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Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840.

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und Westrußland verbündet, dann allmählich mit ihnen im Kampfe, endlich ihr Sieger - das ist die Geschichte des großrussischen Stammes von der Mitte des dreizehnten bis zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Diesen Gang der Dinge hat Ustrialow, wenn auch etwas stark in großrussischem Sinn, sehr deutlich gezeichnet. Man ersieht namentlich daraus, wie nahe es daran war, daß der Sitz des russischen Reichs nach Litthauen verlegt wurde. Olgerds mehr als dreißigjährige und Witolds fast 40jährige Regierung sind in dieser Beziehung höchst merkwürdig, namentlich letztere, da Witold seinen Plan, Litthauen zum herrschenden Reiche zu machen und Moskowien zu unterwerfen, noch zu einer Zeit, wo Jagello bereits den polnischen Thron bestiegen hatte, mit einer staunenswerthen Consequenz verfolgte. Nicht mit Unrecht hat Narbutt in seiner Geschichte des litthauischen Volks dieser Regierung einen ganzen Band gewidmet. Weder Moskau noch Polen hemmten seinen Siegeslauf, sondern eine furchtbare Niederlage, welche die noch nicht erschlaffte Horde ihm an den Ufern der Worskla im Jahr 1399 beibrachte, brach seine Kraft für immer, und nach seinem Tode kam ganz Litthauen mit Podolien und Volhynien und bald auch Ostgalizien (Galitsch) mehr und mehr unter polnischen Einfluß, bis endlich eine völlige Vereinigung der Polen mit den Roth-, Klein- und Weißrussen erfolgte; so wurde Polen übermächtig, bis es seinerseits durch die innern Mängel seiner Organisation und durch den Zwiespalt, welchen die Bekämpfung der griechisch-russischen Kirche in Litthauen durch die katholische in dem herrschenden Polen erzeugte, zur Unmacht herabsank, während das moskowitische Reich durch die Einheit in der Regierung und in der Religion allmählich erstarkte.

Diesen für die Zukunft des ganzen östlichen Europa's so ungemein wichtigen und folgereichen Gang der Dinge hat Ustrialow mit großer Klarheit dargestellt, und hätte er denselben mit gleich sicherer Hand auch von dem Standpunkt der Stammverhältnisse, wie von dem der politischen Interessen und der Dynastien durchgeführt, so würde die Darstellung wenig zu wünschen übrig lassen. So erklärt sich aber aus seiner Darstellung wohl der Haß zwischen Polen und Russen, aber die Nuancirungen der einzelnen Stämme zwischen Großrussen und Polen fehlen, und es spricht sich in dieser Darstellung, wie in dem ganzen Staatsorganismus Rußlands jene Uniformitätssucht, jene Unterdrückung des Einzelnen und Localen aus, an der freilich nicht Rußland allein leidet. Allerdings darf man nicht vergessen, daß der große Kampf zwischen Polen und Rußland bald alles Einzelne verschlang. Der Kampf dauerte über dritthalbhundert Jahre, vom Tode Witolds (1430) bis zur Erstürmung von Praga am Ende des vorigen Jahrhunderts, und noch im vorigen Jahrhundert hätte Polen eben so wohl den Herrn in Moskau spielen können, als Rußland ihn in Warschau gespielt hat. Die Besorgnisse der russischen Regierung und der beiderseitige Haß sind somit hinreichend erklärt.

