Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840.Der polnische Dichter Mizkiewitsch, der zu einem Lehrstuhl der lateinischen Litteratur bei der Akademie von Lausanne mit einem Gehalt von 4500 Fr. berufen worden, hat diese Vocation angenommen. Die Vorträge, welche er in provisorischer Eigenschaft gehalten, hatten das lebhafteste Interesse erweckt. Er wird nebst dem Professor der religiösen Beredsamkeit, Hrn. Vinet, einer der schönsten, reinsten, wenn nicht bedeutendsten Erscheinungen der französischen Litteratur und der christlichen Kirche unserer Zeit, die Zierde der neuen Akademie werden. Ueberhaupt scheint die Akademie von Lausanne bestimmt, sich mehr durch ihre ästhetische und moralische Tendenz, als durch Gründlichkeit des Unterrichts in den speciellen Zweigen der Wissenschaft auszuzeichnen, obwohl auch in letzterer Beziehung namhafte Verbesserungen eingeführt wurden. Im Allgemeinen fehlt es in Lausanne weder an Geschmack noch an einem gewissen Eifer, noch an materiellen Mitteln, wohl aber an einer kräftigen Leitung und an einer tüchtigen akademischen Ueberlieferung. Syrien und Aegypten. Alexandria, 27 März. Gar nichts eigentlich Neues, das den leidigen bis an die Zähne bewaffneten status quo enden könnte. Die uns aus Konstantinopel gekommene Nachricht, daß der alte Chosrew Pascha von neuem sehr erkrankt und dem Tode nahe sey, hat meiner Ansicht nach nichts zu bedeuten. Sollte er selbst sterben, die Dinge werden deßhalb in keiner Weise geändert werden. Wenn es auch wohl wahr seyn mag, daß er den Scharfsinn besaß, seinen Antagonisten Mehemed Ali zu durchschauen, so fehlte ihm doch immer die andere wichtigere Eigenschaft, dessen Zwecke wirksam zu durchkreuzen, was ihm bei der hohen Stellung, die er beständig einnahm, wohl nicht sehr schwer hätte seyn können, wenn er dazu Manns genug gewesen wäre. Deßhalb habe ich immer die Ansicht gehabt, daß dieser von so Vielen gepriesene Chosrew eine höchst mittelmäßige Capacität war, die nur Geist zu Haremsintriguen besaß, mit Eunuchen und Weibern verkehrte und sich nur durch diese in der Gunst des Sultans zu erhalten wußte, was auch sein eigentlicher Zweck war. Wie der Staat während der Zeit ging, ob er gedieh oder seinem Verfall entgegen eilte, war ihm sehr gleichgültig; er war nicht einmal im Stande, es zu beurtheilen. Man wird nicht ein einziges Factum citiren können, wo er sich als wirklichen politischen Kopf gezeigt hätte. Daß er hie und da Revolutionen in Konstantinopel unterdrückte, beweist gar nichts, denn alle türkischen Conspirationen werden auf eine und dieselbe Weise angezettelt: man tritt genau in die Fußstapfen der Vorgänger, und der Divan, längst daran gewöhnt und den Schlendrian dieser Verschwörungen genau kennend, hat immer die Mittel in der Hand sie niederzuschlagen, wenn es ihm Zeit dünkt. Glaubt ein Wessier, daß die Stunde seiner Ungnade bald schlagen könne, so präparirt er selbst eine Verschwörung, fällt dann auf einmal über die dummen Conspirirten her, köpft deren einige und bringt die blutigen Häupter dem Sultan, der, ganz erstaunt einer unerwarteten Gefahr so glücklich entgangen zu seyn, seinen treuen Wessier von neuem mit seiner Huld und Gnade beschenkt. Chosrew hat dieß mehreremal gethan; dieß kann man zwar pfiffig und im türkischen Sinne geschickt nennen, aber immer beweist es noch keinen großen politischen Kopf; dieser wäre er nur dann, wenn er in seiner Stellung verbleibend dem Staat in großen Krisen von großem Nutzen seyn würde. Dieß war Chosrew niemals, obgleich sich während seines Regiments die großen Krisen so häufig wiederholten, daß der türkische Staat nun endlich in den letzten Zügen liegt. Wie wenig Mehemed Ali von ihm