrere Bardocken (irdene Krüge, die das Wasser durch Ausschwitzen noch kälter machen) standen auf einem in der Wand befestigten Brette zum beliebigen Gebrauch daneben. Ein Duzend reichgekleidete, aber barfuß gehende Diener füllten außerdem das Zimmer, und beeiferten sich mir prächtige Pfeifen nebst Kaffee und Scherbet in den kostbarsten Gefäßen zu präsentiren. Die Schlafstuben neben dieser Hauptpiece waren gräulich für alle Sinne, schlechter als der ärmste Bauer in Europa sie würde bewohnen wollen. Ich beschloß daher, mich für meine Person Tag und Nacht im Divan einzurichten, und bedauerte aufrichtig meine Leute und Sklaven, welche in diesen dumpfen, schmutzigen Löchern nothgedrungen ihre Wohnung aufzuschlagen gezwungen waren. Denn nur für den Doctor hatte man noch außerdem ein eigenes kleineres Haus bereitet, das in Allem die Diminutivabbildung des meinigen repräsentirte, und ihm an Schmutz und mit Pracht übertünchtem Elend n chts nachgab. Deutsche und französische Poesie der Gegenwart. (Beschluß.) Die französische Poesie befindet sich allerdings, mit sich selbst verglichen, derzeit in einem glänzenderen Stadium als die deutsche; denn unsere poetische Litteratur hatte ohne Zweifel ihre glänzendste Zeit zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, und die poetische Productionskraft ließ in Deutschland verhältnißmäßig nach gerade von der Zeit an, wo in Frankreich nach dem Ende der Kriege ein neues Leben in die litterarische und poetische Thätigkeit kam. Nachdem die stürmische Periode des kriegerischen Ruhmes vorüber war, begann ein schöner Wetteifer im Ringen nach dem friedlichen Lorbeer der Dichtkunst. Zurückgedrängte Kräfte schienen sich jetzt Bahn zu brechen, unterdrückte Keime um so gewaltiger zu treiben; die französische Lyrik hat seit fünfundzwanzig Jahren wohl Größeres geleistet, als je zuvor, und die Töne, welche Victor Hugo und Lamartine der gallischen Lyra entlockten, hätte man früher, zumal unter dem Kaiserreich, für unmöglich gehalten. Und doch haben, dünkt uns, die Deutschen die Vergleichung ihrer Poesie mit der französischen auch im jetzigen Augenblick nicht zu scheuen. Welches sind die Namen der jetzt lebenden französischen Dichter, welche so ziemlich allgemein anerkannt sind? Etwa folgende: Béranger, Delavigne, Lamartine, Victor Hugo, A. de Vigny, Barthelemy, A. de Musset, Barbier, Sainte-Beuve, Quinet; wir begreifen, daß der Franzose diese Namen mit Stolz und patriotischem Selbstgefühl nennt. Wir finden dieß um so natürlicher, als unter den genannten allen kaum Einer seyn dürfte, der nicht dem französischen Nationalgefühl in irgend einer Weise ausdrücklich gehuldigt hätte. Die in ihrer Poesie schärfer, man möchte sagen ausschließlicher ausgeprägte Nationalität ist es, was man als einen Vorzug dieser Dichter gegenüber den deutschen geltend machen kann, obgleich der poetische Werth im engeren Sinn davon nicht berührt wird; sie sind Alle mehr oder weniger Dichter Frankreichs, nicht bloß Dichter in französischer Sprache, sie stehen in Rapport mit dem öffentlichen Geist und Leben der Nation; dieß steigert ihre Bedeutung und gibt ihren Werken etwas Positives, eine Concentration, einen Mittelpunkt; sie werden gleichsam die Söhne der Nation. Dieß ist nun freilich bei den deutschen Dichtern nicht der Fall; aber abgesehen davon, können wir wohl Namen gegen Namen stellen. Ist auch Uhland seit Jahren schon stumm, so darf er hier doch wohl aufgezählt werden, da ja auch Béranger und Delavigne (der letztere als Lyriker) nichts mehr von sich hören lassen. Dagegen aber ist Rückert noch immer fruchtbar, und seine in sechs starken Bänden nicht einmal vollständig gesammelten Gedichte stehen den lyrischen Werken Victor Hugo's in ihrer Art schwerlich nach. Marmier klagt über das außerordentliche dénuement d'idées in dem von ihm kritisirten Buch. Wollte er sich die Mühe geben, Rückerts sechs Bände oder auch nur seine „Weisheit des Brahmanen“ zu studiren so würde er einen Reichthum von Gedanken finden, mit dem sich kein französischer Dichter messen kann. Drei kürzlich Verstorbene