In diesem Kampfe mit Polen liegt auch die Erklärung nicht nur des ganzen politischen Verfahrens der russischen Regierung, sondern auch der innern Staatseinrichtungen. Die griechisch-russische Kirche war das Mittel, wodurch man die Länder jenseits des Dnieper wieder an sich zog. Polen setzte seine Bemühungen fort, die Staatseinheit durch die kirchliche zu befestigen, und wenn ihm dieß Bestreben auch großentheils mit dem Adel von Litthauen, Weißrußland, Podolien, Volhynien und Galizien gelang, so mißlang es doch völlig beim Volke, welches, wenn auch dem Aeußern nach der Autorität des Papstes unterworfen, doch in allen wesentlichen Punkten der griechisch-russischen Kirche getreu blieb. Es gab eine Zeit in Rußland, wo das geistliche Regiment nicht schwächer war, als das weltliche, wo ein Kampf zwischen Czar und Patriarch sich entspinnen konnte, wie im deutschen Mittelalter zwischen Kaiser und Papst, und wo eine japanische Doppelherrschaft factisch bereits bestand. Es war dieß die Zeit, wo Rußland gegen das damals mächtige Polen politisch viel zu schwach war, aber die Macht, welche ihm die kirchlichen Verhältnisse gaben, recht wohl fühlte. Nikon ist in jener Zeit der bedeutendste Mann, und Ustrialow gibt hinreichend zu verstehen, daß derselbe damals auch die politischen Verhältnisse des Reichs leitete. Indeß waren die Zeitumstände überhaupt, so wie die Anwesenheit des Patriarchen in der czarischen Residenz hierarchischen Bestrebungen nicht sonderlich günstig, Nikon selbst mußte der czarischen Gewalt weichen, aber Peter hielt es für gerathen, das Patriarchat ganz aufzuheben, aus Furcht, es möchte einmal der weltlichen Herrschaft über den Kopf wachsen; er ersetzte es durch ein Collegium, die sogenannte allerheiligste Synode. Indeß war es ihm nur darum zu thun, die geistliche Macht gegenüber der weltlichen zu beschränken, sonst gewährte er ihr jede mögliche Entwicklung und Entfaltung, denn sie war die festeste Stütze und Bundesgenossin der weltlichen nach außen und innen. Man muß jene Zeit der ersten Romanows bis auf Peter studiren, wenn man die jetzige gerecht und billig beurtheilen will. Peter führte sein Reich mit Einemmal in die Reihe der europäischen Mächte ein, aber nur in Beziehung auf die äußere Politik; er gab ihm die Künste und Wissenschaften Europa's, aber nicht den Meinungskampf, aus dem die Bewegung der Geister und die Fortschritte in Kunst und Wissenschaft hervorgegangen; er wollte die Frucht des Siegs ohne den Kampf. Dieß ging, so lange die Russen in materieller Hinsicht viel zu lernen hatten. Sobald dieß nicht mehr oder nur in geringem Grade der Fall war, mußte der geistige Verkehr mit Europa die schlummernden Kräfte wecken und eine innere Reibung hervorbringen; dieß geschah namentlich seit der Einverleibung Polens, wo ein sprachverwandtes, aber mit westeuropäischen Ideen gesäugtes Volk mit Rußland in den innigsten Verkehr trat. Rußland hat noch auf geraume Zeit keine demokratischen Bewegungen zu fürchten, wohl aber ein Streben der Aristokratie nach unabhängiger Stellung; Rußland ist durch den Schutz seiner Glaubensverwandten im östlichen Polen, d. h. in Litthauen, Podolien und Volhynien groß geworden, und stützte sich dabei auf die Geistlichkeit und die große Volksmasse; der Adel war in ganz Litthauen, Volhynien, Podolien und Ostgalizien polonisirt worden; man mußte darauf hinarbeiten, ihn wieder russisch zu machen. Hierin liegt die Erklärung der von Uwarow, dem Minister des Unterrichts, ausgesprochenen, und von Ustrialow, dessen Werk als Compendium in den Unterrichtsanstalten dienen soll, wohl beherzigten Worte, daß das Unterrichtswesen im Geist der unumschränkten Alleinherrschaft, der russisch-griechischen Kirche und der Nationalität geleitet werden solle.