zu fürchten hatte, beweist, daß die Macht Aegyptens immer wuchs, während Chosrew in Konstantinopel die Zügel der Regierung in Händen hielt. Man führe zur Entschuldigung des letztern nicht die Schwierigkeit der Umstände an: diese wurden nur durch seine Incapacität schwierig; der Aufstand der Griechen wäre mit Leichtigkeit unterdrückt worden, hätte man statt Chosrew Mehemed Ali handeln lassen, und eben so hätte der Krieg gegen Rußland wahrscheinlich ein weniger unglückliches Resultat gehabt, wäre Chosrew nicht damals Seraskier und alleiniger Rathgeber des Sultans gewesen. Der Todesfall Chosrews möge also eintreten oder nicht, die europäischen Mächte werden deßhalb ihre Intentionen nicht ändern, und Mehemed Ali wird dadurch an Kraft weder gewinnen noch verlieren. - Die Kriegsrüstungen dauern mit gleicher Thätigkeit fort. Für Syrien scheint man die größte Gefahr zu befürchten, denn plötzlich sind 3 Infanterieregimenter, die in Kairo standen und für das Lager bei Mahaled el Kebir bestimmt waren, aufgebrochen und durch die Wüste nach Syrien marschirt. Es ist aber auch möglich, daß sie in Salahieh, der letzten Station der Wüste, stehen bleiben. Hier sind keine neuen Truppen angekommen. Die Nationalgarde exercirt täglich und macht rasche Fortschritte. Der Pascha befindet sich wohl; er war vor einigen Tagen beim Exerciren der von Tura hier angekommenen Artillerie, mit deren Schießen er überaus zufrieden war. Auch muß man gestehen, daß sie vortrefflich schoß, was man früher nicht vermuthet hätte. Obgleich die Küste in der Ausdehnung vom Marabut bis Abukir noch nicht mit Kanonen besetzt ist, sind doch alle Vorbereitungen getroffen, dieß sogleich zu thun, sobald etwas Bestimmteres über die Absichten der Mächte einläuft. Die kleinen diplomatischen Wortscharmützel, die noch zuweilen zwischen dem Pascha und den Consuln vorfallen, sind, da Alles auf einen großen Schlag vorbereitet ist und es sich jetzt von dem aut aut handelt, von geringer Bedeutung; ich erspare mir deßhalb die Mühe, Ihnen diese langweiligen Dinge wiederzukäuen. Entgegnung. Ich ersehe mit Leidwesen aus zwei in der Allg. Zeitung gegen mich erschienenen Artikeln, daß mein sehr anspruchloser, flüchtiger Brief aus Pesth von einigen zu reizbaren ungarischen Gemüthern auf die unbegreiflichste Weise interpretirt wird, während ich auf der andern Seite wiederum anerkennen muß, daß viele hochgestellte und allgemein verehrte Ungarn ihre volle Beistimmung meiner Ansichten mündlich gegen mich ausgesprochen haben. Den ersten obiger Aufsätze habe ich unbeantwortet gelassen, weil er zu sehr in das Feld der Persönlichkeit überschweifte; der zweite hält sich strenger an die Sache, und verdient deßhalb mehr Berücksichtigung, obgleich auch er die wunderlichsten Vorwürfe enthält, von denen es genügen wird, nur einige näher zu beleuchten. Daß ich die Ungarn bei ihrer Regierung habe "verdächtigen wollen," ist so rein aus der Luft gegriffen, daß bereits die Redaction (durch Anführung meiner eigenen Worte) das Gegentheil klar herausgehoben, und mir daher die Mühe erspart hat, irgend etwas mehr auf eine eben so gehässige als gänzlich unverdiente Beschuldigung zu erwiedern. Es wird mir ferner vorgeworfen, daß ich unter den Litteraten Ungarns nur des Frhrn. v. Josika namentlich erwähnt, und horribile dictu! zwei deutsche Journale Pesths, mit Uebergehung aller ungarischen, gelobt habe. Beide Umstände erklären sich jedoch sehr natürlich; denn da ich 1) mich keineswegs anheischig gemacht, eine Litteraturgeschichte Der polnische Dichter Mizkiewitsch, der zu einem Lehrstuhl der lateinischen Litteratur bei der Akademie von Lausanne mit einem Gehalt von 4500 Fr. berufen worden, hat diese