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Allgemeine Zeitung. Nr. 113. Augsburg, 22. April 1840.

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Geologische Briefe.

(Beschluß.)

Wir haben gesehen, daß sich die neue Theorie der Erdbildung eigentlich aus dem Studium der modernen vulcanischen Thätigkeit herausentwickelt hat. Umgekehrt hat die Ueberzeugung von der plutonischen Entstehung aller Erhebung des Landes auf die Begriffe von den Wirkungen der heutigen Vulcane und der mit ihnen ursachlich verknüpften Erdbeben verständigend zurückgewirkt. Erst seitdem sieht man sich im Stande, zahlreiche Erscheinungen zu würdigen, welche unter der absoluten Herrschaft des Neptunismus von der Skepsis häufig ignorirt worden waren. Es liegt offen zu Tag: abgesehen von den Auswürfen der noch thätigen Feuerschlünde, sind seit der Erinnerung des Menschengeschlechts bis auf den heutigen Tag an der Oberfläche der Erde durch die Wirkungen unterirdischer Kräfte vielfache Veränderungen vorgegangen, welche jene gewaltigen Convulsionen, wobei auf ungeheure Spalten Gebirge aufstiegen, im Kleinen wiederholen und in den charakteristischen Zügen völlig mit denselben übereinkommen: wellenförmige Bewegungen des Bodens oft ganzer Landstriche, lange, schmale Spalten, wobei häufig der eine Rand oder beide in die Höhe gestoßen werden, bleibende Hebungen und Senkungen der Küsten, neue Hügel auf dem Festland, neue Inseln in der See. Die überraschende Erscheinung, daß aus tiefem Meeresgrunde unter vulcanischen Zuckungen plötzlich Inseln emporgestiegen sind, hat sich bekanntlich seit den historischen Zeiten nicht sehr selten wiederholt. Dergleichen Fälle ereigneten sich in Europa besonders häufig im ägäischen Meer. Schon viele Mythen der Hellenen beziehen sich auf diesen Vorgang; nach ihren Traditionen wären Rhodos, Delos, Halonesus, Nea, Anaphe dergleichen dem Meer entstiegene Eilande, und seit den Berichten des Plinius, Plutarch, Pausanias ist dort fast jedes Jahrhundert mit dergleichen Ereignissen bezeichnet worden. Eine zweite durch Katastrophen der Art ausgezeichnete Stelle ist der Archipelagus der Azoren (im 17ten Jahrhundert, 1720, 1811). Noch im Jahr 1831 erhob sich, wie sich Jedermann erinnert, im Meere von Sicilien eine neue Insel, wurde aber bald wieder, sammt der hastig aufgepflanzten Flagge Großbritanniens, von den Wellen verschlungen. Letzterer, auch sonst beobachteter Umstand gibt der Vermuthung Raum, daß dieser Proceß sich in offener See noch weit öfter wiederholen mag, als man glaubt, weil er nicht immer Spuren zurückläßt. Am großartigsten seit Menschengedenken trat das Phänomen in der Inselkette der Aleuten auf: dort erhob sich im Jahr 1796 eine Insel und vergrößerte sich durch fortwährende Ausbrüche bis zum Jahr 1806; sie war mehrere tausend Fuß hoch, und sie zu umrudern brauchte Capitän Kotzebue sechs Stunden. Aber das merkwürdigste bekannte Ereigniß, dasjenige, welches wohl den deutlichsten Begriff gibt von der Macht und dem Charakter des alten Erdvulcanismus, ist das Emporsteigen des Vulcans von Jorullo in Mexico im Jahr 1759. In der Höhe von 2400 Fuß über dem Meer trieb sich auf einmal ein mehrere Quadratmeilen großer Landstrich 500 Fuß hoch wie eine Blase auf; die Blase barst und aus der Spalte stieg ein Vulcan auf, der, als ihn Humboldt bestieg, gegen 1600 Fuß über der Ebene hoch war.