dürfen wohl noch unter den Dichtern der Gegenwart aufgezählt werden: Platen, Chamisso, Gaudy, *) und ferner nennen wir: Schwab, Kerner, Anastasius Grün, Lenau, Freiligrath, Zedlitz, Mosen, so geringschätzig auch Marmier von dem Verfasser des Gedichts Ritter Wahn glaubt sprechen zu dürfen. Noch haben wir den Namen desjenigen Dichters nicht genannt, welchen Marmier, nach Maaßgabe der Stolle'schen Sammlung, als Matador der jetzigen deutschen Lyrik verkündet, und den er, auf Einen Schlag der gesammten Poesie das Urtheil sprechend, so tief unter Lamartine und Victor Hugo stellt, Heine. Aus dem bisher Gesagten erhellt, und jeder mit deutscher Litteratur Bekannte weiß es von selbst, daß Heine in keiner Weise als Repräsentant der dermaligen gesammten deutschen Lyrik anzusehen ist, daß er seine eigenthümliche und hohe Stelle einnimmt, aber nicht die deutsche Lyrik krönend abschließt. Hätte nun Marmier sich darauf beschränkt, Heine den beiden Dichtern Lamartine und Victor Hugo im Allgemeinen unterzuordnen, so hätten wir wohl Bedenken getragen, sein Urtheil anzufechten, weil wir der Ansicht sind, daß jene beiden Dichter im Ganzen einen positiveren, einen nationaleren und einen im ethischen Sinn höhern Standpunkt einnehmen, als Heine mit seiner phantastisch-ironischen Zerrissenheit, mit der spukhaften Heimathlosigkeit seiner Poesie. Aber Marmier hat seine Behauptung, seine Vergleichung so gestellt, daß man ihm aufs entschiedenste und zuversichtlichste widersprechen und der Zustimmung jedes competenten, unbefangenen Beurtheilers gewiß seyn kann. Er behauptet, Heine's schönstes Gedicht komme nicht einem der einfachsten Blätter von Lamartine oder Victor Hugo gleich! Das ist in der That etwas stark. Und wenn wir die Worte streng auslegen, müssen wir unter den „einfachsten Gedichten“ (une des pages les plus simples) eigentlich die schwächsten Poesien Lamartine's oder Hugo's verstehen, was Marmier lieber geradezu herausgesagt hätte, wenn es einmal sein Gedanke war; an sich freilich könnten die einfachsten Gedichte leicht die besten seyn. Soll es heißen: „die schwächsten,“ so verdient die Behauptung in der That keine Widerlegung; aber selbst den hyperbolischen *) Die beiden Letztgenannten Herausgeber des deutschen Musenalmanachs. Es kann mit dem Verfall der deutschen Poesie doch so arg nicht seyn, wenn der Musenalmanach zehn Jahre ununterbrochen erscheinen konnte; und was haben die Franzosen diesem Entsprechendes aufzuweisen?
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Ein Duzend reichgekleidete, aber barfuß gehende Diener füllten außerdem das Zimmer, und beeiferten sich mir prächtige Pfeifen nebst Kaffee und Scherbet in den kostbarsten Gefäßen zu präsentiren. Die Schlafstuben neben dieser Hauptpiece waren gräulich für alle Sinne, schlechter als der ärmste Bauer in Europa sie würde bewohnen wollen. Ich beschloß daher, mich für meine Person Tag und Nacht im Divan einzurichten, und bedauerte aufrichtig meine Leute und Sklaven, welche in diesen dumpfen, schmutzigen Löchern nothgedrungen ihre Wohnung aufzuschlagen gezwungen waren. 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Nachdem die stürmische Periode des kriegerischen Ruhmes vorüber war, begann ein schöner Wetteifer im Ringen nach dem friedlichen Lorbeer der Dichtkunst. Zurückgedrängte Kräfte schienen sich jetzt Bahn zu brechen, unterdrückte Keime um so gewaltiger zu treiben; die französische Lyrik hat seit fünfundzwanzig Jahren wohl Größeres geleistet, als je zuvor, und die Töne, welche Victor Hugo und Lamartine der gallischen Lyra entlockten, hätte man früher, zumal unter dem Kaiserreich, für unmöglich gehalten. Und doch haben, dünkt uns, die Deutschen die Vergleichung ihrer Poesie mit der französischen auch im jetzigen Augenblick nicht zu scheuen.</p><lb/> <p>Welches sind die Namen der jetzt lebenden französischen Dichter, welche so ziemlich allgemein anerkannt sind? Etwa folgende: Béranger, Delavigne, Lamartine, Victor Hugo, A. de Vigny, Barthelemy, A. de Musset, Barbier, Sainte-Beuve, Quinet; wir begreifen, daß der Franzose diese Namen mit Stolz und patriotischem Selbstgefühl nennt. 