Vocation angenommen. Die Vorträge, welche er in provisorischer Eigenschaft gehalten, hatten das lebhafteste Interesse erweckt. Er wird nebst dem Professor der religiösen Beredsamkeit, Hrn. Vinet, einer der schönsten, reinsten, wenn nicht bedeutendsten Erscheinungen der französischen Litteratur und der christlichen Kirche unserer Zeit, die Zierde der neuen Akademie werden. Ueberhaupt scheint die Akademie von Lausanne bestimmt, sich mehr durch ihre ästhetische und moralische Tendenz, als durch Gründlichkeit des Unterrichts in den speciellen Zweigen der Wissenschaft auszuzeichnen, obwohl auch in letzterer Beziehung namhafte Verbesserungen eingeführt wurden. Im Allgemeinen fehlt es in Lausanne weder an Geschmack noch an einem gewissen Eifer, noch an materiellen Mitteln, wohl aber an einer kräftigen Leitung und an einer tüchtigen akademischen Ueberlieferung. Syrien und Aegypten. Alexandria, 27 März. Gar nichts eigentlich Neues, das den leidigen bis an die Zähne bewaffneten status quo enden könnte. Die uns aus Konstantinopel gekommene Nachricht, daß der alte Chosrew Pascha von neuem sehr erkrankt und dem Tode nahe sey, hat meiner Ansicht nach nichts zu bedeuten. Sollte er selbst sterben, die Dinge werden deßhalb in keiner Weise geändert werden. Wenn es auch wohl wahr seyn mag, daß er den Scharfsinn besaß, seinen Antagonisten Mehemed Ali zu durchschauen, so fehlte ihm doch immer die andere wichtigere Eigenschaft, dessen Zwecke wirksam zu durchkreuzen, was ihm bei der hohen Stellung, die er beständig einnahm, wohl nicht sehr schwer hätte seyn können, wenn er dazu Manns genug gewesen wäre. Deßhalb habe ich immer die Ansicht gehabt, daß dieser von so Vielen gepriesene Chosrew eine höchst mittelmäßige Capacität war, die nur Geist zu Haremsintriguen besaß, mit Eunuchen und Weibern verkehrte und sich nur durch diese in der Gunst des Sultans zu erhalten wußte, was auch sein eigentlicher Zweck war. Wie der Staat während der Zeit ging, ob er gedieh oder seinem Verfall entgegen eilte, war ihm sehr gleichgültig; er war nicht einmal im Stande, es zu beurtheilen. Man wird nicht ein einziges Factum citiren können, wo er sich als wirklichen politischen Kopf gezeigt hätte. Daß er hie und da Revolutionen in Konstantinopel unterdrückte, beweist gar nichts, denn alle türkischen Conspirationen werden auf eine und dieselbe Weise angezettelt: man tritt genau in die Fußstapfen der Vorgänger, und der Divan, längst daran gewöhnt und den Schlendrian dieser Verschwörungen genau kennend, hat immer die Mittel in der Hand sie niederzuschlagen, wenn es ihm Zeit dünkt. Glaubt ein Wessier, daß die Stunde seiner Ungnade bald schlagen könne, so präparirt er selbst eine Verschwörung, fällt dann auf einmal über die dummen Conspirirten her, köpft deren einige und bringt die blutigen Häupter dem Sultan, der, ganz erstaunt einer unerwarteten Gefahr so glücklich entgangen zu seyn, seinen treuen Wessier von neuem mit seiner Huld und Gnade beschenkt. Chosrew hat dieß mehreremal gethan; dieß kann man zwar pfiffig und im türkischen Sinne geschickt nennen, aber immer beweist es noch keinen großen politischen Kopf; dieser wäre er nur dann, wenn er in seiner Stellung verbleibend dem Staat in großen Krisen von großem Nutzen seyn würde. Dieß war Chosrew niemals, obgleich sich während seines Regiments die großen Krisen so häufig wiederholten, daß der türkische Staat nun endlich in den letzten Zügen liegt. Wie wenig Mehemed Ali von ihm zu fürchten hatte, beweist, daß die Macht Aegyptens immer wuchs, während Chosrew in Konstantinopel die Zügel der Regierung in Händen hielt. Man führe zur Entschuldigung des letztern nicht die Schwierigkeit der Umstände an: diese