Ebenso interessant und lehrreich sind die Veränderungen, welche in Folge von Erdbeben vor den Augen der Menschen mit dem Niveau vieler Punkte des Festlandes vorgegangen. Nicht nur werden einzelne Striche, namentlich an den Küsten, ein für allemal gehoben oder versenkt, und die Winkel verändert, welche ihre Flächen mit dem Horizont bildeten; man hat auch sichere Beobachtungen, daß mehrere Stellen durch das Spiel der unterirdischen Kräfte in Oscillation auf- und abwärts erhalten werden. Dieß gilt besonders von den Küsten, wo seit Jahrtausenden Cultur und Naturbeobachtung herrschen, von Unteritalien, und die Annahme, daß die Erscheinung nicht auf diese Localitäten beschränkt sey, wäre zum voraus zulässig, wenn sie auch nicht durch manche Andeutungen aus entlegenen Ländern unterstützt würde. Das interessanteste Beispiel, weil dabei ein Werk der Menschenhand den Maaßstab der Veränderung gibt, ist der Tempel des Jupiter Serapis bei Puzzuoli. Das Factum, daß die Marmorsäulen dieses Tempels 15 Fuß über dem Spiegel des Meeres in einer mehrere Fuß breiten Zone von Bohrmuscheln durchlöchert sind, läßt sich nach allen Umständen gar nicht anders erklären, als daraus, daß in den letzten 2000 Jahren dieser Punkt der Küste einmal beträchtlich gesunken und wieder emporgestiegen ist. Das auffallendste und für die Theorie wichtigste Beispiel einer unmittelbar beobachteten senkrechten Auftreibung des Landes in Folge von Erdbeben gehört den jüngsten Tagen und auch wieder der neuen Welt an. Im Jahr 1822 wurde bei einem heftigen, sehr weit verbreiteten Erdbeben in Chili der Granit der Küste gegen 20 geographische Meilen lang ganz regelmäßig etwa vier Fuß über das alte Meeresniveau erhoben. Bei dieser Gelegenheit bemerkte man an denselben Felswänden mehrere alte, parallel über einander liegende Uferlinien, deutlich durch anklebende Seemuscheln und Schlamm bezeichnet, zum augenscheinlichen Beweis, daß diese Küste schon mehrmals, und zwar immer ungefähr um ähnliche Größen, gehoben worden. An dieses wichtige Factum schließt sich aber unmittelbar eine ganze Classe von allgemein verbreiteten Erscheinungen an, auf die man erst in neuester Zeit aufmerksamer geworden ist, und die beweisen, daß in sehr neuer, aber vorhistorischer Zeit, oder doch vom Menschen nicht beobachtet, die bedeutendsten Veränderungen mit dem Detailniveau der Länder vorgegangen sind.

Zwischen den eigentlich sogenannten Flötzen, als deren letztes Glied die Kreideformation erscheint, und den Aufschwemmungen der jetzigen Meere und Flüsse zeigt sich in vielen Landstrichen eine ganze Reihe von Schichten eingeschoben, welche man, zum Unterschied von den secundären Bildungen, die tertiären nennt. Sie umsäumen die Küsten oder den Fuß von Gebirgen, oder füllen Niederungen des Festlandes, die offenbar ehemals Seebecken waren. Es sind äußerst mannichfaltige Lager von Sand, Gerölle, Thon, Kalk, die sich in ihren mineralischen Verhältnissen meistens deutlich von den ältern, den secundären Bildungen, aber desto weniger von denen der Jetztzeit unterscheiden. Im Gegentheil gehen sie ohne allen deutlichen Abschnitt vollkommen in die neptunischen Schöpfungen des jüngsten Tages über. In ihrer ganzen Constitution ist nichts, was, im Sinne der Werner'schen Theorie, auf eine allgemeine letzte Katastrophe hindeutete, nach welcher der gegenwärtige Welttag angebrochen wäre. Auf dasselbe Resultat führt die Untersuchung der in jenen jungen Conglomeraten eingeschlossenen Thier- und Pflanzenreste. Während die Art ihrer Verbreitung darauf hinweist, daß zur Zeit ihrer Entstehung die Festländer noch weit mehr als jetzt von Binnenmeeren und Seearmen durchschnitten waren, beweisen die in ihnen begrabenen Organismen, daß damals bereits eine der gegenwärtigen sehr ähnliche Verfassung der ganzen lebenden Natur eingetreten war. In mineralischer

Geologische Briefe.