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Ist auch Uhland seit Jahren schon stumm, so darf er hier doch wohl aufgezählt werden, da ja auch Béranger und Delavigne (der letztere als Lyriker) nichts mehr von sich hören lassen. Dagegen aber ist Rückert noch immer fruchtbar, und seine in sechs starken Bänden nicht einmal vollständig gesammelten Gedichte stehen den lyrischen Werken Victor Hugo's in ihrer Art schwerlich nach. Marmier klagt über das außerordentliche dénuement d'idées in dem von ihm kritisirten Buch. Wollte er sich die Mühe geben, Rückerts sechs Bände oder auch nur seine „Weisheit des Brahmanen“ zu studiren so würde er einen Reichthum von Gedanken finden, mit dem sich kein französischer Dichter messen kann. Drei kürzlich Verstorbene dürfen wohl noch unter den Dichtern der Gegenwart aufgezählt werden: Platen, Chamisso, Gaudy, <note place="foot" n="*)"><p>Die beiden Letztgenannten Herausgeber des deutschen Musenalmanachs. 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Aus dem bisher Gesagten erhellt, und jeder mit deutscher Litteratur Bekannte weiß es von selbst, daß Heine in keiner Weise als Repräsentant der dermaligen gesammten deutschen Lyrik anzusehen ist, daß er seine eigenthümliche und hohe Stelle einnimmt, aber nicht die deutsche Lyrik krönend abschließt. Hätte nun Marmier sich darauf beschränkt, Heine den beiden Dichtern Lamartine und Victor Hugo im Allgemeinen unterzuordnen, so hätten wir wohl Bedenken getragen, sein Urtheil anzufechten, weil wir der Ansicht sind, daß jene beiden Dichter im Ganzen einen positiveren, einen nationaleren und einen im ethischen Sinn höhern Standpunkt einnehmen, als Heine mit seiner phantastisch-ironischen Zerrissenheit, mit der spukhaften Heimathlosigkeit seiner Poesie. Aber Marmier hat seine Behauptung, seine Vergleichung so gestellt, daß man ihm aufs entschiedenste und zuversichtlichste widersprechen und der Zustimmung jedes competenten, unbefangenen Beurtheilers gewiß seyn kann. Er behauptet, Heine's schönstes Gedicht komme nicht einem der einfachsten Blätter von Lamartine oder Victor Hugo gleich! Das ist in der That etwas stark. Und wenn wir die Worte streng auslegen, müssen wir unter den „einfachsten Gedichten“ (une des pages les plus simples) eigentlich die <hi rendition="#g">schwächsten</hi> Poesien Lamartine's oder Hugo's verstehen, was Marmier lieber geradezu herausgesagt hätte, wenn es einmal sein Gedanke war; an sich freilich könnten die <hi rendition="#g">einfachsten</hi> Gedichte leicht die <hi rendition="#g">besten</hi> seyn.</p><lb/> <p>Soll es heißen: „<hi rendition="#g">die schwächsten</hi>,“ so verdient die Behauptung in der That keine Widerlegung; aber selbst den hyperbolischen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0995/0011]
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Deutsche und französische Poesie der Gegenwart.
(Beschluß.)
Die französische Poesie befindet sich allerdings, mit sich selbst verglichen, derzeit in einem glänzenderen Stadium als die deutsche; denn unsere poetische Litteratur hatte ohne Zweifel ihre glänzendste Zeit zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, und die poetische Productionskraft ließ in Deutschland verhältnißmäßig nach gerade von der Zeit an, wo in Frankreich nach dem Ende der Kriege ein neues Leben in die litterarische und poetische Thätigkeit kam. Nachdem die stürmische Periode des kriegerischen Ruhmes vorüber war, begann ein schöner Wetteifer im Ringen nach dem friedlichen Lorbeer der Dichtkunst. Zurückgedrängte Kräfte schienen sich jetzt Bahn zu brechen, unterdrückte Keime um so gewaltiger zu treiben; die französische Lyrik hat seit fünfundzwanzig Jahren wohl Größeres geleistet, als je zuvor, und die Töne, welche Victor Hugo und Lamartine der gallischen Lyra entlockten, hätte man früher, zumal unter dem Kaiserreich, für unmöglich gehalten. Und doch haben, dünkt uns, die Deutschen die Vergleichung ihrer Poesie mit der französischen auch im jetzigen Augenblick nicht zu scheuen.