wurden nur durch seine Incapacität schwierig; der Aufstand der Griechen wäre mit Leichtigkeit unterdrückt worden, hätte man statt Chosrew Mehemed Ali handeln lassen, und eben so hätte der Krieg gegen Rußland wahrscheinlich ein weniger unglückliches Resultat gehabt, wäre Chosrew nicht damals Seraskier und alleiniger Rathgeber des Sultans gewesen. Der Todesfall Chosrews möge also eintreten oder nicht, die europäischen Mächte werden deßhalb ihre Intentionen nicht ändern, und Mehemed Ali wird dadurch an Kraft weder gewinnen noch verlieren. – Die Kriegsrüstungen dauern mit gleicher Thätigkeit fort. Für Syrien scheint man die größte Gefahr zu befürchten, denn plötzlich sind 3 Infanterieregimenter, die in Kairo standen und für das Lager bei Mahaled el Kebir bestimmt waren, aufgebrochen und durch die Wüste nach Syrien marschirt. Es ist aber auch möglich, daß sie in Salahieh, der letzten Station der Wüste, stehen bleiben. Hier sind keine neuen Truppen angekommen. Die Nationalgarde exercirt täglich und macht rasche Fortschritte. Der Pascha befindet sich wohl; er war vor einigen Tagen beim Exerciren der von Tura hier angekommenen Artillerie, mit deren Schießen er überaus zufrieden war. Auch muß man gestehen, daß sie vortrefflich schoß, was man früher nicht vermuthet hätte. Obgleich die Küste in der Ausdehnung vom Marabut bis Abukir noch nicht mit Kanonen besetzt ist, sind doch alle Vorbereitungen getroffen, dieß sogleich zu thun, sobald etwas Bestimmteres über die Absichten der Mächte einläuft. Die kleinen diplomatischen Wortscharmützel, die noch zuweilen zwischen dem Pascha und den Consuln vorfallen, sind, da Alles auf einen großen Schlag vorbereitet ist und es sich jetzt von dem aut aut handelt, von geringer Bedeutung; ich erspare mir deßhalb die Mühe, Ihnen diese langweiligen Dinge wiederzukäuen. Entgegnung. Ich ersehe mit Leidwesen aus zwei in der Allg. Zeitung gegen mich erschienenen Artikeln, daß mein sehr anspruchloser, flüchtiger Brief aus Pesth von einigen zu reizbaren ungarischen Gemüthern auf die unbegreiflichste Weise interpretirt wird, während ich auf der andern Seite wiederum anerkennen muß, daß viele hochgestellte und allgemein verehrte Ungarn ihre volle Beistimmung meiner Ansichten mündlich gegen mich ausgesprochen haben. Den ersten obiger Aufsätze habe ich unbeantwortet gelassen, weil er zu sehr in das Feld der Persönlichkeit überschweifte; der zweite hält sich strenger an die Sache, und verdient deßhalb mehr Berücksichtigung, obgleich auch er die wunderlichsten Vorwürfe enthält, von denen es genügen wird, nur einige näher zu beleuchten. Daß ich die Ungarn bei ihrer Regierung habe „verdächtigen wollen,“ ist so rein aus der Luft gegriffen, daß bereits die Redaction (durch Anführung meiner eigenen Worte) das Gegentheil klar herausgehoben, und mir daher die Mühe erspart hat, irgend etwas mehr auf eine eben so gehässige als gänzlich unverdiente Beschuldigung zu erwiedern. Es wird mir ferner vorgeworfen, daß ich unter den Litteraten Ungarns nur des Frhrn. v. Josika namentlich erwähnt, und horribile dictu! zwei deutsche Journale Pesths, mit Uebergehung aller ungarischen, gelobt habe. 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Ueberhaupt scheint die Akademie von Lausanne bestimmt, sich mehr durch ihre ästhetische und moralische Tendenz, als durch Gründlichkeit des Unterrichts in den speciellen Zweigen der Wissenschaft auszuzeichnen, obwohl auch in letzterer Beziehung namhafte Verbesserungen eingeführt wurden. Im Allgemeinen fehlt es in Lausanne weder an Geschmack noch an einem gewissen Eifer, noch an materiellen Mitteln, wohl aber an einer kräftigen Leitung und an einer tüchtigen akademischen Ueberlieferung.