(Beschluß.)

Wir haben gesehen, daß sich die neue Theorie der Erdbildung eigentlich aus dem Studium der modernen vulcanischen Thätigkeit herausentwickelt hat. Umgekehrt hat die Ueberzeugung von der plutonischen Entstehung aller Erhebung des Landes auf die Begriffe von den Wirkungen der heutigen Vulcane und der mit ihnen ursachlich verknüpften Erdbeben verständigend zurückgewirkt. Erst seitdem sieht man sich im Stande, zahlreiche Erscheinungen zu würdigen, welche unter der absoluten Herrschaft des Neptunismus von der Skepsis häufig ignorirt worden waren. Es liegt offen zu Tag: abgesehen von den Auswürfen der noch thätigen Feuerschlünde, sind seit der Erinnerung des Menschengeschlechts bis auf den heutigen Tag an der Oberfläche der Erde durch die Wirkungen unterirdischer Kräfte vielfache Veränderungen vorgegangen, welche jene gewaltigen Convulsionen, wobei auf ungeheure Spalten Gebirge aufstiegen, im Kleinen wiederholen und in den charakteristischen Zügen völlig mit denselben übereinkommen: wellenförmige Bewegungen des Bodens oft ganzer Landstriche, lange, schmale Spalten, wobei häufig der eine Rand oder beide in die Höhe gestoßen werden, bleibende Hebungen und Senkungen der Küsten, neue Hügel auf dem Festland, neue Inseln in der See. Die überraschende Erscheinung, daß aus tiefem Meeresgrunde unter vulcanischen Zuckungen plötzlich Inseln emporgestiegen sind, hat sich bekanntlich seit den historischen Zeiten nicht sehr selten wiederholt. Dergleichen Fälle ereigneten sich in Europa besonders häufig im ägäischen Meer. Schon viele Mythen der Hellenen beziehen sich auf diesen Vorgang; nach ihren Traditionen wären Rhodos, Delos, Halonesus, Nea, Anaphe dergleichen dem Meer entstiegene Eilande, und seit den Berichten des Plinius, Plutarch, Pausanias ist dort fast jedes Jahrhundert mit dergleichen Ereignissen bezeichnet worden. Eine zweite durch Katastrophen der Art ausgezeichnete Stelle ist der Archipelagus der Azoren (im 17ten Jahrhundert, 1720, 1811). Noch im Jahr 1831 erhob sich, wie sich Jedermann erinnert, im Meere von Sicilien eine neue Insel, wurde aber bald wieder, sammt der hastig aufgepflanzten Flagge Großbritanniens, von den Wellen verschlungen. Letzterer, auch sonst beobachteter Umstand gibt der Vermuthung Raum, daß dieser Proceß sich in offener See noch weit öfter wiederholen mag, als man glaubt, weil er nicht immer Spuren zurückläßt. Am großartigsten seit Menschengedenken trat das Phänomen in der Inselkette der Aleuten auf: dort erhob sich im Jahr 1796 eine Insel und vergrößerte sich durch fortwährende Ausbrüche bis zum Jahr 1806; sie war mehrere tausend Fuß hoch, und sie zu umrudern brauchte Capitän Kotzebue sechs Stunden. Aber das merkwürdigste bekannte Ereigniß, dasjenige, welches wohl den deutlichsten Begriff gibt von der Macht und dem Charakter des alten Erdvulcanismus, ist das Emporsteigen des Vulcans von Jorullo in Mexico im Jahr 1759. In der Höhe von 2400 Fuß über dem Meer trieb sich auf einmal ein mehrere Quadratmeilen großer Landstrich 500 Fuß hoch wie eine Blase auf; die Blase barst und aus der Spalte stieg ein Vulcan auf, der, als ihn Humboldt bestieg, gegen 1600 Fuß über der Ebene hoch war.