Welches sind die Namen der jetzt lebenden französischen Dichter, welche so ziemlich allgemein anerkannt sind? Etwa folgende: Béranger, Delavigne, Lamartine, Victor Hugo, A. de Vigny, Barthelemy, A. de Musset, Barbier, Sainte-Beuve, Quinet; wir begreifen, daß der Franzose diese Namen mit Stolz und patriotischem Selbstgefühl nennt. Wir finden dieß um so natürlicher, als unter den genannten allen kaum Einer seyn dürfte, der nicht dem französischen Nationalgefühl in irgend einer Weise ausdrücklich gehuldigt hätte. Die in ihrer Poesie schärfer, man möchte sagen ausschließlicher ausgeprägte Nationalität ist es, was man als einen Vorzug dieser Dichter gegenüber den deutschen geltend machen kann, obgleich der poetische Werth im engeren Sinn davon nicht berührt wird; sie sind Alle mehr oder weniger Dichter Frankreichs, nicht bloß Dichter in französischer Sprache, sie stehen in Rapport mit dem öffentlichen Geist und Leben der Nation; dieß steigert ihre Bedeutung und gibt ihren Werken etwas Positives, eine Concentration, einen Mittelpunkt; sie werden gleichsam die Söhne der Nation. Dieß ist nun freilich bei den deutschen Dichtern nicht der Fall; aber abgesehen davon, können wir wohl Namen gegen Namen stellen. Ist auch Uhland seit Jahren schon stumm, so darf er hier doch wohl aufgezählt werden, da ja auch Béranger und Delavigne (der letztere als Lyriker) nichts mehr von sich hören lassen. Dagegen aber ist Rückert noch immer fruchtbar, und seine in sechs starken Bänden nicht einmal vollständig gesammelten Gedichte stehen den lyrischen Werken Victor Hugo's in ihrer Art schwerlich nach. Marmier klagt über das außerordentliche dénuement d'idées in dem von ihm kritisirten Buch. Wollte er sich die Mühe geben, Rückerts sechs Bände oder auch nur seine „Weisheit des Brahmanen“ zu studiren so würde er einen Reichthum von Gedanken finden, mit dem sich kein französischer Dichter messen kann. Drei kürzlich Verstorbene dürfen wohl noch unter den Dichtern der Gegenwart aufgezählt werden: Platen, Chamisso, Gaudy, *) und ferner nennen wir: Schwab, Kerner, Anastasius Grün, Lenau, Freiligrath, Zedlitz, Mosen, so geringschätzig auch Marmier von dem Verfasser des Gedichts Ritter Wahn glaubt sprechen zu dürfen. Noch haben wir den Namen desjenigen Dichters nicht genannt, welchen Marmier, nach Maaßgabe der Stolle'schen Sammlung, als Matador der jetzigen deutschen Lyrik verkündet, und den er, auf Einen Schlag der gesammten Poesie das Urtheil sprechend, so tief unter Lamartine und Victor Hugo stellt, Heine. Aus dem bisher Gesagten erhellt, und jeder mit deutscher Litteratur Bekannte weiß es von selbst, daß Heine in keiner Weise als Repräsentant der dermaligen gesammten deutschen Lyrik anzusehen ist, daß er seine eigenthümliche und hohe Stelle einnimmt, aber nicht die deutsche Lyrik krönend abschließt. Hätte nun Marmier sich darauf beschränkt, Heine den beiden Dichtern Lamartine und Victor Hugo im Allgemeinen unterzuordnen, so hätten wir wohl Bedenken getragen, sein Urtheil anzufechten, weil wir der Ansicht sind, daß jene beiden Dichter im Ganzen einen positiveren, einen nationaleren und einen im ethischen Sinn höhern Standpunkt einnehmen, als Heine mit seiner phantastisch-ironischen Zerrissenheit, mit der spukhaften Heimathlosigkeit seiner Poesie. Aber Marmier hat seine Behauptung, seine Vergleichung so gestellt, daß man ihm aufs entschiedenste und zuversichtlichste widersprechen und der Zustimmung jedes competenten, unbefangenen Beurtheilers gewiß seyn kann. Er behauptet, Heine's schönstes Gedicht komme nicht einem der einfachsten Blätter von Lamartine oder Victor Hugo gleich! Das ist in der That etwas stark. Und wenn wir die Worte streng auslegen, müssen wir unter den „einfachsten Gedichten“ (une des pages les plus simples) eigentlich die schwächsten Poesien Lamartine's oder Hugo's verstehen, was Marmier lieber geradezu herausgesagt hätte, wenn es einmal sein Gedanke war; an sich freilich könnten die einfachsten Gedichte leicht die besten seyn.
Soll es heißen: „die schwächsten,“ so verdient die Behauptung in der That keine Widerlegung; aber selbst den hyperbolischen
*) Die beiden Letztgenannten Herausgeber des deutschen Musenalmanachs. Es kann mit dem Verfall der deutschen Poesie doch so arg nicht seyn, wenn der Musenalmanach zehn Jahre ununterbrochen erscheinen konnte; und was haben die Franzosen diesem Entsprechendes aufzuweisen?
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