</p><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Syrien und Aegypten.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Alexandria,</hi> 27 März.</dateline> <p> Gar nichts eigentlich Neues, das den leidigen bis an die Zähne bewaffneten status quo enden könnte. 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Wie der Staat während der Zeit ging, ob er gedieh oder seinem Verfall entgegen eilte, war ihm sehr gleichgültig; er war nicht einmal im Stande, es zu beurtheilen. Man wird nicht ein einziges Factum citiren können, wo er sich als wirklichen politischen Kopf gezeigt hätte. Daß er hie und da Revolutionen in Konstantinopel unterdrückte, beweist gar nichts, denn alle türkischen Conspirationen werden auf eine und dieselbe Weise angezettelt: man tritt genau in die Fußstapfen der Vorgänger, und der Divan, längst daran gewöhnt und den Schlendrian dieser Verschwörungen genau kennend, hat immer die Mittel in der Hand sie niederzuschlagen, wenn es ihm Zeit dünkt. Glaubt ein Wessier, daß die Stunde seiner Ungnade bald schlagen könne, so präparirt er selbst eine Verschwörung, fällt dann auf einmal über die dummen Conspirirten her, köpft deren einige und bringt die blutigen Häupter dem Sultan, der, ganz erstaunt einer unerwarteten Gefahr so glücklich entgangen zu seyn, seinen treuen Wessier von neuem mit seiner Huld und Gnade beschenkt. Chosrew hat dieß mehreremal gethan; dieß kann man zwar pfiffig und im türkischen Sinne geschickt nennen, aber immer beweist es noch keinen großen politischen Kopf; dieser wäre er nur dann, wenn er in seiner Stellung verbleibend dem Staat in großen Krisen von großem Nutzen seyn würde. Dieß war Chosrew niemals, obgleich sich während seines Regiments die großen Krisen so häufig wiederholten, daß der türkische Staat nun endlich in den letzten Zügen liegt. Wie wenig Mehemed Ali von ihm zu fürchten hatte, beweist, daß die Macht Aegyptens immer wuchs, während Chosrew in Konstantinopel die Zügel der Regierung in Händen hielt. Man führe zur Entschuldigung des letztern nicht die Schwierigkeit der Umstände an: diese wurden nur durch seine Incapacität schwierig; der Aufstand der Griechen wäre mit Leichtigkeit unterdrückt worden, hätte man statt Chosrew Mehemed Ali handeln lassen, und eben so hätte der Krieg gegen Rußland wahrscheinlich ein weniger unglückliches Resultat gehabt, wäre Chosrew nicht damals Seraskier und alleiniger Rathgeber des Sultans gewesen. Der Todesfall Chosrews möge also eintreten oder nicht, die europäischen Mächte werden deßhalb ihre Intentionen nicht ändern, und Mehemed Ali wird dadurch an Kraft weder gewinnen noch verlieren. – Die Kriegsrüstungen dauern mit gleicher Thätigkeit fort. Für Syrien scheint man die größte Gefahr zu befürchten, denn plötzlich sind 3 Infanterieregimenter, die in Kairo standen und für das Lager bei Mahaled el Kebir bestimmt waren, aufgebrochen und durch die Wüste nach Syrien marschirt. Es ist aber auch möglich, daß sie in Salahieh, der letzten Station der Wüste, stehen bleiben. Hier sind keine neuen Truppen angekommen. Die Nationalgarde exercirt täglich und macht rasche Fortschritte. Der Pascha befindet sich wohl; er war vor einigen Tagen beim Exerciren der von Tura hier angekommenen Artillerie, mit deren Schießen er überaus zufrieden war. Auch muß man gestehen, daß sie vortrefflich schoß, was man früher nicht vermuthet hätte. Obgleich die Küste in der Ausdehnung vom Marabut bis Abukir noch nicht mit Kanonen besetzt ist, sind doch alle Vorbereitungen getroffen, dieß sogleich zu thun, sobald etwas Bestimmteres über die Absichten der Mächte einläuft. 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Syrien und Aegypten.