Ebenso interessant und lehrreich sind die Veränderungen, welche in Folge von Erdbeben vor den Augen der Menschen mit dem Niveau vieler Punkte des Festlandes vorgegangen. Nicht nur werden einzelne Striche, namentlich an den Küsten, ein für allemal gehoben oder versenkt, und die Winkel verändert, welche ihre Flächen mit dem Horizont bildeten; man hat auch sichere Beobachtungen, daß mehrere Stellen durch das Spiel der unterirdischen Kräfte in Oscillation auf- und abwärts erhalten werden. Dieß gilt besonders von den Küsten, wo seit Jahrtausenden Cultur und Naturbeobachtung herrschen, von Unteritalien, und die Annahme, daß die Erscheinung nicht auf diese Localitäten beschränkt sey, wäre zum voraus zulässig, wenn sie auch nicht durch manche Andeutungen aus entlegenen Ländern unterstützt würde. Das interessanteste Beispiel, weil dabei ein Werk der Menschenhand den Maaßstab der Veränderung gibt, ist der Tempel des Jupiter Serapis bei Puzzuoli. Das Factum, daß die Marmorsäulen dieses Tempels 15 Fuß über dem Spiegel des Meeres in einer mehrere Fuß breiten Zone von Bohrmuscheln durchlöchert sind, läßt sich nach allen Umständen gar nicht anders erklären, als daraus, daß in den letzten 2000 Jahren dieser Punkt der Küste einmal beträchtlich gesunken und wieder emporgestiegen ist. Das auffallendste und für die Theorie wichtigste Beispiel einer unmittelbar beobachteten senkrechten Auftreibung des Landes in Folge von Erdbeben gehört den jüngsten Tagen und auch wieder der neuen Welt an. Im Jahr 1822 wurde bei einem heftigen, sehr weit verbreiteten Erdbeben in Chili der Granit der Küste gegen 20 geographische Meilen lang ganz regelmäßig etwa vier Fuß über das alte Meeresniveau erhoben. Bei dieser Gelegenheit bemerkte man an denselben Felswänden mehrere alte, parallel über einander liegende Uferlinien, deutlich durch anklebende Seemuscheln und Schlamm bezeichnet, zum augenscheinlichen Beweis, daß diese Küste schon mehrmals, und zwar immer ungefähr um ähnliche Größen, gehoben worden. An dieses wichtige Factum schließt sich aber unmittelbar eine ganze Classe von allgemein verbreiteten Erscheinungen an, auf die man erst in neuester Zeit aufmerksamer geworden ist, und die beweisen, daß in sehr neuer, aber vorhistorischer Zeit, oder doch vom Menschen nicht beobachtet, die bedeutendsten Veränderungen mit dem Detailniveau der Länder vorgegangen sind.

Zwischen den eigentlich sogenannten Flötzen, als deren letztes Glied die Kreideformation erscheint, und den Aufschwemmungen der jetzigen Meere und Flüsse zeigt sich in vielen Landstrichen eine ganze Reihe von Schichten eingeschoben, welche man, zum Unterschied von den secundären Bildungen, die tertiären nennt. Sie umsäumen die Küsten oder den Fuß von Gebirgen, oder füllen Niederungen des Festlandes, die offenbar ehemals Seebecken waren. Es sind äußerst mannichfaltige Lager von Sand, Gerölle, Thon, Kalk, die sich in ihren mineralischen Verhältnissen meistens deutlich von den ältern, den secundären Bildungen, aber desto weniger von denen der Jetztzeit unterscheiden. Im Gegentheil gehen sie ohne allen deutlichen Abschnitt vollkommen in die neptunischen Schöpfungen des jüngsten Tages über. In ihrer ganzen Constitution ist nichts, was, im Sinne der Werner'schen Theorie, auf eine allgemeine letzte Katastrophe hindeutete, nach welcher der gegenwärtige Welttag angebrochen wäre. Auf dasselbe Resultat führt die Untersuchung der in jenen jungen Conglomeraten eingeschlossenen Thier- und Pflanzenreste. Während die Art ihrer Verbreitung darauf hinweist, daß zur Zeit ihrer Entstehung die Festländer noch weit mehr als jetzt von Binnenmeeren und Seearmen durchschnitten waren, beweisen die in ihnen begrabenen Organismen, daß damals bereits eine der gegenwärtigen sehr ähnliche Verfassung der ganzen lebenden Natur eingetreten war. In mineralischer