Es ist dieß bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich für Rußland geworden, und wenn gleich diese Nothwendigkeit manche harte Maaßregeln keineswegs entschuldigt, so erklärt sie doch im Allgemeinen die abgeschlossene Richtung. Man hat die Künste und Wissenschaften Europa's wie eine Art Raub davon geführt, und will die nationale geistige Entwicklung des Volks wieder da anknüpfen, wo Peter sie ursprünglich gefunden; man will diese Entwicklung möglichst national machen und lassen, um dem fremden Einfluß vorzubeugen, da das westeuropäische Element zersetzend auf einen solchen Zustand einwirken muß, wie er noch in Rußland existirt. Die russische Regierung hält, wohl nicht mit Unrecht, die Mehrzahl ihres Volks für keineswegs reif, einen Principienstreit, vielleicht eine Glaubensspaltung zu ertragen, und so verfiel sie auf das freilich kaum minder

und Westrußland verbündet, dann allmählich mit ihnen im Kampfe, endlich ihr Sieger – das ist die Geschichte des großrussischen Stammes von der Mitte des dreizehnten bis zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Diesen Gang der Dinge hat Ustrialow, wenn auch etwas stark in großrussischem Sinn, sehr deutlich gezeichnet. Man ersieht namentlich daraus, wie nahe es daran war, daß der Sitz des russischen Reichs nach Litthauen verlegt wurde. Olgerds mehr als dreißigjährige und Witolds fast 40jährige Regierung sind in dieser Beziehung höchst merkwürdig, namentlich letztere, da Witold seinen Plan, Litthauen zum herrschenden Reiche zu machen und Moskowien zu unterwerfen, noch zu einer Zeit, wo Jagello bereits den polnischen Thron bestiegen hatte, mit einer staunenswerthen Consequenz verfolgte. Nicht mit Unrecht hat Narbutt in seiner Geschichte des litthauischen Volks dieser Regierung einen ganzen Band gewidmet. Weder Moskau noch Polen hemmten seinen Siegeslauf, sondern eine furchtbare Niederlage, welche die noch nicht erschlaffte Horde ihm an den Ufern der Worskla im Jahr 1399 beibrachte, brach seine Kraft für immer, und nach seinem Tode kam ganz Litthauen mit Podolien und Volhynien und bald auch Ostgalizien (Galitsch) mehr und mehr unter polnischen Einfluß, bis endlich eine völlige Vereinigung der Polen mit den Roth-, Klein- und Weißrussen erfolgte; so wurde Polen übermächtig, bis es seinerseits durch die innern Mängel seiner Organisation und durch den Zwiespalt, welchen die Bekämpfung der griechisch-russischen Kirche in Litthauen durch die katholische in dem herrschenden Polen erzeugte, zur Unmacht herabsank, während das moskowitische Reich durch die Einheit in der Regierung und in der Religion allmählich erstarkte.

Diesen für die Zukunft des ganzen östlichen Europa's so ungemein wichtigen und folgereichen Gang der Dinge hat Ustrialow mit großer Klarheit dargestellt, und hätte er denselben mit gleich sicherer Hand auch von dem Standpunkt der Stammverhältnisse, wie von dem der politischen Interessen und der Dynastien durchgeführt, so würde die Darstellung wenig zu wünschen übrig lassen. So erklärt sich aber aus seiner Darstellung wohl der Haß zwischen Polen und Russen, aber die Nuancirungen der einzelnen Stämme zwischen Großrussen und Polen fehlen, und es spricht sich in dieser Darstellung, wie in dem ganzen Staatsorganismus Rußlands jene Uniformitätssucht, jene Unterdrückung des Einzelnen und Localen aus, an der freilich nicht Rußland allein leidet. Allerdings darf man nicht vergessen, daß der große Kampf zwischen Polen und Rußland bald alles Einzelne verschlang. Der Kampf dauerte über dritthalbhundert Jahre, vom Tode Witolds (1430) bis zur Erstürmung von Praga am Ende des vorigen Jahrhunderts, und noch im vorigen Jahrhundert hätte Polen eben so wohl den Herrn in Moskau spielen können, als Rußland ihn in Warschau gespielt hat. Die Besorgnisse der russischen Regierung und der beiderseitige Haß sind somit hinreichend erklärt.