_ Alexandria, 27 März. Gar nichts eigentlich Neues, das den leidigen bis an die Zähne bewaffneten status quo enden könnte. Die uns aus Konstantinopel gekommene Nachricht, daß der alte Chosrew Pascha von neuem sehr erkrankt und dem Tode nahe sey, hat meiner Ansicht nach nichts zu bedeuten. Sollte er selbst sterben, die Dinge werden deßhalb in keiner Weise geändert werden. Wenn es auch wohl wahr seyn mag, daß er den Scharfsinn besaß, seinen Antagonisten Mehemed Ali zu durchschauen, so fehlte ihm doch immer die andere wichtigere Eigenschaft, dessen Zwecke wirksam zu durchkreuzen, was ihm bei der hohen Stellung, die er beständig einnahm, wohl nicht sehr schwer hätte seyn können, wenn er dazu Manns genug gewesen wäre. Deßhalb habe ich immer die Ansicht gehabt, daß dieser von so Vielen gepriesene Chosrew eine höchst mittelmäßige Capacität war, die nur Geist zu Haremsintriguen besaß, mit Eunuchen und Weibern verkehrte und sich nur durch diese in der Gunst des Sultans zu erhalten wußte, was auch sein eigentlicher Zweck war. Wie der Staat während der Zeit ging, ob er gedieh oder seinem Verfall entgegen eilte, war ihm sehr gleichgültig; er war nicht einmal im Stande, es zu beurtheilen. Man wird nicht ein einziges Factum citiren können, wo er sich als wirklichen politischen Kopf gezeigt hätte. Daß er hie und da Revolutionen in Konstantinopel unterdrückte, beweist gar nichts, denn alle türkischen Conspirationen werden auf eine und dieselbe Weise angezettelt: man tritt genau in die Fußstapfen der Vorgänger, und der Divan, längst daran gewöhnt und den Schlendrian dieser Verschwörungen genau kennend, hat immer die Mittel in der Hand sie niederzuschlagen, wenn es ihm Zeit dünkt. Glaubt ein Wessier, daß die Stunde seiner Ungnade bald schlagen könne, so präparirt er selbst eine Verschwörung, fällt dann auf einmal über die dummen Conspirirten her, köpft deren einige und bringt die blutigen Häupter dem Sultan, der, ganz erstaunt einer unerwarteten Gefahr so glücklich entgangen zu seyn, seinen treuen Wessier von neuem mit seiner Huld und Gnade beschenkt. Chosrew hat dieß mehreremal gethan; dieß kann man zwar pfiffig und im türkischen Sinne geschickt nennen, aber immer beweist es noch keinen großen politischen Kopf; dieser wäre er nur dann, wenn er in seiner Stellung verbleibend dem Staat in großen Krisen von großem Nutzen seyn würde. Dieß war Chosrew niemals, obgleich sich während seines Regiments die großen Krisen so häufig wiederholten, daß der türkische Staat nun endlich in den letzten Zügen liegt. Wie wenig Mehemed Ali von ihm zu fürchten hatte, beweist, daß die Macht Aegyptens immer wuchs, während Chosrew in Konstantinopel die Zügel der Regierung in Händen hielt. Man führe zur Entschuldigung des letztern nicht die Schwierigkeit der Umstände an: diese wurden nur durch seine Incapacität schwierig; der Aufstand der Griechen wäre mit Leichtigkeit unterdrückt worden, hätte man statt Chosrew Mehemed Ali handeln lassen, und eben so hätte der Krieg gegen Rußland wahrscheinlich ein weniger