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[0897/0009] Geologische Briefe. (Beschluß.) Wir haben gesehen, daß sich die neue Theorie der Erdbildung eigentlich aus dem Studium der modernen vulcanischen Thätigkeit herausentwickelt hat. Umgekehrt hat die Ueberzeugung von der plutonischen Entstehung aller Erhebung des Landes auf die Begriffe von den Wirkungen der heutigen Vulcane und der mit ihnen ursachlich verknüpften Erdbeben verständigend zurückgewirkt. Erst seitdem sieht man sich im Stande, zahlreiche Erscheinungen zu würdigen, welche unter der absoluten Herrschaft des Neptunismus von der Skepsis häufig ignorirt worden waren. Es liegt offen zu Tag: abgesehen von den Auswürfen der noch thätigen Feuerschlünde, sind seit der Erinnerung des Menschengeschlechts bis auf den heutigen Tag an der Oberfläche der Erde durch die Wirkungen unterirdischer Kräfte vielfache Veränderungen vorgegangen, welche jene gewaltigen Convulsionen, wobei auf ungeheure Spalten Gebirge aufstiegen, im Kleinen wiederholen und in den charakteristischen Zügen völlig mit denselben übereinkommen: wellenförmige Bewegungen des Bodens oft ganzer Landstriche, lange, schmale Spalten, wobei häufig der eine Rand oder beide in die Höhe gestoßen werden, bleibende Hebungen und Senkungen der Küsten, neue Hügel auf dem Festland, neue Inseln in der See. Die überraschende Erscheinung, daß aus tiefem Meeresgrunde unter vulcanischen Zuckungen plötzlich Inseln emporgestiegen sind, hat sich bekanntlich seit den historischen Zeiten nicht sehr selten wiederholt. Dergleichen Fälle ereigneten sich in Europa besonders häufig im ägäischen Meer. Schon viele Mythen der Hellenen beziehen sich auf diesen Vorgang; nach ihren Traditionen wären Rhodos, Delos, Halonesus, Nea, Anaphe dergleichen dem Meer entstiegene Eilande, und seit den Berichten des Plinius, Plutarch, Pausanias ist dort fast jedes Jahrhundert mit dergleichen Ereignissen bezeichnet worden. Eine zweite durch Katastrophen der Art ausgezeichnete Stelle ist der Archipelagus der Azoren (im 17ten Jahrhundert, 1720, 1811). Noch im Jahr 1831 erhob sich, wie sich Jedermann erinnert, im Meere von Sicilien eine neue Insel, wurde aber bald wieder, sammt der hastig aufgepflanzten Flagge Großbritanniens, von den Wellen verschlungen. Letzterer, auch sonst beobachteter Umstand gibt der Vermuthung Raum, daß dieser Proceß sich in offener See noch weit öfter wiederholen mag, als man glaubt, weil er nicht immer Spuren zurückläßt. Am großartigsten seit Menschengedenken trat das Phänomen in der Inselkette der Aleuten auf: dort erhob sich im Jahr 1796 eine Insel und vergrößerte sich durch fortwährende Ausbrüche bis zum Jahr 1806; sie war mehrere tausend Fuß hoch, und sie zu umrudern brauchte Capitän Kotzebue sechs Stunden. Aber das merkwürdigste bekannte Ereigniß, dasjenige, welches wohl den deutlichsten Begriff gibt von der Macht und dem Charakter des alten Erdvulcanismus, ist das Emporsteigen des Vulcans von Jorullo in Mexico im Jahr 1759. In der Höhe von 2400 Fuß über dem Meer trieb sich auf einmal ein mehrere Quadratmeilen großer Landstrich 500 Fuß hoch wie eine Blase auf; die Blase barst und aus der Spalte stieg ein Vulcan auf, der, als ihn Humboldt bestieg, gegen 1600 Fuß über der Ebene hoch war. Ebenso interessant und lehrreich sind die Veränderungen, welche in Folge von Erdbeben vor den Augen der Menschen mit dem Niveau vieler Punkte des Festlandes vorgegangen. Nicht nur werden einzelne Striche, namentlich an den Küsten, ein für allemal gehoben oder versenkt, und die Winkel verändert, welche ihre Flächen mit dem Horizont bildeten; man hat auch sichere Beobachtungen, daß