In diesem Kampfe mit Polen liegt auch die Erklärung nicht nur des ganzen politischen Verfahrens der russischen Regierung, sondern auch der innern Staatseinrichtungen. Die griechisch-russische Kirche war das Mittel, wodurch man die Länder jenseits des Dnieper wieder an sich zog. Polen setzte seine Bemühungen fort, die Staatseinheit durch die kirchliche zu befestigen, und wenn ihm dieß Bestreben auch großentheils mit dem Adel von Litthauen, Weißrußland, Podolien, Volhynien und Galizien gelang, so mißlang es doch völlig beim Volke, welches, wenn auch dem Aeußern nach der Autorität des Papstes unterworfen, doch in allen wesentlichen Punkten der griechisch-russischen Kirche getreu blieb. Es gab eine Zeit in Rußland, wo das geistliche Regiment nicht schwächer war, als das weltliche, wo ein Kampf zwischen Czar und Patriarch sich entspinnen konnte, wie im deutschen Mittelalter zwischen Kaiser und Papst, und wo eine japanische Doppelherrschaft factisch bereits bestand. Es war dieß die Zeit, wo Rußland gegen das damals mächtige Polen politisch viel zu schwach war, aber die Macht, welche ihm die kirchlichen Verhältnisse gaben, recht wohl fühlte. Nikon ist in jener Zeit der bedeutendste Mann, und Ustrialow gibt hinreichend zu verstehen, daß derselbe damals auch die politischen Verhältnisse des Reichs leitete. Indeß waren die Zeitumstände überhaupt, so wie die Anwesenheit des Patriarchen in der czarischen Residenz hierarchischen Bestrebungen nicht sonderlich günstig, Nikon selbst mußte der czarischen Gewalt weichen, aber Peter hielt es für gerathen, das Patriarchat ganz aufzuheben, aus Furcht, es möchte einmal der weltlichen Herrschaft über den Kopf wachsen; er ersetzte es durch ein Collegium, die sogenannte allerheiligste Synode. Indeß war es ihm nur darum zu thun, die geistliche Macht gegenüber der weltlichen zu beschränken, sonst gewährte er ihr jede mögliche Entwicklung und Entfaltung, denn sie war die festeste Stütze und Bundesgenossin der weltlichen nach außen und innen. Man muß jene Zeit der ersten Romanows bis auf Peter studiren, wenn man die jetzige gerecht und billig beurtheilen will. Peter führte sein Reich mit Einemmal in die Reihe der europäischen Mächte ein, aber nur in Beziehung auf die äußere Politik; er gab ihm die Künste und Wissenschaften Europa's, aber nicht den Meinungskampf, aus dem die Bewegung der Geister und die Fortschritte in Kunst und Wissenschaft hervorgegangen; er wollte die Frucht des Siegs ohne den Kampf. Dieß ging, so lange die Russen in materieller Hinsicht viel zu lernen hatten. Sobald dieß nicht mehr oder nur in geringem Grade der Fall war, mußte der geistige Verkehr mit Europa die schlummernden Kräfte wecken und eine innere Reibung hervorbringen; dieß geschah namentlich seit der Einverleibung Polens, wo ein sprachverwandtes, aber mit westeuropäischen Ideen gesäugtes Volk mit Rußland in den innigsten Verkehr trat. Rußland hat noch auf geraume Zeit keine demokratischen Bewegungen zu fürchten, wohl aber ein Streben der Aristokratie nach unabhängiger Stellung; Rußland ist durch den Schutz seiner Glaubensverwandten im östlichen Polen, d. h. in Litthauen, Podolien und Volhynien groß geworden, und stützte sich dabei auf die Geistlichkeit und die große Volksmasse; der Adel war in ganz Litthauen, Volhynien, Podolien und Ostgalizien polonisirt worden; man mußte darauf hinarbeiten, ihn wieder russisch zu machen. Hierin liegt die Erklärung der von Uwarow, dem Minister des Unterrichts, ausgesprochenen, und von Ustrialow, dessen Werk als Compendium in den Unterrichtsanstalten dienen soll, wohl beherzigten Worte, daß das Unterrichtswesen im Geist der unumschränkten Alleinherrschaft, der russisch-griechischen Kirche und der Nationalität geleitet werden solle.