unglückliches Resultat gehabt, wäre Chosrew nicht damals Seraskier und alleiniger Rathgeber des Sultans gewesen. Der Todesfall Chosrews möge also eintreten oder nicht, die europäischen Mächte werden deßhalb ihre Intentionen nicht ändern, und Mehemed Ali wird dadurch an Kraft weder gewinnen noch verlieren. – Die Kriegsrüstungen dauern mit gleicher Thätigkeit fort. Für Syrien scheint man die größte Gefahr zu befürchten, denn plötzlich sind 3 Infanterieregimenter, die in Kairo standen und für das Lager bei Mahaled el Kebir bestimmt waren, aufgebrochen und durch die Wüste nach Syrien marschirt. Es ist aber auch möglich, daß sie in Salahieh, der letzten Station der Wüste, stehen bleiben. Hier sind keine neuen Truppen angekommen. Die Nationalgarde exercirt täglich und macht rasche Fortschritte. Der Pascha befindet sich wohl; er war vor einigen Tagen beim Exerciren der von Tura hier angekommenen Artillerie, mit deren Schießen er überaus zufrieden war. Auch muß man gestehen, daß sie vortrefflich schoß, was man früher nicht vermuthet hätte. Obgleich die Küste in der Ausdehnung vom Marabut bis Abukir noch nicht mit Kanonen besetzt ist, sind doch alle Vorbereitungen getroffen, dieß sogleich zu thun, sobald etwas Bestimmteres über die Absichten der Mächte einläuft. Die kleinen diplomatischen Wortscharmützel, die noch zuweilen zwischen dem Pascha und den Consuln vorfallen, sind, da Alles auf einen großen Schlag vorbereitet ist und es sich jetzt von dem aut aut handelt, von geringer Bedeutung; ich erspare mir deßhalb die Mühe, Ihnen diese langweiligen Dinge wiederzukäuen.
Entgegnung.
Ich ersehe mit Leidwesen aus zwei in der Allg. Zeitung gegen mich erschienenen Artikeln, daß mein sehr anspruchloser, flüchtiger Brief aus Pesth von einigen zu reizbaren ungarischen Gemüthern auf die unbegreiflichste Weise interpretirt wird, während ich auf der andern Seite wiederum anerkennen muß, daß viele hochgestellte und allgemein verehrte Ungarn ihre volle Beistimmung meiner Ansichten mündlich gegen mich ausgesprochen haben.
Den ersten obiger Aufsätze habe ich unbeantwortet gelassen, weil er zu sehr in das Feld der Persönlichkeit überschweifte; der zweite hält sich strenger an die Sache, und verdient deßhalb mehr Berücksichtigung, obgleich auch er die wunderlichsten Vorwürfe enthält, von denen es genügen wird, nur einige näher zu beleuchten.
Daß ich die Ungarn bei ihrer Regierung habe „verdächtigen wollen,“ ist so rein aus der Luft gegriffen, daß bereits die Redaction (durch Anführung meiner eigenen Worte) das Gegentheil klar herausgehoben, und mir daher die Mühe erspart hat, irgend etwas mehr auf eine eben so gehässige als gänzlich unverdiente Beschuldigung zu erwiedern.
Es wird mir ferner vorgeworfen, daß ich unter den Litteraten Ungarns nur des Frhrn. v. Josika namentlich erwähnt, und horribile dictu! zwei deutsche Journale Pesths, mit Uebergehung aller ungarischen, gelobt habe. Beide Umstände erklären sich jedoch sehr natürlich; denn da ich
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