mehrere Stellen durch das Spiel der unterirdischen Kräfte in Oscillation auf- und abwärts erhalten werden. Dieß gilt besonders von den Küsten, wo seit Jahrtausenden Cultur und Naturbeobachtung herrschen, von Unteritalien, und die Annahme, daß die Erscheinung nicht auf diese Localitäten beschränkt sey, wäre zum voraus zulässig, wenn sie auch nicht durch manche Andeutungen aus entlegenen Ländern unterstützt würde. Das interessanteste Beispiel, weil dabei ein Werk der Menschenhand den Maaßstab der Veränderung gibt, ist der Tempel des Jupiter Serapis bei Puzzuoli. Das Factum, daß die Marmorsäulen dieses Tempels 15 Fuß über dem Spiegel des Meeres in einer mehrere Fuß breiten Zone von Bohrmuscheln durchlöchert sind, läßt sich nach allen Umständen gar nicht anders erklären, als daraus, daß in den letzten 2000 Jahren dieser Punkt der Küste einmal beträchtlich gesunken und wieder emporgestiegen ist. Das auffallendste und für die Theorie wichtigste Beispiel einer unmittelbar beobachteten senkrechten Auftreibung des Landes in Folge von Erdbeben gehört den jüngsten Tagen und auch wieder der neuen Welt an. Im Jahr 1822 wurde bei einem heftigen, sehr weit verbreiteten Erdbeben in Chili der Granit der Küste gegen 20 geographische Meilen lang ganz regelmäßig etwa vier Fuß über das alte Meeresniveau erhoben. Bei dieser Gelegenheit bemerkte man an denselben Felswänden mehrere alte, parallel über einander liegende Uferlinien, deutlich durch anklebende Seemuscheln und Schlamm bezeichnet, zum augenscheinlichen Beweis, daß diese Küste schon mehrmals, und zwar immer ungefähr um ähnliche Größen, gehoben worden. An dieses wichtige Factum schließt sich aber unmittelbar eine ganze Classe von allgemein verbreiteten Erscheinungen an, auf die man erst in neuester Zeit aufmerksamer geworden ist, und die beweisen, daß in sehr neuer, aber vorhistorischer Zeit, oder doch vom Menschen nicht beobachtet, die bedeutendsten Veränderungen mit dem Detailniveau der Länder vorgegangen sind. Zwischen den eigentlich sogenannten Flötzen, als deren letztes Glied die Kreideformation erscheint, und den Aufschwemmungen der jetzigen Meere und Flüsse zeigt sich in vielen Landstrichen eine ganze Reihe von Schichten eingeschoben, welche man, zum Unterschied von den secundären Bildungen, die tertiären nennt. Sie umsäumen die Küsten oder den Fuß von Gebirgen, oder füllen Niederungen des Festlandes, die offenbar ehemals Seebecken waren. Es sind äußerst mannichfaltige Lager von Sand, Gerölle, Thon, Kalk, die sich in ihren mineralischen Verhältnissen meistens deutlich von den ältern, den secundären Bildungen, aber desto weniger von denen der Jetztzeit unterscheiden. Im Gegentheil gehen sie ohne allen deutlichen Abschnitt vollkommen in die neptunischen Schöpfungen des jüngsten Tages über. In ihrer ganzen Constitution ist nichts, was, im Sinne der Werner'schen Theorie, auf eine allgemeine letzte Katastrophe hindeutete, nach welcher der gegenwärtige Welttag angebrochen wäre. Auf dasselbe Resultat führt die Untersuchung der in jenen jungen Conglomeraten eingeschlossenen Thier- und Pflanzenreste. Während die Art ihrer Verbreitung darauf hinweist, daß zur Zeit ihrer Entstehung die Festländer noch weit mehr als jetzt von Binnenmeeren und Seearmen durchschnitten waren, beweisen die in ihnen begrabenen Organismen, daß damals bereits eine der gegenwärtigen sehr ähnliche Verfassung der ganzen lebenden Natur eingetreten war. In mineralischer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 113. Augsburg, 22. April 1840, S. 0897. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_113_18400422/9>, abgerufen am 28.11.2024.