Es ist dieß bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich für Rußland geworden, und wenn gleich diese Nothwendigkeit manche harte Maaßregeln keineswegs entschuldigt, so erklärt sie doch im Allgemeinen die abgeschlossene Richtung. Man hat die Künste und Wissenschaften Europa's wie eine Art Raub davon geführt, und will die nationale geistige Entwicklung des Volks wieder da anknüpfen, wo Peter sie ursprünglich gefunden; man will diese Entwicklung möglichst national machen und lassen, um dem fremden Einfluß vorzubeugen, da das westeuropäische Element zersetzend auf einen solchen Zustand einwirken muß, wie er noch in Rußland existirt. Die russische Regierung hält, wohl nicht mit Unrecht, die Mehrzahl ihres Volks für keineswegs reif, einen Principienstreit, vielleicht eine Glaubensspaltung zu ertragen, und so verfiel sie auf das freilich kaum minder

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[0962/0010] und Westrußland verbündet, dann allmählich mit ihnen im Kampfe, endlich ihr Sieger – das ist die Geschichte des großrussischen Stammes von der Mitte des dreizehnten bis zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Diesen Gang der Dinge hat Ustrialow, wenn auch etwas stark in großrussischem Sinn, sehr deutlich gezeichnet. Man ersieht namentlich daraus, wie nahe es daran war, daß der Sitz des russischen Reichs nach Litthauen verlegt wurde. Olgerds mehr als dreißigjährige und Witolds fast 40jährige Regierung sind in dieser Beziehung höchst merkwürdig, namentlich letztere, da Witold seinen Plan, Litthauen zum herrschenden Reiche zu machen und Moskowien zu unterwerfen, noch zu einer Zeit, wo Jagello bereits den polnischen Thron bestiegen hatte, mit einer staunenswerthen Consequenz verfolgte. Nicht mit Unrecht hat Narbutt in seiner Geschichte des litthauischen Volks dieser Regierung einen ganzen Band gewidmet. Weder Moskau noch Polen hemmten seinen Siegeslauf, sondern eine furchtbare Niederlage, welche die noch nicht erschlaffte Horde ihm an den Ufern der Worskla im Jahr 1399 beibrachte, brach seine Kraft für immer, und nach seinem Tode kam ganz Litthauen mit Podolien und Volhynien und bald auch Ostgalizien (Galitsch) mehr und mehr unter polnischen Einfluß, bis endlich eine völlige Vereinigung der Polen mit den Roth-, Klein- und Weißrussen erfolgte; so wurde Polen übermächtig, bis es seinerseits durch die innern Mängel seiner Organisation und durch den Zwiespalt, welchen die Bekämpfung der griechisch-russischen Kirche in Litthauen durch die katholische in dem herrschenden Polen erzeugte, zur Unmacht herabsank, während das moskowitische Reich durch die Einheit in der Regierung und in der Religion allmählich erstarkte. Diesen für die Zukunft des ganzen östlichen Europa's so ungemein wichtigen und folgereichen Gang der Dinge hat Ustrialow mit großer Klarheit dargestellt, und hätte er denselben mit gleich sicherer Hand auch von dem Standpunkt der Stammverhältnisse, wie von dem der politischen Interessen und der Dynastien durchgeführt, so würde die Darstellung wenig zu wünschen übrig lassen. So erklärt sich aber aus seiner Darstellung wohl der Haß zwischen Polen und Russen, aber die Nuancirungen der einzelnen Stämme zwischen Großrussen und Polen fehlen, und es spricht sich in dieser Darstellung, wie in dem ganzen Staatsorganismus Rußlands jene Uniformitätssucht, jene Unterdrückung des Einzelnen und Localen aus, an der freilich nicht Rußland allein leidet. Allerdings darf man nicht vergessen, daß der große Kampf zwischen Polen und Rußland bald alles Einzelne verschlang. Der Kampf dauerte über dritthalbhundert Jahre, vom Tode Witolds (1430) bis zur Erstürmung von Praga am Ende des vorigen Jahrhunderts, und noch im vorigen Jahrhundert hätte Polen eben so wohl den Herrn in Moskau spielen können, als Rußland ihn in Warschau gespielt hat. Die Besorgnisse der russischen Regierung und der beiderseitige Haß sind somit hinreichend erklärt. In diesem Kampfe mit Polen liegt auch die Erklärung nicht nur des ganzen politischen Verfahrens der russischen Regierung, sondern auch der innern Staatseinrichtungen. Die griechisch-russische Kirche war das Mittel, wodurch man die Länder jenseits des Dnieper wieder an sich zog. Polen setzte seine Bemühungen fort, die Staatseinheit durch die kirchliche zu befestigen, und wenn ihm dieß Bestreben auch großentheils mit dem Adel von Litthauen, Weißrußland, Podolien, Volhynien und Galizien gelang, so mißlang es doch völlig beim Volke, welches, wenn auch dem Aeußern nach der Autorität des Papstes unterworfen, doch in allen wesentlichen Punkten der griechisch-russischen Kirche getreu blieb. Es gab eine Zeit in Rußland, wo das geistliche Regiment nicht schwächer war, als das weltliche, wo ein Kampf zwischen Czar und Patriarch sich entspinnen konnte, wie im deutschen Mittelalter zwischen Kaiser und Papst, und wo eine japanische Doppelherrschaft factisch bereits bestand. Es war dieß die Zeit, wo Rußland gegen das damals mächtige Polen politisch viel zu schwach war, aber die Macht, welche ihm die kirchlichen Verhältnisse gaben, recht wohl fühlte. Nikon ist in jener Zeit der bedeutendste Mann, und Ustrialow gibt hinreichend zu verstehen, daß derselbe damals auch die politischen Verhältnisse des Reichs leitete. Indeß waren die Zeitumstände überhaupt, so wie die Anwesenheit des Patriarchen in der czarischen Residenz hierarchischen Bestrebungen nicht sonderlich günstig, Nikon selbst mußte der czarischen Gewalt weichen, aber Peter hielt es für gerathen, das Patriarchat ganz aufzuheben, aus Furcht, es möchte einmal der weltlichen Herrschaft über den Kopf wachsen; er ersetzte es durch ein Collegium, die sogenannte allerheiligste Synode. Indeß war es ihm nur darum zu thun, die geistliche Macht gegenüber der weltlichen zu beschränken, sonst gewährte er ihr jede mögliche Entwicklung und Entfaltung, denn sie war die festeste Stütze und Bundesgenossin der weltlichen nach außen und innen. Man muß jene Zeit der ersten Romanows bis auf Peter studiren, wenn man die jetzige gerecht und billig beurtheilen will. Peter führte sein Reich mit Einemmal in die Reihe der europäischen Mächte ein, aber nur in Beziehung auf die äußere Politik; er gab ihm die Künste und Wissenschaften Europa's, aber nicht den Meinungskampf, aus dem die Bewegung der Geister und die Fortschritte in Kunst und Wissenschaft hervorgegangen; er wollte die Frucht des Siegs ohne den Kampf. Dieß ging, so lange die Russen in materieller Hinsicht viel zu lernen hatten. Sobald dieß nicht mehr oder nur in geringem Grade der Fall war, mußte der geistige Verkehr mit Europa die schlummernden Kräfte wecken und eine innere Reibung hervorbringen; dieß geschah namentlich seit der Einverleibung Polens, wo ein sprachverwandtes, aber mit westeuropäischen Ideen gesäugtes Volk mit Rußland in den innigsten Verkehr trat. Rußland hat noch auf geraume Zeit keine demokratischen Bewegungen zu fürchten, wohl aber ein Streben der Aristokratie nach unabhängiger Stellung; Rußland ist durch den Schutz seiner Glaubensverwandten im östlichen Polen, d. h. in Litthauen, Podolien und Volhynien groß geworden, und stützte sich dabei auf die Geistlichkeit und die große Volksmasse; der Adel war in ganz Litthauen, Volhynien, Podolien und Ostgalizien polonisirt worden; man mußte darauf hinarbeiten, ihn wieder russisch zu machen. Hierin liegt die Erklärung der von Uwarow, dem Minister des Unterrichts, ausgesprochenen, und von Ustrialow, dessen Werk als Compendium in den Unterrichtsanstalten dienen soll, wohl beherzigten Worte, daß das Unterrichtswesen im Geist der unumschränkten Alleinherrschaft, der russisch-griechischen Kirche und der Nationalität geleitet werden solle. Es ist dieß bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich für Rußland geworden, und wenn gleich diese Nothwendigkeit manche harte Maaßregeln keineswegs entschuldigt, so erklärt sie doch im Allgemeinen die abgeschlossene Richtung. Man hat die Künste und Wissenschaften Europa's wie eine Art Raub davon geführt, und will die nationale geistige Entwicklung des Volks wieder da anknüpfen, wo Peter sie ursprünglich gefunden; man will diese Entwicklung möglichst national machen und lassen, um dem fremden Einfluß vorzubeugen, da das westeuropäische Element zersetzend auf einen solchen Zustand einwirken muß, wie er noch in Rußland existirt. Die russische Regierung hält, wohl nicht mit Unrecht, die Mehrzahl ihres Volks für keineswegs reif, einen Principienstreit, vielleicht eine Glaubensspaltung zu ertragen, und so verfiel sie auf das freilich kaum minder

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840, S. 0962. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_121_18400430/10>, abgerufen am 27.11.2024.